Freitag, 17. Juli 2020

Strandbad Spree Oberbaumbrücke von Pfuel

Wie langsam sich ein Baggerschiff in Stellung bringen kann. Madame und ich lehnen an der Brüstung der Elsenbrücke. Wir schauen auf die Baustelle in der Spree. Am Berliner Osthafen schützen Spundwände einen Bereich mitten im Fluss. Sie schützen einen Sandhaufen in der Spree. Ein Kahn halbvoll mit Sand liegt neben den Wänden. Ein Baggerschiff liegt längsseits. Baugeräte fahren über den flussliegenden Sand. Am Ufer, direkt neben dem Sandhaufen bestätigen Berge aus zerbrochenem Beton: Hier wird gebaut. Aber in welche Richtung? Aufbau Ost? Abbau Ost?

Wohin bewegt sich der Sand? Baggert das Schiff ihn vom Kahn in die Spundwände? Oder gelangt es vom Fluß auf den Kahn? Freiheit für die Spree! Oder neue Gebäude? Madame und ich schoben unsere Räder über die Brücke von Friedrichshain nach Treptow. Wir waren auf dem Weg zum Badeschiff. Ich hatte Madame versprochen, dass man das Schiff vom Nordufer der Spree aus gut sehen kann. Nun waren wir auf dem Rückweg in den sonnigen Süden Berlins. Nur der Kahn hielt uns auf. Hatte unsere Neugier geweckt. Der langsamste Bagger östlich der Havel machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen.

Wir lehnen. Der Schiffsbagger pendelt. Der Kettenbagger fährt unmotiviert über den Sand. Ich bilde mir ein, das Badeschiff zu erahnen. Meine Gedanken schweifen in Richtung ehemaliger Schwimmherrlichkeit an der Spree. Nicht weit entfernt, nahe der Oberbaumbrücke, direkt am Westen, lag die Von-Pfuel’sche Badeanstalt. Über 100 Jahre lang war es das eindrucksvollste Flussbad Berlins.

Vier - zwei ganz, zwei angeschnitten, Zeichnungen von Männern beim Brustschwimmen. Blick von oben.
Aus dem Lehrbuch der Schwimmkunst: für Turner und andere Freunde der Leibesübungen und zur Benutzung in Schul- und Militär-Schwimmanstalten, geschrieben von Hermann Otto Kluge 1870, dem ehemaligen „Turnlehrer bei der Berliner Feuerwehr“ und Carl Euler. Gemeinfrei, da Autoren länger als 70 Jahre tot.


Wildes Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Fahrradreifen quietschen. „Na Ihr Pfeifen!“ Hinter mir kommt ein Liegerad schlingernd zum Stehen. Am Heck flattert die gelbe Fahne mit roter Aufschrift „Schwimmenberlin.de“. Joe kommt!



Joe, laut Pass Joachim-Stefan aus Hennigsdorf, Universalgenie, Handwerksmeister, Websitewerbender und Berlins einziger selbstständiger Leihschwimmmeister, hält an. Selbst ohne fahnentragendes Liegerad würde ihn sein gepflegter Frank-Zappa-Schnauz unverkennbar machen. „Reinspringen, nach Spandau kraulen und dann zum Ruppiner See. Biste genau zum 24-Stunden-Neuruppin-Schwimmen da!“

Ich winde mich. Joe: „Ey, Flussschwimmen ist super. Durften wir ja bis 1990 nirgends in Berlin. Aber danach. Spree und Havel, rauf und runter! Von Spandau bis Köpenick und zurück! Bis ich nach Italien gegangen bin. Jetzt stellen die sich wieder so an.“

Ich möchte Badeschiff sagen. Aber ich kann mir Vorstellen wie Joe ablehnend Kopf und Bart hin- und her werfen wird. Container im Wasser! Aquarium! Ich versuche es anders: „Aber das Bad an der Museumsinsel.“ Dieser Badplan wird seit Jahren vom Senat und Lottostiftung gefördert und schafft es regelmäßig in die Presse.

Joe schnauft. „Pah. Der BER wird früher fertig werden. Seit 1997 sind die am reden. Außer Sprüchen kommt da nichts. Neues Flussbad: In diesem Seitenkanal. Nichts! Pfeifen! Merkel-Bad, oder was? Wo es die ganz schöne Spree gäbe!“

Ich versuche, mit Geschichte abzulenken. „Weißt Du dass hier - zwischen Oberbaumbrücke und Schillingbrücke - das Berliner Spreebad überhaupt war?“ Die Badeanstalt von Pfuel. Sie bestand von 1817 bis 1933. Da hinten an der Köpenicker Straße 12. Vom Fluss aus kann man sie erahnen. Dort ist eine der wenigen unbefestigten Uferstellen der Spree. Das Schwimmbad hat damals verhindert, dass das Ufer befestigt wird.

Ernst von Pfuel war preußischer Offizier, später Kommandant der Stadt Köln, preußischer Ministerpräsident und Freund Heinrich von Kleists‘. Überliefert ist sein Name durch die Schwimmanstalt. Von Pfuel gilt als derjenige, der das Brustschwimmen in seiner heutigen Form definierte und damit „erfand.“

Die Badeanstalt am Oberbaum diente anfangs vor allem dazu das Preußische Militär im Schwimmen auszubilden. Aber von Beginn an war sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Die ganze Anlage teilte sich in zwei Teile: für Militär und für Private. Das Militär hatte seine eigenen Kompanie-Schwimmlehrer, die nicht zur Anstalt gehörten. Alles auf höchstem Niveau damals.

Die Anstalt von Pfuel war beispielgebend für andere Flussbäder in Berlin und Deutschland. Das Flussbad von Pfuel war DAS Flussbad. Es war der Moment in dem „Schwimmen“ in Berlin von einer etwas anrüchigen, moralisch fragwürdigen Beschäftigung zu einer anständigen preußisch-militärischen Aufgabe wurde. 1816 waren private Schwimmanstalten an der Spree Ort des Lasters und der Versuchung. 1817 verwandelten sie sich in staatstragend-militärische Anlagen der Leibesübung. Es war auch der Moment an denen die Frauen aus den Schwimmanlagen flogen.

Zum Glück habe ich eine zeitgenössische Beschreibung dabei. Das Lehrbuch der Schwimmkunst: für Turner und andere Freunde der Leibesübungen und zur Benutzung in Schul- und Militär-Schwimmanstalten, geschrieben von Hermann Otto Kluge 1870, dem ehemaligen „Turnlehrer bei der Berliner Feuerwehr“ und Carl Euler.

Das Buch führt die Anstalt ein:

Auch in der Preussischen Armee wurde das Schwimmen eingeführt, und ist hier besonders der am 3.  December 1866 verstorbene General von Pfuel bahnbrechend gewesen. 1817 gründete derselbe die  noch jetzt blühende Pfuelsche Schwimmanstalt zu Berlin, die als die Mutteranstalt aller der zahlreichen seitdem errichteten Militär-Schwimmanstalten mit Recht bezeichnet werden kann. Pfuel ist zugleich der Begründer einer besonderen Schwimmmethode, die, an die Beobachtungen, die man beim Schwimmen des Frosches gemacht hat, anknüpfend, sich durch Kürze, Bestimmtheit und   Einfachheit in den scharf begrenzten und gegliederten Bewegungen auszeichnet und den Schüler in festem methodischem Unterrichtsgang allmählich zur Sicherheit und Ausdauer im Schwimmen hinführt. Die Pfuelsche Schwimmmethode, zuerst 1817, in zweiter Auflage 1827 beschrieben, ist  seitdem in den meisten Schwimmanstalten dem Schwimmunterricht zu Grunde gelegt worden.

Foto von Georg Bartels der Spree Richtung Osten und Oberbaumbrücke. Im Vordergrund die Anstalt von Pfuel. Auf dem Fluss verschiedene Schiffe.
Georg Bartels: Blick auf die Spree mit der von Pfuel'schen Anstalt. Um 1890. Im Hintegrund die noch hölzerne Oberbaumbrücke. Gemeinfrei, da Fotograf 1912 gestorben.


Im Anhang folgen Badeordnung und Inventar der von Pfuelschen Anstalt. Ich gebe in Auszügen wieder:

Geschäfts-Ordnung der von Pfuel’schen Schwimmanstalt in Berlin.


Vorbemerkung.
 

Der gegenwärtige Direktor der von uns wiederholt erwähnten berühmten Schwimmanstalt, Herr Oberstlieutenant Henny, hat uns auf unsre desfallsige Anfrage freundlichst gestattet, die vorgenannte, unseres Wissens noch nirgends veröffentlichte „Geschäfts-Ordnung“ in ihrem ganzen Umfang in unserem „Lehrbuch der Schwimmkunst“ mit abdrucken zu lassen. Wir machen hiermit von dieser Erlaubniss dankbaren Gebrauch und lassen nur im „Inventarium“ (Beilage C) einzelnes Unwichtige fort.

[..]
 

1. Das Personal besteht ausser der Direction aus:
A.    dem Rechnungsführer,   
B.    dem Schwimmmeister,
C.    den Schwimmlehrern,
D.    den Hülfs-Schwimmlehrern,
E.    den Kompagnie-Schwimmlehrern,
F.    einem während der Schwimmzeit anzustellenden Wärter, der ein geübter Schwimmer sein muss.


Eine Wäscherin, sowie die Restauration hält die Familie T. für eigene Rechnung, beide stehen nur insoweit unter Aufsicht der Anstalt, als solche zur Aufrechthaltung der Ordnung und billiger Preise erforderlich ist.
[...]
Dass jedem Beitretenden eine mit der fortlaufenden Registernummer versehene, vom Rechnungsführer unterschriebene Marke ausgefertigt werden muss, welche seinen Namen und Charakter, bei Militair-Personen auch den Truppentheil – die erfolgte Zahlung des Antrittsgeldes – und den Schwimmlehrer, dem er zugetheilt worden, nachweiset.
Diese Marken erhalten ihre Gültigkeit durch die Unterschrift der Direction – sie dienen mit der Unterschrift des Directors (Major Henny) zugleich als Quittung über den gezahlten Beitrag.
[..]
Die etwa vorkommenden Reparaturen jeder Art sind von dem Schwimmmeister durch einen hierüber sprechenden Zettel dem Vorstande anzuzeigen. Derselbe wird sich von der Nothwendigkeit der Ausführung überzeugen und dieselben veranlassen.
[..]
Die Schwimmlehrer der Anstalt erhalten jeder eine bunte Jacke und eine Strohkappe – Hosen und Schuhe schaffen sie sich selber an. Nach Ablauf der Schwimmzeit liefern sie die unentgeldlich verabreichten Sachen wieder ab.
[..]


Beilage A.


Gesetze der Schwimm-Anstalt:

§ 2.
Die Schüler haben nicht die Wahl des Schwimmlehrers, sondern werden von dem Vorstande, oder in dessen Abwesenheit vom Rechnungsführer irgend einem Lehrer zugetheilt, und erhalten ihren Unterricht in der jedesmaligen Reihenfolge, wie sie sich zum Schwimmen einstellen.
 

§ 3.
[..] Beitretende, welche sich als schwimmkundig angeben, haben sich an der Leine einer Prüfung ihrer Fertigkeit und nach dem Ausfälle derselben, der Einverleibung in die entsprechende Unterrichtsklasse zu unterwerfen.


Ich hole weiter aus. Die Schüler waren in vier „Klassenstufen“ eingeteilt. Wobei nur Klasse vier selber schwimmen durfte. Das „Schwimmdiplom“ war ein Schwumm einmal quer über die Spree nach Friedrichshain und wieder zurück. Noch irrer: Vom Komponisten Mendelssohn-Bartholdy wurde diese Prüfung vertont. Das Lied Stromübergang MWV G 6 geht um genau diese Prüfung. Der Text allerdings stammte von „Frischmuth Wellentreter“ aka dem Arzt August Johann Zeune. Der veröffentlichte 1826 einen ganzen Gedichtzyklus zum Schwimmen, den er von Pfuel widmete.

§ 5.
Niemand darf den Andern ohne seinen Willen untertauchen oder sonst necken.


§ 6.
Niemand darf ohne Schwimmhosen schwimmen.


Darstellung der Festivitäten zum Anstaltsjubiläum
Festivitäten der Anstalt zum 50. Jubiläum 1867. Gemeinfrei zu Zeichner länger als 70 Jahre gestorben.


Beilage C.


Inventarium der von Pfuel’schen Schwimmanstalt.

I. Die Schwimmanstalt selbst
 

ist, ganz auf Pfählen ruhend, von Holz in die Spree gebaut. Die Pfähle sind durch Rahmen unter sich verbunden, worauf Balken liegen, welche mit Dielen belegt sind. Zur Anstalt führt eine auf Pfählen ruhende Dielenbrücke, theilweise mit Geländer. – Die Anstalt bildet 2 Hauptabtheilungen, jede hat ein grosses und ein kleines Bassin.

1) Zu dem grossen Bassin führen 4 Stufenleitern vom Verdeck hinab, 2 Lattenleitern, zum Ausruhen bestimmt, gehen vom Wasserspiegel bis auf den Grund, 3 Schwungbretter an jeder Seite des grossen Bassins befestigt, 1 Balancierbalken schwimmt frei in demselben herum, 6 Rettungsstangen liegen neben dem Verdeck auf eisernen Haken.


2) Zu dem kleinen Bassin führen 4 Lattenleitern vom Verdeck hinab bis auf den Grund. Ausserhalb dieses Bassins sind 4 Unterrichtsbänke so befestigt, dass sie im Winter abgenommen werden können.
Zu jeder Bank führen 2 kleine Treppen vom Verdeck hinab. Jede Bank hat vorn einen mit Brettern bekleideten Bock. Neben diesen Unterrichtsbänken führen 6 Lattenleitern vom Verdeck bis auf den Grund.

[..]

Die ganze Anlage war von Wänden umschlossen. Es sollte verhindert werden, dass arglose Passanten halbnackte Jungen und Männer ansehen mussten. Ausflüge außerhalb der Bassins in die freie Spree waren selten.

[..]
VI. Kähne.
2 große, 1 kleiner; dazu gehören:
12 Ruder verschiedener Art,
1 Anker.

[..]
IX. Rettungs-Apparat *) für im Wasser Verunglückte im Generalszelt. Hierzu:
 

a. Sachen:
 

2 flanellene Decken, um den Körper darauf zu legen und auf Leinwand in Rahmen (lackirt),
einzuwickeln,
flanellene Lappen, 6 Bürsten zum Reiben,
einige Pfund guten Branntwein oder Wein,
eine Flasche mit Baumöl,
Weinessig,
Küchensalz,
4 blecherne Wärmflaschen,
eine Wanne zu ganzen Bädern,
aromatische Kräuter,
ätzender Salmiakgeist,
Hoffmannstropfen,
Brechweinstein, Ingwer, Senf, Blasenpflaster,
gestrichenes Klebepflaster,
4 Aderlassbinden,
1 irdene Theekanne.


b. Instrumente:

2 Lancetten,
2 Bistouris,
1 Klystierspritze,
1 Injectionsspritze, um die Kehle vom Schleim zu reinigen.

[..]
X. Sechs Stämme Bauholz,
welche als Abhalter der Wellen und des Unraths dienen und an den Enden der Anstalt zwischen den Pfählen liegen.

Auf dem Soldaten-Bassin befindet sich ein Springthurm und ein Zelt mit Glasfenster und verschliessbarer Thür für den wachthabenden Officier. Das Unterrichts-Bassin hat 6 kurze Leitern; auch ist dasselbe mit einer Bretterwand nach aussen bekleidet. Das grosse Bassin hat 4 Leitern und 2 Sprungbretter und auf einer Seite eine Barriere, welche mit eisernen Streben befestigt ist.


Joe freut sich. „Wie heute. Ich wünsch, ich dürfte die Schwimmer an die Leine nehmen. Nur die Aderlassbinden und Klistierspritzen bringe ich selbst mit. Und da machst jetzt Warmbaden mit Cocktails im Badeschiff?“ Joe muss weiter. „Scheiß Baustelle. Elender Verkehr hier auf der Brücke. Aber sie bauen am Ersatz. Da kannste den Bagger sehen, der macht Fundamente. Wird vielleicht sogar fertig. Aber ist ja Berlin, ne.“

Weiterlesen


Schokoladenschwimmer - als Schwimmen in der Spree noch unseriös und lasterhaft war.

Köpenicker Straße.de mit einem Artikel zur Nummer 12.

Schwimmbadquartett: Schwimmbäder in Berlin

Zum Abschluss. Frank Zappa: Montana

Keine Kommentare: