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Donnerstag, 8. März 2018

In 11 Stationen durch die Nordermarsch in Dithmarschen

Alle Landschaft ist Kulturlandschaft. In Mitteleuropa existiert keine Landschaft, die nicht von Menschen geformt und verändert wurde. Die Suche nach unberührter Natur bleibt in Europa müßig. In Europe lohnt es zu suchen nach dem Zusammenspiel von Mensch und Natur, dem Miteinander- und Gegeneinanderwirken der Kräfte, dem Versuch von Mensch, Tieren und Pflanzen sich ein Heim zu schaffen und dabei mit den Elementen umzugehen. Ertragreich suchen kann man in Dithmarschen an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins. Hier wurde das Land vom Menschen nicht nur verändert, sondern erst geschaffen.
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Dort, wo heute Straßen, Felder und Häuser stehen, breitete sich vor 500 Jahren - manchmal auch noch vor 50 Jahren - das unzugängliche Wattenmeer aus: Sumpf mit Ebbe und Flut. Wasser, Salz und Strömungen. Bestenfalls befanden sich dort Salzwiesen – Wiesen, die regelmäßig von Sturmfluten überschwemmt wurden. Es waren Gegenden, in denen sich Mensch und Vieh bestenfalls bei gutem Wetter aufhalten konnten. Gegenden, aus denen sie bei oftmals überraschend auftretendem Schlechtwetter fliehen mussten. Menschen änderten die Landschaft, indem sie  Schutzmaßnahmen: Ringdeiche, Wurten, Deiche, Sperrwerke, um länger zu bleiben.

Oder die Landschaft lebte, änderte sich von alleine. Deiche stürzten. Das Meer holte sich Land zurück. Diese Jahrhunderte der Auseinandersetzung haben ihre Spuren in Dithmarschen hinterlassen. Um diese Geschichten zu sehen und zu erfahren, habe ich für Freunde und Verwandte eine kleine Autotour zusammengestellt. Diese Tour lässt im Laufe eines längeren Nachmittags die Geschichte lebendig werden, das Zusammenspiel zwischen Mensch und Meer in dieser Gegend verstehen.

Seedeiche besuchen wir nicht. Die findet hoffentlich jeder von alleine. In Wesselburenerkoog.


Die Route führt entlang der historischen Linie zwischen Alter Marsch und Neuer Marsch. Die Alte Marsch besteht aus den Teile der Marsch, die vor Menschengedenken (seit mehr als 500 Jahren) eingedeicht wurden, die Neue Marsch und denjenigen Teile der Marsch, deren Existenz erst kürzer zurück liegt.

Schülpersiel


Lage: an der Eider

Es beginnt in Schülpersiel.
Ein landschaftlich schöner Fleck direkt am Wasser, der weniger glattgebügelt ist, als es die modernen Deichbauten sind. Vorbei am Sammelbecken für das Sielbauwerk – über dass das Regenwasser in den Fluss Eider und dann die Nordsee geleitet wird – an den Rand des Naturschutzgebiets.

Schülperneuensiel


Hier kan der Reisende einen kleinen Eindruck davon bekommen, wie es hier ausgesehen haben könnte bevor Menschen kamen. Hier kommen nur selten Menschen hin, ums größer sind die Chancen Wasservögel und andere Marschlebewesen zu sehen.

Eidersperrwerk


Lage: Dort wo die Eider in die Nordsee fließt

Die Tour beginnt räumlich mit ihrem chronologischen Ende. Das Eidersperrwerk, gebaut 1973, ist die großtechnische Lösung des 20. Jahrhunderts zum Küstenschutz. Mehrere Kilometer Damm wurden mitten durch die Flussmündung gehauen. Es entstand eine technische Großanlage, die den Zu- und Abfluss von Fluss und Meer regelt. Große Massen an Beton, um die Natur im Griff zu halten: das war die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wesselburenerkoogssalzwiesen Eidersperrwerk und Schafe 11.05.2012 11-31-06
Eidersperrwerk

Besonders lohnenswert ist das Kommen bei auflaufendem Wasser, dann sieht man Flüsse rückwärts fließen beziehungsweise in diesem Falle: ein Fluss, die Eider, fließt vom Meer weg, da die Gezeiten sehr viel stärker sind als der Fluss.

Ringdeich Wesselburenerkoog


Lage: Neue Marsch

Hier sehen wir das erste Mal ein wichtiges Feature der Tour. Die Marsch ist flach. Die Marsch ist nicht flach in jenem allgemeinen norddeutschen Sinn „leicht-hügelig-flach“, sondern flach wie in "mit der Wasserwaage.". So flach ist es hier, dass man beim Boßeln einen Ball die Straße entlang rollen kann und dieser von alleine ausläuft – in beiden Richtungen. Jede Erhebung, die mehr als einige Zentimeter Höhenunterschied aufweist, ist menschengemacht.

Jeder Huckel, den man sieht, enstand als menschliches Bauwerk. Ein Huckel in der Wiese bedeutet: hier haben einmal Menschen gebaut. Der zu besichtigende Huckel in Wesselburenerkoog war einst Ringdeich in frühen Besiedlungszeiten: Ein kleiner Deich im Kreis. Das Vieh weidete auf den Salzwiesen. Wenn das Wasser kam, wurde es hinter dem Deich zusammengetrieben und auch die Menschen fanden dort Schutz. Im Vergleich zu späteren Maßnahmen eine wenig aufwendige Sicherungsmethode, die aber auch nur zeitweisen, unsicheren Schutz bot,

Wesselburen / Blick auf den Klingberg


Lage: Grenze zwischen Alter Marsch und Neuer Marsch

Nach dem Deich kam die Wurt. Nordseeurlauber kennen diese eventuell von den Halligen und ihrer dortigen Bezeichnung als „Warft“. Hier in Dithmarschen heißt dasselbe Bauwerk Wurt. Die Wurt ist ein großer Erdhügel, auf dem ein oder mehrere Gebäude errichtet wurden. Quasi handelt es sich um einen Ringdeich, dessen Mitte auch angefüllt wurde: Aufwändiger, aber dafür sicherer. Die Stadt Wesselburen liegt auf zwei solcher Wurten. Wesselburen ist ein Hauptort der Nordermarsch mit einer Geschichte, die allein eine Tour für einen längeren Nachmittag lohnen würde.

Wesselburen bartho mit pferd 25.12.2010 15-57-32
Wesselburen

Deshalb stellen wir uns nur an den Klingberg, da man von hier die Stadtsilhouette und insbesondere eine Wurt auf der Wesselburen liegt, besonders gut sehen kann. Erdhügel, die, einige Meter hoch und teilweise mehrere Ar groß, auf denen die Häuser standen und auf denen das Vieh zusammengetrieben wurde. Um die Wurt herum war weiterhin Salzwiese. Wie groß diese Wurten werden konnten, zeigt Wesselburen, wo in der Mitte der Hauptwurt Wurt eine große Barockkirche samt Marktplatz und entsprechender Stadtbebauung steht.

Wellinghusen / Dorfwurt


Lage: Grenzen zwischen Alter Marsch und Neuer Marsch

Noch eine Wurt. Die Wellinghusener Wurt ist deutlich kleiner als die in Wesselburen. Aber dafür kann man sie besser erkennen. Sie ist kleiner, ihre Kanten sind steiler und da sind nicht mehr besiedelt ist, muss man die Wurt auch nicht zwischen Häusern und Straßen suchen. Der ehemalige Dorfkern Wellinghusens ist heute Teil einer Weide. Meist stehen Kühe oder Pferde oben auf der Wurt und genießen die Aussicht. Denn wieder gilt die alte Regel: alles was sich in der Marsch höher als einige Zentimeter erhebt, ist menschgemacht, und dementsprechend selten,

Wehl Friedrichsgabekoog


Lage: Alte Marsch.

Hier verlief einst die Küstenlinie der Nordsee. Heute befinden sich auf beiden Seiten Äcker und Weiden, aber in Friedrichsgabekoog stand einst der Seedeich, der das Land vom Meer trennte. In der Frühen Neuzeit waren die Bewohner dazu übergegangen, das Meer großflächig auszusperren und den Deich entlang der kompletten Küstenlinie zu bauen. Verglichen mit heutigen Deichen waren diese älteren Deiche steil und weniger hoch. Das bedeutet: sie hatten wesentlich weniger Volumen als heutige Deiche. Also waren die älteren Deiche mit einem Bruchteil des Materials herzustellen, aber auch anfälliger gegen Sturmfluten.

Wehl bei warwerort mit reiherenten
Friedrichsgabekoog

Hier an dieser Stelle sieht man, was passiert, wenn die Sturmflut zu hoch steigt: der Deich bricht. Das Wasser tritt nicht am gesamten Deich über, sondern an einer Stelle. Dort höhlt es den Boden aus. Tatsächlich entsteht an der Einbruchstelle ein Loch, das mehrere Meter tief ist und sich mit Wasser füllt. Mit den technischen Mitteln der Frühen Neuzeit war es nicht sinnvoll, diese Löcher bei der Deichreparatur zu verfüllen, sondern sie blieben dort. Der Deich wurde um die Löcher herum gebaut. Was aussieht wie ein idyllischer kleiner Teich, ist tatsächlich Zeugnis höchst dramatischer Ereignisse bei Orkan, Flut und Untergang vor mehreren hundert Jahren.

Wöhrdener Hafen


Lage: Alte Marsch.

Hier lag einst die Küstenlinie der Nordsee. Lange ist es her. Denn das Meer kommt nicht nur und nimmt. Manchmal geht es auch und nimmt. Hier verschwand das Meer. Es nahm einen Hafen und den Seezugang mit. Das Meer verlandete. Erde und Watt türmten sich auf, es entstanden Salzwiesen und irgendwann kommt das Meer nur noch bei besonders hohen Sturmfluten.

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Wöhrdener Hafen

So am Wöhrdener Hafen. Einst ein florierender Hafen direkt an der Nordsee. Ein Hafen, der der Stadt  Wöhrden viel an Reichtum und Bedeutung gab. Mittlerweile ist die Küste mehrere Kilometer weit weg. Hier befinet sich eine kleine Schleuse, ein großer Entwässerungskanal und ein Strandkorb.

Lieth / Raffinerie


Lage: Geest

Die Raffiniere Hemmingstedt: Ein prägendes Bauwerk, das sich von Lieth aus gut sehen lässt. Die Raffinerie, die das Erdöl aus der Nordsee verarbeitet. Wenn es an einem Ort in Deutschland Erdöl in der Erde gibt, dann hier.

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Raffinerie Hemmingstedt

Wenn man einmal in Büsum oder der Meldorfer Bucht oder Friedrichskoog aus an den Strand geht, kann man meisten auch die Bohrplattform sehen,

Dusenddüwelswarf 


Lage: Alte Marsch

Etwas Geschichte darf auch sein. 1500 besiegten die Dithmarscher Bauern ein Heer des holsteinischen und dänischen Adels – nicht zuletzt unter Zuhilfenahme der Landschaft, indem sie die adligen Heerscharen dazu brachten, in der sumpfigen Marsch zu versacken und vermutlich auch in Teilen zu ertrinken.

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Düsenddüwelswarf

1900, 400 Jahre nach der Schlacht, war der Nationalismus in vollem Gange und schuf im Angedenken an diese Schlacht am historischen Ort ein reichlich bizarres Denkmal, eine Art rustikal-ländliches Völkerschlachtdenkmal. Die Dithmarscher Identität beruht immer noch in größeren Teilen auf dieser geschlagenen Schlacht und dem Dithmarscher Sieg.

Meldorf


Lage: Geest.

Der historische Hauptort der Dithmarscher. Mit seinem „Dom“ und der historischen Innenstadt und dem Dithmarscher Landesmuseum und dem Landwirtschaftsmuseum genug Stoff, um hier einen eigenen Tag zu verbringen.

Meldorf 1596
Meldorf, 1596

Speicherkoog


Lage: Neue Marsch

Zum Abschluss geht es wieder fast an den Anfang, denn zyklisch sind Ebbe und Flut. Das Wasser kommt und das Wasser geht. Am Ende ändert sich alles und alles bleibt gleich. Der Speicherkoog entstand ebenso wie das Eidersperrwerk und die heutige Form der Eidermündung vom Anfang der Tour in den 1970ern.



Ebenso wie dort war hier Sturmflutschutz oberstes Ziel, wozu dort wie hier die Verkürzung der Küstenlinie diente. Während allerdings an der Eider künstlich ein Wald angepflanzt wurde, um den Tourismus zu fördern, wird hier aus naturschutzgründen abgemäht und abgeweidet. Auch wenn die Landschaft zu gerade ist, die Grenzen zwischen Wasser und Land viel zu klar - in seiner Ruhe und Weitläufigkeit, kann man zumindest erahnen, wie die Nordsee einst ohne Menschen aussah.

Bonus: Deichmuseum Büsum


Es liegt nicht wirklich auf der Strecke, ergänzt die Themen der Tour aber gut, so dass ein Abstecher lohnt. Das „Deichmuseum“ ist nicht wirklich ein Museum. Hier, direkt in Meeresnähe, errichteten die Bauherren beim letzten Neubaugebiet Abschnitte mehrere historischer Deiche.

Bueseum deichmuseum stackdeich seite
Kurzzeitig dachte die Menschheit, es wäre eine gute Idee, Deiche mit Holz zu verstärken. Hat nicht funktioniert. Hier ein Nachbau im Deichmuseum.

Es lässt sich gut sehen und teilweise besteigen, wieviel höher die Deiche im Laufe der Jahrhunderte wurden und wie viel flacher ihre Steigungen. Besonders spannend finde ich das eine später verworfene Deichmodell, bei dem tatsächlich versuchte wurde, die Küste mit Holz zu sichern. Und während man dort streift sieht man im Hintergrund das Monsterbauwerk eines heutigen Deichs.


Weiterlesen 


Wem die Nordsee im Post fehlte, der lese weiter bei Qualle blau Nordsee gefährlich?

Etwas mehr zum Thema Geschichte Dithmarschens: 7000 Autos können nicht irren. #Dithmarschen #Brauneautobahntafeln

Erfundene Dithmarscher Geschichte: Wikipedia-Leaks: Dithmarscher-Stormarner Legionäre und Wilhelm Ramm

Schwimmen kann man in Lande auch. Besonders empfehlenswert in Heide: Schwimmbäder Nah und fern: Dithmarscher Wasserwelt, Heide, Schleswig-Holstein


Alle Iberty-Posts zum Thema Reisen und unterwegs sein, liegen unter: Kultur in Iberty!




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