Nachtisch bei Tom Aiknes, ehemaliger Gewinner, heute Juror. Bild: Tom Aikens 10. Von: Tzahy Lerner Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. |
Erkältung! Aber so richtig. Immerhin: die Zwangspause unter den Decken bietet die seltene Gelegenheit so richtig fernzusehen; das Internet aufzuklappen und andere Menschen Abenteuer erleben zu lassen, während ich selbst im Ausbruch höchster Energie von links nach rechts rolle oder umgekehrt. Und dort im Internet fand ich sie: Die ultimate Kochshow. Eine, die tatsächlich sehenswert ist und bei der ich nach sechs Folgen hintereinander auch noch die siebte sehen will und nach 26 Folgen hintereinander auch noch die 27.: The Great British Menu. Ausgestrahlt seit 2006 durch die BBC und bisher auf Sendegebiet der BBC beschränkt.
Das Format der Sendung ist simpel: 27 Köche aus dem Vereinigten Königreich bewerben sich darum, bei einem großen Bankett einen oder mehrere Gänge zubereiten zu dürfen. Die Bewerber kochen durch mehrere Runden ein Viergängemenü (Starter – Fish – Main – Dessert). Während es in den ersten Runden darum geht, sich als Koch für die nächste Runde zu qualifizieren, wird in der letzten Runde jeweils der beste Gang für das entsprechende Bankett gewählt.
Das Bankett ist festlich – dieses Jahr wird es im Westminster Palace stattfinden, vor zwei Jahren war es in der St. Paul’s Cathedral. Die beim Bankett bewirteten Gäste wechseln – dieses Jahr sind es Träger des Britischen Orders of the Empire -normale Menschen, die sich besonders um ihre Umgebung verdient gemacht haben, ähnlich dem Bundesverdienstkreuz und ähnlicher Auszeichnungen. Letztes Jahr fand das Bankett zum 100-jährigen Jubiläum des Womens Institute statt - eine Art feministischer Landfrauen mit UK-weiter Verbreitung, 2014 fand das Bankett für Weltkriegs-Veteranen im Angedenken an das Jubiläum des D-Days statt.
Bis zum Bankett ist das Ambiente der Sendung ist sehr bodenständig – definitiv mehr Küche als Fernsehstudio. Das Niveau der Küche ist sehr hoch. Ich habe schon Zwei-Sterne-Köche in der ersten Runde ausscheiden sehen. Und das macht den Reiz aus. Keine Kochhalbgötter und keine planlosen Moderatoren. Niemanden, der versucht den kulinarisch ahnungslosen auf der Straße abzuholen und sagt, dass Currywurst doch das Beste ist, Hauptsache man macht noch Ingwer dran.
Kein raunendes Staunen, wenn jemand mal etwas Sous Vide gart, sondern Gerichte, für die die Köche gleichzeitig braten, kochen, sous vide garen, räuchern, dehydrieren, schäumen und ähnliches.
Es geht um Spitzenköche an der Grenze dessen zu dem sie fähig sind. Ein Michelin-Stern ist kein Anlass zu ehrfürchtiger Andacht, sondern eine Grundlage um etwas Gutes zu kochen.
Die Vorrunde ist nach Regionen gesplittet – Nordirland, Schottland, Wales, England-Nordwest/Nordost/Central/Südwest sowie „Südost und London“. Drei Köche pro Region treten an. Ein erfahrener Spitzenkoch (oft mit noch mehr Sternen und meist ein ehemaliger Gewinner der Sendung) bewertet die Gänge. Alles findet in einer Küche statt, der Tonfall ist kritisch, analytisch und kühl-sachlich. Die Sprache ist nicht herablassend, aber klar hierarchisch. Informelles Feel-Good-Feeling taucht eher selten auf. Die Besprechungen auf anderen Seiten beschreiben die Sendung mal als "nicht flashy" (ukgamesshows.com) oder auch "ridiculously uptight" (Guardian)
Jede Runde beginnt damit, dass die Köche dem Juror ihre Zutaten vorstellen. Alles wird von Grund auf gekocht, sie starten mit einem Stück größeren Stück Tier oder einem ganzen Fisch und Gemüse, machen Saucen selbst, machen Würste selbst, backen das Brot frisch – und werden dann beim Kochen beobachtet. Der Koch bewertet die fertigen Gericht und vergibt jeweils Punkte von 1 bis 10. Wenn das Gericht ohne Katastrophen serviert wird, aber sonst langweilig ist, landen die Küche bei etwa 6 Punkten. 10 Punkte sind sehr selten. Die Köche, die nach den vier Gängen die höchste Punktzahl erkocht haben, kommen weiter.
Das ist kein Showkochen, das ist kein extra langsames Kochen – man kann großen Könnern beim Können zusehen: Atemberaubendes Schneiden, High-Speed-Fisch-filetieren, die Kunst, sieben Töpfe und Pfannen mit verschiedenen Garzeiten gleichzeitig im Blick zu behalten, die Panik ob das Jelly rechtzeitig fest wird, filigranes Zusammensetzen der Teile. Kochen an sich ist schon eine bildmächtige und gut anzusehende Tätigkeit – es wird besser, wenn die Leute es auch noch können.
Zudem. Ich habe nicht den Eindruck, dass mir Banalitäten als bedeutende Erkenntnis untergejubelt werden sollen, nicht den Eindruck dass mittelgute Köche sich vor überforderten Moderatoren als Küchengötter feiern lassen. Es zeigt was Küche derzeit kann wenn sie will und mich motiviert es sehr, selber zu kochen.
Die Köche haben ein Zeitlimit, und - oh Boy - was und wie sie kochen. Matt Gillan, Gewinner für den Hauptgang letztes Jahr brachte Ziegenschulter, Ziegenjelly, salziger Teig, Ziegenbein, Ziegenlende, Ziegenmousse, Kartoffelpurree, Ziegenfettkloß, Herders Pie, Ziegensauce, Ziegenkäse, Ananas und Babyspinat auf den Teller. Alles wohlgemerkt in einer Portion sinnvoll kombiniert auf einem Teller in einer essbaren Portionsgröße innerhalb eines Vier-Gänge-Menüs, laut Juroren nahezu zur Perfektion zubereitet. Diese Woche kreierte Mark Abbott aus Nordirland einen Starter aus sieben Varianten Kartoffel (pomme souffle, champ croquette, buttermilk mash, bacon cone filled with purple potato salad, potato puffs and skins). Abbott folgte dem Anspruch, dass man auch aus der einfachsten Zutat ein großartiges Essen schaffen kann.
Ich wäre froh, wenn ich es schaffte, ein oder zwei der Komponenten der Mahlzeiten gut zuzubereiten, Abbott hat das alles gleichzeitig geschafft.
Von den drei Kandidaten kommen zwei vor eine Jury, bestehend aus drei festen Mitgliedern (very Englisch, manchmal anstrengend) und einem wechselnden Mitglied, das einen Bezug zum Bankett hat. Dieses Jahr also OBE-Träger, die meistens einen Bezug zum Kochen haben, letztes Jahr Aktive im Womens Institute, vorletztes Jahr Weltkriegsveteranen.
Die Köche kochen vor der Jury das komplette Menü durch und einer der Köche qualifiziert sich für die Finals Week. In der Finals Week treffen die acht Regionssieger zusammen, wieder vor der Jury und kochen jeden Gang einzeln. Die Jury bestimmt, welches Gericht am besten zu welchem Gang passt und beim Bankett serviert werden soll.
Die letzte Folge ist das Bankett selbst. Hier haben nun die Köche ihre aufwendigen 10-Komponenten-Gänge und müssen davon nicht mehr wie in den Runden zuvor vier Portionen anrichten, sondern 70. Weiterhin ohne Hilfe. Letztes Jahr führte es dann dazu, dass der Gewinner des Hauptgangs erstmal damit begann, fünf ganze Ziegen zu zerlegen, während der Gewinner des Fischgangs mehrere Stunden damit beschäftigt war, die Leinwände zu richten auf denen sein Gang serviert wurde. Selbst beim glamorösen Bankett liegt der Augenmerk nicht auf Bankett und Glanz, sondern auch Küche und Arbeit. Und auf gutem Essen.
Ich weiß nicht ob ich je wieder ein Kochsendung sehen kann ohne genervt zu sein, wie unambitioniert sie dort kochen. Aber ich habe große Lust, selber experimental zu werden.
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