Freitag, 6. Juli 2018

Nanas Hannover zu Fuß?

Die Nanas in Hannovers Innenstadt lassen sich zu Fuß erreichen. Aber ist dieser Ausflug sinnvoll?

Kann man die Nanas in Hannovers Innenstadt zu Fuß erreichen? Die Frage wird manchem Besucher der Hannoveraner Altstadt absurd erscheinen: schließlich findet der halbe Flohmarkt der Stadt um die Nanas herum statt. Mir aber stellte sie sich: kannte ich die Nanas doch nur vom  Rücksitz eines fahrenden Autos aus am anderen Ende einer sechsspurigen Straße – im Anderen, geradezu exotisch fremdelnden Teil Hannovers. 

Ein Fluss, die Leine, floss bei den Nanas: Fluss und sechsspurige Straße und irgendwo in der Mitte drei große Skulpturen. Ist es möglich, zu Fuß all‘ diese Hindernisse zu überwinden?

Hinten rechts. Am anderen Ende der Welt. Bild: Leibnizufer Von: AxelHH. Public Domain.


Kann der Besucher vordringen zu diesen Skulpturen, in einer Stadt, die gemeinhin als Paradebeispiel für autogerechtes Baues gilt?




Hannovers Süden – existiert er?


Oft hatte ich die Nanas gesehen, aber keinerlei Idee, ob und wie sie nun erreichbar waren. Die Nanas liegen südlich der Innenstadt. Der Kaptain – meistens fuhr sie – und ich kamen aus dem nördlichen Teil – von Langenhagen herunter die Vahrenwalder Straße entlang, an der Continental-Autoreifen-Fabrik vorbei  und in das Raschplatzparkhaus. Hannover war für mich der Norden der Stadt: Raschplatz, Bahnhof, Kröpcke, Karstadt, Horten und Kaufhof und am wichtigsten: Schmorl und von Seefeld, die Buchhandlung. An einer Seitenstraße lag der Gyros-Stand.

Exotische Ausflüge führten später zum Cinemaxx am Raschplatz oder zu einem der zahlreichen Schuhkartonkinos. hf leipzig warf gerne bei der Post am Bahnhof und ihrem Autobriefkasten dringende Post ein.  Er drehte eine Runde zu Bratwurstglöckle für seine Stammbestellung: reichlich Nürnberger Rostbratwürste.

Weiter hinten folgte dann die Altstadt: enge, unübersichtliche Straße, keine Geschäfte und betrunkene Erwachsene. Die Nanas standen und stehen noch hinter dieser Altstadt und damit in einer Ferne, die ich weder erreichen konnte noch wollte.

Die Nanas sehen bedeutete für mich Exotik, Ausflüge in die Ferne: vielleicht zum Maschsee,
vielleicht zu 96 ins Stadion – ihre bunte, poppige Präsenz verhieß das Abenteuer, das sie aus der Ferne begleiteten.


Die Nanas


Die Nanas sind drei Skulpturen von Niki de Saint Phalle am Rande der Hannoveraner Innenstadt. Drei Popart-Figuren, geschätzt mehr als drei Meter hoch und ähnlich breit. Sie sind in sich gekurvt und gerundet, scheinbar aus vielerlei Kugeln zusammengesetzt, die dann ineinanderschmolzen. Alles ist bunt bemalt, also so schön bunt wie es in Europa nur die späten sechziger und frühen siebziger Jahre hinbekamen. Die Nanas sollen weibliche Figuren darstellen, was sich je nach Nana mal besser und mal schlechter nachvollziehen lässt.

Zwei von drei Nanas in Hannover. Bild: Plastiken "Nanas" von Nike de Saint Phalle (1930 - 2002) am Leibnizufer in Hannover. Die Plastiken sind Teil von Hannovers Skuplturenmeile. Von: ChristianSchd Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

De Saint Phalle stellte Nanas an vielen Orten auf – vor allem Museen, aber auch im Zürcher Bahnhof hängt eine. An keinem Ort jedoch wurde diese Figuren so sehr von den Bürgern adoptiert und als Wahrzeichen der ganzen Stadt angenommen wie in Hannover.

In die Innenstadt kamen die Figuren im Rahmen eines „unsere Stadt soll interessanter werden“-Programms der 1970er, um dem „steifen, beamtenhaften Image“ der Stadt entgegenzuwirken – nicht, ohne dass die steifen Beamten sich sehr aufregten. Die steiften Beamten tobten so sehr, wie steife Beamte toben können - aber sie hatten keinen Erfolg. Die Nanas blieben, Hannover liebte sie, mittlerweile wurde Niki de Saint Phalle zur Ehrenbürgerin der Stadt. Eine prominente Innenstadtstraße bekam ihren Namen und dafür stiftete sie dem Sprengel-Museum größere Teile ihres Nachlasses.


Autogerechte Stadt


Auch wenn mir die Nanas stets so vorkamen, als wären sie am anderen Ende gleich zweier breiter Flüsse, ein Weg zu Fuß zu ihnen, schien wahrscheinlich.

Denn dies muss man der autogerechten Stadt Hannover zugutehalten  Sie sieht Platz für Fußgänger vor. Hannover stellt geradezu das Gegenbeispiel zur „Begegnungszone mit ihren Tücken: sie setzt nicht darauf, dass der stärkste, das Auto, sich von alleine zurückhält und Rücksicht nimmt. Sie trennt Verkehrsströme.

Bereits Ende der 70er setzte Niedersachsen auf modernste Verkehrskonzepte.


Damit sichert sie dem Auto freie Fahrt, aber natürlich auch Radfahrern und Fußgängern Leib und Leben. Hannover verkörpert keine ideale Stadt, was den Verkehr angeht, aber in angenehmer Weise das Gegenteil von Berlin. Wo Berlin einfach alles  an Verkehr zusammenwirft und dann auf ein Überleben des Stärkeren hofft, trennt Hannover sorgsam.

Die Fußwege und die Radwege sind breit und gut gesichert. Oftmals sind sie so gründlich von den Autos getrennt, dass eine physische Gefahr für Fußgänger und Radler nicht mehr möglich ist. Autogerechte Stadt bedeutete z auch, dass Hannover schon sehr früh eine Fußgängerzone hatte und laut Wikipedia immer noch die „größte zusammenhänge Fußgängerzone Europas“ aufweist. 


Berlin, Hannover


Was staunte ich als ich das erste Mal in Berlin war, und der dortige Ku'Damm, die Haupteinkaufsstraße, echten Straßenverkehr hatte. Was staune ich immer noch, wenn ich in Berlin bin und sowohl Kurfürstendamm, Kantstraße und Tauentzien, Schloßstraße in Steglitz, Akazienstraße in Schöneberg Durchgangsverkehr haben. Wer je auf die Idee kam, Tauentzien oder Straße des 17. Juni als Durchgangsstraßen zu behalten, muss wahnsinnig gewesen sein.

Einzig beim Alexanderplatz und Wilmersdorfer Straße könnte man von einer Art Fußgängerzone reden – aber von deren städtebaulichen Problemen will ich gar nicht erst anfangen. Zum Glück sozialisierte mich Berlin nicht. Niemals würde ich auf den irren Gedanken kommen, dass etwas in Berlin „normal“ sein könnte.

Mich sozialisierte Hannover. Es gewöhnte mich an breite Straßen, viel Blick zum Himmel, breite Fußwege und Radwege, große Areale der Kernstadt, die sich nur um an besten zu Fuß erkunden ließen, und immer mal wieder Popart im Stadtbild. Denn die Nanas waren nur eines von zahlreichen Kunstwerken im öffentlichen Raum, die Hannover zu bieten hatte und zu bieten hat.


Weitere Exkursionen


Die Nanas und ich verloren uns dann aus den Augen. Irgendwann erweiterte ich meinen Raum in der Stadt – ging nach Linden/ Limmer in die Kneipen, fuhr zum Schwarzen Bären zum Rollenspielladen und entdecke dann auch die Programmkinos in der Innenstadt.

Das UJZ Kornstraße wurde ein Ort für mich ebenso wie das Café Glocksee und Abende am Mittellandkanal. Zu Fuß gab es keinen Grund mehr zu den Nanas zu gehen. Die Altstadt war alles, aber nicht „mein“ Hannover. Die Straßen waren dort enger, der Himmel weit weg und statt bunter Popart gab es dunkles Holz. Und immer noch liefen dort betrunkene Erwachsene durch die Gegend.


Nanas zu Fuß sinnvoll?


Nun vergaß ich die Nanas über Jahrzehnte vollkommen. Bis Madame und mich die Räder wieder einmal nach Hannover lenkten. Schnell stellte ich fest: was zu Zeiten meiner Geburt ein Aufreger gewesen war, zu Zeiten meiner Jugend dann einfach eine schicke Abwechslung im Stadtbild, hatte sich mittlerweile danke Stadtmarketing und Social Media zum einem gehypten Wahrzeichen der Stadt entwickelt.



Da standen nicht einfach drei peppige Figuren am Rande der Innenstadt, sondern da war etwas das Hannover symbolisierte. Hannover, im Bilde seiner Bewohner, ist im Jahre 2018 sehr bunt und ziemlich rundlich. Ein bisschen schrill ist es vielleicht auch noch, aber nur so schrill wie etwas nach fast 50 Jahren Gewöhnung noch sein kann.

Was zur Folgefrage führt: gibt es einen Grund, zu Fuß zu den Nanas zu gehen? Drei-Meter-Skulpturen wirken meist besser aus der Ferne. Der Rand einer Hauptverkehrsstraße ist gemeinhin kein lohnendes Ausflugsziel. Die Innenstadt und die Altstadt liegen auf dem anderen Ufer der Leine. Die Nanas zu Fuß erkunden ist möglich. Aber ist es auch sinnvoll?

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Anscheinend gibt es nur einen aktuellen Roman zu Hannover, der über die Stadt hinaus Interesse weckt: Hool von Philip Winkler. Ohne Nanas, ohne Bratwurstglöckle. Aber immrhin mit 96.



Meine Kurzerinnerungsauffrischung als Buch: 66 Tage Hannover. Überraschend lesenswert.

Mehr zu Langenhagen: Kleinstadt-Antifa 1994. Und wo ich schon bei Niedersachsen bin, auch mehr zu Braunschweig: Wiki Loves Jules Verne in Braunschweig.

Was man mit hf leipzig noch so erleben konnte: Ostern? Hase? Tradition?

Zuletzt war ich 2011 in der Stadt. Bei einer insgesamt eher seltsamen Mitgliederkonferenz von Wikimedia Deutschland.

Ein zeitgenössischer Zeit-Zeitungsartikel zu den Nanas von 1974: Schöner durch Nana

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