Sonntag, 28. Oktober 2018

Stadtbad Prenzlauer Berg. Schwimmen im Schwimmbad Oderberger Straße.

Szene Eins: Ich, halbnackt in einer engen Sammelumkleide stehend. Ein Klopfen an der Tür, ein Ruf „Housekeeping“. Und bevor ich mich versehe, steht eine jüngere Frau in schwarzem Kleid mit einer weißen Rüschen-Schürze mit mir in der Kabine.

Szene Zwei: Drei Menschen schwimmen ihre Bahnen. Die beiden Anderen bewegen sich sportlich ambitioniert. Ich als Dritter bin zumindest am Schwimmen. Plötzlich stapft ein Trupp von zwei Männern und einer Frau, alle Mitte in 20 - in voller Straßenkleidung mit Rucksack ins Bad, läuft am Beckenrand entlang und verschwindet an der Rezeption.

Für seine Bauzeit ist das Stadtbad spärlich verziert. Die vorhandene Verzierung aber rockt.

Szene Drei: Ein Bad, das immer mal wieder als „das schönste Bad Berlins“ in der Zeitung erscheint. Ein Bad, das kaum mehr Eintritt kostet als ähnliche Bäder in Neukölln oder Charlottenburg. Es ist Nachmittags, im Prenzlauer Berg rund um das Bad herrscht großen Gewusel auf den Straßen. Und das Bad ist leer. Es ist komplett leer. Ich bin allein.

Szene Vier: ein Herbstvormittag mitten in der Woche. Angesichts meiner bisherigen Besuche rechne ich mit einem leeren Bad und leeren Bahnen. Denkste! Plötzlich sind fast 20 Menschen in dem nicht allzu großen Becken. Vor Schreck laufe ich fast rückwärts gegen die Tür Wo kamen die her?

Hier geht es hinein ins Stadtbad Oderberger.

Willkommen im Stadtbad Oderberger Straße. Willkommen im Bad der Wunder.


Willkommen im Bad, das Teil eines Hotels ist, das zu einer Sprachschule gehört. Die Geschichte des Bades ist lang und verwickelt und würde ein eigenes Buch lohnen.

Deshalb gibt es hier nur die Kurzfassung: das Ludwig-Hoffmann-Bad entstand im Rahmen vom Berlins ersten großem Bäderbauprogramm kurz nach 1901-1902 (zusammen mit Baerwaldbad/Kreuzberg, Stadtbad Wedding, Dennewitzbad/Kreuzberg, und – früher und nicht von Hoffmann – dem Stadtbad Moabit). Alle diese Bäder entstanden unter der Ägide von Baustadtrat Ludwig Hoffmann, dem Berlin seine öffentlichen Bauten der Jahrhundertwende verdankt.

Schrift "Stadtbad" am Stadtbad.

Das ehemalige Stadtbad Prenzlauer Berg mit seiner vierstöckigen  Sandsteinfassade soll einer deutschen Renaissance-Burganlage ähneln. Beim Bau hatte das Bad noch 63 Wannen- und 60 Brausebäder, die aber der Geschichte zum Opfer fielen.

Bis in die 1980er hinein diente das Stadtbad Prenzlauer Berg als Schwimmbad. Gelegen mitten im Prenzlauer Berg, der zu DDR-Zeiten noch besonders war, hatte es sicher viele spannende noch zu recherchierende Besucher. Noch zu DDR-Zeiten wurde es wegen Baufälligkeit geschlossen. Die geschlossenen Jahre danach taten der Bausubstanz nicht gut.

Dann wurde es 20 Jahre richtig kompliziert. Mehrfach sah es so aus, als würde das Bad nie wieder eröffnen. Und wenn es denn eröffnen würde, dann sicher nicht als Schwimmbad. Mehrere Umdrehungen später fanden sich mutige und begeisterte Investoren, die das Stadtbad Oderberger Straße 2016 endlich als Hotel-Sprachschul-Schwimmbad wieder eröffneten. Ja, selbst das gibt es in Berlin: Bäder, die 20 Jahre geschlossen waren, erstehen als Schwimmbad neu!

Das Bad hat regulären Öffentlichkeitsbetrieb, wird jedoch ungefähr einmal alle zehn Tage für einen ganzen und zwei halbe Tage wegen Veranstaltungen geschlossen. Die Schwimmhalle lässt sich mittels eines Hubbodens in einen Festsaal umwandeln.

Gebäude


Mehr oder weniger steht hier das klassische Volksbad. Ein breiter Vorbau zur Straße hin, in dem sich ehedem Duschen, Wannen und Wohnräume des Personals befanden. Die eigentliche Schwimmhalle liegt Richtung Hof von der Straße abgewandt. Heute wohnt dort ein Hotel mit Bar und Spa. Das Hotelfoyer/Schwimmbadeingang liegt zwichen Straße und Schwimmhalle.



Die Kabinen sind im Untergeschoss. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).



Beim Eintreten und Bezahlen kann die Besucherin bereits einen Blick in das Wasser werfen. Die Schwimmbadkarten gibt es an der Hotelrezeption, was zu ungeahnten Bedienerlebnissen durch hotelfreundliche Anzugträger führt – und mir das erste Mal überhaupt in einem Schwimmbad das Gefühl gab, das ich gerade underdressed sein könnte.

Stadtbad Oderberger. Straßenfassade.


Da kam ich dann aber schnell drüber weg. Zu den Umkleiden geht es dann nach rechts, an einem Raum vorbei der sich „Bibliothek“ nennt und dann eine Treppe herunter.


Umkleiden / Duschen


Dieses Bad fühlt sich anders an als andere Bäder. Mich verwirrt es. Was mir besonders auffiel, war einerseits das Bemühen Luxus und Opulenz zu bieten (schicke Beleuchtung, edel wirkende Materialien, Schwimmbadkartenverkäufer im Anzug), andererseits aber auch das sichtbare Bemühen, Geld zu sparen.

Auffallend ist der Badzwiespalt besonders am Schwimmbecken selber. Die dort herrschenden 135 Zentimeter Tiefe sind die flachste Tiefe, die in Deutschland noch als „Schwimmbecken“ gilt. Diese Wassermenge zu beheizen, kostet natürlich weniger Energie als wären es 180 Zentimeter oder gar 250 Zentimeter Wassertiefe wie in anderen Bädern.

Zu bemerken ist es aber auch schon vorher. Es war eine rechte enge Sammelumkleide. Eine dort am Rande untergebrachte Einzelkabine mit Wickeltisch(?) entdeckte ich erst beim dritten Besuch.

Die Dusche – abgelegen in einem Winkel ohne Möglichkeit, durch die Dusche zur Halle zu laufen, sah edel aus – und hatte Duschzeugspender – allerdings auch einen Warmwassersprudel, der sparsam war. Das Wasser war warm, kam aber aus einem offensichtlichen Sparduschkopf und den Auslöser musste man im zwei-Sekunden-Takt drücken.

Und noch was: der Fußboden ist eine Fehlkonstruktion, weil der anscheinend keine Möglichkeit vorsieht, das Wasser abfließt. Wo jemand nach dem Schwimmen/Duschen hingegangen ist, konnte ich aufgrund der wässrigen Fußspuren noch eine halbe Stunde später sehen.

In der Ecke der Schwimmhalle hängen Benutzungsregeln, die das übliche Auflisten – also unbekleidet Duschen, nicht die Nägel schneiden etc. Nicht, dass je jemand dieses Schild lesen würde.

Schwimmhalle


Das Becken liegt in einer klassischen Jugendstilhalle. Dort in der Halle, wo sich ursprünglich die Umkleiden befanden, ist jetzt einfach Rand. In einer Art Kirchenschiffanbau standen 2016 / 2017 Liegestühle. Vier Bänke standen am Rand, um dort Handtücher abzulegen. 2018 waren die Kirchenschiffe mit einem Vorhang geschlossen. Mehr Bänke und einige Liegestühle waren näher an das Becken gerückt - was sowohl der Praktikabilität als auch der Gemütlichkeit des Bades aufholf.


Schwimmhalle mit Seitenansicht. Im Hintergrund ein alter Heizungsanlagenturm.

Die Beleuchtung und Lampen wirken auf den ersten Blick sehr edel, mir fehlt aber irgendwie dieses proletarisch-allumfassende Gerumpel normaler Schwimmbäder. Es war glatt und gewienert und wirkte an den Oberflächen und allem sehr neu und strahlte damit ungefähr das Gegenteil dessen aus, was ich von einem alten Gebäude mit langer Geschichte erwarte.
Schwimmhalle. Man beachte die schicken Kacheln. Bild: Stadtbad Oderberger.


Wenn ich an Berliner Schwimmbäder denke: dieser verwitterte Beton im Stadtbad Neukölln, dieser alte Beton im Baumschulenweg, die Kabinen am Beckenrand in Spandau-Nord, der komplette History-Trip in der Lehrschwimmhalle Schöneberg. Hier war davon nichts zu merken. Ausweislich des Bauzustands hätte das auch ein historisierender 2010er-Neubau sein können.

Die Schwimmhalle. Bild: Stadtbad Oderberger.


Das Schwimmbecken selbst – 20 Meter lang, 9 Meter breit, 135 Zentimeter tief und sportliche 27 Grad warm. Wobei die 27 Grad sich 2018 auch einen Tick wärmer anfühlten als 2016/2017. Ein Bad in der Identitätskrise. Als Sportbecken ist es eigentlich zu klein, als Schwaderbecken ist es zu kalt.

Wenn man wie ich das Glück hat, alleine dort zu sein, geht Schwimmen super. 135 Zentimeter Wassertiefe fühlt sich zwar komisch an, reicht aber zum Schwimmen aus – selbst die Rollwende fühlt sich zwar etwas eigen an, wenn der Boden doch ziemlich nahe kommt, aber sie funktioniert.  Und gerade sportliches Schwimmen profitiert von der Wassertemperatur. Angeschrieben waren 27 Grad; ich halte das für plausibel. Zum Baden und Plantschen natürlich noch ein paar Grad zu kalt, zum Schwimmen aber optimal.

2018 hingegen reichten die gefühlt wärmeren 27 Grad, um Menschen zum Schwadern ins Wasser zu bewegen. Vielleicht kamen daher die vielen Besucher?

Ungewohnt für ein Becken des Baujahrs: es weist recht gerade Wände auf.  Die Überlaufrinne ist das klassische Modell Wiesbaden. Die Kacheln sind mit das stilvollste was Berlin zu bieten hat. Ich hatte den Eindruck einer leichten Strömung das Becken entlang aus Richtung Foyer in Richtung Hinterhof.

Ursprünglich gab es auch mal Sprungbretter und das Becken war bis zu 3,15 Meter tief. Aber immerhin, das Becken existiert überhaupt noch.

Publikum


ICH HATTE EINE SCHWIMMHALLE FÜR MICH ALLEINE! Ganz alleine. Kein anderer Schwimmer, kein Aufsichtspersonal. Und das knappe für 20 bis 25 Bahnen Schwimzeit. Angesichts des Hypes und der echten Qualitäten dieses Bades war es erstaunlich leer.

Hier geht es zum Bad.


Als ich kam, war noch eine Frau mittleren Alters anwesend, die recht sportlich ein paar Bahnen Brust schwamm und dann verschwand. Dann war ich allein, später kam ein Mann in Badehose, der skeptisch schaute und dann irgendwohin verschwand. Dann ein anderer Mann in Badehose, der eine Bahn hin- und herschwamm. Danach stand er einige Minuten am Beckenrand stand und verschwand wieder.

Dann wieder eine Frau mittleren Alters (Bikini und Schwimmbrille), die halt einfach so ganz gut schwamm und dann schließlich noch ein Hotelgast, der im Hotelbademantel ohne den Umweg über den Keller direkt ins Bad ging und dann so mehr oder weniger sportlich schwamm.

Er schwamm besser als ich, aber im Vergleich damit, was ich so in anderen Bädern sehen kann, war es doch eher mehr Posing als echte Qualität.

Zweiter Besuch: Juni. Wir waren zu dritt. Ein breitrückiger 40-jähriger Kraulschwimmer mit Vollbart, ein sehr schmalrückiger 16-jähriger Kraulschwimmer und ich. Welche Ironie: Das Bad ist mit seinen Maßen denkbar ungeeignet zum Schwimmen.  Aber weil es anscheinend wirklich immer leer ist, kann man in der Oderberger Straße besser schwimmen als in fast jedem anderen Bad.

Dritter Besuch: 20 Leute. Mehrere Väter mit ihren Söhnen (die deutsch und französisch sprachen), eine Mutter mit zwei Töchtern, mehrere Einzelschwimmer und zwei Buddies mit osteuropäischer Kürzesthaarfrisur. 

Gastronomie


Die Kaminbar. Gute, stilvolle Hotelbar mit feinem Espresso.


Hotel-Außenbereich

Preise / Öffnungszeiten


Der Eintritt beträgt sechs Euro. Verglichen mit normalen Berliner Bädern ist das ein Tick mehr, verglichen mit den Eintrittspreisen vage vergleichbarer Hotelpools, ist es lächerlich wenig.

Die Öffnungszeiten sind von 7 bis 22 Uhr, außer sie sind es nicht. Wenn Events stattfinden, ist den Nachmittag vorher, den ganzen Tag des Events und den Vormittag danach geschlossen. Die genauen Öffnungszeiten stehen zwei Wochen vorher im Netz und seit diesem Jahr auch im Eingang:

Schwimmbadöffnungszeiten im Eingangsbereich in schön.

 

Fazit


Ja, aber. Das Bad Moabit ist abgerissen, an das Bad Dennewitzstraße erinnert sich nicht einmal mehr jemand. Die Geschichte des Baerwaldbades erreicht Ausmaße griechischen Dramas. Das Bad Wedding ist abgerissen, das Stadtbad Steglitz steht wie das Stadtbad Lichtenberg ohne große Perspektive leer. Ich bin froh und dankbar dafür, dass dieses Bad überhaupt offen ist und existiert. Ein großes, großes Dankeschön an alle Betreiber.

Wäre ich Hotelgast, und das wäre mein Pool, käme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus und würde dort einziehen.

Aber: verglichen mit echten Schwimmbädern ähnlichen Alters (Spandau Nord, Charlottenburg, Neukölln) wirkt es dann doch eher wie ein Pool als wie ein echtes Schwimmbad. Oder wie ich letztens im Halbschlaf am Frühstückstisch sagte „Es ist besser für ein Schwimmbad, wenn es ein echtes Schwimmbad ist. Das ist einfach schwimmiger.“

Allerdings auch: kein anderes Bad bewegt sich von Besuch zu Besuch so nach vorne. Jeden Besuch später sind die Details werden stimmiger. Mal funktioniert die Dusche etwas länger, mal gibt es eine Tafel mit den Öffnungszeiten, mal sind endlich die fehlenden Liegestühle in Beckennähe gewandert.

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Ein ähnliches Bad aus ähnlicher Zeit, das allerdings deutlich mehr Schwimmbad-Attitüde mit sich herumträgt, ist das Stadtbad Spandau-Nord.

Wem in der Gegend nach mehr Wasserfläche als in einem Planschbecken zumute ist, begebe sich zur Schwimm- und Sprunghalle im Europapark

Alle Iberty-Schwimmbadposts liegen unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.

Allein zur ewigen Sage um Schließung und Sanierung könnte man vermutlich einen mehrbändigen Sammelband aus Presseartikeln veröffentlichen. Aber ich blicke ja lieber auf die Literatur zum Schwimmbad an sich, Da empfehlen sich mal wieder die Klassiker.

Die Sport - und Bäderbäuten von 1966 S. 180, 184. Die Architektur der DDR 1982 S. 696 und der echte Klassiker. Die Ingenieurwerke in und bei Berlin vom Verein Deutscher Ingenieure (1906) S. 383

Die Bau- und Kunstdenkmale der DDR, Hauptstadt Berlin I, Berlin 1983, S 373-374

Mehr - wenn auch angesichts des Buchtitels überraschend wenig, zur frühen Badgeschichte steht in Dörte Döhl: Ludwig Hoffmann. Bauern für Berlin.  

Dörte Döhl: Ludiwg Hoffmann. Bauern für Berlin.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eine besondere Attraktion war um 1970, ich war Anfang Zwanzig, die eigentlich nur Familien gestattete Benutzung der mächtigen Familienbadewannen durch unverheiratete Paare. Man musste dafür den Bademeister mit einer Mark (Ost) bestechen. Der Geheimtipp sorgte stets für ordentliches und vielstimmiges Getöse in der Wannenbadabteilung.