Sehr geehrter Herr Franke,
die Adresse Weinstr. 9 als auch die Schwimmhalle an diesem Ort existiert noch. Siehe internet über Öffnungszeiten usw.
Nun war ich schon in der Weinstraße, hatte dort vergeblich nach einem Bad gesucht. Aber ich kann mich irren. Immerhin hatte ich mich an das Museum gewandt, da ich auf seine Kompetenz vertraute. Wieder radle ich aus Schöneberg Richtung Volkspark Friedrichshain und durchstreife dessen südliche Randbebauung.
Ich stehe in der Weinstraße, dort wo das Schwimmbad einst war – und sehe einen Aldi. Sein Parkplatz spärlich gefüllt, der Aldi-Bau ein Standardbau in einem Dunkelbraun, das kein Mensch je brauchte. Kein Schwimmbad, nicht einmal ein umgenutzter Schwimmbadbau.
Weinstraße 9. Ein Parkplatz. Ein Aldi. Kein Schwimmbad. |
Das Bad bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Meine über lange Jahre Wikipedia antrainierten Internet-Recherchefähigkeiten erbrachten nichts zu „Öffnungszeiten“ usw. Das Bad ohne Spuren, ohne Hinweis. So unauffällig und spurlos verschwand es, dass das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum knapp 20 Jahre später nicht bemerkt hat, dass die Schwimmhalle nicht mehr steht.
Ich schiebe mein Fahrrad durch die umliegenden Straßen. Ich entdecke ein Ostalgie-Restaurant, ein christliches Hilfswerk, eine Privatschule und eine Gedenkstätte für das Frauengefängnis Barnimstraße. Ein kleiner Hinweis auf das Ex-Schwimmbad steht dort: An der anderen Seite der Kreuzung steht eine Sporthalle mit VT-Falte, die dem typischen Dach der Ostmoderne.
Sporthalle nahe der Weinstraße. Ein letzter Hinweis. |
Ist es das Schwimmbad? Nein. Wurde es gleichzeitig mit diesem gebaut? Vermutlich.
Basketball ist nicht schwimmen. Ich schiebe das Rad nach Norden. Setze mich an Ludwig-Hoffmanns-Märchenbrunnen. Ich sinniere dem Hallenbad hinterher. Anfang der 1970er-Jahre. Das verschwundene Schwimmbad Weinstraße ist nicht eines. Es ist das DDR-Typenbau-Schwimmbad. Das erste Bad des Typs C – des lichtdurchfluteten Barcelona-Typs. Hier wurde er entwickelt, setzte die lange Tradition Friedrichshains als Schwimmbad-Pionier fort. Nie waren die Dachwellen mutiger, nie die Flächen geräumiger. Nie gab es mehr Licht. Nie vermochte es sich ein DDR-Typenbau mehr aus der Grundpiefigkeit seines Staates zu lösen.
In der Weinstraße begann die Geschichte von Typ C. Und es verschwand spurlos. Im Jahr 2000 endete dort der öffentliche Badebetrieb. 2001 schwamm zuletzt ein Vereinssportler im Becken. 2002 wurde die endgültige Schließung offiziell. Zwischen 2002 und 2008 kamen die Abrissbagger.
Chronologie eines Verschwindens
1972 – ein neues Bad
1972 Nahm das Bad in der Weinstraße als erstes aller Typ-C-Schwimmhallen den Betrieb auf. Ein Jahr nach dem Beginn der Amtszeit Erich Honeckers sollte es den neuen Schwung symbolisieren, die neue Leichtigkeit und einen neuen Aufbruch nach den Ulbricht-Jahren. 30 Jahre später endete das Bad ähnlich wie die Amtszeit Honeckers.
Zum Vergleich: typgleiche SH Fischerinsel nach Sanierung. So könnte die SH Weinstraße heute aussehen. |
1995 - im Betrieb
Laut Planungen der Betreiber ist das Bad sowohl für Vereine wie für die Öffentlichkeit offen. Die Öffnungszeiten für die Öffentlichkeit betragen knapp 40 Stunden die Woche. (darunter Samstag 9-18 und an einzelnen Tagen bis 19.30 Uhr). Ungefähr die Hälfte der Zeit ist Senioren vorbehalten.
Broschüre des Berliner Senats mit Schwimmbadöffnungszeiten 1995. |
1996 - im Betrieb
Die Öffnungszeiten hatten sich seit August 1996 auf 45 Stunden die Woche verlängert. Der Anteil der für Senioren reservierten Zeiten war heruntergegangen.
Der Leistungssport war in der Halle aktiv. Das „ewige Talent“ Ralf Braun empfing in der Halle die Berliner Zeitung zum Interview. Das Training war erfolgreich. In den Jahren nach dem Interview wurde der bis dahin vielversprechende aber sieglose Braun mehrfacher deutscher Meister, Europameister und zweier der Weltmeisterschaft.
Allerdings war das Bad im Frühjahr des Jahres 1996 aus Kostengründen geschlossen zusammen mit einer Reihe weiterer Bäder. Das spätere Ende kündigte sich an. Erste Schließungslisten Berliner Bäder kursierten. Auf der Liste standen damals weitere Bäder, die die nächsten Jahre nicht überleben sollten: das Stadtbad Steglitz, das Stadtbad Cité Foch, Stadtbad Wedding und die Schwimmhalle Pankow. Auf ihr standen auch Bäder, die seitdem saniert wurden: Fischerinsel oder Hüttenweg.
2000 – Die Öffentlichkeit muss gehen
Die späten 1990er / frühen 2000er waren die schwarzen Jahre für die Berliner Bäder. Zahlreiche Bäder schlossen. Der Sanierungsstau in allen Bädern setzte sich fort. Die Stadt hatte kein Geld mehr, wollte das, was sie hatte, nicht in Bäder investieren. Während für die desaströse Olympiabewerbung 2000 neue Sportstätten gebaut wurden, verfielen die anderen Bäder der Stadt. So auch die Weinstraße.
Im Jahr 2000 war das Ende des öffentlichen Badebetriebs. Ab diesem Jahr durften nur noch Schulen und Vereinen in die Halle.
2001 – Vereine und Schulen müssen gehen
2001 war kein gutes Jahr für die Berliner Bäder. Zeitweise berichtete sie von Legionellen in vier Bädern gleichzeitig, darunter in der Weinstraße. Im Jahr 2001 berichtete die BZ davon, dass die Öffentlichkeit schon 2000 aus dem Bad flog.
2001 wurde der Badebetrieb im Bad ganz eingestellt. Ohne Kommunikation der Berliner Bäder, auf Nachfrage begründet mit der vorübergehenden Baufälligkeit des Gebäudes.
Die BZ war auf der richtigen Fährte. Sie schrieb unter dem Titel "Heinliche Bäderschließungen":
Aus der Schwimmhalle Weinstraße wurde schon vor anderthalb Jahren die Öffentlichkeit verbannt, das Bad nur noch als Vereins- und Schulschwimmhalle betrieben. Insider glauben nicht an Baufälligkeit. Denn dann hätten in den letzten Monaten vor dem Sommer Hunderte Schüler kurz vor der Katastrophe gebadet. Vielmehr stand auch diese Halle schon auf der Streichliste. Sprecher Manfred Radermacher räumt ein: „Geld für eine Sanierung, Instandsetzung oder den Austausch der Technik ist jetzt nicht da.“In einem späteren Mini-Nachruf berichtet die Berliner Zeitung über dieses letzte Jahr 2001:
Bis zum Herbst 2001 trainierten in dem 25-Meter-Becken mit fünf Bahnen sechs Vereine, darunter der Arbeiter-Samariter-Bund. Zudem kamen Kitagruppen und Schulklassen, zum Beispiel von der benachbarten Schule für Gehörlose und Lernbehinderte. Der Anteil der Jugendlichen lag bei 75 Prozent. Nach Angaben der Berliner Bäder- Betriebe ist das Bad marode. Der Instandhaltungsbedarf des Gebäudes, das 1972 errichtet wurde, wird auf etwa 1,4 Millionen Euro beziffert. Besucher im Jahr 2001: rund 19 000.
2002 - die „vorläufige“ Schließung wird endgültig
Im Jahr 2002 betrieben die Berliner Bäder offiziell 77 Schwimmbäder.
Im Jahr 2002 begann Rot-Rot ernst zu machen. Die Wahlen im Oktober 2001 hatten Regierung Diepgen gestürzt. Der neue Senat unter Klaus Wowereit beschloss, den seit Jahren laufenden Verfall der Bäder nicht länger zu verschleppen, sondern den gordischen Knoten mit einer Gewaltaktion zu zerschlagen.
Die Koalitionsvereinbarung sah vor, „Zur Konsolidierung der BBB ist eine Schließung von Bädern unumgänglich.“ Die Weinstraße, die seit 2001 keinen Schwimmer mehr gesehen hatte, stand von Anfang an auf der Streichliste. Auf der Liste stehen ebenso Bäder, mit sehr unterschiedliche Geschichten: Stadtbad Lichterfelde, Schwimmhalle Pankow (beide geschlossen seit Jahren am Verfallen), Sportforum Hohenschönhausen (heute das Leistungssportzentrum) oder Charlottenburg Alte Halle (schleppt sich so durch, trotzdem heute beliebtes Marketingmotiv der Berliner Bäder).
In den darauf folgenden Wochen entstand die endgültige Streichliste. Claudia Fuchs schrieb für die Berliner Zeitung einen ausführlichen Hintergrundbericht einschließlich Porträts aller möglicherweise betroffenen Bäder.
Nach mehreren Wochen der Diskussionen beschlossen die Berlner Bäder Betriebe im März eine endgültige Streichliste. Darauf geschlossen „ab sofort“ die Schwimmhalle Weinstraße. Die war seit 2001 „vorläufig“ geschlossen. Nun gab es das erste öffentliche Eingeständnis, dass dies eine Schließung ohne Wiederkehr war.
Die Liste war endgültig. Die beiden einzigen Bäder, die sich aus ihrer Schließung heraus retteten, waren das Sportforum Hohenschönhausen - die Bundesrepublik schritt ein - und das Baerwaldbad - hier rettete ein privater Verein. Aber das Baerwaldbad ist ein anderes Drama und soll zu einer anderen Zeit erzählt werden.
Eine letzte sportliche Nutzung erfuhr das Hallenbad Weinstraße im September 2002 für ein Wochenende „Pool Soccer“, ein Fußballturnier in der Schwimmhalle.
Auffallend, dass bei sämtlichen Schwimmbad- Schließungs- und Abrissdiskussionen nie der historische, architektonische oder Denkmalwert eine Rolle spielte. Nicht nur bei den Bädern der Ostmoderne, sondern beispielsweise auch bei den Hoffmann-Bauten wie dem Stadtbad Wedding oder Berlins ältestem Bad in Charlottenburg. Der Bezirk allerdings weiß: weniger Schwimmbäder bedeuten weniger Schwimmunterricht und höhere Beförderungskosten von Kindern durch die Stadt
Ein Ort zum Sinnieren über das Bäderelend. Der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain. |
Seit 2003
2003 möchte die Stadt das Bad gerne loswerden. Aber es gibt keine Interessenten. „Die Nachfrage [nach geschlossenen Bädern] ist miserabel.“
Zwischen 2003 und 2008 erfolgte der Abriss. Google-Streetview-Bilder aus dem Jahr 2008 zeigen auf dem Grundstück bereits den Supermarkt. Der Berliner Kurier berichtet davon, dass der Aldi mit einer Packstation ergänzt werden soll.
Die Packstatin steht noch. |
Die letzten Spuren sind ein Aldi und eine Packstation. Vielleicht die Erinnerungen der ehemaligen Schwimmer und Pool-Soccer-Spieler. Nur im Internet des Friedrichshain-Kreuzberg-Museums. In dem lebt die Schwimmhalle Weinstraße weiter.
Weiterlesen:
In eigener Sache für Schwimmbadinteressierte: das Quartett Schwimmbäder in Berlin (auch bei amazon).
Abgänge. Alle verschwundenen Bäder seit 1990.
Gleich nebenan verschwunden im Volkspark Friedrichshain: das Karl-Friedrich-Friesen-Stadion.
Ein Rückblick auf die Friedrichshainer Schwimmbadherrlichkeit: Schwimmbad Friedrichshain – Nein.
Die Typ-C-Bäder hatten es nicht leicht. Nummer 2, Pankow, verfällt seit Jahren vor sich hin und wartet auf den Abriss. Nummer 3, Holzmarktstraße wieder in Friedrichshain, ist seit 2018 geschlossen und wartet auf den Abriss. In Berlin erschwimmen lässt sich der Typ auf der Fischerinsel oder in der Sewanstraße.
Wer nicht schwimmen kann, soll halt Essen gehen. Ostalgie-Gaststätte in der Weinstraße. |
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