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Montag, 18. Juni 2018

Go-go-Musik in Washington, D.C.

Die Boombox boomt. In ihr tönt eine Musikkassette durch das Stadtviertel: eine schlechte Aufnahme mit obligatorischem Rauschen und doch kein Grund den Rekorder nicht noch lauter zu stellen: Drums, Congas, eine Art Freestyle Rap. Rhythm, rhythm, rhythm. Going on and on. So tönte es in den 1980ern und 1990ern durch Washington, D.C. Während sich in der Stadt harDCore entwickelte und in New York City Hip Hop groß wurde, schuf Washingtons Black Community ihre ganz eigene Musik: wie Hip Hop oder Funk oder Synthiepop, nur mit Congas und einer ewig spielenden Percussion. Go-go, Music that is going and going and going.


Graffitto von Cool "Disco! Dan, dem Urgestein der eng mit Go-Go verbundenen Washington-Graffitti-Szene. Bild: Example of the Cool Disco Dan tag. Von: Luc1972 at English Wikipedia Lizenz:  Public Domain. 


Musik geprägt durch einen fast hypnotischen, auf jeden Fall groovigen Groove. Und doch sind diese Sounds aus der Boombox nur ein schwacher Abklatsch dessen, was diese Musik live ausmacht. Go-go ist Livemusik: Funk-Soul-Techno-Rap mit Congas. Entstanden in Washington, D.C. und meine musikalische (Spät-)Entdeckung des Jahres.

Musiktexte sollten am besten mit einer musikalischen Untermalung gelesen werden. Deshalb gleich für den Anfang ein Video, worum es geht:



Es begann mit einer Schlachteplatte




Es begann mit einer Schlachtplatte. Diese führte mich dann über komplizierte Wege zum Vegan Straight Edge - einer Subnische des Punk - und zur Hardcore-Punk-Szene in Washington, D.C. Dort drohte der Weg zu enden – zu viele offene Fragen blieben, zu sehr schien der Weg zu verschwimmen.

Ich versuchte mit Hilfe der Berliner Bibliotheken die Fährte wieder aufzunehmen. Nach Lektüre der beiden dort befindlichen Bücher zum Thema „Szene im 80er-Jahre Washington, D.C.“ habe ich immer noch viele offene Fragen zum Thema Vegan Straight Edge. Auch habe ich den Eindruck, dass Vieles was ich über Straight Edge zu glauben wissen, falsch, war. Vor allem aber: es interessiert mich nicht mehr so sehr. Viel mehr frage ich mich: wie konnte ich Go-go verpassen?

Go-go: Die Musik des Schwarzen Washingtons. Die Musik, die die Stadt beherrschte und immer noch präsent ist, die Stadt Washington, D.C. aber nie wirklich verlassen hat. Eine Musik zwischen Funk und frühem Hip-Hop. Percussion kennzeichnet die Musik. Percussion lässt die Musik gehen und gehen lässt (Go and Go) – nicht unähnlich den ewig durchlaufenden Beats, die Techno popularisierte. Im Go-go gab es noch einzelne Songs. Diese können aber um die 10 Minuten lang sein, wobei der ganze Vordergrund aus Gesang und Melodie vor allem von der Percussion zusammengehalten wurde. Die Musik läuft und läuft und läuft.

Go-go war neben harDCore die andere Szene im 1980er Washington, D.C. Diejenige Szene, die wie man sich unschwer überzeugen kann, musikalisch sehr viel spannender als harDCore war, und auf so eine Art mindestens so sehr den Punk-Idealen entsprach wie Punk selbst.

Ein Konzert


Es war ein Freitag der 23. im Lansburgh Center in Washington DC.  Minor Threat eröffnete für Trouble Funk. Die großen Minor Threat, die Band, die eine weltweite Szene begründete und bis heute der Maßstab für Hardcore und Straight Edge ist, trat als Vorband auf. Unbestrittener Hauptact war Trouble Funk, eine Band, deren Fans nur in D.C. lebten. Aber dort fand ja das Konzert statt. In D.C. dominierte Go-go.

Wobei es außergewöhnlich war, dass beide Szenen überhaupt zusammentrafen. Stammte harDCore doch aus dem weißen Mittelschicht-Nordwesten der Stadt, Go-go aus dem Schwarzen inneren Bereich der Stadt und dem ärmeren Süden. Die Punks nahmen Go-go war, spielten es oft bei eigenen Konzerten bei Pausen über die Anlage und besuchten gelegentlich Go-go-Konzerte. Umgekehrt interessierte sich Go-go kaum für harDCore. Die Zusammenarbeit war selten und ging meist auf persönliches Engagement weniger Personen wie Dischord Records oder Positive Force zurück.

Chocolate City


Go-go war Chocolate City. Chocolate City, ein Begriff geprägt von den DJs der Radiosender in Washington und US-weit bekannt gemacht durch George Clintons gleichnamigen Hit. Washington hatte eine Bevölkerung, die überwiegend schwarz war(*). In den 1970ern betrug der Bevölkerungsanteil der Schwarzen fast Dreiviertel der Einwohner – womit die Stadt eine Ausnahme in den USA bildete. Sie waren der eigentliche Kern der Stadt. Oft losgelöst von der Parallelwelt um Kongress, Weißes Haus und Lobbyfirmen, die ihre eigene Blase bewohnten, wenig mit der Stadt an sich zu tun hatten.

Was ist Go-go?


Go-go ist Partymusik, die andauert und andauert. It keeps GOing and GOing. Die Party endet niemals. Entstanden kurz bevor Techno das Konzept des ewig laufenden Beats im Club vervollkommnete, hatte Go-go dieselbe Idee: einen Beat, der immer durchläuft. Gebildet von mehreren Percussion-Spielern, deren funkiger Beat das Rückgrat bildet, auf dem sich dann Bläser, Sänger, Gitarristen, Rapper und andere austoben können. Dabei bildet oft ein Schlagzeug die Basis, auf der Congas, Rototoms und Kuhglocken Ornamente spielen.

Während diese Beat Section bei allen Bands der Zeit ähnlich war, gestaltete sich die Oberfläche der Sounds vielfältiger. Rare Essence (die Band am Anfang des Videos oben) war stark vom New Yorker Rap der Zeit beeinflusst, E.U. (Experience Unlimited)  ließen Space-Synthesizern freien Lauf, Chuck Brown war noch dem rockigen 70er-Jahre Funk verhaftet.

Dabei spielte die Interaktion mit dem Publikum, das Call-and-Response, das Aufgreifen im Text von Plakaten die hochgehalten wurden, Erwähnung von Leuten, eine bedeutende Rolle. Viele der etablierten Slogans, die die Bands von sich gaben, stammten ursprünglich aus dem Publikum. Die Musiker standen zwar auf der Bühne. Aber alle Anwesenden hatten den Eindruck, dass es sich um eine große Go-Go-Familie handelte, zu der alle gehörten.

Go-go bringt alle Qualitäten mit, die Livemusik auszeichnet und sorgte so für stundenlange Parties. Gebannt auf Tonträger allerdings geht viel verloren. Selbst das Video weiter oben kann wohl nur einen schwachen Abglanz dessen geben, was auf Go-go Konzerten wirklich los war. Professionell eingespielte Studioaufnahmen entfernen sich dann noch viel weiter von diesem Maßstab.

Junkyard Band


Typisch für die Szene und vielleicht das beste Zeugnis ihrer selbst war die Junkyard Band. Eine Gruppe 8- bis 13 jährigen Jungs aus den Barry Farms, sozialer Wohnungsbau in Washington D.C bildete diese. Die Jungs trafen sich unter dem Baum in den Barry Farms und spielten mit dem was sich als Trommel improvisieren ließ. In kurzer Zeit kamen sie dann auf die Bühnen, immer noch ewig jung, und gehören mit einem zeitweisen Vertrag bei Def Jam so den wenigen Go-Go-Bands, die zumindest kurzzeitig auch außerhalb Washingtons Erfolg hatten. Kleine Jungs, die einfach mal machen. Die sich zusammenfinden, weil sie Fans sind und nicht darauf warten wollen, bis Gatekeeper sie aufnehmen. Dazu noch ein Projekt im letzten Hinterhof, wo die Gesellschaft schon gar nicht mehr hinsehen will: die treffen sich einfach, hauen auf Kochtöpfe ein und bilden damit eine erfolgreiche Band. Mehr Punk geht nicht.

Zur Junkyard Band fand ich dann aber auch die Zeitungsmeldung, die exemplarisch den Absturz der ganzen Go-go Szene einige Jahre später zeigte:

A drummer for a popular go-go band was shot to death late Tuesday as he stood with a group of friends on a street in the Barry Farms housing complex in Southeast Washington, authorities said.

Willie Irving Gaston Jr., 24, the bass drummer for the Junkyard Band, was shot about 10:40 p.m., when several gunmen approached the group. Police said they had no suspects and have found no motive for the killing. [...]

On Tuesday night, police said, several gunmen jumped from a car in an alley behind the 1200 block of Eaton Road SE and approached Gaston and his friends from behind. The attackers began firing semiautomatic weapons. Residents reported hearing at least 30 rapid-fire rounds; one woman said she heard shouting. At least two other members of the band were in the group that was fired on, acquaintances said.

Murder Capital


Denn es waren die 1980er. Die Regierung Reagan kürzte Gelder für soziale Hilfe, Hilfe für Obdachlose und gegen die Behandlung psychischer Krankheiten. Innerhalb weniger Jahre breitete sich das Elend der Inner Cities aus und erfasste weitere Bevölkerungsschichten. Von anderer Seite, aber ursächlich eng verbunden, kam Crack.

Crack, gekochtes und gestrecktes Kokain fiel in den 1980ern in Washington ein. Den Berichten der User nach bekamen diese beim ersten Versuch bereits nach wenigen Sekunden das beste High ihres Lebens, das aber nur einige Minuten andauerte. Und danach wollten Sie es dann noch mal erreichen.

Die Wirkung von Crack dauert nur wenige Minuten an, scheint aber selbst für eine illegale Droge ungewöhnlich intensiv. Eine Dosis ist billig, allerdings kann man auch im 10-Minuten-Takt Crack wegrauchen. Um Wikipedia zu zitieren: „Crack ist die Droge mit dem höchsten Abhängigkeitspotenzial, gefolgt von Nikotin und Heroin. [6][7][8]“

Crack zerstörte Familien, Gruppen, persönliche Beziehungen, alle Zeitzeugen beschreiben es als Epidemie. Was vorher eine Mischung aus Nachbarschaftsstreit, Jugendgruppen und Boxkämpfen, entwickelte sich in wenigen Jahren zur bewaffneten Auseinandersetzung um Drogenprofite zwischen organisierten Gangs.

Go-go-Konzerte, wo sich das ganze schwarze Washington traf, waren ein beliebter Austragungsort für diese Auseinandersetzungen – waren dies doch die Termine an denen verschiedene Gangs aus verschiedenen Stadtvierteln aufeinandertrafen. Auch wenn die Bands selber weiter friedliche Party-Musik machen wollten, kam es immer wieder zu Schießereien am Rande von Konzerten.

Teilweise gerieten einzelne Bandmitglieder auch selber in die Drogenszene. Andere trauten sich bald nicht mehr zu Konzerten zu gehen oder wollten nicht den Anlass bieten, an dem es zu Gang-Auseinandersetzungen kam. Gewalt stoppte die Szene für einige Jahre nachhaltig.

Was daraus wurde


Go-go existiert heute noch. Einige der großen alten Bands treten mittlerweile als Old School Bands auf, das Publikum bestehend aus alten Männern, aber auch Jugendlichen. Washington selbst hat weiterhin eine Go-Go-Szene. Der Stil entwickelte sich zu Big Bounce weiter, ist aber immer noch band- und DJ-lastig, von Percussion geprägt, integriert aber auch Technobeats und noch mehr Hip Hop als ehedem.

Trotzdem. Crack hat vieles in der Szene zerstört, was nie wieder kam. Das Ende der Chocolate City riss Teile der Schwarzen Kultur mit sich. Der Shaw District, einst das Zentrum von Go-go gilt als der Stadtteil in den USA, der in den letzten Jahren am Weißesten geworden ist. Statt alter Clubs stehen hier nun Fitnessstudios und Bio-Supermärkte in einem Viertel, das sich die meisten Go-go-Anhänger nicht mehr leisten können. Go-go existiert noch, aber es hat viel an Schwung verloren.

Im Buch Pump Me Up stand es: Hardcore und Go-go: zwei Szenen, die direkt nebeneinander existierten und zu ihrer vitalsten Zeit kaum etwas miteinander zu tun hatten. Jetzt vereinigt durch eine gemeinsame Erinnerung an Geschichte und dem Weg zur musealen Kanonisierung. Und doch scheinen beide Szenen noch zu leben. Hardcore weltweit, Go-go in Washington. Grund, mal wieder auf ein Konzert zu gehen.

Wobei die Musealisierung und das Aufgreifen durch einen kulturellen Mainstream auch ihre Vorteile haben. Zum Beispiel dieses Tiny Desk Konzert(*)



Weiterlesen



Startpunkt und unerlässliche Quelle: das Buch Pump Me Up. Das Buch zur Ausstellung zum Film zum Graffiti-Sprayer. Es begann mit Cool „Disco“ Dan, einer Legende des frühen Washington-Graffitis. Zu diesem entstand ein Film „The Legend of Cool Disco Dan“ und diesem wiederum eine Ausstellung. Das Buch nun wiederum ist der Katalog zur Ausstellung und bietet einen umfassenden Überblick über alles, was in Washingtons Sub- und Popkultur aktiv war.

Noch ein Videolink: ein 1980er deutscher Fernsehbeitrag (nicht gekennzeichnet, aber ich habe den Weltspiegel im Verdacht – faszinierend für den deutschen Kommentar, aber auch dafür, dass es hier mal Go Go Live aufgenommen mit einer professionellen Soundtechnik gibt.)

Und noch ein schönes Video: Justin Timberlake beim Konzert on Washington, D.C., der dem Anlass entsprechend auch Go Go spielt.

Alle Iberty-Posts zum Thema Musik befinden sich unter Kultur in Iberty - eine Übersicht.

 

Anmerkungen


(*) Mittlerweile hat sich das geändert. Vor allem durch Zuzug und Gentrifizierung ist Washington, D.C. eine der wenigen Städte der USA in der in den letzten Jahren der Anteil der Weißen stetig stieg und 2011 sank der Anteil Schwarzer Amerikaner erstmals unter 50%.

(**)Die Tiny Desk Concerts sind nette kleine Konzerte, veranstaltet durch den öffentlichen amerikanischen Radiosender NPR, spannender Bands verschiedener musikalischer Richtung. Auf ihre Art gemütlich, musikalisch oft überraschend und vor allem durch die Vielfältigkeit glänzend. In einem netten Loop der Geschichte gehen Sie zurück auf die Band „Tiny Desk Unit“, die wiederum fester Bestandteil der DC-Hardcore-Szene war.


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