Donnerstag, 2. August 2018

Nacktschnecke Leopardenmuster schädlich?

Große Schnecken mit Leopardenmuster sind unschädlich und ungefährlich. Es sei denn, man ist eine Nacktschnecke. Für andere Nacktschnecken sind diese großen gemusterten Schnecken - Tigerschnegel – Limas Maximus – bedrohlich.

Tigerschnegel fressen andere Nachtschnecken. Liebe Gartenbesitzer: kuschelt und herzet die Schnegel. Verwöhnt sie und streichelt sie: denn sie fressen andere Nacktschnecken. Die Tigerschnegel sind eure besten Freunde.


Ein Prachtexemplar.




Die Schnecke im Garten


Wilhelm und Wilhelmina stehen mit einem Eimer und einer langen Zange auf dem Rasen. Wir rufen hinüber: „Habt ihr was vor?“. Wilhelmina ruft zurück: „Schnecken! Überall Schnecken! Hunderte! Wir sammeln sie auf!“ Soweit so normal in einem Garten. Kaum ein anderes Lebewesen provoziert so den gärtnerischen Aktionismus wie die gehäuft auftretende Nacktschnecke.

Was allerdings verwundert: der wilhelminische Garten ist nur durch einen Maschendrahtzaun von dem Unserigen getrennt. Ein Maschendrahtzaun stellt kein Hindernis für eine ernsthafte Nacktschnecke da.

Und doch: auf unsere Seite des Maschendrahtzauns verirrt sich nur gelegentlich eine Nacktschnecke. Die beiden spanischen Wegschnecken des Gartens kennen wir persönlich, wissen, wo sie wohnen und im Wesentlichen lassen wir sie gewähren. Keine drei Meter nebenan allerdings, füllen Wilhelm und Wilhelmina einen kompletten Eimer mit den Viechern.



W+W und Madame und ich verfolgen verschiedene Gartenkonzepte. W+W betreiben einen wunderbar gepflegten, akkuraten Garten mit einer ordentlichen Buschreihe, Obstbäumen mit Baumscheiben, wunderbar hochgebundenen Beeren, formschön installierten Kletterrosen und einzeln umsorgten Sonnenblumen. Auch wenn im wilhelminischen Garten natürlich kurz gehaltener und regelmäßig gesprengter Rasen wächst, ist das keiner dieser mach-mir-bloss-keine-Arbeit –Gärten. Auf W+Ws Grundstück wirken erkennbar Liebe und Hingabe.

Bei uns sieht das anders aus: mehr Sträucher stehen herum. Die Bäume stehen auf der Wiese statt auf sorgsam gezupften Baumscheiben. Die Gießkanne kommt nur im Notfall zum Einsatz, die Rosen wachsen ja in normalen Jahren auch ohne Bewässerung. Teile der Wiese werden nur zweimal im Jahr gemäht. Sie erfreuen uns mit Sauerampfer, Platterbsen und Wilden Möhren. Im Vergleich zum Garten nebenan wächst bei uns ein sich selbst verlassenes Unkraut.  Aber, und das ist der Plan. Das gepflegte Beet in der Mitte unseres Gartens wirkt umso mehr.  Die Vogel- und Insektendichte ist hoch. Die Schneckendichte hingegen niedrig.

Liegt der Schneckenmangel daran, dass wir keinen sanften feuchten englischen Rasen bieten, sondern eher eine strubbelige Wiese mit trockenen Stängeln, die aus dieser herausragen? Liegt es daran, dass wir keinen sanften Salat heranziehen, sondern Stauden mit Lederblättern und Rosen mit Dornen? Oder liegt es doch daran, dass im Verborgenen der Schrecken aller Nacktschnecken lauert, knapp 20 Zentimeter geballte Power, Herrscher des Schneckiversums und das beeindruckendste Glitschvieh, das ich in den letzten Jahren sah: der Tigerschnegel.


Der Tigerschnegel kroch empor


Unsere Terrasse liegt knapp einen Meter über der Erde. Darunter befindet sich ein Hohlraum. Dieser Hohlraum ist feucht und kühl und sicher ein guter Lebensort für feuchteliebende Wesen. So waren wir nicht wirklich überrascht, als wir eines Tages an der Terrasse eine dunkle, große Schnecke sahen. Überraschend wurde es aber als diese Schnecke auch noch anderthalb Meter senkrecht an der Hauswand hochkroch. Warum so ein weiter Weg? Und was wollte sie da? Und sollten wir als gute Gärtner auf das Vieh reagieren?

Hallo. Wer seid Ihr?


Es siegte die Neugier vor der Panik. Der erste Griff ging zum Handy, nicht zur Heckenschere und erbrachte die Erkenntnis „Ein Tigerschnegel. Er lebt vor allem von abgestorbenen Pflanzenteilen. UND ER FRISST ANDERE SCHNECKEN!“ Sofort fragten wir den Schnegel, ob er es sich bei uns gemütlich machen wolle und wir ihm etwas anbieten könnten.


Der Tigerschnegel an sich


Der Tigerschnegel, auch Limax Maximus oder Große Egelschnecke, wird bis zu drei Jahren alt. Er wird bis zu 20 Zentimeter lang, auffallend ist das Muster aus schwarzen Flecken und Streifen auf einem dunkelbeigen Hintergrund. Limas Maximus ernährt sich vor allem von toten Pflanzen, Pilzen und Algen, verschmäht aber gelegentlich weder ein Schneckengelege noch eine andere Schnecke oder auch lebende Pflanzen. Der Tigerschnegel profitiert von menschlicher Besiedlung. Den Menschen folgend verbreitete er sich aus Süd- und Westeuropa über ganz Europa. Er ist ein erfolgreicher Kulturfolger und lebt gerne in Parks und Gärten.

Gut getarnt im trockenen Unterholz.


Sein deutscher Name stammt von seinem Muster  -  und zeigt deutlich, dass vor langer Zeit die Menschen Tiger und Leoparden noch nicht unterschieden haben.

Neben seinen eindrucksvollen Aussahen, sei sein spektakuläres Verhalten erwähnt – und hier insbesondere die Paarung. Bei ihr verfolgen sich zwei Schnegel erst („wie balgende Eichhörnchen, nur halt im Schneckentempo“), umkreisen sich wie tanzend über mehrere Stunden, bis sie sich von einem erhöhten Vorsprung herunterfallen lassen.

Sie produzieren dabei einen Schleimfaden, die sie dann während des Herablassens wie ein Seil verknoten bis sie verschlungen an einem etwa 40 Zentimeter langen Schleimseil hängen. Die eigentliche Paarung findet frei schwebend statt. Danach klettert ein Schnegel den Faden wieder hoch, der andere lässt sich auf den Boden hinab. Später legen beide(!) bis zu 200 Eiern.

Und weil der Schnegel einfach cool ist, war er Weichtier des Jahres 2005. Die Jury schrieb: [es] handelt sich besonders bei Limax maximus um ein Tier von unbestreitbarer Schönheit und Eleganz mit einem geradezu spektakulären Verhaltensrepertoire.


Unser Schnegel


Unser Schnegel fühlte sich wohl. Über Wochen trafen wir sie 2017, dem Jahr des Großen Regens, quasi jeden Abend auf der Terrasse und an der Hauswand. Dieses Jahr zog sie um. Dieses Jahr, im Jahr der großen Trockenheit, zog sie und ihre Familie – mittlerweile sehen wir bis zu drei Tigerschnegel gleichzeitig – um in die Kellergrube. Die Grube ist nicht gegen Nässe von unten gesichert, ist selbst  jetzt in entsprechender Tiefe noch ausreichend feucht – und bietet derzeit den geflüchteten Feuchtigkeitsliebhabern unseres Gartens einen Lebensraum.

Für den Schnegel ist das super, zieht doch seine Nahrungsquelle gleich mit zu ihm. Am späten Abend sehen wir ihn über den Grubendecke schnecken, auf dem Weg in den weiteren Garten. Spanische Wegschnecken waren auch anwesend. Der Tigerschnegel wurde seinem Ruf nicht gerecht, sondern kroch einträchtig neben diesen her oder auch über sie hinweg(!) ohne sie zu verzehren. Vielleicht ist das mit den Wegschnecken auch wie mit dem Rosenkohl – manche mögen den Geschmack und manche nicht.

Aber: nach einigen Wochen verschwanden die Wegschnecken und die Schnegel sind immer noch da. Vielleicht gingen dem Schnegel angesichts der Dürre die Algen und die Pilze als Nahrung aus, so dass er auf andere Schnecken zurückgreifen musste. Vielleicht geschah doch etwas in der Dunkelheit der Nacht?


Jagdschnegel?


Wie sieht es mit den legendären Jagdfähigkeiten aus, die Schnegel immerhin zum heißen Handelsgut machen? Einzelne Schnegel kann man für bis zu 20 Euro im Internet kaufen.

Mäßig, so scheint es mir. Unser Schnegel kuschelte eher mit der Wegschnecke als sie zu verzehren. Allerdings, sie verschwand danach.

Verena Pressler schreibt in ihrer schneckigen Diplomarbeit Schadschneckenproblematik in Wien, Niederösterreich und Burgenland“:

L. maximus ernährt sich hauptsächlich von Pilzen, welken und abgestorbenen Pflanzenteilen, Algen, welche manche Bäume überwuchern und Kulturpflanzen. Eher selten zeigt er sich räuberisch, dann frisst er schon Mal Aas und auch andere Nacktschnecken und deren Gelege. Die Tatsache, dass er Schneckengelege frisst, lässt ihn positiv erscheinen, da er für den Rückgang schädlicher Arionidae-Populationen verantwortlich gemacht wird. Das bedingt allerdings nicht, dass er jedes Mal Schnecken frisst. Er wurde oftmals in Terrarien als friedfertiges Tier beschrieben, welches zusammen geklumpt mit anderen Tieren ohne tätliche Angriffe geruht hat

Jagd oder Kuschelszenen? Tigerschnegel und Wegschnecke,


Spannend auch hier Laura auf dem Blog Naturgartenideen, die ihren eigenen Schnegel nächtelang verfolgte, um ihn mal auf der Jagd zu sehen. Und dann jagte er und verfolgte die Wegschnecke. Und knabberte sie am Ende etwas an, um sich dann zu trollen. Sie schildert das im Post Nächtliche Verfolgungsjagd - Der Tigerschnegel auf Beutezug.

Andere berichten davon, dass er Schnecken auch nur frisst, wenn es nicht besseres gibt. Ja, der Schnegel hilft gegen Schnecken. Allerdings sind Laufenten, große Käfer, Hühner, Singvögel oder Igel viel begeistertere Schneckenjäger.

Tigerschnegel schädlich?


Ist der Tigerschnegel schädlich – nein. Vielleicht ein klein wenig, wenn er mal einem verlockenden fast-vermoderten Blatt nicht widerstehen kann.

Ist der Tigerschnegel gefährlich – nein. Es sei denn, man ist eine andere Schnecke.

Ist der Tigerschnegel nützlich – vielleicht ein wenig.

Ist der Tigerschnegel faszinierend – unbedingt!


Weiterlesen


Alle Iberty-Posts zu Tieren im Garten finden sich unter Kleintierzoo.

Wer richtig bei den Schnecken einsteigen will, kann Verena Presslers Diplomarbeit „Schadschneckenproblematik in Wien, Niederösterreich und Burgenland“ in Gänze lesen: Der Abschnitt zu den Tigerschnegeln ist auf Seite 13 bis 15.

Schöner Blogpost zum Thema: Naturgartenideen: Von Schnecken und Schnegeln – Der Tigerschnegel als Hoffnungsträger?

Ausführlicher zum Tigerschnegel ist die Würdigung als „Weichtier des Jahres 2005.“

Auch durchaus lesenswert zu Schnecken allgemein: Alex von der Schneckenhilfe im Interview. schnecken spezial. teil 1   (Unter anderem auch zu Nacktschneckenvertilgern wie dem Tigerschnegel.  Dabei sollte erwähnt werden, dass die meisten Ökologen und Gartenfachleute es ablehnen, große Mengen von Nacktschnecken in die Natur auszubringen und bei der Bekämpfung für die Methode schneller, schmerzfreier Tod (Gartenschere oder heißes Wasser) plädieren.

Das special interest Publikum interessiert vielleicht auch: FALKNER, G. (1992): Paarung des Tigerschnegels. Grandioser Seilakt zu nächtlicher Stunde. - In: J. H. Reichholf & G. Steinbach (Hrsg.) Die große Bertelsmann Lexikothek, Naturenzyklopädie Europas, 6: 282-283. Mosaik Verlag, München.

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