Dienstag, 17. März 2020

Was ist Vegetarisches Wellington?

„Dänemark hat eine Landgrenze zu nur einem anderen Staat. Welcher ist es?“, schreit es mir ins Ohr. Ich zucke zusammen. Träumte ich gerade friedlich im Londoner Gastro-Pub von Pilzkroketten und Lammschulter, trötete mir nun ein Lautsprecher ins Ohr. „Frage 2: Welcher englische Fußballclub hat den Spitznamen Tractor Boys?“, brüllte mich der Lautsprecher an. Das Pubquiz in einem der Seitenräume im The Grove hatte begonnen.

„Frage 3: Angenommen es gibt eine weltweite Pandemie und sie sitzen zu Hause fest. Was machen Sie?“ Eine mögliche Antwort wäre „kochen“ gewesen. Aber die Frage stellte er nicht. Noch war es Ende Februar. Die ersten Fälle von Covid-19 waren zwar in Norditalien ausgebrochen. Aber das fühlte sich weit entfernt an. Im Londoner Außenbezirk Ealing saßen die Menschen bei Craft Beer und Mac ‚n‘ Cheese zusammen. Nur gestört vom Rauschen des Lautsprechers.

Ein Veggie Wellington aus Schneidebrett. Im Hintergrund die Küche.
Das ist Veggie Wellington


Unsere Gedanken kreisten um die Kronkorken-Installation im British Museum. Wir priesen die Tabletten-Installation im British Museum. Wir waren peinlich berührt, dass wir die Benin-Brozen in Berlin nie gesehen hatten. Wir unterhielten uns über seltene Orchideen. Wir fragten uns, warum die großen Londonern Museen und Parks „Volunteer Guides“ haben. Es sind ehrenamtliche Führer. Die leiten Besucher mit Wissen und Begeisterung im Auftrag des Museums durch die Sammlung.

Oder genauer: Wir fragten uns, warum es diese in Deutschland nicht gibt. Der Botanische Garten Berlin. Die Museumsinsel. Es gibt tausende pensionierte Studienräte, die mit viel Engagement und Wissen durch deren Sammlungen führen würden. Warum dürfen sie nicht?

Sunday Roast im Gastropub


„Fra..“. Der Kellner sprintete aus unserem Raum um die Ecke. Er musste dem Quizmaster die Bedienung des Mikrofons erklären. Der Lautsprecher verstummte. Ich träumte wieder von Pilzkroketten. Mein Blick wanderte über die Angebotstafel mit Poached Egg und Lachs, auf den Küchen-Pass, den wir sehen konnte. „Das sieht gut aus. Was ist das?“ Eine Teigrolle, eine bordeauxrote Füllung mit Farbtupfern. Appetitlich, neugierig machend.





Wir gingen unser Gespräch mit dem Kellner durch. Der hatte uns vor 20 Minuten wortreich entschuldigend auseinandergesetzt, wie The Grove zum Sunday Roast überrannt worden war. Das Roast ist aus. Und das halbe Huhn auch. Alle großen Fleischstücke sind aus. Und ein Teil der Vorspeisen. Wir haben noch Vorspeisen mit Fleisch, einen Ersatz-Hühner-Braten und Vegetarian Wellington. Ich entschied mich für zwei Vorspeisen. Die Teigrolle dort auf dem Pass war wohl das Veggie Wellington. Beim Anblick wäre das Veggie Wellington eine gute Bestellung gewesen

Ein Gang durch ein Kew Gardens Gewächshaus. Geschmückt für das Orchideenfest.
Seltene Orchideen in Kew Gardens.
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Vegetarisches (Beef) Wellington, auch Veggie Wellington oder Pilz Wellington. Was bei meinem letzten London-Aufenthalt noch komplett unbekannt war, stand 2020 in jedem Pub auf der Karte. In der Sektion für den Sonntagsbraten, selbstverständlich neben Rind und Huhn. Was war es? Und warum bestellte ich es weder in The Grove noch am nächsten Tag im Northern Star?

Was ist die Essenz des Veggie Wellingtons?


Eine lange Fahrt mit dem Eurostar später beschloss ich, die erste Frage praktisch anzugehen. Im Internet stehen hunderte Rezepte. Seit 2015 steht Veggie Wellington in jedem englisch-vegetarischen Kochbuch. Und in Büchern wie „Achtsam kochen nach den Meistern des japanischen Minimalismus.“ Ich recherchierte 15 Rezepte. Dann versuchte ich, zu verstehen, was sie gemeinsam haben. Was ist die Essenz des Veggie Wellington. Dann begann ich auf dieser Grundlage zu improvisieren.

Veggie Wellington orientiert sich am Beef Wellington. Im fleischigen Beef Wellington wird ein Rinderbraten mit einer Fleischfarce überzogen. Lagen aus Pilz-Duxelles und (Parma)-Schinken kommen hinzu. Um die Füllung kommt aus Mantel aus Blätterteig. Das fertige Beef wird im Ofen gebacken.

Das Beef lebt vom Gegensatz zwischen dem sanft-buttrigen Blätterteig des Mantels und dem Umami-Punch der Füllung. Wer ein wenig Phantasie besitzt, kann sich Butter, Teig, Schinken, Braten, Pastete, Pilz zusammen vorstellen. Es entsteht eine saftige Geschmacksbombe.

Veggie Wellington funktioniert ähnlich. Hier wird Umami durch karamellisierte Zwiebeln, Pilze, und Rote Beete erreicht. Sanfter Blätterteig fängt den Geschmacks-Tiefschlag ab. Ein Anklang bittriger Frische aus Spinat oder Grünkohl rundet das Rezept ab.

Sunday Roast


Gegessen wird Beef Wellington an Sonn- und Feiertagen. Zu Hause kochen die Engländer es gerne zu Familienfesten. Lässt man Profis ran, darf es öfter sein. Beef Wellington gehört zum Standard beim Sunday Roast im Pub. Dabei ist das Beef Wellington relativ jung. Es stammt aus der Zeit um 1900. Vermutlich ist es ein französisches Gericht, welches ein englisches Image bekam. Wie viele „Traditionsgerichte“ verschiedener europäischer Küchen einst französische Gerichte waren, die ein neues Image erwarben.

Veggie Wellington scheint selbstgekocht seit einigen Jahren ein Klassiker des vegetarischen Weihnachtens zu sein. Im Pub wird es jeden Sonntag serviert. Bietet ein Pub im Jahre 2020 Sunday Roast, bietet er auch ein vegetarisches Roast. Jeder Pub, der kulinarisch auf sich hält, bietet Sunday Roast.

"Ali's Berlin Doner - Turkish Cuisine" Foto vom Döner-Imbiss direkt gelegen neben dem Bahnhof Ealing Broadway
Ali's Berlin Doner - the best in North West London


In Deutschland existiert der Sonntagsbraten als kultureller Bezugspunkt. Darüber geredet wird gerne. Fast jeder Deutsche dürfte ein Bild von Esstisch und Familie im Kopf haben bei diesem Wort. Zur „Leitkultur“ bringen es Schnitzel Wiener Art und Bratwurst. Jeder würde Sonntagsbraten ein „typisch deutsches Gericht“ nennen. Nur kocht niemand mehr Sonntagsbraten. Nicht in Deutschland.

Seit Oma Uetersen habe ich niemand mehr erlebt, der Sonntagsbraten zuverlässig zubereitet. Rinder- und Schweinebraten. Mit einer reichhaltigen Soße. Auf dem Tisch mit der weißen Tischdecke in der Guten Stube. Später gab es Kaffee und Kuchen. Dann kamen Tante Martha und Tante Machta und sie spielten 66.

Nicht so in UK. Sunday Roast wird gekocht. Natürlich am Sonntag. Viele Pubs haben eine Sonntagskarte mit Braten. Im Vereinigten Königreich breitet sich der Vegetarismus aus. Er ist weiter verbreitet, als in Deutschland. Es wundert nicht, dass es einen vegetarischen Sonntagsbraten gibt. Mit wenig Phantasie lässt sich ein veganer Sonntagsbraten daraus zaubern: Veganer Blätterteig ist verbreitet. Mehr Milch oder Eierprodukte enthält das Gericht nicht.

1984 - die Vegetarian Times


Wie aber schaffte es der Veggie Wellington von 0 auf 100? Wie, von einem Gericht, dass ich bei all‘ meinen Englandaufenthalten nie wahrnahm, zu einer Allgegenwart. Meine Recherchen blieben lückenhaft.

Erste Erwähnungen fand ich aus den 1980ern. „Bruder“ Ron Pickarski, veganer Gourmetkoch und franziskanischer Mönch aus den USA kochte dieses mit seinem Team 1984 bei den „Culinary Olympics“ in Frankfurt am Main. Und begeisterte eine deutsche Jury, die nicht glauben konnte, ein vegetarisches Gericht vorzufinden.

Leider sprach Bruder Ron kein deutsch und die Jury konnte kein Englisch lesen. Tatsächlich war die Jury davon überzeugt, Fleisch zu essen. Bis zu diesem Vegetarian Wellington hatte es immer nur Fleisch gegeben bei den Culinary Olympics. Am Ende gewann Bruder Ron eine Bronzemedaille und schrieb einen lesenswerten Bericht über sein Erlebnis in der Vegetarian Times.

In den 1980ern, selbst in den 1990ern und den frühen 200ern war Vegetarismus eine Beschäftigung für komische Außenseiter. Franziskaner, Ökos, Punks. Die Welt änderte sich langsam. Das Wissen vom Veggie Wellington blieb auf die Leser der Vegetarian Times beschränkt.

Veggie Wellington in den 2010ern


Noch 2011 nahm ein Blogger für sich in Anspruch den vegetarischen Sonntagsbraten aus dem Nichts zu erschaffen. So selten muss er damals gewesen sein. Im Jahr 2020 würde der Ausspruch lächerlich wirken: Jamie Oliver. Gordon Ramsay, jedes Foodblog nördlich des Ärmelkanals, der Guardian die New York Times. Sie alle preisen Veggie Wellington.

Sam Sifton, der Rezept-Guru der New York Times schreibt von „The plant-based equivalent of a bronzed turkey, a dish born for fame and fortune, an actual star? It’s a rare gem.“

Fortnum und Mason, das Butter Lindner des Vereinigten Königreichs, bieten eine Version mit Pilzen und Spinat an, die sie nur am 23. und 24. Dezember verkaufen. Ich meine, selbst Lidl UK machte schon 2014 auf Twitter Werbung damit „If you’re dreaming of a veggie Christmas, you’ll love our vegetarian Wellington recipe“  Der geschätzte Londonist schreibt einen ganzen Artikel zu den besten vegetarischen Braten in Londoner Pubs. Ohne The Grove aber mit dem Veggie Wellington.

Veggie Wellington erhielt die Krönung eines jeden britischen Backwerks: Mary Berry mochte es im Great British Bakeoff.

Zwischen 2011 und 2020 lag die Popularisierung des vegetarischen W. Aber wann und wo? War es vielleicht das Great British Bakeoff (GBBO), das schon 2012 das Veggie Wellington förderte? Tatsächlich gibt die Beschreibung in diesem Artikel einige Hinweise. So war das Pilz-Wellington schon bekannt, aber vor allem als trocken-nussige Angelegenheit. Eine Verlegenheitslösung, so sexy und schmackhaft wie man sich als Deutscher Reformhäuser vorstellt.

Erste praktische Versuche


Welch Unterschied zur saftigen, umamiwerfenden Version von 2019. Im GBBO-Rezept taucht der Hinweis darauf auf, dass es die Füllung feucht genug sein muss, um schmackhaft zu sein. Aber auch den Teig nicht zerstören durch einen „Soggy Bottom“ zerstören darf. Die Lösung der Autorin, ebenso wie meine, ist Pilz-Duxelles – eine Sauce aus sehr klein geschnittene Pilzen. Sie bildet eine Schicht zwischen Teig und Füllung bilden.

Denkmal, im Stil an Reaolsozialismus erinnerned, vor der Londoner Zentrale des Gewerkschaftsbundes TUC.
Kochen ist Arbeit. Londoner Denkmalfür den Arbeiter.


Die Bandbreite der Rezepte ist groß. Gemein ist allen die Teighülle. In der Masse sind meist Pilze (oft Champignons), verschiedene Nüsse und etwas Grünes. Je nach Aufwand gibt es entweder eine Masse oder verschiedene Schichten und Lagen. Ich entschied mich für ein mittelaufwendiges Rezept.

Mein Wellington sah anders aus als in „The Grove“. Ob es besser schmeckte? Um das zu überprüfen, müsste ich zurück nach London-Ealing. Aber es soll gar nicht genau so schmecken. In unserer Wohnung finden keine Pub-Quizzes statt. Wir wissen auch so, dass Dänemark nur an Deutschland grenzt und Ipswich Town die „Tractor Boys“ sind. Wir haben kein Shuffleboard. Aber manchmal gibt es pochierte Eier. Wir kochen selber.

Mit dem Rezept für Veggie Wellington.

Weiterlesen

Vegetarisch und umami geht auch anders. Mit Shakshuka aus dem Crocky.

Ein anderes „Traditionsgericht“ mit französischen Wurzeln: Königsberger Klopse.

Nicht nur brachte es das Vereinigte Königreich feines Essen. Sie produzierten auch die beste Kochsendung:

lles zum Thema Lebensmittel und Essen in Iberty.

2 Kommentare:

ostwestwind hat gesagt…

Slowcooker und Umami ist immer gesetzt

dirk franke hat gesagt…

So soll das sein.