Montag, 30. März 2020

Schwimmen im alten Heidbergbad Braunschweig

Leere Straßen konnte Braunschweig bereits im Jahr 2018. Eine breite Hauptstraße, gekreuzt von einer anderen Hauptstraße. Über die eine Überführung mit einer weiteren Hauptstraße führt. Inmitten dessen schlängelt sich eine Straßenbahnlinie. Die Frühlingssonne brannte mit neu gefundener Kraft auf den Beton. Ich schlenderte nach der Jules-Vernes-Veranstaltung durch die Gegend, wähne mich in einer BRD-Zeitreise. Hatte vor 20 Minuten ein 1970er/1990er-Bad verlassen. Noch erholte ich mich vom Anblick des öffentlichen Gebäudes nebenan.

Sportbad Heidberg. Glasfront des Sportbad-Teils mit emporstrebendem Dach.
Sportbad Heidberg


Von meinem Aussichtspunkt auf einem kleinen Hügel aus, wirkte es wie ein Gefängnis. Vermutlich war es eine Gesamtschule. Das angemalte Stück Berliner Mauer an der Grundstücksgrenze hätte zu beidem gepasst. Menschenleere Betongegend.

Schule Heidberg, gesehen vom Hügel nebenan. Sie ist leer.
Ist es ein Gefängns? Ist es eine Schule? Es ist in Heidberg.


Ich brachte mich zurück von den Randbetrachungen. Des Schwimmens wegen war ich gekommen. Des Schwimmens wegen im Heidbergbad.

Bei vielen Themen, über die ich im Frühjahr 2020 schreiben könnte, frage ich mich derzeit: Gibt es das in einem halben Jahr noch? Wird es relevant sein? Hier fällt mir die Antwort leichter: Das Braunschweiger Heidbergbad wird in einem halben Jahr nicht mehr existieren. Es existierte schon 2019 nicht mehr.


Der Besuch im Heidbergbad liegt zwei Jahre zurück. 2018 war ich dort. Der Hallenbadteil wurde 2019 abgerissen. Es soll durch ein Bad „mit ähnlichen Eigenschaften“ ersetzt werden. Gebaut wird der Ersatzbau durch „Industriebau Wernigerode.“ Der Neu-Anbau soll etwa 10 Millionen Euro kosten.

Als „Europabad“ war es ein besonderes Bad. Verkörperte den deutschen Nachkrieg, den Aufbruch in eine bessere Zeit. Und war nun nicht mehr zeitgemäß. Der Sportbadteil hat seit dem Spätsommer 2019 wieder geöffnet. Nach Plan sollen Besucher ab Anfang 2021 in das neue Hallenbad kommen.

Das deutsche Hallenbad hat viel mit den 1960ern/1970ern und den damals vorherrschenden Vorstellungen von Gesellschafts- und Sozialpolitik zu tun. Auch wenn mein Ostberlin-Mantra „ohne Neubauviertel keine Schwimmhalle“ im Westen bedingt gilt: Oft genug trifft es zu.

Auf dem Weg zu Bad lief ich eine Braunschweiger Hauptstraße entlang. Verließ langsam die Stadtmitte, passierte mehrere Parks und bestaunte, wie autogerecht die Niedersächsiche Minimetropole war. Dann bog ich links ab auf den „Zuckerberg“ – weiterhin alles umgeben von einer Parklandschaft. Auf dem Zuckerberg standen Schönheitskliniken, Villen und Restaurants, deren Speisekarte der Belanglosigkeiten klar von den exorbitanten Preisen ins rechte Licht gerückt wurde. Es folgte ein Abstieg den Zuckerberg hinab. Ich überquerte eine weitere Wiese und wumms: Heidberg, der Stadtteil..

Braunschweig wurde stark von der Idee der autogerechten Stadt geprägt. Auf dem Bild eine große leere Kreuzung,
Braunschweig (2018)


Es stürzte auf mich ein: 1960er/1970er. Sozialer Wohnungsbau. Ex-Neues Bauen inspiriert mit Grünflächen, kleinen Wohnungen und dem Drang viel Wohnraum für wenig Geld zu bauen. Konzipiert 1959 bis 1965 von Göderitz und Ernst May. Der Architekt, der in den 1920ern mit dem „Neuen Frankfurt“ ein Vorreiter des neuen Bauens war. Gewollt war eine „aufgelockerte, durchgrünte und verkehrsgerechte Stadtlandschaft“. Gefördert wurde der Bau des Stadtteils als ein „Demonstrativbauvorhaben“ des Bundes. Da waren sie: Die mehrstöckigen Häuser an breiten Straßen mit Rasenflächen, Parkplätzen und einem ehemals geplanten Siedlungszentrum, das mühsam am Leben hängt. Ein Schwimmbadbau an diesem Ort war folgerichtig.

Von mehreren Braunschweiger Bäder der späteren Nachkriegszeit überlebte nur das Heidbergbad. Braunschweig baute von 1969 bis 1973 vier „Europabäder.“ Es begann am 20. August 1969 mit der Eröffnung des Nordbads. Es endete 1973 mit dem Bau des Heidbergbads. Die Bäder gingen auf einen Beschluss es Europarats zurück, der zahlreiche einfache Bäder vorsah. Die Stadt Braunschweig pries es an: „Der Begriff Europabad [...] ist vielmehr die Zusammenfassung kostensparender Ideen.“ Die Europabäder sollten 30 % bis 50 % preiswerter im Bau sein als vergleichbare Bäder ähnlicher Größe. In Deutschland griff ihn fast nur Braunschweig auf. 1969 verkündete Braunschweig stolz das erste Europabad der Bundesrepublik zu bauen. Vermutlich baute es 1973 das letzte.

Seine Rettung war der Anbau von 1993. Der erweiterte das Bad um ein 50-Meter-Sportbad. Es wandelte sich vom reinen Siedlungs- und Nachbarschaftsbad zu dem Sportbad der Stadt mit überregionaler Ausstrahlung. Der Erfolg hielt nicht lange. Inzwischen steht nur der Anbau. Das  Nachbarschaftsbad wurde abgerissen.

Es passt damit in das Braunschweiger Bäderkonzept. Die Bäder betreiben ein Spaßbad. Sie bieten ein Warmwasser-Wellnessbad, den Bürgerbadepark. Und Sportler nutzen ein Sportbad: das Heidbergbad. Das Spaßbad ersetzte 2014 die anderen Europabäder der Stadt. Eine allgemeine Schwimmhalle für alle gibt es nicht mehr.

Gebäude


Bereits im Vorfeld hatte ich gelesen, dass der ältere Teil der Halle abgerissen werden soll – unter anderem weil der Eingangsbereich klein ist. Und dennoch: Ich hatte die Bilder vom 50-Meter-Becken gesehen, mit seiner eindrucksvollen Außenfassade. Ich hatte die Fahnen gesehen. War die lange Wand entlang gewandert. Ich wusste, dass im Bad 1996 und 2011 die Deutschen Schwimmmeisterschaften stattgefunden hatten.

Eingangstür zum Hallenbad Heidberg,
Gebaut im Geiste der Bescheidenheit. Der Eingang,


Ich erwartete ein Foyer. Der Eingang wirkte wie der Personaleingang im Nebengebäude.

Die Frau an der Kasse verhielt sich ausgesprochen nett. Das ganze Gebäude teilt sich in zwei: Das Sportbad und das Hallenbad. Sämtliche Einrichtungen wie Kabinen, Duschen et cetera sind doppelt vorhanden. Bei meinem Besuch war ein Übergang von einem Teil zum anderen Teil problemlos möglich.

Umkleidekabinen / Duschen


Zu den Umkleiden läuft der Besucher eine enge Wendeltreppe hinunter, um in einen kleinen Vorraum zu gelangen. Dort teilt sich der Weg in die Umkleidekabinen für das Sportbad und jenes für das Hallenbad.

Ich wollte ins Hallenbad. Hoffte, die Europa-Kabinen zu sehen, so lange sie noch stehen. Ehrlich gesagt, habe ich die Abzweigung zum Hallenbad verpasst. Ich lief in die Sportbadumkleiden von 1993. Ich blieb davon überzeugt, die Kabinen in ihrer gestreiften Kurvigkeit wären ein überzeugendes Beispiel der 1970er-Architektur.



Blick entlang der ausgesprochenen Umkleiden im Hallenbad.
Hallenbad-Umkleiden (inzwischen abgerissen).
Zumindest waren sie eng genug, um aus dieser Zeit zu stammen. Übersichtlichkeit ist nicht die Stärke der Umkleiden. Auch die Wechselkabinen verpasste ich. Ich wäre fast in einer Sammelumkleide für Frauen gelandet. Schließlich endete ich in einer intimen Sammelumkleide für Männer.

Das übliche Schild sagte nichts zum Duschen, sondern verbot „aus moralischen Gründen“ das Umziehen in den Gängen – diese sind nicht nach Mann und Frau getrennt. Wenige Zentimeter trennten mich davon, mich in die Frauensammelumkleide zu verirren.

Auf dem Rückweg brachte mich Suchen in die Hallenbadkabinen. Ein Gelb-Flash überfiel mich. Dasselbe großartige Gelb wie im Stadtbad Tempelhof aus ähnlicher Zeit. Erstmals in meinem Leben sah ich diese typischen Deckenpaneele in diesem Gelb. Leuchteten auch die Lampen gelblich? Spontan „Hach“‘te ich. Die Umkleiden selber: eine Sammelumkleide, unterteilt in mehrere Abschnitte. Wie alles Alte in diesem Bad sehr funktional.

Schwimmhallen


Die Sporthalle: 50 Meter, zwischen 2 Meter Wassertiefe und 3,80 Meter. Vor sieben Jahre gut genug für Deutsche Meisterschaften. Rechts eine kleinere Tribüne. Am Ende ein – überraschend unterperformendes 3-Meter-Brett. Das Brett wirkte im Vergleich zur restlichen Schwimmhalle etwas improvisiert.

Ansonsten gekachelt, in einem schönen Farbton. Alles wirkte, wie es sein sollte. Mich wie immer erfreuend, die Finnland-Rinne, mich erfolgreich an Strand erinnernd.

Eigenwillig: Die Glasscheiben, die beim Dreier am Handlauf angebracht waren. War einst ein Unfall passiert, der das Gitter nachträglich sicherte?

Blck auf den Eingangsbereich. Vorne, flach, quadratisch grau, das Hallenbad, hinten mit hohem Dach das Sportbad.
Im Vordergrund das Hallenbad, hinten mit dem hohen Dach das Sportbad.


Die Anzeigetafel lief. Das Programm bestand aus einer ein Art Diashow. Sie wechselte zwischen Angeboten des Schwimmbads und der Volkshochschule. Mich erfreute die Anpreisung des Volkshochschulkurses „Offline gehen“ von einer Digitalwand eines Schwimmbads. Ein Zeichen, dass online einen verfolgt.


Frontansicht Glasfassade Sportbad. Rechts und links Büsche, vor dem Bad ein Teich mit Entengrütze und ein Zaun.
Blick auf das Sportbad

Theoretisch liegt vor der Sporthalle eine Terrasse, die über einem Teich liegt. Tatsächlich war der Teich so verentengrützt, dass ich ihn als solchen kaum erkannte. Der Weg zur Terrasse wirkte versperrt, ein Schild wies Sportvereine darauf hin, nicht auf der Terrasse zu trainieren,
Das Hallenbad: deutlich kleiner. Ein 25-Meter-Becken mit fünf Bahnen, zwischen 1,80 Meter und 2 Meter tief. Die Decke niedrig, die Fenster klein. Das Europabad sollte die weite Verbreitung von Schwimmbädern ermöglichen. Es wurde dies erreicht durch sparsames Bauen in jeder Hinsicht. Es wirkte erholsam bescheiden.

Das Becken wirkte es intim. Für mich ein Highlight: die Startblöcke, die nicht aus einzelnen Blöcken bestanden sondern aus einer durchgehenden Stufe, auf der dann einzelne zweite Stufen montiert waren. Auf Fotos älterer Bäder sah ich dies Konstruktionsprinzip öfter, in realiter noch nie.

Publikum


Es herrschte Freibadwetter und einige Braunschweiger Freibäder geöffnet. Dass sich im Sportbecken die üblichen Verdächtigen herumtrieben, überraschte mich nicht. Auch das Nachbarschaftsbecken war gefüllt: nicht durch die sich für sportlichen haltenden Schwimmer, sondern vor allem durch mittelalte Damen.

Ich mag deutsche Schwimmkultur. Sie bietet Menschen ohne sportlichen Ehrgeiz vielfältige Möglichkeiten. Sie können sich bewegen. Sie bietet Platz, gemeinsam an einen angenehmen öffentlichen Ort zu kommen.

Dann schwamm der Junge, begleitet von Vater und der Schwimmmeister. Anscheinend ging es um ein Schwimmabzeichen, das der Bademeister verleihen sollte. Dieser weigerte sich strikt, da der Junge viel zu schlecht schwimmt. Und am Ende steht sein Name drunter. Er hätte bestätigt, dass der Junge schwimmt. Zu hören war ausschließlich der Schwimmmeister. Der entrüstete sich lautstark darüber, dass er einem so schlecht schwimmenden Kind etwas attestieren soll. Der Schwimmmeister war mein Freund.

Gastronomie


In der Sporthalle war ein Frischwasser-Trinkbrunnen. Heidberg ist nicht die Gegend für umliegende Gastronomie.

Sonstiges


2019 drehte der NDR im Hallenbad Szenen des Films „Auf dem Grund.“ Dieser lief auf dem Filmfest Hamburg. Im Fernsehen war er noch nicht.

Blaue Wand des Hallenbads mit Aufschrift "Sportbad Heidberg."
Adieu!

Weiterlesen:

Iberty zum Bürgerbadepark, dem Braunschweiger Wellnessbad.

Innenfoto des alten Hallenbads.

Beschreibung des Neubaus (2019-2021) bei Industriebau Wernigerode

Pressemitteilung zum Bau 1973

Zum Nordbad eröffnete das Archiv des Badewesens 1969 einen Artikel "Erstes Europabad in Braunschweig eröffnet."

Alle Iberty-Schwimmbadposts: Schwimmbäder nah und fern.

:

Keine Kommentare: