Donnerstag, 9. August 2018

Freibad Gesundbrunnen: Schwimmen im Sommerbad Humboldthain

Sommerbad Humboldthain bei 30 Grad: dat is Wedding, wa, wie er lebt. Das pure Leben - geordnet, betont und ermöglicht durch die perfekte Anlage des Sommerbads Humboldthain.

Sommerbad Humboldthain, 20 Grad: was für eine Tristesse.

Jedes Freibad hat seine 30-Grad-Geschichte und seine 20-Grad-Geschichte. Selten aber klaffen sie so weit auseinander wie hier im Gesundbrunnen.

Aber der Reihe nach.

Berlin-Gesundbrunnen. Der Stadtteil, in dem ich aus der S-Bahn steige, und schon sehe ich kleine Mädchen in Adiletten, an der Leine eine Kreuzung aus Husky und Rottweiler, die dem Mädchen bis etwas über den Bauchnabel reicht. Das ist Gesundbrunnen, der Teil von Wedding, der sich starke Mühe gibt, jedem Wedding-Klischee zu entsprechen.



Das Sommerbad selbst liegt im Humboldthain: einem ehemaligen botanischen Park, der dann Flakbunker wurde, dann Trümmerberg, dann Volkspark und mittlerweile so eine Art verwilderter Wald mit Graffiti, Schildern und Müll ist.

Das Sommerbad entstand im Übergang der Phasen "Trümmerberg" und "Volkspark" anfang der 1950er. Es liegt in einer Landschaft, die ganz geschickt mit den Niveau-Unterschieden der Gegend spielt. Die Planer orientierten sich offenbar am 30-Jahre-älteren Sommerbad am Insulaner: die Aufteilung und das Raumgefühl der beiden Bäder ähneln sich.

Bekannte Elemente aus dem - gleichzeitig mit dem Bad am Humboldthain vom selben Architekten gestalteten - Sommerbad Wilmersdorf erkenne ich auch: Die Hecken, das prachtvolle Blumenbeet am Eingang, die weite und luftige Gestaltung der Liegewiesen.

Und dann kamen die Achtziger: und ich weiß nicht, wen sie mit der Planung beauftragt haben und wie oft sie zwischendurch die Bauplanung wechselten. Ich bin verwirrt. Aber das waren die Gestalter anscheinend auch.



Gelände


Ich laufe einige Schritte durch den Park/Wald, und stoße auf ein ein kleines unauffälliges Eingangshäuschen. Bei 30 Grad standen hier lange Schlangen. Mustergültig die Security, hier abgeleistet von einem älteren Mann, der es schaffte, gleichzeitig superfreundlich und sehr bestimmt aufzutreten.



Während normale Schwimmbad-Drehkreuze einfach zu überwinden sind, entstammt das Drehkreuz hier der Gestaltungslinie "Hochsicherheitstrakt" und reicht mir bis knapp zur Brust. Mein erster Gedanke "wollt ihr mir etwas über Euer Stammpublikun sagen"? Immerhin, als das Stammpublikum anwesend war, durfte gleich ein kleiner Junge nicht hinein, da er Hausverbot hatte,

Direkt hinter den Drehkreuzen blüht das erwähnte prachtvolle Blumenbeet. Leider war es das dann auch mit Blumen. Der Rest der Anlage besteht aus großen Bäumen und Hecken. Das Becken liegt zentral: würde man vom Eingang aus geradeaus gehen, stürzte man ins Becken.

Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken gehen ineinander über. Neben den Becken sind breite gepflasterte Bereiche, in denen man liegen, am Handy spielen, lesen oder essen kann. Abgetrennt durch Hecken und die Duschwassergräben liegen Liegewiesen

Die Gebäude (Umkleide, Duschen, Kiosk, "Filtergebäude") liegen in einer Art Halbkreis um das Becken herum. Gestaltet sind sie in einer 80er-Jahre-Gesamtschulausprägung des Pavillonstils. Mehr oder weniger ist das ein Block mit Backsteinfassade, der aber innerlich unterteilt ist und auch sonst Ecken und Kanten hat.

Es existieren Schließfächer, um Wertsachen aufzubewahren. Dass die Nummern auf den Schließfächern anscheinend vor vielen Jahren mal per Hand aufgemalt wurden - charmant.

Faszinierend war auch, dass mein persönliches Schließfach-Schlüsselband zwar jegliche Farbe verloren hatte, sich in Maximalausbleichung zeigte, aber dennoch als Band noch leidlich funktionierte und zusammenhielt.

Umkleide/Dusche


Die Umkleidekabine: Ist es eine Halle? Ist es ein Raum? Der Raum ist etwa 20 mal 8 Meter groß, aber so flach, dass ich die Decke mit der Hand erreichen kann. Mit weißen Fliesen (und einigen dunkelroten Farbakzenten) gekachelt, beleuchtet durch nackte Neonröhren.

26. Man muss nur genau hinschauen.


In einer Hälfte des Raums stehen dicht gedrängt dunkelrote Schränke. Dieser Teil des Raums wirkt dunkel und labyrinthisch. In der anderen Hälfte ist nichts, außer einigen verirrten Plastikbänken. Dieser Teil desselben Raums wirkt sehr weit, hallig und einschüchternd leer. Für einen modernen Gefängnisfilm wäre diese Umkleidekabine ein guter Drehort.

In einer Ecke verstecken sich fünf Kabinen. Beim ersten Besuch war es sehr einsam im Bad. Aber es waren wahrhaftig vier Kabinen abgeschlossen und bei einer war das Schloss kaputt.

Interessanterweise blieb dieser Zustand über Jahre hinweg konstant: vier Kabinen waren abgeschlossen, bei einer war das Schloss kaputt. Anscheinend ist das im Humboldthain die Grundeinstellung.

Gemütlich Steinterrasse mit Blick direkt in die Hecke. Obere Teile vielleicht geeignet für: ich sehe die Schwimmer, aber die Schwimmer sehen mich nicht.
 
Noch dramatischer scheinen die Zustände in der Damenumkleide: Die 14-jährige-Tagesspiegel-Praktikantin, die die Redaktion auch einmal ins Bad schickte, hat sich mit dem gewöhnungsbedürftigen Schloss gleich ganz eingeschlossen.

Duschen und Toiletten haben denselben: Gesamtschule-der-1980er-Stil. Ich hielt mich dort nicht länger als unbedingt nötig auf.

Schwimmen


Wa! Wa! Waschbeton! Also nicht das Becken: das besteht aus den Berliner-Bäder-üblichen türkisen Fliesen. Aber der Bereich um das Becken hat einen Boden aus Waschbetonplatten. In so mancher Hinsicht verstehe ich die Achtziger nicht.

Das Becken weist Ausstülpungen und Ecken auf. Tatsächlich ist es ein großes durchgehendes Becken, dass funktional verschiedene Bereiche beinhaltet: Schwimmen, Nichtschwimmen, Springen, Plantschen. Im Humboldthain liegt eine große, optisch eindrucksvolle Wasserfläche, die auch nutzbar ist.

Tatsächlich sind es drei Bereiche, die optisch wie ein Becken wirken. Das große Becken ist in zwei Teile unterteilt. Ganz rechts sind fünf Bahnen markiert, hier existieren auf beiden Seite feste Wände zum Wenden. Der linke Bereich weist dasselbe Tiefenprofil auf. An seiner Westseite liegt jedoch das Sprungbecken, an der Ostseite endet die Rutsche im Becken. Sportschwimmen ist hier nicht möglich, Rumschwadern im tieferen Wasser funktioniert durchaus

Der flache Bereich beider Teile Beckens ist recht lang (etwa 25 der 50 Meter Bahn) so dass man im größten Bereich des Schwimmbeckens noch stehen kann. Das bedeutet auch: bei warmem Wetter ist Schwimmen wirklich nur noch in abgeleinten Bahnen möglich. Dort wo Leute stehen können, werden sie stehen. Es bedeutet aber auch: mittig, dort wo es etwas tiefer wird, ist ein wunderbarer Lebensbereich für einen 1,90-Meter-Menschen, denn hier steht niemand mehr sonst. Schwimmer geraten hier auch nicht hin.

Im leeren Becken (Kaltwetter) oder in den Bahnen ist schwimmen möglich und nett.

Das Sprungbecken geht auch nach der Renovierung auf 3,50 Meter hinunter.  Nur leider steht dort nur ein einsames, verlorenes Ein-Meter-Brett. Dort stand doch sicher mal ein Sprungturm?

Das Nichtschwimmerbecken ist nur durch eine schmale Wand vom Schwimmerbecken getrennt. Auf dieser thront ein hoher Zaun - sicher eine nachträgliche Anbringung,

Und der Umbau: um das Becken herum wird es noch bizarrer. Da endet eine Treppe im Nichts (bzw. am Zaun), ein anderer Bereich, der wohl mal als steinerne gestufte Terrasse mit Blick auf das Becken gedacht war, wurde jetzt auf allen Seiten von Hecken eingerahmt, so dass man das Becken nicht mehr sieht und so eine Steinfläche hat, auf der in allen Richtungen in zwei bis drei Meter Entfernung eine Hecke steht.

Das Wasser hatte beim Kaltes-Wetter-Besuch 23 Grad. 

Gastronomie


Ein Kiosk, ein Café. Der Kiosk hatte richtig geschlossen als ich bei meinem einsamen Besuch bei niedrigen Temperaturen kam. Das Café hatte zwar die Tür offen, aber dort hinein war ein Tisch quer gestellt - was ich dann auch als "geschlossen" interpretierte.

Im Hochsommer hatte es auf. Hier steht nicht einfach ein Schwimmbadkiosk, sondern ein Kunstprojekt. Tropeztropez. Im Alltag merkt man es vor allem daran, dass die wenigsten Schwimmbadbesucher sich in den gestuhlten Bereich hineintrauen. Auch ich traue mir nicht zu, in den dort stehenden Liegestühlen unfallfrei eine Pommes mit Ketchup zu essen.

Auch vermutlich keine Absicht dahinter steckte: der dortige Bereich vermittelte den Eindruck für etwas besseres und wertigeres vorbehalten zu sein als für schnödes Schwimmbadeis. Die Kunst und die Schwimmbadbesucher - ein schwieriges Zusammenkommen.

Immerhin hing an einer Fritteuse das wunderbare Schild "Only Wurst here." 

Publikum


Beim ersten Besuch herrschte eine Lufttemperatur von 19 Grad. Und Dirks ehernes Gesetz der Freibadbesuchermenge hat sich bewahrheitet: hätte ich allen Anwesenden guten Tag gesagt und sie nach dem Vornamen gefragt, wäre ich in zwei Minuten durch gewesen. Wobei ich dieses Wetter liebe. Nie hat man mehr Platz. 20 Grad mit Nieselregen sind das beste Freibadwetter.

Wie anders bei 30 Grad. Anscheinend war der halbe Gesundbrunnen anwesend, vor allem in Form von Familien. Eine solche bunte Mischung sah ich nur noch am Insulaner. In keinem anderen Berliner Bad war bei meinem Besuch der Anteil der Kinder so hoch.

Gruppen männlicher Jugendlicher - die üblichen Freibad-Problembären - sah ich übrigens kaum. Das war alles eher wie Freibad aus dem Bilderbuch mit Gewusel, Geschrei, ein paar einsamen Schwimmern, Leute die Arschbombenköpper vom Einmeterbrett machten und einer langen Schlange an der Rutsche. 

Fazit


Das Bad der zwei Gesichter. Bei 20 Grad wirkt es nicht nur leer, sondern auch verlassen. Die Anlagen, die darauf ausgelegt sind, Besuchermassen im Zaum zu halten, wirken zu groß, zu steinern, zu kontrolliert. Dieses Bad kommt erst zu sich selbst, wenn es richtig voll wird. Dann aber tobt hier das pralle Leben. Dann ist das hier der Wedding wie er im Buche steht und damit das spannendste, was Berlin zu bieten hat.

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Verwandt im Geiste, wenn auch mit schönerer Anlage: das Sommerbad am Insulaner.

Mehr zum Kunstprojekt. Seine Website tropeztropez und ein taz-Artkikel, der mehr Begeisterung aufbringt als ich gerade: Schwimmkunst.

Im Humboldthain sehe ich viele verschleierte Frauen - meistens Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern. Eine Frau im Burkini sah ich noch nicht. Und falls ich einmal eine sehen werde, weiß ich: es ist eine Springer-Journalistin.

Nicht weit weg und doch scheinbar auf einem anderen Planten: der Plötzensee.

Wenn das Wetter wieder kühler wird, liegt das Stadtbad Mitte in der Nähe. Weiter im Wedding das Kombibad Seestraße.

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Nicht zum Lesen, aber zu Sehen. Wie bestellt erschien heute noch ein Video zum Humboldthain. In leer mit lustiger Musik. Aber einen Eindruck vom Becken gibt es. Um den Wedding in voller Pracht zu erleben, muss man doch mal persönlich vorbeikommen:



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