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Sonntag, 24. April 2016

Eiszeitland

Wie nimmt man dieses Land wahr? Wie erfährt man Brandenburg? Wald-Flachland-Acker. Eine Art Flachland zumindest. Auch nicht wirklich flach. Nicht Nordseeküsten-Watt-Flach-da-steht-ein-Schaf-in-fünf-Kilometern-Entfernung-Flach. So als hätte sich die Landschaft nicht einmal beim Flach-sein wirklich Mühe gegeben.

Aus dem ICE ein konturloses Band - große Felder, Kiefern, vielleicht ein halb eingefallender Bahnhof am Gleisrand oder ein einzelner Baum auf einem Feld. Manchmal auch ein paar eingefallene Bahngebäude mehr. Die vorbeihuschenden Häuser entweder in Schattierungen des Braunen oder hellgelb-mauve-orange-hellgrün. Manchmal ein Kirchturm in der Ferne. Feldsteinkiche vermutlich. Selbst der Himmel ist auffallend oft durchgehend grau oder blau. Selbst der Himmel scheint sich der Konturlosigkeit der Landschaft anpassend zu wollen.

Nur nicht auffallen scheint die Devise zu sein, wenn man so Brandenburg betrachtet. Flach am Boden bleiben? Wie kann man eine solche Landschaft wahrnehmen? Nicht aus der Ferne hinter der Scheibe eines Zuges auf jeden Fall. Nicht einmal wirklich mit dem Sehsinn, dem abstraktesten und fernsten aller Sinne. Brandenburg ist nichts für die Liebe aus der Ferne.

Flaeming impression1
 Felder, Wälder, und weder flach noch hügelig. Brandenburg muss man fühlen, nicht sehen. 

Die Landschaft muss man riechen, in der Hand haben und vor allem fühlen. Stechende Sonne auf ausgetrockneten Feldern, Stechende Sonne und der nächste Schatten drei Kilometer weit weg. Waldgeruch inmitten der preußischen Kiefern-Armeen, knochenharter Lehm, Mückenstiche sobald einer der zahlreichen Seen auch nur zu ahnen ist. Eine Andeutung von Sumpf unter den Füßen. Der Geruch des Sees, dort hinten hinter den Bäumen verborgen. Staubiger Sand im Sonnenschein,

Bei dieser Landschaft muss man in die Nähe, um sie zu begreifen. Laufen. Kanu fahren. Fahrradfahren. Offensiv mit der Landschaft umgehen. Fahrräder sind das geeignete Fortbewegungsmittel für konturlose Landschaften. Spürt man - mehr als bei jeder anderen Fortbewegungsart; vielleicht mit Ausnahme des Schubkarreschiebens - doch jeden Zentimeter Erhöhung oder Senkung, jeden Windhauch, jede Windschneise, jedes Stück Land im Windschatten und jede Ebene. Jede glaziale Rinne bemerkt der Radler, jede Grundmoräne oder Endmoräne. Was die Eiszeiten schoben, stauchten und auskehrten wird deutlich. Selbst in Berlin - wo das Urstromtal überdeutlich merkbar ist, ebenso wie jeder Berliner Gemergelhügel. Mit dem Fahrrad wird Berlin zur Brandenburger Eiszeitlandschaft mit viel Beton.

Brandenburg hat nur selten Beton. Der Bodenbelag und seine Beschaffenheut setzt sich über Gabel und Lenker direkt bis in den Unterkiefer fort. Sand, Schotter, Waldboden. Landstraßen verschiedenen Zustandes. Ist das Asphalt? Oder war es mal Asphalt? In seltenen Glücksmomenten vielleicht einmal ein Radweg.

Der Weg zum einsamen Kirchturm in der Ferne ist kein konturloses Etwas mehr. Er besteht aus Rapsfeldern mit Anstieg. Senken . mit überraschend steilem Abstieg in den schattigen Wald. Trotz wochenlanger Sonne noch voll Matsch und Modder. Hoffentlich kiptt nichts um. Der Einblick in den halben Schuppen hinter der Kurve. Das Schild mit dem Otterwechsel neben dem Mückenschwarm. Und natürlich die leichte Anhöhe vor der Kirche. Gleich hinter dem überraschend steilen Anstieg hinter dem ehemaligen Weinberg.

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