Dienstag, 22. Dezember 2015

Die Troll-Matrix

Gestern durfte ich in einem netten Cafe an einem anregenden und inspirierenden Gespräch über Trolle, ihr Wesen und Sein und ihre Klassifikationen teilnehmen. Wenig überraschend landeten wir an dem Punkt, dass eine Vielzahl verschiedenster Verhaltensweisen unter dem Troll-Begriff zusammengefasst werden.

Zeit für mich, einige seit langem angefangene Gedankenansätze zusammenzubringen und die vorläufige Trollmatrix aufzuzeichnen. Nicht jeder Troll ist dasselbe, aber sie lassen sich klassifizieren.

Meine Grundthese dabei ist, dass jeder Troll ungeschriebene Grundregeln der aktuellen Kommunikation bricht. Sprich: der Troll sagt nicht das, was sein Gegenüber gerade legitimerweise erwarten kann, sondern geht darüber hinaus. Einfaches Beispiel: Wenn ich frage, ob Du nachher mit ins Cafe kommst und Du sagst "Penis, Du Arschloich", fällt die Antwort aus dem Rahmen. Komplexes Beispiel: Wenn ich zu einer Internetkonferenz eingeladen werde und dort einen Vortrag über Leinenangeln (englisch: "Trolling"), ist auch das eher unerwartet. Trotzdem ist beides natürlich verschiedenes Verhalten.

Um wenigstens etwas Übersicht in das Ganze zu bekommen, schlage ich zwei Dimensionen vor. Einmal "Intention" und "Anschlussfähigkeit."

Intention ist einfach: Wenn Du sagst "Penis. Du Arschloch", weil Du an Tourette leidest, ist das eine andere kommnukative Situation als wenn Du beleidigen willst. Gleiches gilt, wenn ich den Angelvortrag halte, weil ich aus seltsamen Grünen fälschlicherweise denke, ich bin auf einer Angelkonferenz als im Bewusstsein auf einer Internetkonferenz zu stehen.

Anschlussfähigkeit ist schwieriger zu bestimmen. Grob vereinfacht bezeichnet es in diesem Kontext die Fähigkeit auf die Trollkommunikation zu reagieren. Dabei können die Kommunikationsmöglichkeiten start eingeschränkt werden (Auf "Du Arschloch" kann man nur beschränkt antworten, auf eine wiederhlte Beleidigung wird es noch weniger) oder aber erweitert (die Reaktionsmöglichkeiten auf den Angelvortag sind Vielgestalt). Die Diskussion wird durch das Trollen stark in eine Richtung gezwungen oder geöffnet und kann einen bis dato für alle Beteiligten unerwarteten Spin bekommen.

Aufgezeichnet sieht das so aus:



Im einzelnen:  

Hater werden leider mittlerweile meistens als Trolle bezeichnet. Sie wissen was sie wollen und wollen eine Diskussion entweder ganz beenden, indem sie alle anderen vertreiben oder sie stark in eine Richtung lenken. Hierunter fallen die bekannten Fälle von massiven persönlichen Angriffen (siehe zB Gamergate), der Versuch mit unlauteren Mitteln persönliche oder politische Agenden zu pushen oder auch einfache Sachen wie Vandalismus und Penis-Spam. Sinnvoller Umgang hiermit ist zumindest theoretisch einfach: Hater sind zerstörerisch für Kommunikation und wissen das: löschen und sperren.

Rechthaber wirken oft wie Hater, aber sie wissen nicht was sie tun. Oftmals trifft man hier Menschen mit starken inhaltlichen Überzeugungen und nur eingeschränkt tauglichem Sozialverhalten. Oft fühlen sie sich un- und missverstanden. Die erhöhen die symbolische Lautstärke, auch wenn sie damit nicht besser verstanden werden, sondern andere Verschrecken. Rechthaber wirken zerstörerisch auf Kommunikation, entfalten diese Wirkung aber in bester Absicht. Bei Rechthabern hilft dann auch meistens Zuhören, verstehen und vielleicht der ein oder andere Hinweis, dass das Kommunikationsverhalten gerade ungeschickt ist. Sie wollen ja diskutieren, brauchen nur etwas Hilfestellung.

Trolle i.e.S. möchten mal einfach Spaß haben und mal auch einfach Leute aus ihrer Behäbigkeit reißen. Deren Verhalten ist am Vielfältigsten und unberechenbarsten. Kann positiv wirken, auf die Dauer aber auch sehr anstrengend sein. Zumal wenn der Troll nicht so originell ist wie er denkt zu sein. Die Reaktion hier ist ebenso wie das Trollverhalten hochgradig variabel, situations- und kontextabhängig.

Kind ist hier auch im übertragenen Sinne gemeint. Jemand sagt etwas, was nach gängigen Maßstäben für Erwachsene ungewöhnlch ist/nicht geht, und die Betroffenen freuen sich in dem Kontext. Handlung ist hier eigentlich gar nicht nötig. Das Verhalten tritt nur manchmal auf und ist diskussionsanregend. Was will man mehr?



"Ich habe Zeit gespendet, und zwar nicht zu knapp! "

Wer es noch nicht gesehen hat. Ein schönes Interview von Geolina im Deutschlandfunk zum Thema Wikipedia, Wikimedia, Spenden und Wertschätzung:

Wikipedia-Autorin wünscht sich mehr Wertschätzung



Finnish anti-vegetation task force on a Baltic sea island
Bild: Finnish anti-vegetation task force on a Baltic sea island. These sheep, owned by the government of Finland, keep the meadows from turning to thickets. By Hansenit [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Sonntag, 20. Dezember 2015

Schwimmbäder nah und fern: Stadtbad Schöneberg, Hans-Rosenthal, Berlin

Schwimmbäder sind schön. Eine der echten Errungeschaften Deutschlands ist es, das Land flächendeckend mit Schwimmbädern überzogen zu haben. Ein Ort für alle, ein Ort für Spannung, Spiel und Überraschungen. Schwimmbäder sind spannend und geben einen guten Einblick darin, wie Menschen sinnvoll ihre Freizeit verbringen. Als Liebhaber von Schwimmbädern werde ich dieses Blog nutzen, um einen Überblick über große und kleine Schwimmbäder zu geben: Becken, Menschen und drumherum.

Den Auftakt macht quasi mein derzeitiges Heimatbad: das Stadtbad Schöneberg in Berlin.

Berlin schoeneberg stadtbad 25.11.2013 11-49-03

Gebäude:

Eigentlich ein recht spannender Bau: ein für Berlin und die Zeit typischer 1920er-Backsteinbau. Die großen Becken liegen im Obergeschoss mit Blick auf einen kleinen Park und die Umkleidekabinen im Erdgeschoss. Schon ein etwas eigenwilliges Gefühl, wenn man beim Umziehen weiss, dass gerade das komplette Becken über einem ist. Mehrfach innen umgebaut und dabei leider etwas verbaut. Von dem recht spannenden Gebäude und schönen Gebäude bekommt man drinnen kaum etwas mit und man muss schon sehr genau darauf achten, um zu merken, dass man nicht in einem austauschbaren Zweckbau ist.

Becken: 

Ein großes Becken mit 25-Meter-Bahn und 3-Meter-Sprungbrett, Kinderbecken, kleines Außenbecken, ein paar Whirlpools und eine Rutsche. Recht ordentlich, aber nicht außerordentlich. Whirlpools und Solebecken sind quasi immer voll, das Außenbecken hat zu meinen Badezeiten meistens geschlossen. Bonuspunkte gibt es für das vergleichsweise warme Wasser.
  
Umkleidekabinen/Duschen:

Duschen nett: warm, gut zu bedienen und generell nett eingerichtet. Umkleidekabinen okay, 200er-Stil in milchigem Plastik, die Gestaltung zwingt einen aber lange Gänge entlang. Deutliche Minuspunkte dafür, dass das mit dem Türen ab. und aufschließen nie so richtig funktioniert und extra Minuspunkte dafür, dass hier die "passen-Sie-auf-Diebe-auf" Warnungen selbst für Berliner Verhältnisse recht ausgeprägt sind - die Schließfächer aber im beckenbereich liegen. Sprich: man muss erstmal seine kompletten Wertsachen in Badehose durch die Gegend tragen und dann mit in die Dusche nehmen, wenn man sie nachher wegschließen will. Das System ist nicht ausgereift, 

Publikum:

Typische Schöneberger Mischung. Tendenziell jünger (so 4 bis 40), tendenziell nichtdeutscher Herkunft, überraschend viele Menschen, die tatsächlich schwimmen können. Oft sind Kurse von Meerjungfrauen-Apnoetauchen für kleine Mädchen bis zu Schwimmlernkursen für Erwachsene, auch daher ist das Publikum recht abwechslungsreich.

Restauration:

War mal drin. War okay. Muss nicht wieder sein.

Preis: 

7,50 Euro. Der Berliner Preis für besonderer Schwimmbäder. Mit den 2 Euros Extra bezahlt man für Warmwasser, Rutsche und Whirlpools.


Und sonst:

Meines Wissens als einziges der Berliner Bäder mit einem Namen versehen: Stadtbad Hans-Rosenthal. Der Moderator Hans Rosenthal hat hier Schwimmen gelernt. Mit 25, nachdem es ihm vorher als Juden in NS-Deutschland nicht erlaubt und möglich war. Endlich mal eine Benennung mit Sinn und Verstand und Würde.

Empfehlenswert?

Dafür, dass das Bad eigentlich nichts besonderes hat, sind 7,50 Euro schen ein recht steiler Preis. Andererseits: das Wasser ist warm, das Publikum angenehm und das Bad an sich ein nettes.


Sonntag, 13. Dezember 2015

10 Jahre KNORKE 2005-2015 Stadtrundgang mit Wikipedia

Was waren das für Zeiten im Jahre 2005. Die Wikipedia war klein. Die Welt war groß und aufregend. Dabei ging es in der Wikipedia nicht nur um abstrakte Konzepte, tote alte Männer und den Stoff der Schullehrbücher. Zum Wissen der Welt gehörte auch Wissen über das persönliche Umfeld, das pralle Leben direkt vor der eigenen Haustür oder in U-Bahn-Nähe entfernt.

Hermannstraße (Rixdorf) Apollo-Theater-Garten anno 1900 AK gemeinfrei  
Ort des erstes KNORKES: die Hermannstraße.

Neben den Artikeln über Philosophie und Physik oder Barock und Bariton entstanden in jenen Anfangsjahren auch Wikipedia-Artikel über das eigene Umfeld. Gerade in Berlin präsentiert sich dieses Umfeld nicht immer hübsch und geleckt, sondern auch mal rau und nicht für jeden Stadtführer geeignet.

So um 2005 beschlossen verschiedene Berliner unter den Wikipedianern (unter anderem die Autoren Cornelius, Achim., Lienhard, Rainer) einen Artikel über eine Straße zu schreiben. Die Hermannstraße ist eine Hauptstraße in Neukölln. Sie macht alles aus, was eben auch Neukölln ausmacht: historische Friedhöfe, sozialer Brennpunkt, Fahrradfahren im Slalomverkehr, lebendiges Leben des Kleingewerbes und jede Menge Casinos und Cafés.

Wenn man über eine Straße schreibt, die vor der eigenen Haustür liegt, liegt es nahe, sich diese persönlich anzuschauen. Wenn man zusammen am Thema schreibt, liegt es nahe, sich die Straße zusammen anzuschauen. Der erste wikipedianische Stadtbegehung war geboren. Am 4. Dezember 2005 fand die erste "KNORKE"-Tour der Wikipedia statt. Der Benutzer Marbot war noch nicht als der Meister des perfekten Protokolls dabei, der er später werden sollte, so dass die schriftlichen Überlieferungen spärlich blieben. Was uns im Archiv erhalten blieb, kulminierte in dem Satz:

Im Handwerkerstübchen rund 1 Meter hoher Cappuccino mit zwei Meter Sahne drauf und gefühlten 68 Keksen rundrum für schlappe 1,50 oder so und so weiter ..

Was auch immer bei jener legendären Tour noch geschah: der Artikel über die Hermannstraße wurde zu einem Artikel ausgebaut, der innerhalb der Wikipedia als Qualitätsartikel gilt(*). Die Stadtbegehung fand wieder statt, diesmal an anderen Orten.

Wannsee29
KNORKE on Tour: Hier auf dem Weg zum Wannsee. Bild: Jcornelius CC BY-SA 2.0 de, via Wikimedia Commons

Bereits am 26. Februar 2006 folgte die zweite Tour  am und um den Hackescher Markt und einen Monat später der dritte Anlauf durch die Prenzlauer Allee.