Ein elaborierter Tanz spielte sich zwischen den Bäumen ab. Der dürre Mann im weißen Mantel legte ein Paket auf die Bank, trat drei Schritte zurück. Ich legte ein andere Paket auf die Bank daneben. Wir beide liefen im Uhrzeigersinn um die Bänke herum, nahmen die Pakete auf.
Weihnachtsplätzchenübergabe zu Zeiten von SARS-CoV2. Merlino und ich hatte uns am üblichen Ort verabredet: im Miniaturpark zwischen dem Stadtbad Schöneberg und der Hauptstraße. Er liegt bequem zwischen den Schöneberger Supermärkten und Märkten. Der kleine Park, der vielleicht auch nur ein großer Vorgarten ist, bietet selbst zu Zeiten, in denen das Bad geöffnet ist, Platz.
In den zahlreichen Monaten im Jahr, in denen das Stadtbad aus dem einen oder anderen Grund geschlossen ist, sind wir quasi allein. Nun trafen wir uns: Ich mit Madames Weihnachtsplätzchen, einer Mischung aus Spekulatius, Terrassenplätzchen und Zimtsternen, Merlino mit dem extra für uns gebackenen Pampepato, einer Art italienischer Weihnachtsbrot mit Bitterschokolade.
Merlino heißt naturlich nicht Merlino. Aber er trägt gerne lange weiße Mäntel und sagt von sich, er sei ein "Mago in cucina.", ein Zauberer in der Küche. Freunde dürfen ihn auch "Mago Merlino" nennen. Zuerst tanzten wir wortlos. Worte austauschen können wir ja über Social Media, Messenger und ähnliches. Aber uns sehen, Backwerk austauschen, können wir nicht.
Ich hatte noch eine Frage: "Merlino, weißt Du wo ich einen guten Kalbskopf her bekomme?" - "Naturalmente!" - wie konnte ich nur Zweifel an seiner Kompetenz andeuten. "Ma perché? Aber warum? Was willst Du mit einem Kalbskopf?" - Ich antwortete, er wird ein Teil meines Jahresprojekts 2021: "Die 100 berühmtesten Rezepte der Welt."
Roland Gööck: die 100 berühmtesten rezepte der welt, edition sigloch. |
Mago Merlino schaute ratlos. Ich erläuterte:
Ich wollte nächstes Jahr mal wieder ein Kochbuch durchkochen. Der Ansatz zwingt mich dazu, auch die seltsameren Sachen zu probieren, diejenigen Rezepte zu kochen, bei denen ich mich weniger wohl fühle. Es nötigt mich Gerichte auszuprobieren, bei denen ich vorher keinen Plan habe, wie das Rezept funktioniert. Ich stand also zu Hause vor den Regalfächern mit den Kochbüchern, überlegte, was in mir Joy sparkt, und da sprang es mich an. "Die 100 berühmtesten Rezepte der Welt."