Sie singen. „Mama, life had just begun. But now i’ve gone and thrown it all away.“
Wir stehen im Astra-Kulturhaus, RAW-Gelände, Warschauer Straße, Friedrichshain. Wir haben am Schawarma-Stand noch schnell gegessen. Wann wird Das Lumpenpack auf die Bühne kommen? In einer Stunde vielleicht? Das Konzertpublikum ist noch nicht bereit. An den Garderoben stehen lange Schlangen.
Die Technik spielt Musik vom Band. „Bohemian Rhapsody“. Und sie singen. Das Publikum stimmt ein: „MAMA!, oooouuuuuooooohhh. Didn’t mean to make you cry.“
Junge Leute. Viele um die 20. Lange war ich nicht mehr bei einem Konzert, bei dem das Publikum halb so alt ist wie ich. Die Künstler sind mindestens 15 Jahre jünger. Und vollkommen ohne Queen-Bezug. Das Publikum singt einfach so. Aus Laune. Aus Spaß. „Thunderbolt and lightning very very frightening. Gallileo, Gallileo. Gallileo, Gallileo. Galileo, Figaro, magnifico“
Woher kennen die den Text des Songs? Der Film Austin Powers ist über 20 Jahre her. Ein Drittel des Publikums war 1997 noch nicht geboren. Das Queen-Album mit dem Original-Song erschien vor über 40 Jahren.
„Es lief gerade der Film „Bohemian Rhapsody“ im Kino, erinnert mich Madame.“ Stimmt. Mir fällt auf, wie kurz 20 Jahre sich anfühlen und wie Popkultur an mir vorbeirauscht. „BISMILLAH, NO, WE WILL NOT LET YOU GO!“
Mir wird bewusst, dass Monster Ronson’s Ichiban Karaoke, Ort des legendären Wikimedia-Karaokes auf der anderen Ecke des Straßenblocks liegt. Bevor meine Gedanken abschweifen können, ertönen die ersten Rufe „Jason!“.
Jason Bartsch (Haldern Open Ait 2019). Foto: Alexander Kellner. Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International |
Im Hintergrund der Bühne hängt ein Transparent „Jason Bartsch“. Nie gehört. Ist dieser „Janson Bartsch“ die Vorband? Stehen wir zwischen seinen Freunden? Mehr Leute rufen „Jason!“ Die kennen die Vorband? Die freuen sich auf die Vorband? „Jason!“. Dies wird ein besonderes Konzert werden.
Er kommt. Ein Mann, ein Rhythmusgerät. Musikalisch rustikal. Zum Mitsingen geeignet. Textlich großes Kino. Ich überlege „funktioniert das auch ohne Musik? Funktioniert es besser?“ Bartsch ist beim Hunde-Song angekommen. Noch größeres Kino. Es lebt von seiner Performance. Das Publikum begeistert. Will Zugaben. Ich bin beeindruckt.
Die Pause nutze ich zum Googeln. Bartsch war ursprünglich Poetry Slammer und über den Weg zur Musik gekommen. Die Texte funktionieren allein. In tanzbar werden sie besser.
Wir schwelgen gedanklich in Hunden, Katzen und Bochum. Die Hallenbeleuchtung geht aus. Ein Getränkeautomat auf der Bühne leuchtet auf! Laseraction durch den Snickers-Automat. Action. Ein kleiner junger Mann hinter uns schreit „Ich will in den Moshpit“. Einen Moshpit gibt es noch nicht. Das Lumpenpack stürmt auf die Bühne. Macht die Sache klar.
Auf einer Skala von 9 bis Ken Jebsen
Kommt die Menschheit erstaunlich gut weg.
Solange Erika Steinbach noch lebt, finde ich dich okay.
Wenn Julian Reichelt noch hörbar ist.
Dreh Mark Forster ruhig laut auf.
Es gibt so viele Idioten auf der Welt.
Mein Hass reicht nicht aus.
Die Menge tobt. Ein kleines Die-Ärzte-Konzert findet statt. Die Heilpraktiker? Nein, über Heilpraktiker macht sich die Band lustig.
Auch wenn der Die-Ärzte-Einfluss hörbar ist. Im Astra-Kulturhaus spielt keine Kopie der besten Band der Welt. Wo die Ärzte gerne voll drauf gehen, ist es beim Lumpenpack immer einmal mehr reflektiert und gebrochen. Weniger peinlich manchmal aber auch weniger entschlossen.
„Indiana“ Jonas „Konfetti“ Meyer und Max Kennel treten auf. Beide Ende 20, aus Kassel und Augsburg stammend. Sie lernten sich in Mannheim beim Poetry Slam kennen. Traten anfangs alleine auf, dann gemeinsam und schließlich mit Musik. Sie touren seit Jahren durch den Comedy-Zirkus, gewannen seit 2013 mehr als ein halbes Dutzend Kleinkunstpreise. Ihr Label, Roof Music aus Bochum, wurde vor allem durch Hörbücher bekannt, beginnt erst langsam Musik zu produzieren.
Sie selbst sehen sich als Band, die auch lustig ist, müssen sich noch dagegen wehren als Comedians gebucht zu werden, die auch Musik machen. In Berlin glückte der Wechsel der Konzerorte: 2017 Tipi am Kanzleramt. Mit Sitzen, Ort diskursiver Kultur und des Bildungsbürgertums. 2019: Astra-Kulturhaus, RAW, Stehplätze, Ort für Party und Konzerte und harmlose Drogen.
Der Comiczeichner Ralph Ruthe mit seiner Social-Media-Reichweite ist Fan. Sie treten immer öfter in Clubs auf und beginnen Konzerthallen zu füllen. Die Medien mögen sie, beschreiben sie als hoffnungsvolle Nachwuchsband, zwischen albern, witzig, nachdenklich und amüsant.
Das Lumpenpack hat das Loriot-Problem. Zum Teil ist das Duo böse. Tut weh. Und alle finden die Band nett und sympathisch. Jonas und Max vom Lumpenpack heulen sich mehrfach beim Publikum aus: Das ARD-Morgenmagazin nannte sie „pfiffig.“ Die ultimative Beleidigung.
Madame und ich erfuhren von der Band aus dem Radio. Deutschlandfunk: Klassik. Pop et cetera. Max und Jonas moderierten. Wir hatten Spaß. Sie Ahnung von Musik. Wortwitz. Ihre eigenen Songs waren gut, verschönten uns den Samstagmorgen. Sie spielten Billy Eilish und Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi und Maynard Ferguson. Natürlich legten sie Die Ärzte auf. Die beste Band der Welt in der besten Radiosendung der Welt.
Wir rechneten beim Konzert mit einem Nischenpublikum junggebliebener Deutschlandfunkhörer. Aber dem ist nicht so.
Überraschend kommt kein Nischenpublikum. Das Astra-Kulturhaus mit seinem 1500 Plätzen ist ausverkauft. Nach Jahren der Poetry Slams, Spielen auf Volksfesten und in Clubs scheint das Lumpenpack dieses Jahr seinen Durchbruch zu haben. Sie waren mit dem Album in den Charts. Und scheinen im Jahr 2019 ihre Besucherrekorde zu sprengen.
Eine Band, die Klassik, Pop et cetera, die Liederbestenliste, 20-jähriges Publikum und die aktuellen Charts zusammenbringt. Ich staune. Ein Moshpit entsteht. Extra-angekündigt. Zum Punk-Song. An dessen Ende die beiden auf der Bühne feststellen. „Punk ist ganz schön anstrengend. Wir sind froh, dass wir uns in diese pfiffige Richtung entwickeln."
Ein Tag, Vorurteile über den Haufen zu werfen. Gewinner von Kleinkunstpreisen können hörenswerte Musik machen. Aus der Poetry-Slam-Szene entwickelte sich Spannendes. Förderschul-/Religionslehrer moshen. Bei Klassik, Pop et cetera treten Bands auf, die Fans unter 50 Jahren Durchschnittsalter haben.
Ein Tag, um Vorurteile zu bestätigen: Die Ärzte gehen immer. Konfetti rockt.
Zum Aufbruch sang das Publikum wieder mit dem Lautsprecher mit. Mir unbekannte Musik für junge Menschen. Ein Publikum, das Laune hatte und machte.
Jason! und das Lumpenpack gehören zusammen. Sie sind befreundet. Kennen sich vom Poetry slammen. Das Lumpenpack freute sich, dass keine Plattenfirma sie zwingen kann, eine plattenfirmagenehme Vorband zu nehmen. Sie nehmen ihren Kumpel mit. Aber er kommt auch ohne die beiden pfiffigen Spaßmachen. Mit Band.
Jason Bartsch tritt am 31. Januar in Berlin im BiiNuuh auf. Während des Schreibens dieses Blogposts habe ich die Karten gekauft. Noch gibt es Tickets. Iberty-Leser*innen, die mitkommen wollen, können sich gerne melden.
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Da sie auch über das Dschungelcamp singen: Dschungelcamp vs. Romeo und Julia
Interview zu Das Lumpenpack und Konfetti bei Confetti.fx: Das Lumpenpack - Keine Show ohne Konfetti
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