In kurzer Zeit war ich so nass wie nie zuvor als ich angezogen war. Ich fiel als Kind einst angezogen in einen See und kletterte dann wieder hinaus. Selbst dort war ich nicht tiefendurchnässt. Wäsche frisch und ungeschleudert aus der Waschmaschine ist nicht so nass, wie die Sachen, die ich an diesem 29. Juni 2017 trug.
Unser Schlafzimmer war nicht mehr benutzbar, da das Wasser durch die Decke genau auf das Bett herunterlief. Das Warmwasser fiel aus, da der Warmwasserkessel im Keller stand - und absoff. Das Dorf Leegebruch stand wochenlang komplett unter Wasser - ebenso wie im ganzen Ländchen Glien tiefer gelegene Wiesen, Weiden, Äcker, Parkplätze und schlecht abgedichtete Keller.
Unsere Datschennachbarin Paulina verbrachte Monate damit ihre – unterkellerte – Datscha wieder auszugraben, abzupumpen und einmal ein komplett neue Drainage und Versiegelung einzulegen. Nie wieder wollte sie einen See im Keller haben.
Seen und Flüsse waren über längere Zeit nicht beschwimmbar, da die Wassermassen allen Unrat mitrissen der auf und an der Straße lag. Berlin leitet dank Mischkanalisation bei solchen Ereignissen seine Abwässer teilweise ungeklärt in die Flüsse, Spree und Havel und alles was flussabwärts von ihnen lag, bekamen eine volle Ladung ungeklärter Berliner Abwässer mit.
Auf dem Acker hinter unserer Datsche konnte das Feld nicht abgeerntet werden - bei allen Versuchen das gesamte Jahr über versanken die Landmaschinen rettungslos im Schlamm. Da, wo hinter unserem Zaun normalerweise ein Rapsfeld ist, entwickelte sich 2017 eine Seen – und Tümpellandschaft, die sich zum großen Paradies für Stechmücken aller Art entwickelte.
Die Seenlandschaft blieb erhalten - auch 2018 war keine Aussaat möglich, die sich im Laufe des trockenen 2018 dann in ein Feuchtbiotop mit Fröschen und Kranichen und schließlich in ein Kamillenfeld wandelte. Unser eigener Garten - eigentlich eher in Richtung Trockensteppe tendierend - zeigte einmal, dass Lehmboden nicht nur trocken und betonhart sein kann, sondern sich bei ausreichender Feuchtigkeit auch in ein Matsch-Plantsch-Paradies entwickelt.
Er hält diese Feuchtigkeit sehr lange. Die Rosen, sonst am ehestem vom Verdursten bedroht, wurden im feuchten Milieu vom Sternrußtau befallen – einem Pilz, der Rosenblätter eher schwarz färbt und dann auflöst. Zum Teil haben sie sich bis heute nicht davon erholt.
2017 war alles anders als sonst. Wetterrekorde wurden hier gebrochen, und eine ganze Natur, die sich auf trockene Sommer eingestellt hatte, musste damit klar kommen, im Semisumpf zu leben.
Es begann mit einem Irrtum
Es nieselte. Soweit hatte ich es erwartet. Meine großartige und allwissende Handy-App hatte für den Abend einen größeren Regen vorhergesagt. Aber noch begann die Berliner Rushhour sich erst zu entwickeln. Noch stromerten die Schülerinnen nach der Schule durch das Einkaufszentrum. Noch war Nachmittag, bis zum angekündigten Regen am Abend waren noch einige Stunden Zeit.
Ich, im T-Shirt unterwegs, dachte, muss ich mich ja nicht sofort nach Hause stürzen, sondern kann noch kurz zu Edeka in den Tempelhofer Hafen, ein paar Lakritz und einen Liter Heumilch kaufen. So bummelte ich also dort entlang, schaute mäßig interessiert in die Auslage bei Nanu Nana und sah aus der Ferne einen gestressten Kollegen aus der Sparkasse stürmen.
Ich staunte einmal mehr in wie vielen Geschmacksrichtungen man "Joghurt mit viel Zucker" verpacken kann, studierte die Zeitschriftenauslage und fuhr gemächlich die Rolltreppe wieder hoch. Tja, und durch den breiten Eingang des Einkaufszentrums sah ich kaum nach draußen - so sehr drängten sich die Menschen, die nicht in diese sturzbachartigen Badewannenfluten gehen wollten. Da kam mehr Wasser über dem Tempelhofer Süden aus den Wolken als aus alles Wassersparduschen Deutschlands zusammen.
Die Gullis begannen nach wenigen Minuten an ihre Kapazitätsgrenzen zu erreichen. Und die zwei mutigen Menschen, die versuchten, mit dem Regenschirm gegen den Sturzbach anzukommen, wirkten so erfolgreich, als hätten sie versucht mit einem Regenschirm eine wütende Rinderherde aufzuhalten.
"Hallo Handy-App! Du hast gesagt, ich habe noch drei Stunden vor dem großen Regen!" Die App sagte nur, dass es zur Zeit leicht nieselte und es nachher aber richtig und mehrere Stunden lang regnen würde.
Die Menschen neben mir diskutierten derweil ob Motorradhelme ausreichend gegen diesen Regen schützten und ob man Longboards wohl als Surfbretter umrüsten könnte. Nun ja, es hörte nicht auf. Ich schwang mich auf das Fahrrad und erlebte die nassesten 20 Minuten meines Lebens.
Zu Hause dann setzte ich erst unfreiwillig das Treppenhaus unter Wasser, da der Regen aus meinen Sachen herausströmte. Und dann folgten. Flur und die Badewanne in die ich meine nassen Sachen entsorgte - also NASS - wie in "sehr viel nasser als direkt aus der Waschmaschine."
Nass. |
Der Versuch einer heißen Dusche schlug fehl, der Warmwasserkessel war bereits abgesoffen. Zumal ich dann schnell damit beschäftigt war, das Bett und das Schlafzimmer vor dem Wasser zu retten, das aus der Decke kam.
Anderswo
Es war der 29. Juni 2017. Der Sommer war bis dahin eher heiß und trocken gewesen. Abkühlung und Regen - auch größerer Regen - schienen erholsam zu sein. Im Nordwesten Berlins begann es gegen 15 Uhr, dann hörten die Sturzbäche nicht mehr auf. In Berlin liefen Unterführungen, Straßen unter Brücken und Keller voll. In Oranienburg wurden hunderte Autokennzeichen bei der Polizei abgegeben, die sich in den Fluten von Autos abgelöst hatten und irgendwo angeschwemmt wurden. In mehreren Orten platzten Wasserleitungen, in Leegebruch zum Beispiel wurde das Wasser aus den Abwasserrohren zurück in die Häuser gedrückt.
Neben dem Regen, der heftiger war, als alles was historische Aufzeichnungen hergaben, war die Menschheit auch nicht mehr darauf eingestellt. Brandenburg nordwestlich Berlins hat eigentlich ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem, das das sumpfige Tal der Havel erst in landwirtschaftlich genutztes Land verwandelte. So richtig wurde dies in den letzten trockenen Jahren kaum mehr beansprucht. Die Entwässerungskanäle waren in einem schlechten Zustand. Teilweise war vollkommen unklar, wer dafür zuständig war, welches Wehr zu öffnen und wie die Kanäle und Entwässerungssysteme miteinander zusammenhingen. Der Regen an sich war katastrophal - mangelnde Vorbereitung allerdings verschlimmerte das ganze noch.
Was wurde
Im Sommer 2018, nach einer Periode außergewöhnlicher Trockenheit und großer Hitze. Die Seen im Landkreis sind verschwunden - also außer den Seen, die immer da sind. Der Boden wirkt oberflächlich knochentrocken, aber bereits bei einem halben Meter beginnt der Feuchtehorizont.
Ganz neue Bewohner tauchten in unserer üblichen Trockensteppe auf. |
Die meisten länger hier ansässigen Pflanzen scheinen tief genug zu wurzeln, um bis Mitte Juli hinein noch an Wasser zu kommen. Die Feldfrüchte, moderne Sorten mit kurzen Wurzeln, stehen schlecht da und müssen teils notgeerntet werden. Das Kranichpaar, das beschloss in diesem wunderbaren Feuchtbiotop den Sommer zu verbringen, schlägt sich tapfer. Der Sternrußtau an den Rosen, den uns die Dauerfeuchte brachte, ging zurück, möchte aber vorerst bleiben.
Der Tümpel hinter dem Gartenzaun (ex-Acker) |
Und ich denke, dass "zunehmende Extremereignisse" eine der Vorhersagen für den Klimawandel waren - ein großer Regen 2017 gefolgt von Trockenheit mit absurd hohen Temperaturen, fällt da wohl hinein.
Und es regnete und regnete. Bis in den Herbst hinein. |
Jetzt also haben wir, nur mal gemessen an unserem Lehmboden, etwa einen halben Meter betonharten Trockenboden und darunter steht immer noch das Wasser. Alle Schnecken des Grundstücks sind in die eine Grube gezogen, die noch feucht ist. Regelmäßig erklingen die Sirenen, vermutlich weil die Feuerwehr wieder zu einem Waldbrand ausrücken muss - noch sind diese zum Glück nur kleiner. An unseren Pflanzen sehen wir gut wer seine Wurzeln in der Tiefe verankert hat und wer eher flach wurzelt.
Nachbarin Paulina erzählte uns, dass erstmals ihre vier 300-Liter-Regentonnen alle leer sind und sie sich einen Gartenwasserhahn anlegen wird. Der Mühlensee in der Nähe, hat sich bereits mehrere Meter vom Ufer zurückgezogen.
Und dann war der noch der Sturm im Herbst 2017. Die Bäume, die er entwurzelte, hatten einige Jahrzehnte Brandenburger Wetter ertragen. |
Extremwetter 2017 und 2018.
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Schon 2011 gingen dramatische Regenschauer hernieder. Wenn auch mit weniger gravierenden Folgen: Traktorfreitag. Rain Out.
Auch 2017. Auch Regen. An der Bushaltestelle. Sara + Gina = BFF💓💓💓
Alles zum Geschehen in und um die Datsche – Kleintierzoo. Die Sammlung.
Wunderbar geschrieben, danke!
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