Aber: in dieser Schwimmhalle stimmt alles: das Licht, das Becken, der wunderschöne Umbau, die Bahnen, die Duschen, die Umkleiden.
Schwimmhalle Finckensteinallee im Quartett "Schwimmbäder in Berlin". |
Und, ich halte es für eine gerechte Lektion der Geschichte, dass eine ehemalige Mörder-Trainingsanstalt heute ein öffentliches Volksbad ist, das offensiv barrierefrei ist und u.a. vom Berliner Behindertensportverband für Wettkämpfe genutzt wird.
Zuerst zurück zum Anfang. Die Nazis mochten keine öffentlichen Bäder. In ihrer Zeit entstanden in Berlin drei Hallen. Diese waren alle für geschlossene Nutzergruppen konzipiert und eben nicht öffentlich. Während die 1920er der Berliner Öffentlichkeit Schwimmtempel wie das Stadtbad Lichtenberg, Stadtbad Mitte oder das Stadtbad Schöneberg brachten, entstand in der Nazizeit kein einziges Bad für die Öffentlichkeit neu.
Die drei Schwimmhallen, die in dieser Zeit entstanden, dienten dem Regime. Eine, weit beworben und gepriesen, das Forumbad am Olympiastadion, wurde gebaut für die Olympischen Spiele 1936. Ein zweites, heute nicht mehr existent und vergessen: ein Bad für die Luftwaffe in Gatow. Das dritte Bad, das eher zufällig noch existiert: in der Finckensteinallee im wohlhabenden Berliner Südwesten entstand das heutige Schwimmhalle Finckensteinallee als Trainingsstätte für die SS Leibstandarte Adolf Hitler.
Diese Schwimmhalle entstand auf dem weitläufigen Kasernengelände der ehemaligen preußischen Kadettenanstalt mit integrierter Parklandschaft. Und auch wenn sie, in Anlehnung an die Nachbarschaft, in Backstein fassadiert war, hat sie doch die typischen Bauprinzipien der Zeit: groß und offensichtlich in der klaren Formensprache an die Antike angelehnt. Klar erkennt man hier eine vergößerte ausgebaute Variante des Forumbades am Olympiastadion, das sich wiederum ebenso offensichtlich zahlreiche Inspirationen beim Stadtbad Mitte holte.
Nebenbei handelte es sich dabei auch um, gemessen an der Beckengröße, das größte Schwimmbad Europas - den Titel den Berlin schon in den 1920ern mit dem Stadtbad Mitte errungen hatte. Mitte allerdings entstand für die Öffentlichkeit, das Bad hier als Ausbildungsstätte für Elitemörder.
Nachdem die Nazis endlich besiegt waren, nutzten die US-Streitkräfte in Berlin das Gelände als Andrew Barracks. Seit dem Abzug der US Army zog in den Großteil der Kasernen der Kadettenanstalt das Bundesarchiv ein. Das Bad selbst: in den 1990ern/2000ern war es erstmals überhaupt für Zivilisten zugänglich - allerdings nur für Vereine und Schulen.
Dann folgte das typische Berliner Schwimmbaddrama der Nachwendezeit aus Verfall, aufgrund der gefährlichen Statik einer zeitweiser Sperrung seit 2006, Diskussionen über eine endgültige Schließung und dann zum Glück eine gründliche Sanierung Veauthier Meyer Architekten und 2014 die Wieder-Öffnung für die Öffentlichkeit.
Gebäude
Ein Kasten. Oder eher eine Halle. Die Halle ist gefühlte 100 Meter hoch(*), mit hohen breiten Fenstern. Auf zwei Seiten eingeschlossen durch die Umkleidetrakte. Optisch aber ist die Halle ein einzelner Solitär. Der Weg von der Straße zur Halle ist beengt und Parkplätze gibt es keine: beides liegt daran, dass den Berliner Bädern nur vier Meter Land um die Halle zugesprochen wurden, der Rest gehört dem Bundesarchiv.
Zwei Sanitärtrakte sind getrennt: einer für Schulen/ Vereine etc., einer für die Öffentlichkeit. Sympathisch: das Tastmodell vor dem Eingang, an dem Blinde Räume und Gänge der Halle ertasten können und Sehende sich auch einen guten Überblick verschaffen.
Schwimmhalle auf dem Gelände der ehemaligen preußischen Kadettenanstalt - heute größtenteils das Bundesarchiv. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Im Eingangsbereich selber ein offenes Foyer, Schuhausziehbereich vor den Kabinen mit edel wirkenden Ablageflächen für die Schuhe. Damit ist es eines der wenigen Bäder, das einerseits diese Unisex-Schleusenkabinen hat und andererseits einen gesonderten Schuhausziehbereich. Oder anders gesagt: es ist eines der sehr wenigen Bäder, das keinen dreckigen, nassen Boden in den Kabinen bietet.
Getrennte Sanitärtrakte für die breite Öffentlichkeit (Norden/oben) und für Schulen/Vereine (Süden / unten) Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Umkleiden / Duschen
Der ganze Umkleidetrakt hat hohe Decken, durch Fenster in zwei Meter Höhe ist der auch hell. Die Kabinen sind das neuere Unisex-Modell: also Einzelkabinen, durch die man hindurchmuss, um zu den Spinden zu gelangen. Sie sind groß, wertig und in bunten aber nicht grellen Farben. Die Duschen glänzen durch hohe Decken, ein angenehmes aber nicht überbordendes Farbkonzept und wirken auch edel.
Schwimmhalle
Vor dem ersten Besuch hatte ich ja schon eine ungefähre Ahnung, was mich erwartet. Aber dennoch: ich war sprachlos. Die Halle hat ein Becken. Eines. Zum Schwimmen. 50 Meter lang, 25 Meter breit. Je nachdem wie man schwimmt, also 10-mal eine 50-Meter-Bahn oder 20-mal eine 25-Meter-Bahn. An der einen Seite fast deckenhohe (also ungefähr 100 Meter) Fenster, auf der anderen Seite eine einfache Wand mit oben laufender Galerie. An den Enden Balkone und über diesen Fenster. Diese erlauben einen wunderbaren Baumkronenblick.
Die Decke, ehemals Glas, ist heute mit – ich glaube schallschluckenden – hellblauen Paneelen in einer Art Kassettendecke ausgeführt, traumschön. Die Bahnmarkierungen sind in einem hellen Grün, das sich – verzeiht den Überschwang – so derart perfekt zum Rest der Halle passt. Es ist faszinierend: ein Nazibau und er wirkt durch und durch leicht und schwebend – ich glaube die Farben tragen dazu nicht unwesentlich bei. An den Wänden sind aus der früheren Inkarnation noch Aufschriften in Englisch: No Smoking und No Running.
Die Deckenhöhe verdanken wir auch dem ehemaligen 10-Meter-Turm, der in der Halle stand. Dieser viel leider der Sanierung zum Opfer. Sonst wären sich die 2 Meter Wassertiefe nicht ausgegangen. Damit bleibt der einzige 10-Meter-Turm in einer öffentlichen Halle Berlins der Turm in der Sportschwimmhalle Schöneberg.
Als wir da waren, waren fünf oder sechs Bahnen als Sportbahnen oder für Vereine/Schulen abgetrennt. An einer Seite sind Edelstartblöcke, an den anderen Seiten (auch an den Querseiten), Befestigungen an denen mobile nicht-ganz-so-edle Startblöcke eingelassen werden können. Auch quer kann man hier ja 25-Meter schwimmen.
Publikum
Naja, wer geht in eine Halle am Ende der Welt, in der es nichts gibt außer 50-Meter-Bahnen. Schwimmer. Nicht alle Anwesende sportlich, manch schwommen auch eher so wie ich, aber alle warem wegen des Schwimmens hier und der Anteil ambitionierter Schwimmer ist hoch.
Aber: es gibt so diesen Typ rücksichtsloser Triathlet, der sehenden Auges und weil er kann, langsamere Schwimmer über den Haufen schwimmt. Normalerweise bewohnt dieser die Sportbahn und ist ein Grund, warum ich Sportbahnen nur so mittel mag.
Die Finckensteinallee ist das einzige Bad, wo sich dieser Schwimmertyp dann auch im offenen ungeleinten Bereich aufhielt. Wobei es besonders lächerlich wirkte, weil die beiden mittelalten Herren, die sich so auslebten betrieben, zwar sehr ambitioniert und grimmig schauten – aber hey, die waren noch langsamer als ich. Die hatten Mühe, jemand zu finden, den sie dann von hinten Überschwimmen konnten. Meine je!
Gastronomie
Gibt’s nicht. Nebenan auch nicht. Kaffeefreie Zone. Die Galerie hätte sich hervorragend für ein kleines Café angeboten, in das man dann auch Bundesarchivbesucher, Schwimmeltern und historisch Interessierte hätte platzieren können. Aber es soll ja nicht alles sein.
Sonstiges
Das spektakulärste: Madame kam ins Bad und sie wurde ohne weiteren Anlass vom Schwimmeister freundlich begrüßt. Wir waren ganz fertig und baff danach!
Fazit
Zwei Seelen ach in meiner Brust. Nach jedem halbwegs objektiven Maßstab ist dies hier mit weitem Abstand die beste Berliner Halle zum Schwimmen. Gerade die Schwimmhalle selbst ist so unglaublich atemverschlagend, so licht, so leicht, so ein riesiges Becken, so eine tolle Innenraumgestaltung, so ach. Aber dennoch: SS-Totenkopfverbände. Und die Nazi-Architektur selbst ist auch deutlich erkennbar.
Und aber: Es erfüllt mich mit stiller Befriedigung, dass ausgerechnet dieses Bad das am offensivsten barrierefreie Bad Berlins ist, und wir unseren ersten Besuch verschieben mussten, weil der Blindensportverein dort einen Wettbewerb abhielt.
Anmerkungen
* Ursprunglich gemessen und nicht gefühlt: 15 Meter. Da seit 2014 die Decke abgehängt sind, werden es jetzt etwas unter 15 Meter sein.Weiterlesen
Die Liste aller Iberty-Schwimmbadposts liegt unter: Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.
Der damals projektleitende Architekt Nils Meyer hat zusammen mit Tobias Reckert einen längren Artikel zum Umbau geschrieben: Komplexes Erbe: Vom Militärbad zum Sportbad. Denkmalgerechte Sanierung der Schwimmhalle Finckensteinallee in Berlin. AB Archiv des Badewesens 03/2015, S. 132-148.
In der Fincke war natürlich auch das Schwimmblog. Bianca war und ist enthusiastisch: Schwimmhalle Finckensteinallee
Bei Bädern vor 1970 immer lesenswert ist das Buch zum Bäderbau in Berlin. Eine der Co-Autorinnen ist seit neuestem auf auf Twitter und dort für Rückfragen ansprechbar: @Uta_Braeuer
Bei Heinze.de gibt es eine Site mit Fotos.
Die TuS Lichterfelde hat den Umbau über die Jahre begleitet und hat eine Site zum Beckenumbau samt Baustellenfotos: Neuigkeiten zur SH Finckensteinallee
Längerer Artikel zu den ganzen Umbauten unter der Leitung von Nils Meyer: Finckensteinallee, Fischerinsel und Hüttenweg in Berlin (alle drei großartig) sowie Gotha, das ich dringend mal besuchen muss: Nicht nur Bahnen ziehen
Die taz hat einen längeren Artikel zum Umbau und zum Umgang dabei mit dem Nazierbe: Baden für den Führer.
Der Tagesspiegel hatte kurz vor Eröffnung einen längeren Artikel samt Bilderstrecke der Halle in schon fertigem aber noch unbeschwommen Zustand: Die Finckensteinallee geht wieder baden
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