Der Film folgt Ahmed Taher, Kleinstunternehmer im Bauwesen, der 1.800 Dinar erhielt um damit eine Mauer zu bauen. Tatsächlich lieh Taher die Dinare seinem Cousin Abu Wafa, der damit Laptops aus Kanada importierte, um sie teuer zu verkaufen. Die Laptops aber hängen seit Wochen oder Monaten im Zoll fest, bis Ahmed Taher schließlich ins Gefängnis kommt. Denn weder baute er die Mauer, noch kann er das Geld zurückzahlen. Das „Verfahren“, ein gelangweilter Richter, der anscheinend nach Laune handelt und ganz ungläubig wird, als Ahmad wegen nur drei Monaten Haft nach einem Anwalt fragt. Das Gefängnis: Mitgefangene, die ungläubig staunen, dass es um Petitessen wie 1.800 Dinar geht.
Blessed Benefit - auf Deutsch: Gelobt sei der kleine Betrüger, auf Arabisch: انشالله استفدت (Inshalla Istafadet; wörtlich "Mit Gottes Wille Profit") - ist der dritte Film des jordanischen Regisseurs Mahmoud Al Massad.
Massad lebt seit einigen Jahren in den Niederlanden, kehrte aber 2014 für 35 Tage nach Jordanien zurück um dort den Film zu drehen - und könnte vermutlich gleich eine neue Tragikomödie über das Drehen eines Films in Jordanien drehen. Inshalla Istafadet ist der erste Spielfilm Massads, beide vorherigen Filme - Recycle und My Picture When I Was Dead - waren Dokumentationen. Inshalla Istafadet ist ein Spielfilm, folgt allerdings einer wahren Episode aus dem Leben Tahers - auch dieser saß wegen desselben Delikts drei Monate im Gefängnis.
Taher, wie die meisten anderen Protagonisten auch, ist kein professioneller Schauspieler, sondern im Leben außerhalb des Films Kleinstunternehmen im Bauwesen. Auslöser des Films war, dass Massad sowohl von Tahers Geschichte wie auch von Taher als Mensch so fasziniert war, dass er einen Film über diesen machen wollte. Taher nimmt die Sachen, zuckt die Schultern, bleibt positiv und versucht sich durch all' die Absurditäten, die das Script ihm zumutet, durchzuwursteln.
Angeblich handelt es sich auch um die erste schwarze Komödie des jordanischen Kinos. Bei dieser Einschätzung lasse ich mich von Fachleuten aber gerne korrigieren. Laut Regisseur selbst ist es gar keine Komödie, denn der Film hat auch eine politische Dimension.
Zelle 6
Der Film spielt einerseits in Zelle 6, überbelegt mit Doppelstockfeldbetten und Neonröhren, Stil verwahrlostes heruntergekommenes Verwaltungsgebäude, ein wenig die versiffte Variante des Schlafsaals aus Full Metal Jacket. Und dann draußen: Polizisten, die ihre Hilfe anbieten, wenn Taher für sie noch eine Mauer fertig baut. Polizisten, die gegen Geld besseres Essen verkaufen. Andere Polizisten, die vor allem wissen wollen, wie man Facebook beitritt und Frauen hinterherjagen. Ein Anwalt, der 100 Dinar kassiert, sagt, alles kein Problem und nie wieder gesehen wird. Höhere Beamte, die lustig miteinander Spaß haben, lachen, und nebenbei im Halbsätzen das Schicksal von Menschen entscheiden.
Niemand lässt sich wirklich als böse beschreiben, alle wollen nur möglichst einfach durchkommen, gehen davon aus, dass alle Anderen betrügen und setzten sich mit mehr oder weniger Geschick gegen ihre Umwelt zu Wehr. Im Gefängnis sitzen halt diejenigen, die sich erwischen ließen. In seiner Gesamtheit porträtiert Massad ein Staatswesen, das in seinem Kern marode ist, morsch und rott.
Die Regeln in der Zelle sind einfacher. Die Lage übersichtlicher. Da ist der „Tote Mann“, der vergeblich versuchte, seine Lebensversicherung zu betrügen, Ibrahim, der Schecks fälschte und Mor, der Spion sein soll und im Gefängnis einen blühenden Handel mit Zigaretten und Nahrungsmitteln betreibt und als Bank für seine Mitgefangenen agiert. Mal spielt man Karten, mal streitet man sich um das Licht, mal streitet man sich darum, wer mit der Außenwelt telefonieren darf, mal tanzt man zusammen zu arabischer Popmusik und mal liegen sie zusammen verschwitzt im Hof und sonnen sich.
Das ist manchmal schon fast anheimelnd unterm Neonlicht und doch nicht wirklich schön. Allerdings ist es den Umständen des Staates entsprechend, spiegelt diese und wirkt in vielem effizienter und berechenbarer als die Welt da draußen.
Frei?
Jordanische Schafe. Bild: Wadee Shoayb von: Adeeb Atwan Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported |
In dieser Welt schafft es Abu Wafa / der Cousin dann das einheimische Schaf - offensichtlich fing er es wieder ein - dem Zollbeamten zu „schenken“. Immerhin hat der Zollbeamte bei den Versuchen, die Laptops frei zu bekommen, schon mehrfach darauf hingewiesen, dass er ein Schaf - ein einheimisches! - für eine Feier sucht und deshalb keine Zeit hat sich um die Laptops zu kümmern. Nun hat er das Schaf, woraufhin plötzlich die Laptops doch frei werden.
Leider währt die Freude nicht lange, der versuchte Kleinbetrüger Abu Wafa fällt einem etwas größeren Betrüger zum Opfer, die Laptops sind weg, das Geld immer noch nicht wieder da. Am Ende hat Taher seine Zeit abgesessen. Wie einige Male zuvor, sieht es so aus als käme er frei. Er trägt Zivilkleidung, steht auf der Straße. Plötzlich Handschelle, Taher sitzt mit Menschen in Guantanamo-Kleidung in einem Hochsicherheitstransport. Die Polizei versichert, dass alles ganz normal ist und er ganz sicher gleich wieder frei ist. Jeder Tag eine neue Überraschung.
Frauen? Welche Frauen?
Was mich störte:
Nicht am Film, sondern an den Umständen unter denen wir ihm sahen: im Kino, in dem Madame und ich ihn sahen, lief der Film - anders als angekündigt - nicht als OmU (Original mit Untertiteln) sondern auf deutsch synchronisiert. Den ganzen Film über haderten wir damit, dass eine anscheinend zutiefst jordanische Geschichte klingt wie eine deutsche Kleinfamilie beim Frühstück. Zumal bei einem Film mit spärlicher Musik - die dafür sehr schön zurückhaltend und akzentuiert von Andre Matthias - die Sprache und ihr Sound eine umso wichtigere Rolle spielen und dieser deutsche Synchronsound in einem arabischen Setting FALSCH FALSCH FALSCH klingt.
Zum anderen waren die Frauenrollen greulich. Zwei Frauen (Die Frau des Helden, die Freundin des Mittelbetrügers), deren ganze Rolle als "Frau von" besteht, deren einzige Dialoge daran bestanden, dass sie ihre Mutter treffen wollen (beide) und der Mann den Strom bezahlen soll (Ahmed) beziehungsweise den Computer reparieren (Ibrahim). Mehr war nicht.
Lachen
Was ich mochte: Taher, der mich optisch an Woody Allen erinnerte; allerdings hat Taher keine Probleme mit seinen eigenen Neurosen hat, dafür ist die Welt um ihn herum schon neurotisch genug. Die Geschichte ist mindestens genauso irrwitzig wie Woody Allen, wenn auch langsamer und ruhiger erzählt, weniger wortreich. Da muss man gar nicht viel reden, um all‘ die Absurdität darzustellen.
Die Geschichte manchmal brüllend komisch: eine ganze Zelle harter Kerle, die gebannt einer arabischen Soap Opera im Fernseher folgen; der Polizist, der während einer Razzia mit großen Augen in die Skype-Webcam schaut; wilde Tanzszenen, das Schaf – aber einheimisch!
Weinen
Der Film ist frustrierend. Auch wenn es keine Gewalt gibt, niemand wirklich bösartig ist, sondern alle versuchen sich durchzulavieren, die ein oder andere Kritik gar von "gentle" oder "harmlos" spricht: die Lage ist enervierend. Nichts geht, das einzige worauf man sich verlassen kann, ist, dass man sich nicht verlassen kann und jeder versucht jeden zu betrügen. Das ist hier oft freundlich geschildert, manchmal lustig, aber doch eine Dystopie des Zusammenbruchs von Vertrauensverhältnissen.
Massad drehte vorher eine Dokumentation über Palästina und Recycle (2008) zum Thema Terrorismus. Recycle beschäftigt sich mit dem Leben in der jordanischen Stadt Zarqa, aus der sowohl der Protagonist des Films, ein um seine Existenz kämpfender Altpapierhändler,als auch Musa al Zarqawi, der Offizier Osama bin Ladens stammen.Der Film beschäftigt sich mit dem Existenzkampf im Jordanien, der Frage was Islam dort bedeutet und wie jemand unter diesen Umständen zum Terroristen wird.
Taher am Telefon. Telefonieren ist ein Privileg, um an den Apparat zu kommen, sind zahlreiche Transaktionen nötig. |
Desillusioniert sind die Charaktere in Inshalla Istafadet auch. Und die ganze Zeit während des Films dachte ich: wenn Jordanien nur annähernd in der Realität so ist wie in diesem Film, verstehe ich Menschen besser, die sich Fundamentalisten anschließen: die eine klare Linie und ein Ziel versprechen. Die Terroristen mögen schlimmes vorhaben, aber zumindest gibt es einen Weg und Verlässlichkeit, nicht dieses verstörende Panorama an Schwäche, Korruption und offensichtlicher Inkompetenz.
Aber auch diesen Ausweg lässt der Film nicht zu. Am Ende, nach der "Freilassung" und der sofortigen Wiederingewahrsamname sitzt Ahmed mit den Menschen in orangen Guantanamo-Anzügen und Bewachung mit Maschinengewehren in einem Gefangenentransport. Die werden nicht direkt als Terroristen im Film vorgestellt, ihr vergehen laut deutscher Synchro ist "Hochverrat", aber die Terrorismusanalogie liegt nahe. Ist hier das andere? Das erschreckende, gewalttätige, wenn auch nicht das korrupte Gewusel?
Nein. Die Terroristen prokeln ihre Handschellen auf, die Polizei bleibt seelenruhig "Aber bevor wir ankommen, die Handschellen wieder fest machen." - "Ja, klar. Wie immer." - Entrüstetes, entsetztes Nachfragen von Taher: "Ihr macht das immer???" "Wie sollen wir sonst rauchen?". Auch die Terroristen sind schon lange Teil des gegenseitigen Gebens und Nehmens.
Es geht weiter
Wäre der Film nicht absurd genug, so geht es auch im realen Leben weiter. Ein Film der, die Originalsprache arabisch hat, und eine jordanisch-deutsche-niederländische Co-Produktion ist, die einiges Geld über einen katarischen Filmpreis erhielt, sagt schon einiges über die Produktionsbedingungen im Kino des Nahen Ostens aus.Noch absurder wird es dann aber, wenn der Film von Royal Film Commission in Jordanien gefördert wurde, zur Uraufführung in Jordanien zwei Prinzessinnen des Königshauses kamen ebenso wie der Chef der Royal Film Commission, derselbe Film, dann aber Anfangs Probleme hatte, überhaupt in Jordanien gezeigt zu werden.
Wobei der Regisseur Anfang des Jahres per Pressemitteilung verbreitete, dass es eine schriftliche Entscheidung gäbe, er diese aber nicht ausgehändigt bekommen habe. Das Media Board hingegen gab bekannt, den Film gar nicht zur Freigabe bekommen zu haben und ihm dementsprechend auch gar nicht verbieten haben können. Die Szene und die Pressemitteilungen könnten so 1:1 in den Film selbst vorkommen.
Aber ob es nun ein Missverständnis war, ob sie sich doch noch einigten, dass die eine oder andere Szene aus dem Film heraus kann, oder einfach jemand sein Schaf bekommen hat. Laut den deutschen Produzenten Twenty Twenty Vision: "Nach einigen Protesten ist es dann doch gelungen und der Film hatte einen kleinen Start in Amman."
Ein kleiner Start, aber letztlich lief der Film öffentlich in Jordanien. Quelle: Internet. |
International
In der weiten Welt erging es dem Film besser als in Jordanien. So gewann er beim Filmfestival in Warschau die Auszeichnung für den besten Film aus Asien und den besten Schauspieler. Bereits vorher gewann das Drehbuch oder diverse Auszeichnungen für das Drehbuch..
In Deutschland scheint noch eine zweistellige Zahl von Kopien in Umlauf zu sein, sodass es in den nächsten Wochen noch Chancen gibt, den Film im Programmkino der Wahl zu sehen. Hier unter dem Titel: Gelobt sei der kleine Betrüger.
Weiterlesen
Einige Besprechungen gab es natürlich auch. Die meines Erachtens treffende weitere Besprechung stammt vom Hollywood Reporter: ‘Blessed Benefit’ (‘Inshallah Istafadit’): Film Review | TIFF 2016
Die weiteren Iberty-Posts zu Filmen, Büchern, Tanzen etc finden sich unter: Kultur in Iberty! Eine Übersicht.
Zum Abschluss: Nicht gekennzeichnete Bilder im Post mit freundlicher Genehmigung von Twenty Twenty Vision.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen