Dienstag, 21. August 2018

Hainschwebfliege: Wunderfliege für den Garten

Nein. Die Hainschwebfliege ist nicht gefährlich. Die Hainschwebfliege frisst Blattläuse. Eine dieser Miniaturfliegen frisst hunderte Blattläuse. Und sie ist auch ansonsten ein Hammerinsekt. Hier ein ein Zentimeter geballte Power, die fast so wirkt als könnte sie beamen; ein Tier das dann auch noch die Alpen in mehreren tausend Metern Höhe überfliegt.

Die Schwebe


Ein Ikea-Klapptisch. Auf ihm stehen zwei Tassen Kaffee, Kuchenreste, ein Wäschesprenger, um die Wespen zu verscheuchen und einige gepflückte Miniaturblüten aus dem Garten. Madame liest Zadie Smiths „Swing Time“, ich klicke mich durch die neusten News zum „Sommerhaus der Stars.“ Beide leiden wir noch etwas unter dem sehr guten insgesamt aber doch reichlichen Gin Tonic bei Paulinas Freilichtkinovorführung im Garten gestern(*).

Da stellt Madame fest: „Du musst gar nicht mehr zur Goldrute, um die Schwebfliegen zu sehen und zu fotografieren.“ Ha! Ha! Als ob dieses Insekt sich in freier Bewegung fotografieren ließe!

Hoverfly May 2008-8
Bild: Hoverfly May 2008-8 von: Alvesgaspar Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Denn obwohl die Fliege vor allem schwebt, stationär wie ein Hubschrauber an einer Stelle, so macht sie dies nie lange genug. Die Fliege steht in der Luft, dann wusch!, mehr beamen als fliegen, und schon steht sie an einer anderen Stelle.

Zu schnell für das menschliche Auge, dass die Fliege sieht, auch ihr Muster erkennen kann und wusch! Ist die weg. Die 12 Bilder, die das menschliche Auge pro Sekunde aufnimmt, reichen nicht, um der Bewegung der Fliege Herr zu werden. Ihr zu folgen ist fast unmöglich, ihr eine Kamera nachzuziehen, schon nicht mehr trivial.


Madame schwärmt von Swing Time, erwähnt, wie viele unterschiedliche Themen Smith dort hinein bringt, ohne dass es konstruiert oder aufgesetzt wirkt. Und wie sie diesen Medienwandel beschreibt von Zeiten in denen man Informationen nur in der Bibliothek fand zum Musikfernsehen und zum Internet.



„Genau!“ sage ich, „beim Sommerhaus der Stars haben sich alle gehasst. Großartig! Die Paare untereinander. Und am Ende auch die einzelnen Paarmitglieder. Die Hälfte der Belegschaft hat sich schon wieder getrennt.“

Madame reminisziert weiter über „On Beauty“ und dessen kongenialer Nacherzählung von „Howards End“.  Meine Blicke folgen aber schon wieder der Hainschwebfliege.

Diese Fliege fliegt nicht. Entweder sie schwebt  oder sie entschwindet. Es ist keine Fliege, sondern eine Entschwinde oder vielleicht auch eine Schwebe. Die Menschen sind furchtsam und kompromissbereit in ihren Namen. Deshalb nannten Sie sie nicht Schwebe, sondern Schwebfliege.

Auch wenn es viele Schwebfliegen gibt, hunderte gar tausende von Arten. Für den Mitteleuropäer ist die Hainschwebfliege die prototypische Art: keine Art ist häufiger. Keine schwebt so prägnant und spektakulär. Keine ist so gut erkennbar,

Die Hainschwebfliege


Die Hainschwebfliege, auch Winterschwebfliege, umgangssprachlich Schwirrfliege, auf jeden Fall „episyrphus balteatus“ ist eine der häufigsten Schwebfliegen. Ihr natürlicher Schwerpunkt liegt in Mitteleuropa, wo sie zu den häufigsten Insekten gehört.

Hainschwebfliegen anzulocken ist einfach. Mein Schwebfliegenbuch schreibt „fast auf allen Blüten anzutreffen.“ Auf Doldenblütlern oft mehrfach.“ Dabei muss die Blüte  generell für Insekten geeignet sein. Geschlossene Blüten helfen der Schwebfliege ebenso wenig wie Blüten, die sie gar nicht kennt und an deren Blütenstaub sie nicht kommt. Wobei man nicht unbedingt einheimische Gewächse benötigt, um die Fliege glücklich zu machen.

An der Goldrute, die sich als höchst invasiver Neophyt auch in unseren Garten geschlichen hat, versamt von Paulina Seite, stapeln sich die Schwebfliegen. Manchmal wirkt sie wie der Potsdamer Platz der Schwebfliegenwelt. Nur dass dort selten Wespen vorbeikommen, um mal zwischendurch eine Schwebfliegensnack zu verzehren. Aber sonst: ein Gewimmel, ein Gewusel, von rechts nach links, von oben nach unten – schwebend, schwirrend, sirrend. Sie alle sind dort. Ehrlich gesagt ist das einer der Hauptgründe, warum wir die Goldruten überhaupt stehen lassen.

Bestimmung


Aber sind es wirklich Hainschwebfliegen? Die genaue Artbestimmung bei Insekten ist nichts für mich. Ich beobachte ja nur. Aber zum Bestimmen muss man die Insekten bestenfalls einfangen, manchmal dann auch genital sezieren oder ihr Erbmaterial untersuchen. Und so sehr mich die ganzen Insekten im Garten faszinieren und so gerne ich wüsste, wer dort genau schwebt – DNA-Tests am Kaffeetisch gehen zu weit!

Ich betrachte nur: Aus der Ferne ist zu erkennen: es ist eine lange, schmale Art. Auch halbwegs klar erkennbar ist die Zeichnung des Hinterteils in Gelb mit durchgehenden dunklen vertikalen Strichen und der dunkle Rücken (Mesotonum) mit drei hellgrauen Linien,

Hoverfly December 2007-8
Bild: A hoverfly (Episyrphus balteatus) on a Hebe sp. flower von: Alvesgaspar Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Schwierig wird es bei einer kleinen Fliege, die eigentlich nie länger als eins, zwei Sekunden in der Luft schwebt und dann „wisss“ 50 Zentimeter weiter in der Luft schwebt, auf die „unbehaarten Augen“ zu achten oder darüber ob die Fühler ein dunkleres Grau haben als die Stirn.
Ehrlich gesagt kann ich selbst auf den meisten Fotos die Fühler nicht erkennen. Auch „Augen beim Weibchen schmal getrennt“ erscheint mir jetzt kein Kennzeichen, das sich im Flug der Fliege klar bestimmen ließe.

Immerhin stellt selbst mein Schwebfliegenbuch, in dem Dutzende sich außerordentlich ähnlicher sehender Fliegen auftauchen „Verwechslung kaum möglich durch die eindeutige Hinterleibszeichnung.“ Und wenn etwas schon die häufigste Fliege ist, dann ist es auf Verdacht sowieso immer diese,

Die Larve


Die Hainwebfliegenlarve lebt unter Blattläusen und wenn sie Hunger hat, ernährt sie sich auch von Blattlauslarven. Das ist ein Satz, den jeder Gärtner gerne hört.

Episyrphus balteatus - lifecycle A - 01 - larva
Nicht nur Blattlausfresser sondern auch durchsichtig. Bild:  An Episyrphus balteatus larva. von: @entomart

Auftreten


Die ersten Fliegen tauchen im März auf. Die letzten im Oktober. Zum Teil überwintern sie in Deutschland. Und auch wenn man einem solchen kleinen Tier keine drei Wochen Überlebenszeit zutraut, so produziert die Fliege nur eine Generation im Jahr. Das heißt, die Tiere werden ein Jahr alt, die Weibchen alleine überwintern. An warmen Wintertagen kann es sogar sein, dass einzelne Fliegen sich ins Freie wagen – woher die Hainschwebfliege ihren anderen Trivialnamen hat.

Oder aber die Tiere überwintern nicht in Deutschland, sondern sie wandern. Und dies ist der Punkt, an dem ich ins Staunen geriet.

Die Wanderung


Am stärksten beeindruckt bei diesem Tierchen ist die Wanderung. Die Schwebfliegen fliegen im Herbst einmal komplett über die Alpen und die Pyrenäen bis nach Südeuropa. Dabei nutzen sie die günstigen Höhewinde und fliegen in ungefähr 2.000 Metern Höhe.

Allein aus lauter Fassungslosigkeit wiederhole ich mich: Miniatur-Tiere, von denen ungefähr fünf auf den Fingernagel meines kleinen Fingers passen, fliegen mehrere tausend Kilometer in 2000 Metern und mehr Höhe über die Alpen und Pyrenäen hinweg und wieder zurück.

Flying (Episyrphus balteatus) (5944780870)
Bild: Flying (Episyrphus balteatus) (5944780870) von: David Santaolalla Lizenz Creative Commons Attribution 2.0 Generic

In den Worten der durch nichts zu beeindruckenden Wikipedia:

Die Hainschwebfliege überquert dabei die Pässe der Mittelgebirge, der Pyrenäen und der Alpen.[4] Im Frühjahr erfolgt der Zug in entgegengesetzter Richtung. […] Der Zug der Hainschwebfliege nach Süden findet in geringen Höhen - und somit für das Auge sichtbar - nur bei Gegenwind und am Gebirgsanstieg statt. Die Schwebfliegen suchen dadurch unfavorable Luftströmungen zu unterfliegen. Bei Rückenwinden zieht die Hainschwebfliege in großen Höhen über die deutschen Mittelgebirge.[7] Über der Schwäbischen Alb etwa wurde mit Spezialoptik starker Schwebfliegenzug noch in Höhen von 1000-1400 Metern über Grund festgestellt (in bis zu 2000 Metern Meereshöhe). 

Schaut mal im Herbst nach oben. Und denkt Euch einen Kilometer weiter nach oben und dann stellt Euch vor, dass da Massen an Miniatur-Schwebfliegen auf dem Weg in den südlichen Sommer mit Rückenwind cruisen.

Weiterlesen


In unserem Garten seltener, aber auf ihre Art ähnlich eindrucksvoll: die Hornissenschwebfliege.

Das ultimative Buch zu den Schwebfliegen: Kurt Kormann: Schwebfliegen und Blasenkopffliegen Mitteleuropas. Fauna Verlag, Nottuln 2003, ISBN 3-935980-29-9.


Schöner Blogpost, allein weil er auch das Blasenkopffliegenkopf zitiert: Schwebfliegen in unserem Garten

Echte Hornissen flogen in unserem Garten: Grabwespe und Hornisse.

Die Heinz-Sielmann-Stiftung weiß mehr zur Larve: Nützlicher Blattlausvertilger: Die Hain-Schwebfliege

Alles zum Thema Kleintiere in unseren Garten: Kleintierzoo – die Sammlung.

Anmerkungen


Für die Interessierten: Schwarzwald Gin, Gin Mare und Ungava an Fever Tree.


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