Das Kombibad Mariendorf liegt weitab der nächsten U-Bahnhaltestelle an jener Straßendorf-Dorfstraße in der Nähe einer Bäckerei, Buchhandlung, eines Reisebüros, eines kleinen Modegeschäftes. Es passt sich in das Mariendorfer Flair ein.
Da der Begriff "Kombibad" außerhalb Berlins nur wenig verbreitet ist, zur Erklärung: ein Kombibad ist ein Bad zu dem sowohl Hallen- wie auch Freibad gehören. Da das Freibad aus nachvollziehbaren Gründen gerade geschlossen ist, hier die Vorstellung des Hallenbades. Das Baujahr war mir nicht zu ermitteln, ich würde auf Ende der 1970er/Anfang der 1980er tippen. (Nachtrag: 1975)
Gebäude
Waschbeton! Wäre ich freundlich würde ich sagen sozialdemokratisch-unaufdringlich-funktional. Das Schwimmbad ist sehr rechteckig. Leider kam irgendwann die Mode auf, Schwimmbäder mit vergleichsweise niedrigen Decken zu bauen, was das Raumgefühl einschränkt. Es sieht so aus, wie meine Kindheit aussah. Es passt damit wunderbar in das 80er-Jahre-Biotop Mariendorf.
Eine größere Eingangshalle führt in zwei Geschosse: Im unteren Geschoss sind Bad und Kabinentrakt, im oberen die Sauna. Direkt an das Bad angeschlossen und durch eine große Fensterfront getrennt ist das Restaurant "Poseidon". Neben dem Hallenbad liegt das Sommerbad (Freibad). Durch die Fensterfronten in der Schwimmhalle hat mensch einen leidlichen Ausblick auf ein halb eingeschneites Freibad.
Umkleidekabinen/Dusche
Braun! Wo das Stadtbad Wilmersdorf im fröhlichen Früh-70er-Orange erstrahlt, überwiegt hier braun. Dunkelbraune Kabinentüren und dunkelbraune Schranktüren, dazu ein kleinkacheliges Mosaik aus Beigetönen auf dem Boden von Gang und Dusche. Noch auffallender aber sind die Kacheln. Wo Schwimmbadkabinen meistens aus Kunststoff oder neuerdings aus undurchsichtigem Glas bestehen, sind diese hier aus Stein (Beton?) und gefliest. Die Garderobenschränke sind auch aus Stein und gefliest.
Und weil Fliesen eine große Rolle bei Errichtung des Bades gespielt haben, haben die Erbauer im Garderobentrakt gleich noch ein paar Zusatzwände ohne Funktion eingezogen und diese auch gefliest. Ein braunes Fliesenlabyrinth. Eine Neuerung scheint der Bewegungsmelder bei der Beleuchtung zu sein, der allerdings erst angeht, wenn man den Gang schon halb runter ist. Ein braunes Fliesenlabyrinth in dunkel. Das Kombibad hat ein besonderes Eintrittserlebnis.
An den Duschen Schilder mit wirklich großer Schritt: "die Badevorschriften verpflichten jeden Badegast sich im Reinigungsraum mit Seife zu waschen. Dabei ist die Badebekleidung abzulegen." Das sind noch echte Ansagen. Der Reinigungsraum hat nicht nur das beige Kachelmosaik, sondern einen lindgrünen Fliesenstreifen etwas über Kopfhöhe und Armaturen die offensichtlich noch im Originalzustand von 1982 sind. Großartig!
Schwimmhalle
Das Becken für Schwimmer hat wunderbarerweise 50-Meter-Bahnen. Dazu kommt ein Nichtschwimmerbecken und ein Miniaturbecken mit 3,60-Meter-Wassertiefe und einem drei-Meter-Turm. An der Stelle mit dem 3-Meter-Brett ist auch extra die insgesamt eher niedrige Decke erhöht. Die Innendeko an den Wänden ist zum Glück nicht mehr braun, sondern gelb-orange-blau. Freunde des Brauns müssen sich aber auch nicht grämen: das beige-weiße Bodenmosaik aus den Kabinentrakt wird in der Schwimmhalle nahtlos fortgesetzt.
Durch die niedrige Deckenhöhe reicht leider selbst eine komplette Fensterseite und ein sonniger Wintertag nicht aus, um genug Licht hereinzulassen. Die Lampen mussten angeschaltet werden. Das Becken ist groß, wird im flachen Teil 1,20 m tief (ist also noch beschwimmbar) und insgesamt eher kühl. 28 Grad in Mariendorf fühlen sich deutlich kühler an als 28 Grad in Wilmersdorf. Dabei ist das Wasser im tieferen Teil merklich kühler als im flacheren Teil.
Aber das wichtigste: es hat ein 50-Meter-Bahnen.
Publikum
Tagsüber in der Woche: Ich war augenscheinlich der Jüngste. Auch zu erwähnen: das Verhältnis zwischen Schwimmern auf der einen und Planschern, Paddlern und Plauderern auf der anderen Seite war stark zugunsten der Schwimmer ausgeprägt. Okay, das mit dem jüngsten Gast stimmt auch nur, wenn ich die diversen extrem niedlichen Schwimmkurse für Kleinkinder ignoriere. Und selbst deren Trainerinnen waren vermutlich jünger als ich.
Beim Zweitbesuch nahm ich noch 20 Minuten vom offiziell in den Öffnungszeiten stehenden "Spaßbaden" mit. Das Spaßbaden besteht anscheinend aus diversen Schwimmnudeln und anderen Geräten, die rund um das Nichtschwimmerbecken verteilt werden. Die wurden aber durchaus lebhaft angenommen. Das Schwimmbecken war zu der Zeit quasi leer. Was für ein Luxus!
Ganz anders dann Freitag Abend: vier Bahnen waren für diverse Kurse und wohl vor allem Vereine gesperrt. Ich sah kleine Kinder im Nichtschwimmerbecken (und ein rappelvolles Foyer mit deren wartenden Eltern), Jungpubertierende, die ihre Trainerin zur Verzweiflung brachten mit ihrer eigenwilligen Interpretation es Staffelschwimmens und Spätpubertierende beim ernsthaften Sport. Ich sah einen Flossenschwimmerkurs: ein halbes Dutzend ältere Männer mit Flossen, Schnorcheln und Taucherbrillen, die Kopf unter Kraul schwammen. Und ich sah das frisch verliebte Pärchen deren Idee eines romantischen Freitagabenddates aus Neonröhren, einem 70er-Jahre-Mosaik Kommunale-Schwimmbad-Sounds bestand. Ich war begeistert,
Gastronomie
2016: Das Restauran "Poseidon". Entgegen dem Namen und der Gestaltung des Schildes kein Grieche (mehr), sondern kleinstädtisch-bürgerlich wie es sich gehört: mit Bouletten auf der Karte, Sülze, Bauernfrühstück und Nudeln. Wie es sich für ein Schwimmbad gehört natürlich auch mit Pommes pur und Verkaufsgelegenheiten für Süßigkeiten. Das Poseidon passt sich dem braunen Stil des Bads mit braunen Tischdecken, dunklen Lampen und einer Holzdeko-Bar an, die mich an Partykeller meiner Kindheit erinnert. Auf der positiven Seite: die Bedienungen waren erstaunlich schnell, als ich da war, war es überraschend voll, der Kaffee war in der besseren Hälfte der Gastronomiekaffees, die ich im Leben trank. Keine Aussage über das Essen: ich hatte keinen und die Nebentische haben sich auch auf Heißgetränke beschränkt.
2017: Der Betreiber hat gewechselt. Statt des Poseidons wohnt noch die "Kombüse" im Bad. Laut Bianca Schwimmbadblog eine klare Verbesserung, Die Karte ist weiter traditionell deutsch. Aber, und das ist mir bei Schwimmbadgastronomie noch nie passiert - ich ging nicht herein, weil es schon voll war. Ich bin gespannt.
Preis
5,50 Berliner-Bäder-Standardpreis
Sonstiges
Oh nein! Sie wollen dieses wunderbare Museum-Zeitkapsel-Bad durch einen hypermodernen Neubau ersetzen. Die genauen Pläne klingen für mich ja eher durchschnttlich-uninspiriert und die Standortwahl eher seltsam. Selbst wenn man schon im Berlner Südwesten wohnt, ist die Anreise langwierig. Aber vor allem: das ist ein historisches wertvolles Bauwerk im Originalzustand! Sowas reisst man nicht ab! Frevel! Geht hin, solange ihr noch könnt!
Fazit
Die niedrigen Decken, der labyrinthische Gaderoben- und Duschenbereich. Dieses Braun.. das Mariendorfer Bad macht es einem nicht einfach, es zu lieben. Andererseits mag ich sie ja schon für das Wort "Reinigungsraum". Und diese lindgrünen Kacheln. Überhaupt: gekachelte Gaderobenschränke! Eine überraschend nette Gastronomie. Und überhaupt positive Vibes an sich. Da es sich hier auch noch um ein bedrohtes Bad handelt, das uns irgendwann demnächst mal verlassen wird, lohnt der Besuch auf jeden Fall,
Letzter Besuch: 25. Januar 2022. In Zeiten von Corona und limitierten Karten änderte sich das Publikum. Es tendiert zu internetaffinen Menschen (meist jünger), die den kurzen Zeitslot erwischen können, indem es überhaupt Karten zu kaufen gibt. Der Bewegungsmelder im Kabinentrakt scheint nicht mehr in Betrieb oder hat seine Performance zumindest stark verbessert. Insgesamt aber bleibt das Bad sich gleich und wird auf ewig bis zum Ende hin dasselbe sein.
" ich würde aber stark auf Ende der 1970er/Anfang der 1980er tippen."
AntwortenLöschen1975 gebaut und bis 2009 ohne "technische Probleme" und Schließungen
Gruß
schwimm-blog-berlin.de