Oh du Brandenburger Adler
(Teil 1)
Manchmal sitzen Madame und ich in unserer Datsche und schauen nach dem kreisenden Rotmilan. Wir freuen uns an den Erd- und Ackerhummeln, die auf dem Lavendel wippen, und hören im Hintergrund den durchdringenden Sound der röhrenden Motorräder auf der Speedwaybahn.
Rotmilan; manchmal als Roter Adler bezeichnet. |
Nicht weit weg von Erdhummeln und Rotmilan, in Wolfslake, hat einer der zehn Klubs der deutschen Motorrad-Speedway-Bundesliga sein zu Hause gefunden. Dort liegt die Speedway-Sandbahn, umgeben von Erdwällen auf denen die Besucher stehen. Das Parken erfolgt auf der Wiese. Auf der Bahn finden im Jahr knapp zehn Wettkämpfe statt.
Speedwaybahn Wolfslake |
An ebenjenem Speedway-Stadion führt der Gustav-Büchsenschütz-Weg vorbei. Er beginnt am Stadion in Wolfslake, geht einige Kilometer durch den Wald und die Siedlung Neu-Vehlefanz, bis hin zum Gemüsefeld, wo wir frischen Blumenkohl vom Feld schneiden. Man kann sagen: dank des Gemüsefeldes sind wir regelmäßige Gustav-Büchsenschütz-Weg-Fahrer. Das aufregendste, was uns auf der Straße je passierte, war die Sichtung einer Ringelnatter, die auf dem Asphalt lag.
Gemüseeinkauf frisch vom Feld geerntet |
Wären wir hingegen vor 16 Jahren diesen Weg entlang gefahren, hätten wir einem echten Event beiwohnen können. 2002 trafen sich am Gustav-Büchsenschütz-Weg, der damals noch nicht Gustav-Büchsenschütz-Weg hieß der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe, Fernsehteams, Teile der Brandenburger Landesprominenz und Journalisten, um eine Tafel zu enthüllen:
"Hier im Krämerwald, in der ehemaligen Jugendherberge Neu-Vehlefanz, hat Gustav Büchsenschütz im Jahre 1923 das Lied ‚Märkische Heide, märkischer Sand' gedichtet und komponiert."
Im Krämer Wald (2017) |
Nicht-Brandenburger werden das Lied nicht kennen. Brandenburger kennen es vielleicht. Die Märkische Heide ist die inoffizielle Hymne des Landes Brandenburg.
Dort wo unsere Datsche liegt, da ist die Mark so märkisch wie sie nur sein kann. Dort breitet sich nicht die Uckermark aus, erst recht nicht die Lausitz, kein Fläming, da liegt einfach nur die Mark.
Hier entstand die inoffizielle Landeshymne Brandenburgs. Hier im Wald steht der Gedenkstein und liegt seit einigen Jahren der Gustav-Büchsenschütz-Weg. Brandenburg as Brandenburg can be. Und so simpel das Lied, textlich wie musikalisch ist, so komplex wird es, schaut man in die Geschichte der Fast-Hymne.
Er lebt!
Nachdem ich mich gefragt hatte, warum in Neu-Vehlefanz der Hymnen-Gedenkstein steht, und wer Gustav Büchsenschütz war, machte ich meine überraschendste Entdeckung: Gustav Büchsenschütz lebt! Oder er lebt seit 1996 nicht mehr. Aber bis vor kurzem lebte er noch.
Hatte ich innerlich die Zeit der Hymnenschreiber doch ins 18. und 19. Jahrhundert verlegt – Hoffmann von Fallersleben starb 1874, God save the queen und Rule Britannia stammen gar aus dem 18. Jahrhundert – und dementsprechend alle potenzielle Hymnenschreiber für schon lange tot gehalten.
Und dann auch noch ein Hymnenschreiber namens Gustav Büchsenschütz! Ein Name wie aus einem Roman des späten 19. Jahrhunderts. Man sieht den Brandenburger Gustav Büchsenschütz mit Gamaschen und Gehrock innerlich vor sich, wie er mit seiner Feder die Zeilen niederschreibt. Das Licht der Kerze wirft Schatten auf die niedergedrückten Wände seiner verrußten Kemenate.
Nichts da! Büchsenschütz lebte noch zu Zeiten, als nach der Wende die Fusion der Länder Berlin-Brandenburg-Fusion diskutiert wurde. Der Berliner Büchsenschutz schrieb die Hymne jugendbewegt mit der Gitarre beim Wochenendausflug mit seinen nationalistischen Kameraden in den 1920ern. Später war Büchsenschütz Leiter des Steglitzer Bäderamtes und damit vermutlich für den Bau des Stadtbads Lankwitz zuständig.
Büchsenschütz bekam zu meinen Lebzeiten das Bundesverdienstkreuz bekam er als pensionierter rühriger und allüberall bekannter ehrenamtlicher Stadtführer Westberlins. Ein heimatbegeisterter älterer Herr, der Geschichten und Geschichtchen aus seinem Westberlin erzählt. Nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes folgte einige Jahre später auch die Steglitz-Medaille.
Eine neue Wahrnehmung erlebte Büchsenschutz mit der Renaissance des Märkischen Sandes als Landeshymne nach der Wende. So lebendig war Büchsenschütz selbst noch zu Wendezeiten, dass er angesichts der damals gescheiterten Berlin-Brandenburger Einigungspläne noch eine neue Strophe dichtete:
„Steige hoch, du roter Adler, und reich dem Bär die Hand.“
Man versuche sich das einmal bildlich vorzustellen: wie der rote Adler emporsteigt und dann dem hoch in den Lüften schwebenden Bären den Flügel reicht, der mit seiner Tatze darauf haut. Dann weiß man, warum die Länderfusion scheiterte. Ebenso weckt die Textzeile an der dichterischen Kompetenz des Hymnenautors. Und mit diesem deprimierenden Dichtungsversuch ist dann auch alles gesagt, was man zur Hymne wissen muss.
Das Lied
Textlich und auch musikalisch bleibt der Märkische Adler belanglos. Büchsenschütz beschreibt die Landschaft: Heide, Sand, knorrige dunkle Kiefern, „blauende Seen“, Wiesen, Moor, mischt ein paar Phrasen der Nationalbewegung der Jahrhundertwende drunter von „Heil“ über „märkische Bauern“ bis hin zur „Treue“. Das ist alles in allem wenig begeisternswert und wäre wohl auch schnell wieder in der Versenkung verschwunden.
Genug Kitsch für eine ganze Heftromanserie führt der Satz ein „Knorrige Kiefern leuchten im Abendrot, Sah'n wohl frohe Zeiten, Sah'n auch märk'sche Not.“ Was man halt so schreibt, wenn man sich mit 23 auf romantischer Wanderung mit den Kameraden befindet. Insgesamt ist die Beschäftigung mit dieser Hymne eine wenig erbauliche Angelegenheit.
Wenn da nicht die Zeile mit dem Adler wäre „Steige hoch, du roter Adler, Hoch über Sumpf und Sand.“ Hier bekommt der vorhersehbare Text etwas Überraschendes, löst sich tatsächlich wie metaphorisch vom Boden und beginnt Strahlkraft zu entwickeln. Genau hier, und ehrlich gesagt auch nur hier, entwickelt sich das Lied vom gewissenhaften Schüleraufsatz hin zur Hymne, die Gefühle weckt.
In Büchsenschützes eigenen Worten und durchaus typisch für seine Dichtung;
„Reim und Rhythmus müssen stimmen, aber auch der Text muss klingen, so entsteht ein schönes Lied, das durch alle Lande zieht.“
Die Geschichte für den eiligen Leser
Das Lied Märkische Heide, märkischer Sand entstand in der Weimarer Republik und war in dieser Zeit ein Lied, das besonders bei nationalen, nationalistischen und faschistischen Jugendlichen verbreitet war. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde es dementsprechend noch weiter verbreitet und hatte erstmals eine Art Hymnenstatus.
Dabei liebten die Menschen vor allem die Marschmusikversion im Arrangement von Paul Lincke – der andernweits bekannt wurde durch den Schlager Berliner Luft. Das Lied ging in den Kanon der Wehrmacht ein, die es als Marschlied sang. Bei offiziellen Anlässen des NS-Staates kam die Märkische Heide zum Einsatz. In der DDR war die Märkische Heide dementsprechend verboten.
Manfred Stolpe, der Brandenburger SPD-„Landesvater“ nach der Wende, versuchte das Lied als offizielle Hymne Brandenburgs zu etablieren, vermutlich ohne die ganze Vorgeschichte des Liedes zu kennen. Er scheiterte. Einige Jahre später versuchte es die DVU im Brandenburger Landtag noch einmal – sie scheiterte wieder. Damit ist das Lied keine offizielle Hymne, wird aber weiterhin bei offiziellen Anlässen des Landes gespielt.
Für den nicht-eiligen Leser folgt die ausführliche Geschichte im nächsten Post: mit jeder Menge Nazis, dem alten Westberlin, neuen DDR-Befindlichkeiten und der Frage, was Brandenburg ist.
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Dass die Gegend um Vehlefanz und Wolfslake herum, musikalisch und politisch ganz anders kann, beweist jedes Jahr das Resist to Exist-Festival.
Alles zu Musik und Politik in Iberty steht unter: Kultur in Iberty! Eine Übersicht.
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