Pseudohistorische Flagge Dithmarschens. Eine passende Illustration für einen Fake-Geschichts-Artikel.
Die Qualitätssicherung der Wikipedia arbeitet manchmal langsam, aber sie ist unerbittlich. Manchmal arbeitet sie sehr langsam. So zum Beispiel im Falle der "Dithmarscher-Stormarner Legionäre" - einem angeblichen Freikorpsregiment aus den Freiheitskriegen, das seit 2005 in der Wikipedia verzeichnet war und 2015 als Fake gelöscht wurde. Hauptindiz für die Löschung war schlußendlich, dass das als Quelle angegebene Buch nicht existiert. Um genau zu sein, existiert nicht einmal der Verlag, der das Buch angeblich herausgegeben hat.
Erstrwähnung und Wilhelm Ramm: Juli 2005
Am 7. Juli ergänzt ein nicht-angemeldeter Nutzer den Artikel Freikorps um die Dithmarscher-Stormarner Legionäre, die angeblich während der napoleonischen Kriege bestanden haben. Wie damals durchaus üblich noch ohne Quellenangabe.Derselbe Nutzer schrieb dann auch den Artikel zum Legionärsführer Wilhelm Ramm:
Wilhelm Ramm...Dithmarscher-Stormarner Legionäre
Wilhelm Ramm war neben "Georg Rüttgert", "Andreas Bauer", "Gerhard von der Kaule" und "Bruno Klein" einer der Anführer der "Dithmarscher-Stormarner Legionäre", einer Freikorps-Organisation, die in den deutschen Befreiungskriegen gegen Napoleon kämpfte.
Wilhelm Ramm (geboren: Jan.-Mär. 1790), ein dithmarscher Handwerkersohn, schloss sich nach der Reichsauflösung 1806 seinem Bruder Friedrich (geboren: 1781) an, der, da ohne das Reich ihre Heimat Dithmarschen total unter dänischer Herrschaft lag, eine Streitmacht gründen wollte, um die Koalitionen bei der Vertreibung Napoleons aus Deutschland zu unterstützen, mit der Neugründung des Reiches als Ziel.
Anfänglich fungierten die zunächst nur aus Dithmarschern bestehende Truppe als Saboteure gegen die mit den Franzosen verbündeten Dänen.
Im Jahre 1810 wurde Friedrich Ramm, der die Legionäre, wie sie sich nannten, zusammen mit Bruno Klein und Georg Rüttgert anführte, bei einem Gefecht mit dänischen Füsilieren getötet. Wilhelm nahm seinen Platz ein und sein Jugendfreund Andreas Bauer stieß hinzu. zu diesem Zeitpunkt zählten die Legionäre wahrscheinlich um die 1000 Mann.
Im Jahr darauf wandte sich die gewachsene Legionärsschar gegen die Franzosen. Ihnen schlossen sich im Laufe der Zeit auch Stormarner, unter ihnen ein Gerhard von der Kaule, sowie wenige Steinburger und Hamburger an.
Die mittlerweile 3-5 tausend Mann starke Truppe konnte sich in mehreren Gefechten gegen französische Soldaten behaupten, als sie Ende 1811 ihre Aktivitäten an den Niederrhein verlegten. Noch im gleichen Jahr wurde Gerhard von der Kaule, der zu einer der Führungspersönlichkeiten aufgestiegen war, bei einem Angriff französischer Artillerie getötet.
Die nächsten 2 Jahre leiteten Ramm und Bauer zusammen mit Klein die Geschicke der Legionäre.
Nachdem sie sich Anfang 1813 nach Sachsen schmuggelten, wurde Bruno Klein Mitte Mai von französischen Kolaborateuren gefangengenommen. Er gab sich als Kopf eines Freikorps-Battaillons aus, um seine Kameraden zu schützen, und wurde daraufhin hingerichtet.
Ramm und Bauer sammelten alle Legionäre, zu der Zeit schätzungsweise 5-6 tausend an der Zahl, um sich zur preußischen Armee durchzuschlagen.
In der Völkerschlacht bei Leipzig operierten die Legionäre mit den preußischen truppen und siegten. Allerdings wurden Wilhelm Ramm und Andreas Bauer in der Völkerschlacht getötet.
Wenn man sich wirklich und eingehend mit Dithmarscher Geschichte beschäftigt hat, hat das zwar ein paar schiefe Stellen (die Reichsauflösung war egal, Dithmarschen - damals übrigens geteilt in die sehr verschiedenen Norder- und Süderdithmarschen) eh schon dänisches Lehen und kein Dithmarscher wird bis zum Niederrhein wandern, um da Ziele zu erreichen. Für eine öffentlich unbekannte Gruppe sind 5000 bis 6000 Mann auch ziemlich viel; aber alles in allem klingt das tatsächlich ziemlich plausibel. Was ja auch diverse Wikiepdianer dachten, die den Artikel liebevoll die nächsten zehn Jahre hegten und pflegten ohne allerdings - wenig Überraschung - die Inhalte zu ändern.
Dezember 2005: Dithmarscher-Stormarner Legionäre
Nachdem der Wilhelm-Ramm-Artikel also einige Monate überstanden hatte, geht es am 7. Dezember 2005 weiter. Ein weiterer (derselbe) Nicht-angemeldete Nutzer legt einen Link auf die Dithmarscher-Stormarner Legionäre und legt nun auch gleich den Artikel an:Deutsches Freikorps in den Befreiungskriegen.
Siehe auch: [[Wilhelm Ramm]], [[Andreas Bauer]], [[Freikorps]]; für genauere Information
Ursprünglich in Dithmarschen (Westholstein) gegründetes Freikorps gegen die Oberherrschafft der Dänen, die mit den französischen Besatzern verbündet waren. Mit der Zeit stießen auch Freiwillige aus Stormarn hinzu, später auch einige Steinburger und Hamburger.
Das Freikorps setzte sich zunächst mit Sabotageaktionen gegen die Dänen in Holstein, später gegen die französischen Besatzer und ihre Sympatisanten in Sachsen und am Niederrhein durch.
Bald wurde aus der kleinen Bande eine ernst zu nehmende Militäreinheit von fünf-bis sechstausend Mann.
1812/13 schlugen sich die Legionäre, wie sie sich nannten, trotz starker Gegenwehr von frantzösischem Militär, zur wiederauferstandenen Preußischen Armee durch.
In der [[Völkerschlacht von Leipzig]] 1813 standen die Dithmarscher-Stormarner Legionäre in den Reihen der Preußen. Mehr als Drittel (also gut 2.000 Mann) der Legionäre fanden den Tod in der Schlacht, ebensoviele wurden verwundet. Die Anführer [[Ramm]] und [[Bauer]] fielen ebenfalls in der Schlacht.
Derselbe Inhalte wie im anderen Artikel. Weiterhin ohne Quelle. Einen Artikel zu Andreas Bauer als Dithmarscher-Stormarner Legionär scheint es nie gegeben zu haben,
Januar 2006. die Quelle
Ein weiterer Monat später. Ein (derselbe?) unangemeldete Nutzer legt nach: er repariert den Link auf Wilhelm Ramm im Freikorps-Artikel und versieht den Wilhelm-Ramm-Artikel und den Legionärsartikel mit einer Quelle: "Chronik der norddeutschen Freiheitskämpfer", Wülbern-Verlag, Itzehoe (1911/13?)" Eine Gute Wahl: das klingt plausibel, für obskure Militaria ist 1911 auch ein überzeugendes Veröffentlichungsdatum und Itzehoe als Verlagsort passt auch zu Dithmarschen. Zumal kann man davon ausgehen, dass niemand ds Buch zu Hause hab oder haben müsste, weil das selbst im historischen Interessierten Bildungsbürgertum kein Standardwerk ist. Okay, der Verlag hat anscheinend nie existiert und das Buch anscheinend erst recht nicht. Aber da muss man ja hinterher recherchieren. Was wohl niemand tat..Januar 2007: der Führungsstab
So, ein weiteres Jahr später. Die Artikel stehen weiterhin unbeanstandet in der Wikipedia. Und wieder kommt ein unangemeldeter Nutzer. Diesmal ignoriert er Wilhelm Ramm ganz, ergänzt aber die Legionäre um den Führungsstab:'''Der Führungsstab der Legionäre:'''
Friedrich Ramm, *1781 †1810 (gefallen): von 1806 bis 1810 Anführer
Bruno Klein *1785 †1813 (exekutiert): von 1806 bis 1813 im Führungsstab
Georg Rüttgert *1779 †nach 1836: von 1806 bis Auflösung Ende 1813 im Führungsstab
[[Wilhelm Ramm]] *1790 †1813 (gefallen): von 1810 bis 1813 Anführer
Andreas Bauer *1790 †1813 (gefallen): von 1810 bis 1813 im Führungsstab
Gerhard von der Kaule *um 1776 †1811 (gefallen): 1811 im Führungsstab
Andreas Bauer wurde mittlerweile anscheinend degradiert, dafür ist Friedrich Ramm neu aufgetaucht. Ansonsten ist der Edit aber konsistent mit allen andern Edits, und wenn man nicht so genau hinschaut sieht das auch plausibel aus.
Acht Jahre Pause
Nix passiert.Februar 2015: gelöscht
Und so hätten Wikipedia und die nicht-existenten Legionäre miteinander glücklich werden können, wenn nicht der Benutzer Assayer wäre. Der wird misstrauisch und stellt am 7. Februar um 21 Uhr Löschanträge gegen Ramm und die Legionäre:Obwohl dies eine "ernst zu nehmende" militärische Einheit von 5.-6.000 Mann gewesen sein soll, findet sich in der Literatur keine Spur davon. Zum Vgl.: Das bekannte Lützowsches Freikorps hatte nur 3.500 Mann. Die angebliche Chronik der norddeutschen Freiheitskämpfer aus dem Wülbern-Verlag lässt sich in keiner deutschen Bibliothek nachweisen. Ich konnte nicht mal einen Hinweis auf einen Wülbern-Verlag in Itzehoe ermitteln. Kurzum: Ich vermute hier einen Fake.
Und dann geht alles ganz schnell: die Deutsche Nationalbibliothek kennt weder das Buch noch den Verlag. Die Legionäre und Wilhelm Ramm tauchen nur in Quellen auf, die sich direkt auf Wikipedia beziehen. Und keine zwei Stunden später ist alles weg. Nach zehn Jahren. Unsentimental und sachlich. Nur hier im Blog - und auf komischen Wikipedia-Mirrors - wird Wilhelm Ramm weiterleben und Napoleon bekämpfen.
Nachtrag: außerhalb der Wikipedia war das anscheinend schon länger bekannt: http://www.forum.napoleon-online.de/showthread.php?3334-Nachruf-Dithmarscher-Stormarner-Legion?re&p=25283
AntwortenLöschen