Montag, 8. Februar 2016

Schritt – Plié – Schritt – Schritt – Schritt – Plié. Menuett im Gemeindehaus

Berlin-Zehlendorf am Samstagabend, so gegen 17:45 Uhr. Janz weit draußen. Eine Einkaufsstraße, an der die meisten Geschäfte bereits geschlossen haben. Die wenigen noch beleuchteten Läden werfen gerade die letzten Kunden raus. Einzig vor einigen Imbissbuden und dem „Bali“, den „Bahnhofslichtspielen“ sind noch Menschen. Vor dem Kino warten sie auf die Vorstellung einer mittelbedeutenden europäischen Komödie. 

Leicht zurückgesetzt und in der Dunkelheit in seiner ganzen Herrschaftlichkeit nicht gleich erkennbar ist das Gemeindehaus der Paulusgemeinde. Gebaut 1930, damals noch als Gemeindehaus und "Volks-Wannenbad" mit Gymnastikkeller und Filmvorführraum. An der Tür ein unscheinbarer handgeschriebener Zettel „Ü300 willkommen". Von oben klingt Musik. Nach dem Gang durch ein herrschaftliches Treppenhaus geht es in einen Gemeindesaal, der so manche Kirche neidisch machen würde: eine Bühne mit leicht improvisierter Scheinwerferanlage, gefühlte 12 Meter Deckenhöhe, Holz allüberall, Fenster mit Glaskunst und noch eine komplette Orgel dazu. Man muss nicht wissen, dass hier einst Größen der deutschen Klassik Platten aufnahmen, man spürt es schon fast. Im Saal probt ein Orchester ein Streichern, Flöten und einigen anderen Instrumenten. Spontan zusammengekommen, aber anscheinend wissen alle  wie ihr Instrument funktioniert. Hier also soll die Ü300-Party stattfinden.



Ü300 wie „Über 300“. Es sind allerdings nicht die Tänzer gemeint, sondern die Tänze selber. Das Programm verspricht keinen Tanz, der jünger ist als 300 Jahre. Angeleitet von Tanzlehrer und Choreographen Klaus Abromeit und live begleitet von einer spontan gebildeten Kapelle aus Interessierten, kann man tanzen lernen und tanzen. Ziemlich einmalig übrigens in Deutschland, dass es eine derartige Veranstaltung mit Livemusik gibt.

Veranstaltet vom "Maison Voltaire", einem "Zusammenschluss von Künstlern und Künstlergruppen mit dem gemeinsamen Ziel, historische Theatertechniken für die heutige Bühne zu erschließen". Die Teilnehmer sind bunt gemischt, teils mit offensichtlich langjähriger Erfahrung im Genre, teils wie ich komplett neu beim Thema, teils gewandet, teils - wie ich natürlich - in Jeans- und T-Shirt oder Pullover; von 15 bis 85 mit Schwerpunkt jenseits der 50 und einem leichten Frauenüberschüss.

Für gut drei Stunden folgt dann ein steiles Programm: Pavane, Gaillarde, Branle, Menuett (mit Pas de Cour) und den Country Dances "Hole in the Wall" und "Indian Queen" (Vorläufer des Square Dances, glücklicherweise ohne Cowboystiefel und ohne jemand der einen anbrüllt). Chronologisch ging es durch die Jahrhunderte: vor der Pause Renaissance mit Pavane, Gaillarde und Branle, nach der Pause Barock mit Menuett und dann noch zwei Country Dances.

Ein Vorurteil erledigt sich relativ schnell: wie üblich sieht das deutlich einfacher aus als es tatsächlich ist. Insbesondere: auch wenn das was man von den höfischen Tänzen so in Historienschinken sieht, immer eher so etwas langsam und formell aussieht. Die sind nicht nur von den Schritten recht anspruchsvoll und können auch ein erhebliches Tempo aufweisen. So eine Gaillarde ist schon ziemlicher Sport.



Und selbst ein ersten Blick eher trivial wirkender Schreittanz hat dann doch so einige Tücken, sei es im gewöhnungsbedürftigen Rhythmus, der Körperhaltung oder einfach nur der Koordination aus Simples und Doubles, links und rechts und wenn man dann mal kurz nicht aufpasst, muss man auch noch hüpfen. Der Renaissanceteil besteht aus Schreiten - Hüpfen - und wieder Schreiten. Am Ende sind Wasser, Wein und Imbiss dringend nötig. Wie der ganze Abend sind auch die Imbisse handbereitet, mit Liebe gemacht und so wie man es bei einer Veranstaltung von Freunden erwarten würde.

Beim Menuett erfolgt dann noch ein Schnelldurchlauf durch die fünf Grundpositionen des Balletts und Beinknoterei für Fortgeschrittene. "Man muss mit seinem Körper reden, sonst hört der nicht" Zur Freude der Runde endet das ganze mit den fröhlichen Counrydances in langer Reihe, bei denen das halbe Abenteuer daran besteht sich aus verpeilten Fehlpositionierungen wieder in den Tanz zurück zu retten.

Je später der Abend, desto breiter das Grinsen bei den Beteiligten. Sport macht eh glücklich, Tanzen verbindet, es hilft, eine derart gute Organisation, Gastfreundlichkeit und die Mischung aus Menschen, die sich so richtig ernsthaft auskennen und Menschen, die planlos aber neugierig sind. 

Zur Frage, kann man Menuett an einem Abend zusammen mit sechs anderen Tänzen lernen? Nein. Ich kann natürlich kein Menuett. Aber immerhin bringe ich eine einfache Grundform relativ unfallfrei hin.Und zwar jene:



Um ein Gefühl für den Tanz zu kriegen und eine Ahnung dafür, was sich alles aus dem Menuett entwickelte ist das ein guter Anfang. Es gibt ein Anfangsverstehen, warum die Menschen das damals so gerne tanzten und nicht zuletzt wuchs ein gehöriger Respekt für die damaligen Tänzer. Zudem versteht man wie immer mit Geschichte auch heutige Tänze besser, wenn man weiß wo sie herkommen. Und nicht zuletzt: es hilft extrem bei der Würdigung von Historienschinken. Auf zur nächsten Ü300.




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