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Freitag, 18. Mai 2018

Brandenburg-Hymne: Geschichte mit Nazis

Oh Du Brandenburger Adler

(Teil 2)


Zur Vorgeschichte: Regelmäßig fahren Madame und ich mitten im märkischen Wald an einem Gedenkstein vorbei:

"Hier im Krämerwald, in der ehemaligen Jugendherberge Neu-Vehlefanz, hat Gustav Büchsenschütz im Jahre 1923 das Lied ‚Märkische Heide, märkischer Sand' gedichtet und komponiert."
Zuerst überraschte es mich, dass überhaupt eine Hymne, die inoffizielle Hymne des Landes Brandenburg, quasi aus der modernen Zeit kommt. Die Märkische Heide ist zwar nicht die offiziele Hymne Brandenburgs - das Land hat keine Hymne - wird aber regelmäßig zu offiziellen Anlässen gespielt. Ihr Dichter war kein romantischer Poet des 19. Jahrhunderts in Gamaschen mit wallendem Haar, sondern Leiter des Steglitzer Bäderamtes. Nach etwas mehr Recherche offenbarte sich allerdings eine Geschichte, die idealtypisch eine Berlin-Brandenburger-Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellt.

Mehr zur Vorgeschichte, siehe den Post Roter Adler Brandenburg Hymne.

Die Geschichte


Ein junger Mann schreibt ein schlechtes Lied. Ein Ereignis, das auf dieser Welt häufiger vorkommt. Interessant wird das Werk wie so oft in der Kunst durch sein Nachleben. Büchsenschütz selbst schrieb das Lied bei einem Wochenendausflug von Berlin aus mit dem Zug nach Velten und dann wandernd weiter durch das Brandenburger Eiszeitland.

Die Gruppe, laut Büchsenschütz „zehn, fünfzehn Jungs und Mädels“ wanderten vom Ofenmuseum Velten über die Alte Hamburger Poststraße und durch den Krämer Wald. Sie landeten in der Jugendherberge Neu-Vehlefanz. Oder mit Büchsenschütz:

„Das nannte sich Jugendherberge, aber es war nur ne olle Bauernkate, links vom Flur Zimmer, rechts ne Stube, in der Mitte ne Küche. Olle Feld-Bettstellen und olle Decken, das war alles ganz, ganz primitiv. Das sanitäre Häuschen auf dem Hof. Morgens früh waschen an der Pumpe mit kaltem Wasser.“

Dort verbrachte er den langen, anscheinend einsamen Abend und am nächsten Morgen war ein Lied zum Wandern und Singen geboren.

Nun ist es deprimierend genug für Brandenburg, dass die Brandenburg-Hymne von einem Berliner auf Wochenendausflug geschrieben wurde. An diesem Ort zu dieser Zeit treten dort noch jede Menge deutsche Geschichtsverirrungen hinzu.

Der Bismarckorden


Vom Bahnhof Velten nach Neu-Vehlefanz wanderte Büchsenschütz nicht in irgendeiner Wandergruppe, sondern in einer Jugendgruppe des Bismarckordens. Der Bismarckorden war eine radikalere Abspaltung des Bismarckbundes, der wiederum der DNVP – der Deutsch-Nationalen-Volkspartei - nahestand.

Bundesarchiv Bild 102-09993, Potsdam, Reichstreffen des Bismarckbundes
Der Bismarckbund marschiert. Büchsenschütz' Bismarckorden war dessen militante Abspaltung. Bild: Das grosse Reichstreffen des Bismarckbundes in Potsdam! Der grosse Vorbeimarsch der Mitglieder des Bismarckbundes vor dem Reichsführer H.O. Sieveking im Luftschiffhafen in Potsdam. Quelle:
Bundesarchiv, Bild 102-09993 / CC-BY-SA 3.0

Die DNVP und der Bismarck-Bund verfolgten in der Weimarer Republik einen strikt konservativ-monarchistischen Kurs. Sie trauerten dem verflossenen Kaiserreich nach, lehnten die Republik ab und wollten zurück in eine Monarchie.



Der Bismarckorden hingegen stand dann eher den Freicorps, der Organisation Consul und den Verfechtern des Kapp-Putsches nah – also den Menschen, die die Weimarer Republik mit Waffengewalt stürzen wollten und sowohl für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wie auch von Walter Rathenau verantwortlich waren. Und Büchsenschütz, "Leiter des Landeswanderamtes" im Bismarckorden und seine Märkische Hymne tummelten sich in der Szene mittemang.

Vom Bismarckorden zum Frontbann und zur SA


So war das Lied in den entsprechenden Kreisen der Republikgegner populär. Laut Jugenderinnerungen anderer Berliner und Brandenburger der Zeit galt die „Märkische Heide“ auch gerne als „unpolitisches“ Erkennungszeichen und gemeinschaftliches Element der Protonazis und ihrer Freunde, wenn offensive politischer Lieder unangebracht erschienen: sei es, weil diese Lieder gerade verboten waren, sei es weil auch der bewaffnete Nationalsozialist mal etwas unpolitisches singen möchte.

Eine Einschätzung, die der spätere Historiker Sebastian Haffner und Schulkamerad Horst Wessels in Berlin in seinen Erinnerungen von 1939 zustimmte, für den das Lied auch schon immer ein Nazilied war.

Büchsenschütz selbst schien seine Interpretation des Liedes mehrfach geändert zu haben. 1959, zu dieser Zeit als höherer Beamter in Westberlin aktiv, erinnerte er sich

„»Später ging es [das Lied] manchmal recht seltsame Wege, die von mir keineswegs gewollt waren, so daß es zeitweise seine Eigenart als Heimat- und Wanderlied verlor.«

Dabei hatte der Dichter und Komponist selbst die »seltsame[n] Wege« des Lieds 1935 in einem Beitrag für die Zeitschrift »Brandenburger Land« nicht ohne Stolz beschrieben:

»Und wie war der ›politische‹ Weg des Liedes? Vom Bismarckorden ging es zum ›Frontbann‹ und zur SA und machte hier den Siegeszug der völkischen Bewegung mit, so daß es jetzt als vielgesungenes Lied der nationalsozialistischen Erhebung gilt. Gab es wegen dieses Liedes auch oft harte Zusammenstöße mit politischen Gegnern, so blieb die Kraft des Liedes dennoch ungebrochen; im Gegenteil, auf den großen Veranstaltungen der NSDAP in Berlin im ›Sportpalast‹ und im Lustgarten erklang das Brandenburger Lied und warb immer neue Kämpfer für das neue Deutschland.«

Mit der Wehrmacht in die Welt


Nach der Machtergreifung erklang das Lied dann natürlich noch häufiger. Dabei war allerdings die Marschmusikvariante deutlich populärer als das Wanderlied. Wurde doch damals lieber marschiert als gewandert.



Seine größte Verbreitung und Popularität erlangte die Märkische Heide bei der Wehrmacht als Marschlied – und sogar als eines, das wirklich von den Landsern gesungen wurde und nicht nur im Liederbuch stand.

Ungeliebt in der DDR


Nach der Zeit des Nationalsozialismus gerieten Büchsenschütz und sein Lied schnell in Vergessenheit. Die DDR hatte die deutschen Länder an sich und damit auch Brandenburg abgeschafft und durch Bezirke ersetzt, die möglichst wenig Heimatgefühl aufkommen lassen sollten. Für Landeslieder war da schon allgemein kein Platz. Bei Nazis beliebte Gesangskunst kam in der DDR auch wenig an. Die Westdeutschen interessierten sich für Berlin eher als Symbol denn als Stadt, geschweige denn für das konturlose Ex-Land um Berlin hinter dem Eisernen Vorhang.

Selbst die wenigen Menschen, die noch der Märkischen Heide gedachten, dachten eher an Paul Lincke als an Gustav Büchsenschütz. Das in der NS-Zeit populäre und damit wirkmächtigste Arrangement der Märkischen Heide stammte von Paul Lincke, der dem ganzen noch zwei instrumentelle Strophen Marschmusik vorwegsetzte und das Lied auf „Marsch“ umtrimmte. Die meisten Menschen, die das Lied überhaupt kannten, vermuteten wohl, dass es alt und sein Urheber in Vergessenheit geraten sei.

Einige Andere kannten vielleicht noch Lincke und vermuteten diesen Urheber. Offiziell allerdings war der Urheber nie strittig: die westdeutschen Tantiemen gingen all‘ die Jahre tatsächlich an Büchsenschütz, für jeden der sich ernsthaft mit dem Lied beschäftigte, war schnell klar, wer sein Urheber war. Büchsenschütz selbst schrieb aus einer Steglitzer Amtsstube immer wieder Briefe, wenn sein Lied falsch zugeordnet wurde. Auf lange Sicht aber geriet Büchsenschütz als Lieddichter ebenso wie die Märkische Heide weitgehend in Vergessenheit.

Das änderte sich erst ab 1988 als der Heimatforscher und Journalist Werner Bader dem allem nachging und das Buch „Steige hoch, du roter Adler. Welthits aus märkischem Sand“ veröffentlichte. Gerade noch rechtzeitig zur Wende und damit zur Protektion des Liedes durch Manfred Stolpe, die dann den Roten Adler erst recht wieder aufsteigen ließ.

Die Hymne lebt nicht mehr so


Die Tatsache, dass das Land sein politisches Schattendasein zwischen Heimatabend und Hooligankultur verließ, ist Manfred Stolpe zu verdanken. Der, gebürtiger Stettiner, lernte das Lied 1964/1965 im Alter von knapp 30 kennen und fraß an ihm einen Narren.

Dann stand Stolpe nach der Wende vor der Aufgabe, aus mehreren DDR-Bezirken mit einem auffallenden Loch in der Mitte (Berlin) und einer Geschichte, die Teile des heutigen Polens umfasst, einer Geschichte, die das behäbige Brandenburg so fest mit dem militaristischen Preußen verwob, dass eine Trennung fast unmöglich schien, ein funktionierendes Bundesland zu erschaffen.

Er gedachte dem Lied, dass der Büchsenschütz-Hagiograph Bader schon 1988 als „Brandenburgische Nationalhymne“ bezeichnete,  die die Brandenburger mit ihren knorrigen Kiefern verbinden sollte und ließ sie spielen. Immer wieder. Der Versuch, sie auch als offizielle Hymne einzuführen scheiterte 1994 an mangelnden Mehrheiten im Brandenburger Landtag, aber dank Stolpe hat die Märkische Heide einen festen Platz im politischen Kalender des Landes.

Nun ist die Hymne irgendwie bekannt. Aber genau wie Brandenburg ein „Land mit Loch“ ist, dessen Geschichte fast vollständig von der Geschichte Preußens einerseits und der Berlins andererseits überlagert zu sein scheint, so wenig ist das Lied wirklich populär.

Das Deutschlandradio ging dem in einer Tiefeninvestigation nach, die förderte bei den Brandenburgern selber schöne Textzeilen wie „Steige hoch, du roter Adler, Sumpf und Sand“ zu Tage. Das Refugium der Hymne scheinen offizielle Anlässe des Landes Brandenburg, die Grundschule und das Stadion des FC Energie Cottbus zu sein. Auch wenn Cottbus nicht einmal in der Mark liegt, die dortige Version wenig mit Marschmusik und mehr mit schlechtem Schlager zu tun hat.

Die Nazis auch


Ein interessantes Halbleben führt die Hymne, da die DDR sie ablehnte, sie geradezu zum verbotenen 
Liedgut gehörte, bei Menschen, die sich nun selber über die Ablehnung der DDR definieren.
In der DDR wurde das Singen eines grausigen Kitschlappens  zum Akt des Widerstands und der Subversion. Auch das prägt. Eine kurze Internetrecherche nach der Hymne fördert ohne Mühe Seiten zu Tage, die beginnen mit

„Hallo Kontrolleure, haben sie bitte Nachsicht, und lassen sie uns Rentnern die kleine Freude. 40 Jahre lang durfte dieses Lied nicht gesungen werden, für und Älteren ist es eine besondere Freude, es jetzt wieder singen und hören zu dürfen. Die in der DDR geborenen Kinder werden es auch nicht kennen.“

Aber die Hymne hat auch echte Fans. Wenn man mal nach gespielten Versionen oder nach dem Text im Internet sucht.. man landet spektakulär schnell bei den echten Nazis, also denen mit Wehrmachtsverehrung, „Deutschland in den Grenzen von 1937“ und ähnliches. Das Youtube-Video weiter oben ist durchaus typisch für die Szene und dessen was sie im Internet verbreitet. Eine Nazirockvariante gibt es, Tauschbörsen in den Plattenaufnahmen von SS-Chören mit der Märkischen Hymne verkauft werden und jede Menge Wehrmachts-Fanseiten.

Man möchte fast sagen: die einzigen echten Fans der Hymne sind wieder oder noch die nationalen jungen Herren.

Weniger begeisterte Sänger gibt es natürlich noch mehr, halt überall dort, wo eine Landeshymne gebraucht wird und keine andere zur Verfügung steht.

Vielleicht braucht es doch einmal eine echte Landeshymne der Brandenburger? Vielleicht sogar geschrieben von einem Brandenburger? Mit einem echten Text?

Büchsenschütz - Eine Westberliner Karriere


Gustav Büchsenschütz war so unfassbar deutsch: Im Bismarckorden aktiv, dann im und für den Staat aktiv, politisch durchaus der deutschnationalen Bewegung nah aber doch nicht bereit der NSDAP beizutreten. Dann höherer Beamter in Westberlin, , zuletzt war er Leiter des Sport- und Bäderamtes in Steglitz bis er 1967 in den Ruhestand ging. 1975 erhielt er das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik und zuletzt nach der Wende eine Art Brandenburger Landesknuffel. Was für eine deutsche Karriere!

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Ein eigenwilliges Buch ist das Buch „Steige auf Du roter Adler“, dem die Märkische Heide erst seine zweite Karriere verdankt. Das Buch liefert jede Begründung dafür Heimatforschung zu hassen. Ein hagiographischer Stil durchzieht das Werk, der Büchsenschütz alles glaubt. Prägend für das Werk ist ein auch für das Jahr 1988 erstaunliches Kleinreden aller Nazi-Verbindungen und unkommentiertes Abdrucken eines 1935-NS-Textes.

Der Verfasser Bader selbst lobt seine Rechercheleistung, Büchsenschütz gefunden zu haben: was auch eine Leistung überschaubarer Bedeutung ist: die Tatsache, dass Büchsenschütz Lieddichter war, war 1988 schon allgemein bekannt und Büchsenschütz selber schrieb jedem Briefe, der es anders behauptete. Nur Bader verkaufte die Entdeckung als Neuigkeit. Wie quellenkritisch die Arbeit war, kann man daraus ersehen, dass Bader dann auch gleich Büchsenschütz‘ Nachlassverwalter wurde. Grausig! Dieses Buch! Trotzdem ist es das Standardwerk zum Thema, bis heute die einzige echte Veröffentlichung. So habe natürlich mangels Alternativen auch ich darauf zurückgegriffen.

Zum ganzen Sumpf aus völkisch-nationalen Gruppen in Berlin ist das Buch von Manfred Gailus, Daniel Siemens „"Hass und Begeisterung bilden Spalier": Horst Wessels politische Autobiographie, be bra 2013, das eine umfangreich kommentierte Version von „Horst Wessels politischer Autobiographie“ ist. Wessels war nicht nur ein jungromantischer Lieddichter, sondern entstammte demselben dumpf-völkischen Milieu wie Büchsenschütz auch. Sowohl durch Wessels Schilderungen selbst wie auch durch die Erläuterungen drumherum wird, noch einmal lebendig, wo dieses Lied herkommt. Wobei die Verfasser eben auch noch einmal die Diskussion anstießen, dass Büchsenschütz und die „Märkische Heide“ eben nicht aus dem monarchistsichen Bismackbund, sondern aus der deutlich radikaleren Abspaltung des Bismarckordens stammte.

Ansonsten existieren noch einige kleinere Veröffentlichungen.

Der Deutschlandfunk widmete sich recht eingehend der Hymne.

Mehr zum Thema Brandenburger Literatur in Nazis findet sich im Buch Peter Walther (Hg.): Die Dritte Front. Literatur in Brandenburg 1930 bus 1950, Lukas Verlag 2004

Nicht lesenswert ist übrigens der deswegen hier nicht verlinkte Take der PI-News, die es mal wieder nicht schaffen zwischen „Abschaffen als inoffizielle Hymne“ und „Verbot des Liedes“ zu unterscheiden und deswegen mal wieder jammern, das etwas verboten werden soll.

Der RBB stellte in einem nicht sehr investigativen aber ausgesprochen niedlichen Bericht fest, dass niemand in Neu-Vehlefanz den Text der Hymne beherrscht.

Dass die Gegend um Vehlefanz und Wolfslake herum, musikalisch und politisch ganz anders kann, beweist jedes Jahr das Resist to Exist-Festival.

Alles zu Musik und Politik in Iberty steht unter: Kultur in Iberty! Eine Übersicht.

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