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Freitag, 8. Mai 2020

Der Deckel macht das Barbecue

„Brandenburger Knight Rider“. Ich lehne am Gartenseilpfosten und schaue wie ein Rasentraktor über eine improvisierte Rampe in den weißen Lieferwagen des Rasentraktoreparaturdienstes fährt. Innerlich sehe die Bilder vor mir wie Michael Knight mit K.I.T.T. in den Truck der Foundation für Recht und Verfassung fährt.

K.I.T.T. und der Truck der Foundation in voller Fahrt; in der Ferne die Sirenen der Polizeifahrzeuge, ein Schwenk über die amerikanische Landschaft. Die fahrenden Autos wirbeln den Staub der kalifornischen Wüste auf. Könnte ich mich an die Melodie erinnern, würde ich sie summen. Aber David Hasselhoffs Locken und K.I.T.T.s rote Lichtlaufleiste haben alle Erinnerungen an die Melodie verdrängt. Ich bleibe stumm. Ich horche auf das Röttern, mit dem in Brandenburg der Rasentraktor die Rasentraktorrampe hinauffährt.

Ich höre Schritte. Langsam beginnend steigern sie sich im Tempo zum Sprint. Japsen. Um die Ecke stürmt Dietbert.

„Ist das der Grillbringer? Ich hab‘ den Motor gehört. Mist! Wieder nichts.“ Dietbert wartet auf den Emperor9000-OutdoorBarbecue-Chef „Mit drei Sizzle Zones! Bis zu 1500 Grad! Linksdrehendes Gasgebläse, zwölf Brenner, Deckelüberkreuzhelixbrenner, Chickenrotator de Luxe, vier Hitzezonen pro Quadratdezimeter. Hybridantrieb: Kohle und Gas. Drei Meter Lang. Mit elektronischer Einparkhilfe. Auf dem Monitor kann man ein Schweineballett tanzen lassen.“

Auf das Schweineballett bin ich neidisch.

„Mit Zubehör. Marinierdrohne. Lässt sich per Smartwatch steuern, fliegt durch die Brennkammer und verteilt Marinade aus einer Düse auf das Fleisch.“

Darauf bin ich vielleicht neidisch.

„Aber glaubst Du. Die liefern nicht. Grillbringer hat jetzt extra einen Newsletter geschickt. Wegen Corona! Alle wollen Grills. Und die Chinesen liefern nicht. Keine Angebote, dauert alles länger. Ich hatte mir das so schön vorgestellt. Neben der neuen Tischtennisplatte die Emperor9000. Die Gewürzdrohne saust vorbei. Das Flank Steak Pinata al Texas con Sweet Potatoes on Fire bekommt seine letzte Würzung.“

Ich kann es mir bildlich vorstellen. Zu bildlich.

„Aber sach mal. Du grillst doch auch gerne. Was kann denn Dein Grill?“

„Jo. Der hat ‚nen Deckel“.

Grill, Sonnenstiuhl, Gartendusche und Wiese.
Dazu einen Gin Tonic


„Wie jetzt? Ist das alles? Mit Innenbrenner? Luftverwirbler und Feuchtigkeitsdüsen?“

„Nö. Ein Deckel halt. Mit vier Löchern, damit die Luft rauskommt.“

„Und das ist alles. Kein Zubehör.“

„Naja, ein Liegestuhl. Ein Sonnenhut Und gute Bücher. Alles was es zum Grillen braucht, ist ein Deckel und Geduld.“

Kein Zeiss-Apple-Vario-Präzisionsthermometer mit Bluetooth-Anschluss? Wie weißt Du dann, ob die Plateauphase lange genug dauert?“

Okay. Ein Grillthermometer habe ich. Es geht vor. Das Thermometer zeigt immer 25 bis 30 Grad zu viel an. Das Gespräch ruft mir die Dicke Rippe im hinteren Teil des Gartens in Erinnerung. Ein halber Blick auf das Thermometer verrät mir: Die Dicke Rippe verlangt nach Aufmerksamkeit.

Der Brandenburger Knight Rider ist inzwischen davon gefahren. Ich stromere an Madame vorbei, die versucht unsere Feldwespen von der Schmackhaftigkeit der Buchsbaumzünslerraupe zu überzeugen. Und hebe den Deckel an. Knapp über 100 Grad Grilltemperatur, es raucht sanft. Alles gut. Zurück zum Liegestuhl und mir mit Shane Bauers „American Prison“ die Südstaaten-Nostalgie ausblasen lassen.

Das habe ich davon. Seit 25 Jahren rede und schreibe ich mir den Mund fusslig, dass Grillen nicht Barbecue ist. Langsam ist es in Deutschland angekommen. Und was passiert, wenn eine Tradition vom Land der Baumwollfelder, des träge fließenden Mississippis und der drückenden Schwüle in das Land der Ingenieure kommt: Es wird kompliziert.

Die Gesellschaft spaltet sich. Das mehr oder weniger normale Terrassengrillen mit Grill aus dem Kaufhaus spaltet sich in Einweg-Alu-Grills aus der Tanke und die Emperor9000-Fraktion. Beide werden dieses Jahr erheblichen Aufschwung nehmen. Ausweichlich der Grillshops, die fast darum bitten, nichts zu bestellen, wird der Coronasommer 2020 der Grill-, Barbecue- und Outdoorküchensommer.


Grillen ist nicht Barbecue


Dietbert hat mit seinem Aufwand nicht unrecht. Je mehr Kontrolle der Griller über das Fleisch ausübt, desto weniger ist das Ergebnis zufällig. Die Chance steigt, ein gleichbleibendes Ergebnis zu erzielen. Würde ich an Wettbewerben teilnehmen, wäre dies ein Anreiz. Würde ich kommerziell barbecuen, Veranstaltungen oder Kurse machen, wären die Kontrollmöglichkeiten fortgeschrittener Modelle notwendig.

Grill im Dunkel, Deckel zum Teil geöffnet, oranges Licht des Feuers leuchtet durch die Schlitze.
Nachtgrillen mit rustikaler Luftsteuerung


Ich aber barbecue, während ich den Staren zusehe wie sie Würmer aus der Wiese picken, auf dem Lautsprecher Soul-Klassiker laufen lasse. Ich freue mich darauf, nachher mit Gin Tonic über den Obstbaumweg zu schlendern. Ich beschränke mich auf Gartenbarbecue. Und das ist eine Mischung aus Performance, Chillübung und einer Praxis, die besten Fleischgerichte der Welt herzustellen.

Grillen ist Grillen


Zum Barbecuen braucht es einen Deckel. Beziehungsweise: Es braucht Zeit. Der Deckel verschafft Euch die Zeit. Er verwandelt das Grillen in Barbecue. Ohne Deckel dauert alles kurz. Deckelloses Grillen kennt nur die zwei Zustände „Feuer noch nicht richtig an.“ Oder „Fleisch zu trocken.“

Die theoretische Sekunde, in der das Fleisch genau richtig ist, verfehlen viele. Mit entspannendem Chillen hat es nichts zu tun. Performance findet im Ablauf von noch-nicht-zu-spät auch statt. Aber die will von Außen niemand sehen.

Nun habe ich sehr schöne Grillabende mit offenem Grill verbracht. Mit hf Leipzig und dem Kaptain unter der orangen Markise in Langenhagen. Semi-legal in Leipziger Parks. Legaler am Ufer der Isar. Im Garten in Wochenend-West. Beim Sommerfest des Kleingartenvereins. Selbst wenn das Fleisch ähnlich gut wie der Abend an sich war: Die Möglichkeiten was geht, sind arg eingeschränkt, verlangen zudem ständige Aufmerksamkeit auf das Gerät.

Time is all you need


Was es braucht, ist Zeit. Zeit bringt Entspannung. Wenn im Vorhinein klar ist, dass alles fünf Stunden dauert, sind die 30 Minuten, bis die Glut in Fahrt ist, irrelevant. Natürlich ist die Performance besser, wenn man alle halbe Stunde vom Sonnenstuhl aufsteht, den Deckel lüpft und sagt „Jo. Passt“, als wenn man die ganze Zeit in Panik um den Grill kreist, um die magische Sekunde zu erwischen. Natürlich ist es einfacher, die magische halbe Stunde zu erwischen in der 2-Kilo-Stück Rind perfekt ist, als die magische halbe Sekunde, in der das 1-cm-Nackensteak essbar ist.

Verschiedenes Gemüse und Fleisch auf Grill. Zucchini, Auberginen, Burger, Spieße mit Tomate.
Gemüse wird euch die Zeit danken. Auch Rote Beete und Pastinake vom Grill. Ein Traum.


Mit Zeit lassen sich Fleischstücke zubereiten, die ohne Zeit niemals gingen. Also eigentlich alle. Um sich die Zeit zu verschaffen, ist der Deckel unerlässlich.

Dieser ermöglicht es, Kontrolle über die Temperatur zu behalten. Der Deckel ermöglicht es, mit Temperaturen unterhalb von 300 Grad zu arbeiten. Temperaturen bei denen Fleisch gart und nicht verbrennt.

700 Grad gart nicht


Holzkohle, die verbrennt, hat etwa 700 Grad. Bei dieser Temperatur brennt Öl, Fleisch verschmort in Sekunden. Einige Zentimeter entfernt sinken die Temperaturen. Ein normaler Abstand vom Grillrost verschafft etwa 300 Grad Temperatur. Das ist die Unterseite des Fleisches. Auf der Oberseite herrscht etwas mehr als Außentemperatur: also Minus 5 bis 50 Grad. Auf der Oberseite passiert nichts, was der Zubereitung des Fleisches dient. Die Gartemperatur muss durch das Fleisch hindurch, bevor die Seite an der Glut komplett verschmort ist.

Der Griller hat nur wenige Minuten Zeit. Wendet er das Fleisch, werden es etwas mehr. Tatsächlich funktioniert dies nur bei dünnen Fleischstücken, bei denen keine Wärme in die Mitte muss, und nur unter ständiger Beobachtung. Wie jeder in freier Wildbahn beobachten, funktioniert es oft nicht.

Zudem, genauso wichtig: Es funktioniert nur mit Fleisch bei denen keinerlei Reaktionen mehr stattfinden müssen: Es sich kein Kollagen zersetzen muss, kein Fett anschmelzen, nichts Spannendes darf stattfinden. Keine Brust, keine Rippen, keine dicken Nackenstücke, kein Brisket, erst recht kein Pulled Pork. Alles nicht möglich.

Zwei Stücke Dicke Rippe (gegrillt und mit Lasur überzogen) auf Brett zusammen mit vier großen gegrillten Champignons.
Dicke Rippe


Mit Deckel lässt sich die Temperatur einpegeln. Mit Deckel entsteht ein geschlossener Raum. Die Temperatur wirkt von allen Seiten gleich auf das Fleisch. Bei niedrigen Temperaturen verschmort nichts. Das Fleisch kann von allen Seiten gleichmäßig durchgaren. Wenn die Kerntemperatur bei den erwünschten 60 bis 90 Grad angekommen ist, ist das Äußeren weiterhin saftig. Diese Temperatur lässt sich mit geschickter Steuerung über viele Stunden aufrecht erhalten.

Mit Deckel ist es möglich, das Mikroklima zu beeinflussen. Beziehungsweise: Nur mit Deckel entsteht ein Mikroklima, das über zu-heiß-zu-kalt-hinausgeht. Räucherchips oder Holz können den Grill zum Räucherofen machen. Mit Wasser gefüllte Gastronormbehälter erhöhen die Feuchtigkeit. Erst der Deckel gibt Zeit und Gelegenheit den Barbecue-Prozess aktiv zu steuern.

Backen ist nicht Barbecuen


Ja, aber trockene Hitze im geschlossenen Raum? Geht das nicht auch im Ofen?

Fast, möchte ich einwenden.

„Maillard“, sagt Madame, die inzwischen mit der Buchsbaumzünslerraupe alle Wespen in die Flucht geschlagen hat und meinen Monolog vor der Wiese entdeckte.

Der Deckelgrill funktioniert auch als Grill. Am Ende oder Anfang kann man Stück Fleisch auf das Grillrost legen, die Maillard-Reaktion provozieren, um eine aromatische Kruste zu erzeugen. Denn es bleibt Grillen, offenes Feuer. Das will ich sehen und schmecken. Eine sehr kurze Zeit unter hoher Hitze rundet das Gericht ab.

Räuchern geht im Ofen auch nicht. Also vielleicht schon, ist aber bei Backöfen in Innenräumen nicht empfehlenswert.

Grill und Weinglas in Abendstimmung.
Genießt es.


Und das Wichtigste: Habt Ihr schon mal jemand gesehen, der im Liegestuhl mit Gin Tonic in der Hand auf einen Backofen aufpasst? . 

Sizzle Zones


Und was ist mit Sizzle Zones? Rings of Fire? Dutch Ovens? Planchas? – Alles gut und schön. Kann sinnvoll sein und das eigene Repertoire erweitern. Viele der Gadgets erleichtern das Leben. Sie können die Kontrolle des Grillers über den Grill erhöhen. Andere erweitern die Möglichkeiten. Letztlich aber bleibt alles vom Kotelettstand über die Sizzle Zone bis zum Wok-Einsatz Tüddelkram.

Wichtig sind nur Deckel und Geduld.

Sowie ein Sonnenstuhl, ein gutes Buch* und Soul Music.


 

Weiterlesen


Indoor-Räuchern geht. Allerdings eingeschränkt mit anderen Gerätschaften: Camerons Stovetop-Smoker

Memphis ist gleichzeitig die Stadt des besten Barbecues und der besten Soul Music. Zur Musik empfehle ich den Memphis Musicology Podcast:

Mich an alte Barbecue-Texte erinnert hat der LandlebenBlog: Ich war wie gelähmt.

Shane Bauer ist in Deutschland vielleicht bekannt als der „wahre Relotius.“ Er ist der Journalist, bei dem Claas Relotius Teile seiner Story über Jaegers Grenze abgeschrieben hat. „American Prison“ ist ein anderes Meisterwerk. Bauer hat über Monate als Wäcter in einem privaten Gefängnis in Louisiana gearbeitet. Darüber schrieb er ein Buch und einen Artikel in Mother Jones: My Four Months as a private prison guard. .

Alles zum Thema Essen und Trinken in Iberty.

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4 Kommentare:

  1. Deshalb liebe ich meinen (Billig)smoker

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  2. https://www.youtube.com/watch?v=ljOBKd9fY-Q

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  3. Das einzige Stück Knight Rider unnützes Wissen an das ich mich gerade erinnere, wo ich die Ausschnitte sehe: immer wenn KITT springt, ist der Motor ausgebaut. Mit Motor wäre der Schwerpunkt des Autos viel zu weiter vorne und er würde einen peinlichen Nosedive nach dem nächsten machen.

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