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Samstag, 6. Juni 2020

Schwimmen in Schopfheim, Hallenbad Krone, Wiechs

Der soziologische Springteufel. In meinem Hinterkopf spukt er herum. Gelegentlich springt er heraus. Das Kästchen öffnet sich. Von der Feder nach oben geschleudert, drängt sich das Männchen mit roten Hörnern, langer Nase und spitzem Kinn ins Bewusstsein. Mein soziologischer Springteufel heißt Thomas Voss und lehrt an der Universität Leipzig Mikrosoziologie. Er lehrte dort schon Rational Choice Theorie und Mikrosoziologie als ich in Leipzig studierte. Mein innerer soziologischer Springteufel ist Mikrosoziologe und trägt eine Brille.

So lese ich die Artikel zu den Corona-Verschwörungsdemos. Ich wundere mich kurz „Es ist seltsam, dass die Demos je größer werden, je lockerer die Beschränkungen werden. Das ergibt keinen Sinn.“ Da springt mein innerer Thomas Voss heraus, der Springteufel, direkt in mein Gehirn und wedelt mit dem erhobenen Zeigefinger. „Ha! Das war schon immer so! Revolutionen und Aufstände brechen immer in dem Moment aus, indem der angenommen Missstand sich abschwächt. Das lässt sich per Rational Choice problemlos erklären! Das beweise ich schon seit den späten 1980ern!“

Metall-Türschild der Krone Wiechs. Klassicher Stil aus Metall mit stilisierter Krone. Der Schiftzug in Gold.
Türsschild der Krone Wiechs. Willkommen zur Hallenbad-Wellness. Mit Spätzle.


Da mir die innere Auseinandersetzung mit Rational Choice zu anstrengend ist, wandle ich zu Madame in die Kammer und rede drauflos, während sie versucht, an der Tonspur ihres neuen Screencasts zu basteln. „Weißt du was ich am IKEA-Parkplatz gesehen habe? Ein Radfahrer mit Rückspiegel am Helm. So ein MAMIL, ein MittelAlter-Mann-in-Lycra, mit oranger enger Hose, Rennrad, orangem Helm. Und am Helm ein einem Ausleger ein Rückspiegel. Etwa so groß wie ein 2-Euro-Stück. Das sah bizarr aus. Aber auch cool.“ Madame erblickt ein gefährliches Leuchten in meinen Augen. Ich ergänze: „Wie so ein kleines Horn, das spiegelt.“


Madame ahnt, dass ich mich in ein Spiegelhörnchen verwandeln könnte, wenn sie mich nicht ablenkt und sagt: „Schau mal, die Mauersegler fliegen wieder durch den Hof.“ Die Vögel jagen im Kreis durch den Berliner Altbau-Innenhof. Mitte Mai kehrten sie nach Schöneberg zurück und bezogen das Dach im Nachbarhaus. Im Dauerflug geht es im Kreis, vom Hof nach oben, mehrere hundert Meter hinauf. Noch fliegen sie einzeln, müssen die Formation erst üben. Später im Jahr wird die ganze Gruppe im Formationsflug mit 100-200 km/h Geschwindigkeit am Fenster vorbeirauschen. Vierter Stock Altbau. Ich könnte versuchen, den Arm herauszustrecken und sie zu berühren.

In Kreisen, ziehen sie herauf, höher und höher. Wenn das Wetter schlechter wird, ziehen sie für wenige Tage einige hundert Kilometer weg, um der Schlechtwetterfront auszuweichen. Ich zitiere die Wikipedia, weil ich mir das Verhalten der Mauersegler selber nicht glauben würde:

Bei Annäherung eines Tiefdruckgebiets, auch Zyklon genannt, ziehen viele Mauersegler vor dessen Wetterfronten her. Sie starten in vielen Fällen bereits, wenn die Kaltfront noch 500 bis 600 km entfernt ist. Die Vögel bilden rasch Trupps, die zunächst in den Warmsektor des Tiefs ziehen, wo sie selbst bei Regen noch genügend Nahrung finden. Später fliegen sie gegen den Wind durch die Kaltfront des Tiefdruckgebiets hindurch und sind so die kürzestmögliche Zeit den stärksten Regenfällen ausgesetzt. Meist umwandern die Mauersegler dabei das Zentrum des Tiefs im Uhrzeigersinn und kehren oft erst nach 1000 bis 2000 Kilometern wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Vogel müsste man sein. Fliegen können, reisen können. Mal kurz auf 2000 Meter Höhe oder 2000 Kilometer weit durch die Gegend fliegen. Keine Coronaviren weit und breit.
Madame weist mich auf die Blaumeisenpest 2020 hin. Und auf die Amselcholera 2018.
Aber trotzdem. Der Aufstieg des Schwarms über die Straßen Berlins. Das Wissen um die kleinen Ausweichmanöver der Vögel bei Gewitter bis weit nach Polen. Es weckt den Drang nach der weiten Welt. Den Traum nach exotischen Orten wie dem Dinkelberg.

Dinkelberg


Der Dinkelberg – für auswärtige Ahnungslose der südlichste Teil des Schwarzwalds, für Einheimische und Geologen etwas KOMPLETT ANDERES, ist ein Gebirgszug zwischen dem südlichen Ende des Schwarzwalds und der Schweiz. Städte in seinem Randbereich sind Lörrach, Basel, Rheinfelden und Schopfheim. Der Dinkelberg ist geologisch älter als der Schwarzwald, besteht überwiegend aus Muschelkalk, während der Schwarzwald vor allem aus Grundgestein – vor allem Gneis – besteht. 

Blick aus dem Hotelzimmer Richtung Nord. Im Vordergrund, der Hof und die Kutschenscheune, im MIttel das Dort Wiechs, hinten der wolkenüberhangene Schwarzwald.
Blick von der Krone Richtung Schwarzwald


Die höchste Erhebung des Dinkelbergs ist die Hohe Flum. Auf dem Berg zur Hohen Flum liegt die Stad Schopfheim. Das 20.000-Einwohner-Städtchen soll eine anschauliche Altstadt haben. Aber dazu kann ich nichts sagen, wir umfuhren Schopfheim-City auf dem Weg Richtung Gipfel zum Ortsteil Wiechs. Dieser Ortsteil am Berg mit 1500 Einwohnern soll pittoresk sein. Aber dazu kann ich nichts sagen, wir fuhren direkt zur „Krone“, die am obersten Rand des Dorfes am Fuß des Wegs zum Hohe-Flum-Gipfel liegt.


Krone Wiechs


In der Krone erwarteten mich Geburtstagsfeiern, Lehrwanderungen mit goldenem Zahlenmaterial zur Hohen Flum, feinstes Essen, Walzer tanzen und ein Pool. Dieser Pool ist ab 16 Uhr Teil einer Wellnesslandschaft und vor 16 Uhr öffentliches Schwimmbad für das Dorf.

Etwa 30 goldene Schokokugeln auf Tablett. Aufgeteilt in mehrere Fünfer- und Sechsergruppen.
Das goldene Zahlenmaterial für die Mathe-Challenge.


Dörfer sind schön. Menschen, die nicht zusammenpassen, hocken aufeinander und kommen doch miteinander klar. Jeder ist bei der Feuerwehr oder kennt jemand bei der Feuerwehr und alle treffen sich im Zweifel in derselben Kneipe. Man kann vor die Tür gehen und steht inmitten von Fluren und Felder, Falken, Fliegen und Aussichten. Wiechs ist ein solches Dorf – ein Teil von Schopfheim.
Wiechs liegt auf dem Berg. Da liegen Felder und Fluren wie auch Weinberge, Obstwiesen, Aussichten ins Land auf die Alpen und den Schwarzwald. Oder anders gesagt, da ist es richtig schön.

So hat Wiechs nicht nur eine Dorfkneipe, sondern mit der Krone eine traditionelle Ausflugswirtschaft, die weit über 100 Jahre alt ist, Speisesaal und Hotel und Wellnessanlage hat – und ein Schwimmbad.

Das Bad entstand 1973, nachdem die Alte Krone 1971 einem Großbrand zum Opfer fiel. Die Wirtsleute Hauri bauten neu, größer und moderner, zu einer Zeit als im Schwarzwald noch Herbergen mit fließend Wasser warben. Es entstand im Stil der Zeit. 12 Meter lang, mit Düsenanlage, auf dem Hang mit Aussicht, ambitioniert geplant. Ein Umbau erfolgte vor einigen Jahren: Ein Wellnessbereich entstand. Das Bad wurde umgestaltet. Aus einer orangen Kachelwand wurde Deko-Naturstein mit einer antikisierenden Uhr. Die Gegenstromanlage ergänzen eindrucksvolle Lichtanlagen.

Das Bad lebt in zwei Welten. Vormittags ist es ein „normales“ Hallenbad. Warmes, noch schwimmfähiges Wasser, vier Euro fünfzig Eintritt für Nicht-Hotelgäste und allgemein schwimmbar. Zu dieser Zeit schwimmen die örtliche Schule und die örtliche Volkshochschule dort. In Nicht-Corona-Zeiten sind die üblichen Kurse buchbar.

Nachmittags wird es das Bad ein Teil des Wellnessbereichs. Die Wassertemperatur strebt gefühlt einige Grad nach oben – ob es die Wassertemperatur ist oder die durch Beleuchtung und Ambiente „wärmere“ Stimmung. Ich traue mir kein abschließendes Urteil zu. Schwimmen wird schwer, Baden ist super. Sprudeldüsen gehen an.

Der Eintritt für Nicht-Hotelgäste umfasst nachmittags das gesamte „Schwarzwald-Wellness-Haus“ mit Saunen, Dampfbad, Infrarotkabinen und „Erlebnisduschen“. Er steigt auf 25 Euro an. Die Buchung eines Hotelzimmers mag empfehlenswert sein, ist aber nicht nötig.
Deshalb mag ich Dorf. Abends ein teures Wellnessbad mit Schnickschnack, morgens Schul- und VHS- und Schwimmbad. Und das inmitten eines lobenswerten Hotels.


Gebäude


Das Bad liegt im Keller. Am Hang. Mit Fenster. Aber dennoch nach unten. Mir als Hannoveraner Dithmarscher vermittelt Architektur am Hang schnell Orientierungs- und Verständnisprobleme. Auf den herannahenden Gast wirkt die Krone harmlos. Ein typisch süddeutsch aussehendes Landgasthaus. Nach der Ankunft auf dem Gelände: ist wohl größer. Die Krone besteht aus mehreren Gebäuden mit mehreren Stockwerken, einer Kutschenhalle, Speisesälen. Insgesamt stehen 54 Zimmer zur Verfügung.

Blick von der Straße auf das Hauptgebäude der Krone Wiechs
Krone Wiechs, Hauptgebäude


Wandele ich durch das Hotel, stellt ich fest, dass alles etwas edler, feiner und eleganter ist, als ich es in einer Dorfgaststätte erwarten würde. Niemals protzig, immer geerdet. Aber mit einer Eleganz die einem im Badischen gerne überraschend 2-Sterne-Restaurants in der unscheinbaren Scheune am Dorfanger beschert.

Das Essen hat keine Zwei Sterne, aber ist Lichtjahre von dem entfernt, was ich im Brandenburger Ausflugslokal im 1000-Einwohner-Dorf im Wald erwarten würde. Frankreich ist nur wenige Kilometer entfernt. Spätzle und Braten in liebevoller Perfektion.

Inmitten des klein scheinenden großen Hotels liegt der Pool. Im Hauptgebäude durch den Haupteingang an der Rezeption vorbei ein Stockwerk hinab. Nach Süden den Hang hinauf an oder in den Hang gebaut, nach Norden den Hang hinab mit einer freien Fensterfläche. Ein Barfußgang führt dort zu einem Fahrstuhl, der mich zu den Gästezimmern bringt.

Umkleiden


Der Bademantelgang lässt erwarten, dass Hotelgäste vorbereitet Richtung Pool aufbrechen. Auf die anderen warten zwei Einzelkabinen direkt am Becken. Dahinter befindet sich eine Sammelumkleide. Bei der Sammelumkleide muss man von ihrer Existenz wissen, um sie zu finden. Ich gehe davon aus, dass sie vor allem für die Schulen gedacht ist. Die werden wissen, wo sie suchen. Wenige Duschen, die dafür einwandfrei.

Am Becken stehen Schließfächer (Schlüssel gibt es gegen Pfand an der Rezeption). Die zwei Duschen sind einsehbar vom Becken. Soweit ich mitbekam, war ich der einzige der duschte – ich kann mittlerweile nicht mehr anders. Ganz ohne Duschen vorher fühlt sich falsch an, auch wenn ich gerade aus dem Bademantelgang kam.

Becken


Die Kacheln im Becken sehen original nach 1973. Die Wände haben den Modernen-Retro-Alt-Neo-Historismus-Look. Sie sind verputzt. Dekogegenstände ergänzen die Einrichtung. An der Wand hängt eine „antik“ aussehende Uhr. Besonders eindrucksvoll: die Wolkenhimmeltapete. Mir als Fan des Kieselwaschbetons ist das zu viel Lifestyle-Landlust-Gedöns. Aber ich muss nicht den durchschnittlichen Wellness-Kunden mit meiner Uhrenwahl glücklich machen.

Das Becken bleibt, klassisch, hat noch die originale Wiesbadener Rinne. Es wirkt vormittags wie ein sehr solides Schwimmbad in hervorragendem Zustand. Nachmittags leuchten die bunten Lichter auf, die Sprudeldüsen gehen an. Ich kann mich an keinerlei Musik erinnern. Eigentlich müsste Enya spielen, um den Eindruck komplett zu machen.

Publikum


Meine Aufenthalte im Hotel kurz und auf das Wochenende begrenzt. Ich sah wenig von den Gästen aus dem Dorf. Sah diese kurz an der Rezeption, wie sie auf Alemannisch mit der Dame dort schwätzten und Schwimmbadeintritt kauften.

Im Becken traf ich diejenigen, die man in einem feineren Hotel im Schwarzwald erwarten würde. Die mittelalte Frau am Aquajogging mit Gürtel. Ein jüngeres, aber kein junges, Paar auf den Liegen, sie am Lesen. Eine durchtrainierte Mutter, die ihr Mädchen im Grundschulalter durch das brusttiefe Wasser leitete.


Gastronomie


Aber hallo!

Fazit


Fein. Fein. Fein.

Feldweg die Hohe Flum hinauf. Mit einer Allee junger Bäume und Wiesen neben dem Feldweg.
Weg aud die Hohe Flum.

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Nicht weit weg, schöne Thermenlandschaft: Vita Classica Bad Krozingen

Nicht weit weg, beste Freibad der Welt: Naturbad Riehen.

Fast dasselbe und doch ganz anders: Thermenlandschaft in Neuruppin in der Fontane-Therme.

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