Freitag, 25. Mai 2018

Wiki Loves Jules Verne. Mit Wikipedia in Braunschweig.


Mensch-Maschine Braunschweig


Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert. Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am Bahnsteig. 

Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren.  Eine Frau entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der angezeigten 32.“

Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium, die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?

Illustration aus dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de Neuville & Léon Benett


Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt. Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen Kindheit:


„Meine Mutter nannte dann immer eine Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […] Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir, zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden, Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker. […] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“

Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist, sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?

Freitag, 18. Mai 2018

Brandenburg-Hymne: Geschichte mit Nazis

Oh Du Brandenburger Adler

(Teil 2)


Zur Vorgeschichte: Regelmäßig fahren Madame und ich mitten im märkischen Wald an einem Gedenkstein vorbei:

"Hier im Krämerwald, in der ehemaligen Jugendherberge Neu-Vehlefanz, hat Gustav Büchsenschütz im Jahre 1923 das Lied ‚Märkische Heide, märkischer Sand' gedichtet und komponiert."
Zuerst überraschte es mich, dass überhaupt eine Hymne, die inoffizielle Hymne des Landes Brandenburg, quasi aus der modernen Zeit kommt. Die Märkische Heide ist zwar nicht die offiziele Hymne Brandenburgs - das Land hat keine Hymne - wird aber regelmäßig zu offiziellen Anlässen gespielt. Ihr Dichter war kein romantischer Poet des 19. Jahrhunderts in Gamaschen mit wallendem Haar, sondern Leiter des Steglitzer Bäderamtes. Nach etwas mehr Recherche offenbarte sich allerdings eine Geschichte, die idealtypisch eine Berlin-Brandenburger-Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellt.

Mehr zur Vorgeschichte, siehe den Post Roter Adler Brandenburg Hymne.

Die Geschichte


Ein junger Mann schreibt ein schlechtes Lied. Ein Ereignis, das auf dieser Welt häufiger vorkommt. Interessant wird das Werk wie so oft in der Kunst durch sein Nachleben. Büchsenschütz selbst schrieb das Lied bei einem Wochenendausflug von Berlin aus mit dem Zug nach Velten und dann wandernd weiter durch das Brandenburger Eiszeitland.

Die Gruppe, laut Büchsenschütz „zehn, fünfzehn Jungs und Mädels“ wanderten vom Ofenmuseum Velten über die Alte Hamburger Poststraße und durch den Krämer Wald. Sie landeten in der Jugendherberge Neu-Vehlefanz. Oder mit Büchsenschütz:

„Das nannte sich Jugendherberge, aber es war nur ne olle Bauernkate, links vom Flur Zimmer, rechts ne Stube, in der Mitte ne Küche. Olle Feld-Bettstellen und olle Decken, das war alles ganz, ganz primitiv. Das sanitäre Häuschen auf dem Hof. Morgens früh waschen an der Pumpe mit kaltem Wasser.“

Dort verbrachte er den langen, anscheinend einsamen Abend und am nächsten Morgen war ein Lied zum Wandern und Singen geboren.

Nun ist es deprimierend genug für Brandenburg, dass die Brandenburg-Hymne von einem Berliner auf Wochenendausflug geschrieben wurde. An diesem Ort zu dieser Zeit treten dort noch jede Menge deutsche Geschichtsverirrungen hinzu.

Der Bismarckorden


Vom Bahnhof Velten nach Neu-Vehlefanz wanderte Büchsenschütz nicht in irgendeiner Wandergruppe, sondern in einer Jugendgruppe des Bismarckordens. Der Bismarckorden war eine radikalere Abspaltung des Bismarckbundes, der wiederum der DNVP – der Deutsch-Nationalen-Volkspartei - nahestand.

Bundesarchiv Bild 102-09993, Potsdam, Reichstreffen des Bismarckbundes
Der Bismarckbund marschiert. Büchsenschütz' Bismarckorden war dessen militante Abspaltung. Bild: Das grosse Reichstreffen des Bismarckbundes in Potsdam! Der grosse Vorbeimarsch der Mitglieder des Bismarckbundes vor dem Reichsführer H.O. Sieveking im Luftschiffhafen in Potsdam. Quelle:
Bundesarchiv, Bild 102-09993 / CC-BY-SA 3.0

Die DNVP und der Bismarck-Bund verfolgten in der Weimarer Republik einen strikt konservativ-monarchistischen Kurs. Sie trauerten dem verflossenen Kaiserreich nach, lehnten die Republik ab und wollten zurück in eine Monarchie.

Mittwoch, 9. Mai 2018

Roter Adler Brandenburg-Hymne?

Oh du Brandenburger Adler

(Teil 1)


Manchmal sitzen Madame und ich in unserer Datsche und schauen nach dem kreisenden Rotmilan. Wir freuen uns an den Erd- und Ackerhummeln, die auf dem Lavendel wippen, und hören im Hintergrund den durchdringenden Sound der röhrenden Motorräder auf der Speedwaybahn.

Rotmilan; manchmal als Roter Adler bezeichnet.


Nicht weit weg von Erdhummeln und Rotmilan, in Wolfslake, hat einer der zehn Klubs der deutschen Motorrad-Speedway-Bundesliga sein zu Hause gefunden. Dort liegt die Speedway-Sandbahn, umgeben von Erdwällen auf denen die Besucher stehen. Das Parken erfolgt auf der Wiese. Auf der Bahn finden im Jahr knapp zehn Wettkämpfe statt.

Speedway Wolfslake gegen Stralsund 07.06.2015 14-07-53
Speedwaybahn Wolfslake

An ebenjenem Speedway-Stadion führt der Gustav-Büchsenschütz-Weg vorbei. Er beginnt am Stadion in Wolfslake, geht einige Kilometer durch den Wald und die Siedlung Neu-Vehlefanz, bis hin zum Gemüsefeld, wo wir frischen Blumenkohl vom Feld schneiden. Man kann sagen: dank des Gemüsefeldes sind wir regelmäßige Gustav-Büchsenschütz-Weg-Fahrer. Das aufregendste, was uns auf der Straße je passierte, war die Sichtung einer Ringelnatter, die auf dem Asphalt lag.

Freitag, 4. Mai 2018

Schwimmen Berlin: Strandbad Wannsee

Mein erstes Berliner Bad. Das Strandbad Wannsee war nicht das erste Bad, das ich besuchte, oder auch nur das erste, das ich sah. Aber es war das erste Bad, dessen Namen ich kannte. Denn natürlich hatte ich damals schon den Schlager gehört; den Conny-Froboess-Badehosen-Schlager. Nicht, dass ich sicher wusste, dass dieser Wannsee überhaupt in Berlin lag. Sicher hätte ich keine Ahnung gehabt, dass der See eigentlich eine Bucht der Havel ist – oder dass ich gewusst hätte, was die Havel ist. Und ganz sicher wäre mir nicht im geringsten bewusst gewesen, dass hier eine Architekturikone der Moderne steht. Das Bad verkörpert den radikale Bruch mit dem betulichen Hoffmann-Stil der Berliner Stadt, hin zum Anspruch eine Weltstadt zu sein.

Blick vom Höhenweg auf das Sonnendeck eines der Bauten. Weiter hinten der über einen Steg erreichbare Aussichtturm für die Rettungsschwimmer.


Das Wannseebad – ein Bad zwischen Symbol und echter Badeanstalt. Wenn es auch eher Symbol ist für die 1950er und West-West-Berlin in seiner fröhlichen Sommerfrische als für die 1920er und den gescheiterten Aufbruch. Ein Symbol ist es aber, das zum Glück aber jedes Jahr durch hunderttausende Besucher fest im hier und jetzt verankert wird.