Dienstag, 21. März 2017

Der Mett-Igel ist ein deutsches Traditionsessen aus dem 18. Jahrhundert

Zedler - in vielerlei Hinsicht ist es DAS Lexikon. Das Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste - wie Zedler in Gänze heißt - ist ein epischer Meilenstein der Enzyklopädistik. Das Werk, zwischen 1732 und 1754 erschienen, ist das größte Lexikon seiner Zeit. Seinem Leser stellt sich ein umfassendes Kompendium des 18. Jahrhunderts dar.

Mettigel
Mett-Igel, 21. Jahrhundert. Wobei die Pinien-Version deutlich besser klingt als die hier abgebildete Zwiebel-Variante. Bild: Mettigel Von: oris Kumicak + Kai Namslau Lizenz: Public Domain
Weit mehr als die ungleich bekanntere Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers des Diderots, ist Zedler ein Vorläufer heutiger Nachschlagewerke und natürlich der Wikipedia. Hatte das Diderotsche Werk ein philosopisch-politisches Ziel, ist fast bekannter für seine programmatischen Vorwörter und Begleittexte als für den eigenen Lexikontext, so diente der Zedler nur der ausführlichen und langweiligen Wissensvermittlung. Wobei Zedler, auch da der Wikipedia, nicht unähnlich, seine Leser durch Textmassen übewältigen wollte, 284.000 Einträge auf 63.000 Seiten in 64 Bänden. Der Inhalt ist bis heute nur spärlich erschlossen.



Auch sonst hat der Zedler einiges, was an die Wikipedia erinnert. Eine seltsame Mischung aus relevantem und irrelevantem, die Neigung Städte/Örte in der Nähe viel ausführlicher abzuhandeln als Begebenheiten der Ferne. Zedler kennzeichnet ähnlich wie Wikipedia eine starke Neigung zu Biographien einerseits, zu Landes- und Stadtartikeln andererseits. Nicht zuletzt, sind zahlreiche Inhalte aus anderen Büchern abgeschrieben und enzyklopädisch aufbereitet. Und das ganze, anders als bei Diderot beispielsweise, von anonymen Autoren.

Kein Wunder, dass ich mich immer mal wieder mit dem Zedler beschäftige und mir dabei das höchst aufschlussreiche Buch Johannes Schneiders in die Hände fiel: Die Erfindung des Allgemeinen Wissens.

Auch allgemein handelt es sich um ein Buch, das den ein oder anderen Blogartikel wert wäre. Erst einmal möchte ich aber nur zwei Hinweisen aus dem Buch nachgehen.

* Der Zedler ist in Gänze Online und mäßig gut(*) durchsuchbar.
* Der Zedler ist die größte Rezeptsammlung seiner Zeit.

Und so suchte ich und forschte ein bißchen; stellte beim Lesen fest, dass es unfassbare Möglichkeiten gibt, Fleisch zuzubereiten und im 18. Jahrhundert von Biberschwanz über Drosseln und Lerchen bis hin zum Pfau alles auf den Tisch kam. Innereien spielen eine große Rolle. Eier und Butter sind Teil fast jeden Rezeptes. Gewürze werden reichlich verwendet, gerne Muskat, geriebene Zitronen, Nelken. Nudeln und die mediterrane Küche, Kapern, Oliven, Sardellen, Nudeln sind durchaus in größerer Zahl vorhanden. Nichts da mit einfacher deutscher Küche und Entdeckung des italienischen im 20. Jahrhundert. Deutschland aß bereits im 18. Jahrhundert italienisch, hat es nur zwischendurch vergessen.

Was aber im Zedler noch komplett fehlt: Tomaten und Kartoffeln. Die waren zwar prinzipiell schon in Europa bekannt, wurden aber noch nicht als echtes Nahrungsmittel angesehen. Salat, gibt es auch nicht - kein Wunder in einer Welt ohne frisches sauberes Wasser und ohne Kühlketten. Milch kommt eigentlich nur in der Form von Butter vor -  Kühlkette. Gemüse gibt es dementsprechend auch nicht roh, sondern nur stark gekocht. Wie ich aus Zedler lernte, stammt der Begriff Gemüse tatsächlich von Mus, und sagt so einiges über die Konsistenz der damals servierten Feldfrüchte aus.

Was aber auch eine echte Entdeckung war. Der Mettigel ist ein deutsches Traditionsgericht. Natürlich - Frischwasser, Kühlketten - nicht mit frischem Mett, sondern aus dem Backofen. Aber die Grundidee ist offensichtlich dieselbe:

Igel ist auch ein gewisses Essen, so also zugerichtet wird, Nehmet eine Kalbs-Leber, kochet dieselbe, reibet sie auf dem Reib-Eisen, schlaget 3 oder 4 Eier in geriebene Semmel und Gewürze, rühret es wohl unter einander, daß es recht trocken werde: Hierauf formiret es einem Igel gleich, nehmet Pinien, und länglich geschnittene Mandeln, bestecket den formierten Igel dichte damit, setzet ihn hernach im Backofen auf ein Blech oder Papier, lasset ihn fein gelb backen, ehe er gar ausgebacken, kan er zuvor mit ein wenig zerlassener Butter begossen werden, wenn dieses geschehen, so setzet man ihn auf den Tisch zum Schau-Essen.

Text im Zedler


Viel Spaß beim Nachkochen!

(*) Volltextsuche beispielsweise funktioniert gar nicht. Den Igel findet man nur, wenn man Jgel sucht - anscheinend war das OCR mit dem "I" überfordert.

1 Kommentar:

Marie Fischer hat gesagt…

Ein besonders typisches deutsches Gericht, das auch weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt ist – der Christstollen. Das älteste Zeugnis stammt aus Naumburg an der Saale, damals war der Stollen allerdings noch ein Fastenbrot für die Adventszeit. Erst vor etwa 300 Jahren lockerte die Kirche mit dem „Butterbrief“ das Adventsfasten-Verbot für Butter und Milch, sodass gegen ein Bußgeld auch diese Zutaten für den Stollen verwendet werden durften – das Geld kam dem Bau des Freiberger Doms zugute. Ich mag Christstollen.. Probiere mal auch.