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Sonntag, 18. Februar 2018

Schwimmbad Berlin: Köpenick, Schwimmhalle Allendeviertel

Suche die Schwimmhalle nicht, bevor du nicht inmitten der Plattenbauten bist. Die Ostberliner Grundregel gilt auch in Köpenick. Die Köpenicker Altstadt - städtebaulich das direkte Gegenteil zu DDR-Neubausiedlungen – reicht bis fast an das Schwimmbad. Im Gegensatz zu Berlin selber besitzt Köpenick auch eine echte Altstadt. Selbst beim Durchfahren erkennt der Reisende den mittelalterlichen Stadtgrundriss.

Hier wirkt alles weniger nach Berlin, sondern nach einer echten alten Stadt - die das auf eine bronzezeitliche Siedlung zurückgehende Köpenick ja auch ist. Der einsame Schwimm-Wanderer sieht auf die Uhr, denkt sich, in drei Minuten sollte ich da sein - und noch alles sieht das so überhaupt nach der typischen DDR-Großsiedlung aus. Sollte hier ein Überraschungsbad, ein DDR-Neubau inmitten historischer Bausubstanz stehen?

Aber nein. Direkt vor der Schwimmhalle beginnt das Salvador-Allende-Viertel mit Plattenbauhochhäusern und einem kleinen Einkaufszentrum. Gegenüber liegt eine Schule, ehemals zu Vorwendezeiten die Salvador-Allende-Schule(*). Hier steht ein typisches 1970er-DDR-Neubauwohngebietszentrum.

Das Allendeviertel I entstand Anfang der 1970er Jahre, das Allendeviertel II daneben Anfang der 1980er. Nach allem was ich lese, scheint hier eine der Gegenden zu sein, in denen man DDR-Nostalgie nachvollziehen kann. Alle loben und lobten die Nettigkeit, das Aufeinander-Aufpassen, die gefühlte Geborgenheit, die Gemeinschaft.. Ich fühle mich genötigt zu sagen, dass diese heimeligen Gemeinschaften sich immer daran erweisen wie sie mit den Nicht-Heimeligen umgehen, aber das führt zu weit.

Hier ist wichtig: architektonisch und von der gebäudeinduzierten Lebensqualität her, sind diese DDR-Neubaugebiete weit besser als ihr Ruf. Und am Rande des Viertels steht eine Schwimmhalle.





Genau wie das Bad nur am Rande des Gebiets liegt, ist es auch nur gerade so eben eine typische Berliner Volksschwimmhalle im Typbau. Handelt es sich beim Bad in Köpenick doch weder um den verbreiteten Typ C noch um den Typ Berlin 83, sondern noch um den deutlich älteren Typ Bitterfeld.



Die Volksschwimmhalle Typ Bitterfeld scheint mir zwar DDR-weit der am häufigsten gebaute aller Typen zu sein, kommt in Berlin aber nur selten vor. Vermutlich hatte die Hauptstadt den Anspruch, Bäder mit mehr Swag zu bieten. Typ Bitterfeld - allein der Name ruft keinen Glamour hervor - wirkt handgemachter und rustikaler/ selbstgebauter als die späteren Typen. Er hat halt so Wände statt der Glasfronten des Typ Cs, enge Gänge statt weiter Flure - es ist erst ein Versuch, während der genuin Berliner Typ C schon ziemlich nah der Vollendung des Bautyps ist.

Vermutlich deshalb gibt es auch nur noch ein Berliner Bitterfeld-Bad: die Schwimmhalle Baumschulenweg.

Wie es sich gehört: nebenan ist die Schule.


Die Laufwege in der Halle sind simpler als in neueren Typen, die Materialien einfacher, die Außenseite auf der Rückseite nur schwerlich von einem einfachen Bürogebäude unterscheidbar. Aber auch bei Typ B(itterfeld) zeigt sich die spätere Entwicklung: funktional, quadratisch, praktisch.

Typisches Kennzeichen von Typ Bitterfeld: die Wellen im Dach.


Gebaut wurde das Schwimmbad  zusammen mit dem ganzen Allendeviertel in den 1970ern.  Einmal saniert 2009/2010, wovon aber vor allem Dach und Fenster und Lüftung betroffen waren und das Becken neu gegossen wurden. Konstruktiv wichtige Teile wurden geändert, aber dies sind alles Änderungen, die man als Besucher erst auf den zweiten Blick bemerkt.

Gebäude
 

Der Betrachter sieht eine Volksschwimmhalle  Typ Bitterfeld. Eine große Schwimmhalle mit Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken auf der einen Seite, Eingang, Umkleiden/Duschen auf der anderen Seite.



Leicht versteckt zwischen den anderen Gebäuden des Viertels, das Foyer liebevoll gepflegt, die Leute dort ausnehmend freundlich und mir Hinweise auf Öffnungszeiten, Gepflogenheiten und Preise gebend. 


Köpenick liegt idyllisch. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).
Der Gang zu den Kabinen führt seitlich an diesen vorbei, ist eng, mit Fenstern über Kopfhöhe. Die Umkleiden glänzen mit hoher Decke unter der es dann aber reichlich funktional mit Rohren und ähnlichem aussieht. Richtung Wasser, weit über Kopfhöhe, liegen Glasbausteine. Der Drang nach Licht und Luft ist erkennbar, wird durch mangelnde Baumaterialien aber im Vergleich zu späteren Typen noch eingeschränkt.


Bad der kurzen Wege. Größte Errungenschaft des Typs B(itterfeld) gegenüber A(nklam) war, dass Bitterfeld auch ein Nichtschwimmerbecken aufweist. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).

Vor dem Bad zeigt sich der Irrsinn der Berliner Bäder. Zum Bad gehört ein gebührenpflichtiger Parkplatz. Direkt neben diesem liegen dutzende freier Parkplätze an der Straße. Oder anders gesagt: vor dem Bad befindet sich eine große ungenutzte Freifläche mit Parkscheinautomat.


Umkleiden/Duschen


Der Weg durchs Bad beginnt mit einem schmalen Gang, links eine Wand, rechts eine Wand mit kleinen Fenstern in über zwei Metern Höhe. An der linken Wand hängen Föhne und solche Plastik-Ausklappsitze. Das wirkt schon alles sehr rustikal und eng.


Der Gang zu den Umkleiden. Das Bemühen um Licht ist deutlich, dennoch sieht es eher nach Büros aus als nach Schwimmbad.
Dann folgt ostberlintypisch eine Sammelumkleide. Die Schränke bestehen aus Plastik, in Metall eingehängt. Ausnahmsweise sind diese nicht im Ostberlin-Dunkelblau ausgestattet, sondern hier herrscht ein Weißton. Immer wieder überraschend in diesem Typ: auch die Umkleiden haben die Deckenhöhe der Halle. Von unten sehe ich in mehreren Metern Höhe Rohre und Infrastruktur,

Richtung Halle hin sind – in Über-Kopf-Höhe - Glasbausteine verbaut, um den Höhlencharakter wenigstens etwas abzumildern. Gekachelt ist nur der untere Teil, mit der ausgestreckten Hand kommt man problemlos an den Putz.

Die Duschen – der Raum ist recht klein und in keinerlei Hinsicht besonders auffallend. Beim üblichen Schild neigt man hier zur knappen Kürze: „Duschen ohne Badebekleidung“ (Unterstreichung im Original)

Schwimmhalle


Zuerst stoße ich auf ein 25-Meter-Becken (fünf Bahnen, zwei Meter tief). Direkt in Reihe dahinter liegt das Nichtschwimmerbecken. Das Becken ist runderneuert, unspektakulär, mit große Fensterfront, die aber in eine Nicht-Landschaft öffnet.

Ich weine ein klein wenig bei der näheren Betrachtung der Sanierungsergebnisse. Wenn sich Typ Bitterfeld durch etwas auszeichnet, dann ist es diese Wohnzimmeratmosphäre. Das Gefühl, das hier der Hausmeister noch selbst gebaut hat, und dass es zwar manchmal alles etwas exzentrisch wirkt - aber dafür Herzblut bei der Sache war. Die Neugestaltung nach aktuellen Maßstäben hat ein durchaus funktionales Bad erbracht. Aber es wirkt kalt, professionell und wird räumlich so gar nicht der Liebe und Aufmerksamkeit gerecht, die das Personal offensichtlich merkbar für "sein" Bad aufbringt.

An beiden Seiten des großen Beckens wurden Netze befestigt und zur Seite geschoben – ich nehme an, die werden gebraucht, wenn es zum Wasserballspielen geht.



Angekündigt war eingeschränktes Baden – sprich, einzelne Bahnen sind durch Schulen/Vereine belegt. Das war nicht der Fall; zwei Bahnen waren abgetrennt aber öffentlich nutzbar, der Rest einfach so.

Das Wasser tendierte zum Kältlichen. Allerdings sorgt vermutlich das gesamte sehr sachliche Ambiente dafür, dass sich die Wassertemperatur mindestens ein Grad kälter anfühlt, als sie ist. Die ganze Halle wirkt sehr weiß/hellblau. Passte zum Rest des Beckens und zum Schnee vor der Tür.

Publikum


Schwimmer und Badende Ü30 tobten sich aus, ein Sportschwimmer zog seine Bahnen, sonst konnte ich verschiedene Anspruchsklassen betrachten. Ähnliches zeigte sich beim zweiten Besuch. Bunt gemischt waren die Anwesenden, überwiegend dem tatsächlichen Schwimmen zugewandt, teilweise mit eindrucksvollem sportlichen Talent.

Beim dritten Mal komme ich, kurz bevor der Berliner Tarifdschungel mal wieder billiger wird, warte mit einer 30-jährigen Frau und einem 60-jährigen Mann im Foyer die sieben Minuten bis wir zwei Euro weniger bezahlen müssen.

Bei allen Besuchen wirkte es in der Halle eher schweigsam und leise. Die Schwimmer strahlen wie das gesamte Bad eindrucksvoll die Botschaft aus: dies ist kein Spaßbad. Hier geht es um Schwimmen.

Sonstiges

Gibt es natürlich auch hier.


Und dann war da noch diese Ansammlung an Sportuhren auf einem Haufen in der Duschablage.  Ich fragte mich schon, ob hier jemand spontan einen Im- und Export eröffnen möchte. Aber nein, die wurden getragen. Von einem einzigen Mann. Immerhin der dazugehörige Herr hat dann auch tapfer in der Schwimmhalle ambitionierteres Sportkraulschwimmen abgezogen.

Gastronomie


Ich habe keine Notizen über eine eventuelle Gastronomie angefertigt und erinnere mich an nichts. Nebenan ist ein mittelgroßes Einkaufszentrum.

Fazit

 

Ein Bad, eher funktional als charmant. Aber mit historischem Flair und in seiner Un-Spaßhaftigkeit gut zum Schwimmen geeignet.


Ein Bad aus der Frühzeit des Typenbaus. Rustikaler als Typ C oder D, noch nicht ganz so durchgeplant. In jeder Hinsicht handgemachter, kleiner und wohnzimmerartiger als der Typ-C-Schwimmbadpalast. Aber schon funktional konzipiert.  Dank der Sanierung wirkt es alles nach sehr gutem Zustand. Dank des Personals ist es sehr einladend und wirklich hervorragend zum Schwimmen geeignet.

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Auch rechts unten in Berlin liegt das FEZ. Als ehemaliger Pionierpalast, heutiges Kinder-Entertainment-Zentrum und Prestigeobjekt mit 50-Meter-Bahn natürlich das komplette Gegenteil vom freundlich-funktionalen Bad in Köpenick.

Wie sich der DDR-Typenbau dann weiterentwickelte lässt sich im schönsten aller Typ-C-Bauten auf der Fischerinsel bestaunen.

Alle Iberty-Schwimmbadposts liegen unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.

Auch das Schwimmblog war schon da: Schwimmhalle Allendeviertel.

In diesem Bildexpose der Berliner Bäder (pdf) gibt es noch ein paar Aufnahmen von vor der Sanierung. eine genauso heimelige Wohnzimmerathmosphäre wie jetzt noch im Baumschulenweg. Mit Beton(?)-Startblöcken. Also ehrlich, die Abschaffung dieser Startblöcke nehme ich dem Umbau ernstllich übel.

Nur noch bedingt etwas mit der Schwimmhalle zu tun haben die Dokumente zur Geschichte des Allende-Viertels. Allein um sich wieder des grauenhaften Stils zu vergegenwärtigen, den die DDR-Presse so schrieb.

Sehr viel kürzer, netter und leserlicher schrieb 2014 die Berliner Morgenpost über das Allendeviertel: Besuch auf der Insel der Glückseligen.

Anmerkungen


Für mich, als jemand dessen westdeutsche (Hamburger) Uni am "Allende-Platz" lag, wirkt diese Nach-Wende Umbenennung natürlich besonders absurd.


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