Gefährlich kann es werden, wenn die Nesseln ins Auge geraten.
Deshalb gilt es beim Tauchen in der Nordsee: Augen zu oder eine Schwimmbrille tragen.
Bild: Jellyfish. Close up, von: Gary Rogers Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic |
Wie es geschah
Früher Juni, Dithmarschen, Nordseeküste, Pfingsten, strahlender Sonnenschein, Wind. Am Büsumer Hauptstrand
brechen sich die Wellen. Das Wasser hat entspannte 16 Grad, die Luft schon fast
20 Grad. Eine Frau in Mütze, Schal und Daunenjacke schaut uns skeptisch an, als wir ins
Wasser steigen.
Die Flut läuft noch etwa eine halbe Stunde. Die Wellen überspülen bereits die
Einstiegstreppe. Wir wandern, wandern, wandern. Watt ist Wanderland, selbst
wenn das Wasser bis an den Strand reicht. Die Küste ist flach. Ein paar Zentimeter Wasser
unter dem Bauch müssen ja sein. Irgendwann dann Längslange ohne dabei den
Boden zu touchieren.
Wir ziehen einige Schwimmzüge. Dank Wellen und Strömung ist unklar, ob es jetzt vorwärts oder rückwärts geht. Das Wasser ist kalt, angenehm und salzig. Und es brennt. Nanü? Brennen auf der Haut? Fühlt sich an wie Brennesseln.
Brennesseln? In der Nordsee? Wohl kaum. Vielleicht Quallen? Kenne ich nur
von der Ostsee. Später dann, wieder an Land: Madame erzählt, dass sie
das zum Brennen gehörige Tiert auch gesehen hat: es war blau.
Brennesseln in der Nordsee?
Ja, es gibt in der Nordsee Quallen und in manchen Jahren gar nicht so wenige.
Die Blaue Nesselqualle (Cynea lamarckii), in poetisch veranlagteren Quellen Cyanblaue Haarqualle, auf niederländisch Blauwe Haarkwal, ist eng mit der Feuerqualle (Cyanea capillata) verwandt(1). Sie gehört in weiterer Linie zu den Fahnenquallen und damit zu den Scheibenquallen, im Endeffekt zur Gruppe der echten Quallen.
Sie ist nach der Ohrenqualle (die durchsichtige mit dem komischen Muster) und der Feuerqualle (die gelblich-rote, die richtig schmerzt) die dritthäufigste Qualle in Nord- und Ostsee. Die blaue Nesselqualle kommt von April bis Juli in weiten Teilen kühlerer Gewässer vor: Von der Biskaya bis hin zu den Faroer.Inseln, benötigt aber Salzwasser. In der Ostsee hält sie sich nur in den westlichen Randbereichen auf.
Die lamarckii wird bis zu 15cm groß, in Ausnahmen auch bis zu 30 cm (Schirm) beziehungsweise, die Nessel können meterlang sein. Die Qualle bewegt sich schwimmend im freien Wasser und ernährt sich
von Makroplankton, das durch das Gift der Nesseln betäubt wird.
Bild: Blaue Nesselqualle (Cyanea lamarckii) Von: Denis Barthel Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported |
In ihrer Giftigkeit liegt die Nesselqualle zwischen Ohrenqualle und Feuerqualle. Anders als die
komplett harmlose Ohrenqualle ist hier schon ein
Schmerz zu spüren. Der spielt aber in der Liga „Brennessel“, lässt glücklichweise deutlich
schneller nach als bei Brennensseln. Er bietet zum Glück keinen Vergleich mit der Rötung
und dem intensiven andauernden Schmerz, den so eine Feuerqualle verursachen
kann.
Schlimm ist bei der blauen Nesseligen weniger der Schmerz an sich als vielmehr der Überraschungsmoment mitten im Wasser beim netten Baden von etwas gestochen zu werden – etwas das sich im unsichtbaren Dunkeln des Wasser verbirgt.
Schlimm ist bei der blauen Nesseligen weniger der Schmerz an sich als vielmehr der Überraschungsmoment mitten im Wasser beim netten Baden von etwas gestochen zu werden – etwas das sich im unsichtbaren Dunkeln des Wasser verbirgt.
Essig und Rasierschaum
Hat man den Schock überstanden ist der Schmerz vermutlich schon wieder
verschwunden bis man an Land ist. Wer aber schnell genug ans Ufer sprintet und
etwas machen möchte: vermutlich sind auf der Haut noch Tentakelteile, deren Nesselzellen noch nicht geplatzt sind. Die kann man entfernen: einsprühen mit Essig (haushaltsüblicher Essig, am besten
schon in einer Sprayflasche vorbereitet) oder mit Rasierschaum, kurz auftrocknen lassen und dann mit
einer stumpfen Kante (Plastikkarte, Messerrückseite), Nesselfadenteile und ihr
Gift abschaben.
Der vorbereitete Strandbesucher hat Essig in einer Sprühflasche dabei. Aber sein wir ehrlich: nötig ist das eigentlich nur wenn es um Feuerquallen und damit vor allem um die Ostsee geht. Bild: A spray bottle. Von: Hustvedt Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported |
Wenn weder Essig noch Rasierschaum zur Hand ist - man also spontan und unvorbereitet badet - ist die Nutzung von Meerwasser zum Abspülen immerhin möglich.
Keinesfalls Süßwasser nutzen – das bringt die Nesselzellen zum Platzen und setzt nur mehr Gift frei, oder mit dem Handtuch
abreiben – das massiert das Gift in die Haut ein. Weniger angenehm ist es
eventuell das Gift ins Auge zu bekommen – eine Schwimmbrille beim Tauchen oder
das Schließen der Augen sollte hier Abhilfe schaffen.
Wenn erst einmal die restlichen Nesselzellen entfernt wurden, es aber immer noch brennt, hilft zum einen eine allgemeine Kühlung zur Schmerzlinderung. Und wer den Verdacht hat, allergisch zu reagieren, kann dann auch noch Antihistamine benutzen.
Abgesehen vom Schockmoment
Aber abgesehen vom Schockmoment, der uns und auch andere bei der Erstbegegnugg
erielten. Es sind doch faszinierende Tierchen.
Der Schirmrand hat acht tiefe Einschnitte, der Schirm hat fast eine Sternform. Durch die aufgefalteten Mundarme und Gonaden wirken ausgewachsene Tiere vergleichsweise voluminös, während die Tentakel ein feines, geradezu fieseliges Fangnetz bilden, das hinter dem Schirm hinterherschwebt. Die Tentakel treten in vier gleichmäßig unter dem Schirm verteilten Bündeln auf, die je 40 bis 60 Tentakel haben. Die Farbe der Qualle ist dabei nicht immer blau, reicht von einem starken Dunkelblau über ein Violett bis hin zu einem Blassgelb.
Spannenderweise ist der korrekte biologische Name der Tiere Cyanea lamarckii Péron & Lesueur, 1810. Wobei letzteres die Namen der Entdecker sind. Was spannend ist: sollte man doch meinen, ein Tier, das in Europa relativ häufig ist und das sogar ich ungesucht beim Baden auffinden kann, sollte im 18. Jahrhundert - als die biologische Systematik eingeführt wurde - schon längst Allgemeingut gewesen sein - also gar keinen Entdecker haben.
Der Schirmrand hat acht tiefe Einschnitte, der Schirm hat fast eine Sternform. Durch die aufgefalteten Mundarme und Gonaden wirken ausgewachsene Tiere vergleichsweise voluminös, während die Tentakel ein feines, geradezu fieseliges Fangnetz bilden, das hinter dem Schirm hinterherschwebt. Die Tentakel treten in vier gleichmäßig unter dem Schirm verteilten Bündeln auf, die je 40 bis 60 Tentakel haben. Die Farbe der Qualle ist dabei nicht immer blau, reicht von einem starken Dunkelblau über ein Violett bis hin zu einem Blassgelb.
Tote Haarkwal. Gut zu erkennen: die acht Einschnite im Schirm und die Tatsache, dass der Schirm selbst durchsichtig ist, das Innenleben hingegen blau. Bild: Blauwe haarkwal (Cyanea lamarckii) Von: Ecomare Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International |
Spannenderweise ist der korrekte biologische Name der Tiere Cyanea lamarckii Péron & Lesueur, 1810. Wobei letzteres die Namen der Entdecker sind. Was spannend ist: sollte man doch meinen, ein Tier, das in Europa relativ häufig ist und das sogar ich ungesucht beim Baden auffinden kann, sollte im 18. Jahrhundert - als die biologische Systematik eingeführt wurde - schon längst Allgemeingut gewesen sein - also gar keinen Entdecker haben.
Damit kommen wir dann zu zwei Franzosen: Péron & Lesueur, Biologen, Zeichner und die Urväter der Quallenforschung.Natürlich hatten Menschen auch schon vor 1810 Bekanntschaft mit der Blauen Nesselqualle gemacht. Nur waren sie nie auf die Idee gekommen, diese als eigene Art anzusehen.
Erst Lesueur und Péron haben sich intensiver mit den Quallen auseinandergesetzt und zahlreiche ihrer Arten bestimmt. Péron lieferte dazu die schriftliche Beschreibung während Lesueur die Tiere zeichnete. Cyanea lamarckii beobachteten sie intensiv im Hafen von Le Havre.
Cyana lamarckii, gezeichnet von Lesueur - mit den vier Tentakelbündeln, dem voluminösen Innenleben und dem sternförmigen Schirm. |
Benannt ist die Quallenart nach Jean-Baptiste de Lamarck, der als Begründer der Biologie der Wirbellosen gilt beziehungweise diesen Begriff um 1800 überhaupt erst einführte. Überraschenderweise hat es Lamarck trotz seines Einflusses nur auf zwei Tierarten gebracht, die nach ihm benannt sind. Neben der Blauen Nesselqualle existiert noch eine ägyptische Unterart der Honigbiene: Apis mellifera lamarckii.
Gute Nachrichten
Gute Nachrichten für Blaue-Nesselquallen-Freunde: vermutlich werden es mehr Tiere. Weltweit vermehren sich die Quallen stark. Zum einen schafft es der Mensch recht erfolgreich Fische auszurotten, die sonst die Quallen essen/ den Quallen das Essen wegessen, während die Quallen anscheinend recht unbeeindruckt von menschlichen Aktivitäten bleiben - Quallen weisen anscheinend eine Überlebensfähigkeit wie Kakerlaken auf.
Zum anderen helfen wir ihnen auch gerade aktiv. Sowohl Klimawandel wie auch die Verschiffung von Quallen in Ballasttanks von Schiffen scheinen ihre Ausbreitung zu fördern. Quallen verbringen Teile ihres Lebens festgewachsen als Polyp auf dem Meeresboden. Männliche und weibliche Quallen verteilen Samen und Eier frei über die Weltmeere und wenn sie sich denn man treffen, bildet sich daraus ein Polyp. Dieser wächst auf dem Boden fest, entwickelt sich und irgendwann "strobiliert" er. Das heißt, Teile des Polypen lösen sich ab und bilden sich dann zu Quallen aus.
Blaue Nesselqualle beim Strobilieren. Die Teile oben lösen sich vom Polypenfuss ab und werden dann selber Quallen. Bild: Strobila di Cyanea lamarcki Von: M.J. Delap, Lizenz: Public Domain. |
Die Zahl der Quallen hängt weniger von den Lebensumständen der eigentlichen Qualle (auch "Meduse" genannt) ab, sondern vor allem von den Lebenumständen des Polypen. Immerhin haben die Tiere nur wenige Monate überhaupt eine Quallenform, während der Polyp mehr oder weniger die Dauerform ist.
Zudem bilden sich aus einem Polypen mehrere Quallen. Eine schöne ausführliche Beschreibung wie das ganze in der Nordsee funktioniert findet sich in Sabine Holsts Hamburger Dissertation: Grundlagen der Populationsentwicklung verschiedener Scyphozoa (Cnidaria) der Deutschen Bucht
Sand ist für Polypen weniger geeignet - der bewegt sich andauernd und zerreibt dann noch die armen Tierchen, weshalb die Polypen gerne auf Muscheln oder Algen wachsen. Feste Oberflächen aber, die wir in Form von Dämmen, Bohrinseln oder Windkraftanlagen in der Nordsee versenken, sind noch perfektere Kinderstuben für die Quallenpolypen.
Wobei, als Quallen-Connaisseur mag man sich freuen. Andere Menschen sind weniger glücklich: Fischfreunde und Fischer, weil die Quallen den Fischen die Nahrung wegessen, die Fischbestände zurückgehen. Fischer sind zudem noch unglücklich, da Quallenschärme durch ihr pures Gewicht gerne Netze verstopfen oder ganz zerreissen.
Auch Industrieanlagen haben immer wieder Probleme wenn Quallenschwärme in das Kühlwasser geraten und die entsprechenden Systeme mit Tonnen von Glibber verstopfen. Und nicht zuletzt sind die Touristiker unglücklich, denn Qualle am Strand macht den Badegast unglücklich. Während die Blaue Nesselqualle mit all' den vorderen Punkten nichts zu tun hat, scheint sie sehr wohl Badegäste und auch die Tourismusindustrie der Nordsee zu ärgern.
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Wer wirklich intensiv in die Verbreitung und das Leben der Blauen Nesselqualle in der Nordsee einsteigen möchte, dem sein Sabine Holsts Dissertation Grundlagen der Populationsentwicklung verschiedener Scyphozoa (Cnidaria) der Deutschen Bucht ans Herz gelegt.
Zu Lesueur und Péron sind mehrere schöne Bildwerke erscheinen, die allein schon der Zeihnungen wegen die Betrachtung lohnen. Jan Ahrmann: Zeichnen als beobachten: Die Bildwerke der Baudin-Expedition (1800-1804) und Gabrielle Baglione, Cédric Crémière: Charles-Alexandre Lesueur: Painter & Naturalist: a Forgotten Treasure MkF Éditions, 2016
Und, so richtig zum schauen, anscheinend ein reiner Bildband: Méduses - Jellyfish : Charles-Alexandre Lesueur von Gabrielle Baglione, Cédric Crémière, Jacqueline Goy und Stéphane Schmitt.
Anmerkungen
(1) So eng sogar, dass einige Biologen die beiden letztlich für eine Art halten. Wobei jeder, der schon mal beide Quallen abbekomen hat, bestätigen wird, dass es deutliche Unterschiede im Stich gibt.
danke, Dirk, für deine schöne Beschreibung der Quallen. Im letzten jahr hab ich ein sehr hoffnungsmachendes inspirierendes Theaterstück gesehen, dass ich dir hiermit nahelegen möchte, falls du französisch sprichst...lieben gruss, frani
AntwortenLöschenhttps://collectif-aurita.jimdosite.com/meduses/
Hallo frani,
AntwortenLöschenzwar verstehe ich nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat und wie ich nun in zur Ehre inspirierender französischer Theaterstücke komme. Ich war kurz davor, den Kommentar gar nicht erst freizuschalten. Aber andererseits: bei namentlich Anspracher, selbst gehosteter Jimdo-Seiten und spannender Seite - auch wenn ich kein französisch kann - werde ich schwach. Liebe gruss. Dirk