Seiten

Sonntag, 27. Januar 2019

Schwimmbad Braunschweig: Schwimmen im Bürgerbadepark

Schrieb Jules Vernes von Schwimmbädern? Verfasste der französische Reiseschriftsteller und Proto-SciFi-Autor Romane über das gewöhnliche Hallenbad? Es wäre möglich. Verne griff technische Trends der Zeit auf, in der er lebte. In Vernes Zeit waren Hallenbäder eben nicht gewöhnlich. Im 19. Jahrhundert waren HallenbäderHigh-Tech. In Vernes Lebenszeit von 1828 bis 1905 wurde das moderne Hallenbad erfunden. Und dennoch existiert kein Wort des Franzosen zum Thema.

So musste ich mich von der Wikipedia-Jules-Verne-Tagung, die mich nach Braunschweig geführt hatte, in der Mittagspause davonschleichen, um ein historisches Bad zu sehen, das noch fast in Vernes Zeit entstand. Das ehemalige Stadtbad Braunschweig, heute Bürgerbadepark, gehört mit seiner Eröffnung 1932 zu den ältesten Bädern Deutschlands.



Fassade des in der Weimarer Republik gebauten ehemaligen Stadtbads Braunschweig, heute Bürgerbadepark. Im strahlenden Sonnenschein.
Bürgerbadepark, Hauptfassade

Vieles, was Verne im 19. Jahrhundert beschrieben hatte, war noch ferne Science Fiction zu der Zeit des Stadtbads Eröffnung. Die Eröffnung des Bades lag zeitlich näher an Vernes Todestag als an der ersten Mondlandung.

So also begab ich mich den kurzen Weg in strahlendem Sonnenschein durch die Braunschweiger Parklandschaft am Flüsschen Oker. Blumen blühten, der Himmel hatte sein schönstes Blau aufgezogen. Durch die Parks radelten und liefen die Menschen. Auf der Oker ruderten Braunschweiger.

Bürgerpark Braunschweig. Mit Radlerin und blühenden Blüten an einem sonnenreichen Frühlingstag.
Bürgerpark Braunschweig


So stand ich dann vor dem Bad. Und war mit einer schwierigen Frage konfrontiert:


Freibad oder Hallenbad? Jeder Schwimmbadbetreiber hat seine exzentrischen Momente. Und so geschieht es in Braunschweig, dass ein Freibad und ein Hallenbad auf demselben Grundstück stehen. Sie sind durch denselben Eingang und mit Zahlung an derselben Kasse erreichbar. Beide haben geöffnet. Aber es existiert keine Möglichkeit von einem Bad zum anderen Bad zu gelangen - außer durch zwei komplett getrennte Eintrittskarten. Trotz bestem Freibadwetter entschied ich mich für das Hallenbad.

Das Bad liegt am Rande der Innenstadt in einem Park – dem Bürgerpark – neben dem ehemaligen Wasserwerk an einem toten Arm der Oker. An dieser Stelle lag bereits ab 1821 eine Flussbadeanstalt. Nach dem Bau des Hallenbads, bei dem die geplante zweite Halle nie zustande kam, existierte hier bis in die 1950er ein Strandbad am Teich, das letztlich zu dem Freibad umgebaut wurde.

Ein sonniger Frühlingstag. Auf der Oker in der Braunschweiger Innenstadt fährt ein Tretbootschwan.
Tretboot-Schwan auf Oker


Das Stadtbad Braunschweig im Bürgerpark wurde 1998 zum Bürgerbadepark. Bei diesem grundlegenden Umbau verwandelte sich das ehemalige Stadtbad in ein Warmwasser- Heil-Reha-Plantschbad. Damit verfügt Braunschweig über ein spannendes Badekonzept: in der Stadt mit knapp 250.000 Einwohnern existieren drei Hallenbäder. Ein Sportbad mit 50 Meter-Bahn zum Schwimmen (Heidbergbad), ein Spaßbad/ Multifunktionsbad zum Plantschen (Wasserwelt) und eben jener BürgerBadePark, der mit 32 Grad Wassertemperatur und 1,35 Meter Beckentiefe offensichtlich zum Baden gedacht ist.


Gebäude


Ich laufe durch den Park. Ich passiere erst ein Art neugotisches Wasserwerk und dann ein teures Hotel der uninspirierten Art, um plötzlich vor diesem überraschend kleinen weißen Bau in schlichter Eleganz zu stehen. Das hier ist weder das gravitätisch auftretende Volksbad, wie es noch vor dem Ersten Weltkrieg beliebt war, noch eine Ikone der Moderne wie das Berliner Stadtbad Mitte.

Dieses Bad ist schlicht, funktional, stimmig. Die weiße Fassade und die Kurven erinnern mich an das Berliner Shell-Haus. Dieses Gebäude ist nicht auf den ersten Blick als Schwimmbad zu erkennen. Die Halle liegt zwar direkt zur Straße. Wohnhaus- oder büro-artige Fenster tarnen diese jedoch als normales Haus.

Fassade Bürgerbadepark Braunschweig
Blick auf des Bürgerbadeparks Haupteingang

Vom Freibad lassen sich einige Bauten erahnen. Das hier wirklich ein Hallenbad steht, ergibt sich jedoch erst aus der Aufschrift 32 Grad Wassertemperatur auf der Tür in das Innere des Gebäudes.

Das Hallenbad wurde 1931-1932 gebaut, geht aber auf Planungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Konkreter wurden diese in den 1920ern. Es gehört damit zu den letzten Bädern der Weimarer Republik, die noch gebaut wurden und ist eines der wenigen deutschen Bäder der Zeit, die noch in Betrieb sind. Es ist eines von zwölf offenen Bädern der Weimarer Republik, die in ganz Deutschland noch existieren. Noch immer will es die Stadt Braunschweig nicht denkmalgeschützen.

Nachdem 1906 bereits die ersten Planungen für eine moderne Badeanstalt entstanden, verschleppten sich diese über Jahrzehnte. Bis es 1925 zu einer ungewöhnlichen Demonstration kam: 

1925 Die Schwimmsportler üben Druck auf die Politik aus, indem sie in Badebekleidung auf Braunschweigs Straßen demonstrieren, da sie im Sommer nur in Flussbadeanstalten trainieren können.

Geplant wurde das Bad ursprünglich mit einer 50-Meter-Bahn, die es zu seiner Bauzeit zu einem der größten Bäder Europas gemacht hätte. Inspiriert war dies von den Olympischen Spielen in Paris 1924, bei denen es eine solche Bahn gegeben hatte. Viele Städte, die in dieser Zeit bauten, planten mit dem neuen olympischen Maß von 50 Metern. Umgesetzt diese nur in Berlin (Mitte), Stuttgart und Chemnitz. In Braunschweig scheiterten die Pläne (ähnlich wie beispielsweise auch in Kiel und Leipzig) an dem damit verbundenen Aufwand.

Zeitgenössische Diskussionen machten auch andere Einwände gegen die 50 Meter geltend:

[J]a, es wird behauptet, daß nur wenige Schwimmer 100 Meter schwimmen könnten, wie dies bei 50-Meter-Bahnen erforderlich ist. Die wirklichen Sportschwimmer, die eine Bahn von solchem Ausmaß verlangen, bilden immer nur den geringsten Teil der Schwimmbadbesucher; denn sie kommen meist nur zu den Sportstunden. Viele Gäste werden aber in dem großen Bassin von einer Art Platzfurcht befallen und schwimmen nur an der Bassinkante entlang
[…]
also bleiben wir nur hübsch bei der erprobten 25-Meter-Bahn, dann können alle, auch die internationalsten Rekorde, geschwommen werden, und vor allen Dingen, solche Bauten sind durchzuführen und auch später im Betriebe zu erhalten.

Ursprünglich geplant war auch eine zweite Halle, die gleichzeitiges Männer-und Frauenbaden möglich gemacht hätte. Noch 1927 kündigte Braunschweig in der Zeitschrift „Das Bad“ das größte Schwimmhallenbad Deutschlands zu eröffnen.

Schautafel: Geschichte des Bürgerbadeparks

Bis November 1928 hatte sich die Ankündigung in einen Entwurf des städtischen Hochbauamtes mit zwei Becken fortentwickelt: 12x25 Meter für die Männer und 9x17,5 Meter für die Frauen. Die Wirtschaftskrise verzögerte den Bau, hielt ihn aber nicht auf.

In der Stadt entbrannte ein Wettbewerb mit verschiedenen Entwürfen freier Architekten und des Hochbauamtes. Die endgültige Entscheidung der Stadtverordneten für einen Entwurf erfolgte erst Monate nach dem ersten Spatenstich. Sie entschieden sich im Mai 1931 für den Entwurf des Hochbauamts, der ein Becken von 12,5x25 Meter und ein Lehrbecken von 5,5x8,5 Meter vorsah – Beckengrößen, die sich bis heute erhalten haben.

Ein zweites Becken war noch angedacht – zeitgenössische Bauzeichnungen weisen noch den Übergang zum später zu bauenden zweiten Becken auf. Aber die Braunschweiger setzten dies nie um. Der ernsthafte Bau begann im Juni 1931, die Eröffnung folgte im Dezember 1932.

Die Nazis hatten wenig Interesse am Schwimmbadbau. Schwimmbäder für die normale Bevölkerung bauten sie fast keine und natürlich auch kein zweites Becken in Braunschweig.

Später allerdings hatten die Nazis es mit der Stadt- und Schwimmbadzerstörung, so dass das Braunschweiger Stadtbad nach dem Krieg das einzig funktionsfähige Hallenbad in ganz Niedersachsen war.

Folie auf der Tür zum Bürgerbadepark, die auf die 32 Grad Wassertemperatur hinweist
32 Grad und es wird nicht heißer

Umkleiden


Von der Kasse führt der Weg zu den zwei Drehkreuzen: rechts zum Badebad, links zum Freibad. Ich ging rechts, dann eine Treppe hinunter und befand mich in einer Umkleidehalle. Diese ist offensichtlich nicht historisch, sondern verdankt ihre Existenz einem Umbau.

In deren Mitte zeigte eine Wendeltreppe den Weg nach draußen. In der Umkleidehalle waren Kabinen und Spinde nach einem mir nicht nachvollziehbaren System verteilt. Aber ich fand eine Kabine und konnte auch den Spind nutzen. Hier reichte als Pfand die Karte. Womit die Braunschweiger Bäder es den Berlinern gleichtun, möglichst in jedem Bad eine andere Methode des Schrankpfands einzuführen.

Die Treppe zur Schwimmhalle


Zahlreiche Schilder fordern zum Duschen auf. Allerdings liege diese Dusche versteckt in einer Sackgasse am Ende der Kabinen. Den Blick auf den Wegweiser zu den Duschen verdeckt die Wendeltreppe ins Bad. Da helfen alle Schilder nichts. Wer die Duschen nicht gezielt sucht, wird sie ignorieren. (Was insofern spannend ist, weil das alte Stadtbad von 1932 vor dem letzten Umbau durchaus schon den Weg kannte, Badende zwangsläufig durch die Duschen zu führen.)

Die Duschen selbst erinnerten mich an das Berliner Bad in Spandau-Nord: sowohl in der gelblich-beigen Farbgebung der Kacheln als auch den etwas altertümlichen Armaturen. Die allerdings funktionierten mit Infrarot. Und überhaupt: wir sind nicht in Berlin: die Duschen funktionierten ohne Zicken.

Leider weist das Bad dasselbe Konstruktionsproblem auf, wie auch das warm beheizte Spaßbad Berlin-Schöneberg, das in Original und Umbau aus ähnlicher Zeit stammt. Der Weg von der Dusche zur Schwimmhalle ist weit. Den Umkleidetrakt heizt die Stadtbad Braunschweig Sport und Freizeit Gmbh natürlich nicht auf jenseits der 30 Grad auf. So müssen gerade Menschen, die jetzt ein Warmbad möchten, erstmal durch kältere Katakomben schlottern. Auf dem Rückweg gilt dasselbe.

Becken


Das Becken liegt im Obergeschoss – nicht verwunderlich bei einem Bad, das direkt neben einem Fluss liegt und an dem Hochwasser eine reale Gefahr sind. Da gilt es die Anlagen vor einer eventuellen Überschwemmung zu schützen.

Das ganze Bürgerbadeparksgebäude

Am Ende der Halle befindet sich ein kleines Nichtschwimmerbecken mit St. Moritz-Rinne. Jenes wirkte so unglücklich in die Ecke gequetscht, dass ich sicher an ein Ergebnis des 1990er-Umbaus dachte – bis ich die Originalzeichnungen des Bads sah, auf denen dieses Becken auch schon existiert.

Die eigentliche Halle wird durch das große Becken (etwa 25 Meter mal 12 Meter)  eingenommen. Zwei Bahnen sind tatsächlich durch die üblichen Bahnmarkierungen auf dem Boden markiert. Wären die anderen Bahnen auch gekennzeichnet, waren es insgesamt fünf Bahnen. Durch die Zahlreichen Ausbuchtungen. Einbuchtungen, Treppen ins Becken und andere Randbauten ließen sich die anderen drei Bahnen nicht vollständig schwimmen. Einige nachträglich eingebaute Sprudeldüsen sind im Becken und ein Whirlpool, der am Rande in das Becken integriert ist.

Spannend: die Wandgestaltung in grau-weiß gestreift weist genau dieselbe Farbgebung auf wie das 1993 gebaute Sportbad am Heidberg. Ob diese Farben noch aus den 1930ern stammen und dann beim Sportbadbau aufgegriffen wurden oder ob hier die Sanierung Mitte der 1990er den Neubau Anfang der 1990er aufgriff?

An der Decke hängen drei identische große Fische aus Plastik(?). Auch an der Decke sind mehrere Haken, deren Sinn sich mir nicht erschloss und diese üblichen Zahnarztpraxis-Abhänge-Deckenteile.

Yasmin Renges schreibt in ihrer Dissertation zu den Bädern der Zeit:

„Viele der Hallenschwimmbäder der 1920er Jahre wurden nämlich nach dem Zweiten
Weltkrieg im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen nachträglich mit Schallschutzdecken versehen, wie u. a. die Bäder in Bayreuth, Brandenburg, Braunschweig, Duisburg-Hamborn, Essen-Altenessen, Kassel, Marburg, Reutlingen, Schweinfurt, Solingen-Ohligs und Trier belegen. Oftmals wirkt sich diese, wenn auch notwendige, bauliche Maßnahme nachteilig auf die Ästhetik der Schwimmhalle aus, da sie in der Regel mit einer Herabsenkung der Hallendecke einhergeht und die harmonischen Hallenproportionen deformiert, wie es bei den Bädern in Brandenburg, Braunschweig, Essen und Trier zu beobachten ist“ 

Dem ist zuzustimmen.

Die Galerie sah neu aus. Sie war erfreulicherweise zugänglich und bot auch einen breiteren Teil mit Platz für Tische und Stühle. Aber leider. Wenn denn mal ein Gast oben einen Tisch oder Stuhl verrückte, dröhnte das durch den Galerieboden verstärkt durch das halbe Bad.

Publikum

Hier geht es hinein

Es war bestes Freibadwetter. Das Freibad war direkt nebenan und mit dem Erwerb einer Karte kam ich nur in ein Bad. Wer also geht bei diesem Wetter in ein auf 32-Grad geheiztes Hallenbad? An historischen Bädern interessierte Schwimmbadblogger (eine Person) und Eltern und Großeltern mit kleinen Kindern (mehr Personen). Niemand sonst.

Gastronomie


Keine gesehen.

Fazit


Es ist historisch wertvoll. Es liegt in einem traumschönen Park. Man kann nett schwoofen. Und dennoch: der Umbau 1998 hat hart durchgeschlagen. Der Sanitärtrakt begeistert mich nicht, die Decke ist hässlich und das Becken an sich ist dezent verbaut. Auch wenn ich das Braunschweiger Badekonzept (eins zum Schwimmen, eins zum Plantschen und Spritzen und eins zum Baden) für ausgesprochen sinnvoll halte. Dieses Badebad weist mehr Potential auf als genutzt wird.

Anmerkungen


Das Freibad im Bürgerbadepark hat eine ähnlich spannende Geschichte. Liegt die ganze Anstalt doch am Rande eines Flussarms. Das Freibad wurde in den 1950ern aus einem Teich heraus geschaffen, hat eine ähnlich spannende Geschichte wie das Stadtbad und lohnt auch einen Besuch.

Braunschweig als Stadt hat weitere Bedeutung für den modernen Schwimmbadbau. So studierten mehrere spätere schwimmbadbauende Stadtbauräte (u.a. Rudolf Gleye, Stadtbaurat in Lichtenberg) an der TH Braunschweig.

Weiterlesen


Alle Iberty-Schwimmbadartikel finden sich unter: Schwimmbäder nah und fern. Rückblick und Ausblick.

Die Geschichte des Bades wird ausführlich beschrieben in Margot Ruhlender, Büketubben. Geschichte der Badekultur in Braunschweig von 1671 bis 1993, Braunschweig 1994;

Standardlektüre bei all diesen Bädern ist natürlich Yasmin Renges mit der Dissertation „Die Stadtbäder der Goldenen Zwanziger – Kommunale Prestigearchitektur zwischen Tradition und Moderne“, Köln 2015

Mehr zu den Umbauarbeiten steht in Heinrich E. Winter, Braunschweig: Sanieren und umbauen oder abbrechen und neu bauen?, in: Archiv des Badewesens, 11, 1998, S. 535.

Und im Vergleich, vielleicht DAS Bad der Weimarer Republik: Berlin. Stadtbad-Mitte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen