Was ist Cargo-Kult?
Aber bevor ich zu Pegida komme noch drei Worte zum Cargo-Kult: Cargo-Kulte sind religiöse Bewegungen, die im Rahmen westlicher Kolonisation entstanden. Dabei imitieren die Kolonisierten Verhaltensweise und Rituale der Kolonisatoren in der Hoffnung, dass materieller Reichtum und Erfolg der Kolonisatoren auch auf sie Übergehen wird - allerdings ohne Verständnis dafür, wie die westlichen Gesellschaften funktionieren und wie der materialle Reichtum zustande kam. Als bekanntes Beispiel: Der Bau einer Flughafenattrappe auf Südseeinseln, in der Hoffnung, dass da dann auch aus dem Nichts Flugzeuge landen, die voller Luxusgüter sind. Für mehr: Cargo Cult .
Pegida wird noch aggressiver
Und je mehr ich von Pegida lese und sehe, desto mehr habe ich den Eindruck, dass da die Rituale einer pluralen westlichen Demokratie imitiert werden, ohne dass Macher oder - erst recht - Teilnehmer verstehen wie Politik im 21. Jahrhundert funktioniert - und dann aggressiv werden, weil das alles nicht die erwünschten Ergebnisse bringt. Im Einzelnen:
(1) Ein komplettes Unverständnis darüber, wie eine pluralistische Gesellschaft funktioniert: angefangen von dieser seltsamen Überfremdungsangst in einer Gegend in der es nicht mal Fremde gibt bis, hin dazu, dass sich alle in eine anscheinend uniforme Gesellschaft integrieren sollen.
(2) Das Unverständnis trifft nicht nur gegenüber Einwanderern auf, sondern auch gegenüber all' den anderen Leuten mit anderen Auffassungen als Pegida. "Wir sind das Volk" geht davon aus, dass alle, die es anders sehen, nicht das Volk sind. Die Reaktionen darauf, dass außerhalb Dresdens die Gegendemos weit größer sind als die Pegida-Demos führt zu verqueren Verschwörungstheorien. Dass es sehr verschiedene intensive politische Vorstellungen innerhalb einer Gesellschaft gibt, ist in der Pegida-Welt nicht denkbar.
(3) Das Außenseiterbild und dieses ewige Selbstmitleid. Offensichtlich fühlen sich die Teilnehmer in der aktuellen Bundesrepublik nicht wohl - gekoppelt mit dem ebenso offensichtlichen Unverständnis, dass es Anderen anders gehen könnte, die sich entweder tatsächlich wohl fühlen, oder die zumindest nicht die homogene Volksgemeinschaft der Pegidisten wollen,
(4) Dieses seltsame Bild von Muslimen, die entweder gut sind und quasi genauso werden wollen wie die Pegida-Teilnehmer schon sind, oder böse und quasi den ganzen Tag daran denken, verschleierten Frauen die Hände abzuhacken. Es ist tatsächlich schwer, diese Wahnvorstellungen in beide Richtungen ernst zu nehmen.
(5) Ein Bild des Deutsch-seins, das anderswo seine Hochkonjunktur irgendwann zwischen 1870 und 1970 hatte und dass sich nur erhalten kann, wenn man Reise- und Niederlassungsfreiheit nur aus der Ferne kennt. Je mehr ich lese/sehe desto mehr bin ich tatsächlich überzeugt, dass ein Großteil der Leute bei Pegida tatsächlich der Meinung sind, keine Rassisten zu sein, auch wenn die verschiedene Bewertung der Menschen nach Herkunft aus jeder Pore der Bewegung dringt. Das ist schon ein erschreckend großer blinder Fleck in der eigenen Wahrnehmung.
(6) Ein aggressives Unverständnis darüber wie repräsentative Demokratie im 21. Jahrhundert funktioniert und der Unwillen sich damit zu beschäftigen - mal abgesehen vom dummen "Lügenpresse" und "das böse System" wird die Kritik ja nirgends konkreter oder präziser. Dazu passt dann auch die Unfähigkeit irgendwie zum eigenen Nutzen mit Presse oder Politik umzugehen - seien es die hilflosen Interviews einzelner Demoteilnehmer, die bizarre Verhaltensweise eine Demonstration zu machen und dann nicht über die Inhalte reden zu wollen, oder das kompletten Fehlen von üblichen Konstruieren der Demoveranstalter von Win-Win-Situationen wenn man mit Presse/Politik arbeitet.
(7) Allgemein eine erschreckend aggressive Grundstimmung,
(8) Der Unwillen sich mit Fakten zu beschäftigen. Gerade die Aussagen zu Einwanderung etc. sind durchgehend von einer unfassbaren Unkonkretheit und selbst das was die vagen Aussagen implizieren ist schon auf einer stumpfen faktischen Ebene weit Jenseits vom Schuss.
(9) Die bizarren politischen Forderungskataloge, die wild zwischen Minimaßnahmen und Systensturz hin- und herschwanken, voller innerer Widersprüche sind, und bei denen ich ernste Zweifel habe ob die Macher selbst an ihre Umsetzbarkeit glauben.
(10) Der Unwillen der Teilnehmer sich mit Politik zu beschäftigen: auf den Demos sind kaum Transparente, Forderungen oder Inhalte, sondern Fahnen, Wappen und noch mehr Fahnen. "Wir haben nichts zu sagen, außer dass wir da sind." Dazu passt dann auch "Wir sind das Volk", was ja inhaltlich auch mehr ein "ich bin da" als ein "das ist meine Meinung" ist.
(11) Der feste Glaube, dass irgendetwas passieren wird, weil hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen 10.000/20.000/50.000 Menschen auf der Straße sind. Nein, wird es nicht: fragt mal die Friedensbewegung, Einmal könnte man denken, dass Großdemos funktioniert haben: und zwar 1989, aber auch nur unter sehr spezifischen einmaligen Rahmenbedingungen inklusive des Kollapses eines Weltreichs, inmitten von Umstürzen in anderen Ländern und unter der Voraussetzung eines wild entschlossenen politischen Establishments Westdeutschlands, sich das ganze System unter den Nagel zu reissen. Dass die Rahmenbedingunge 2015 komplett anders sind als 1989 beeindruckt bei Pegida anscheinend niemand.
(12) Eigentümliche Wende-Romantik, die davon ausgeht, dass alles ganz anders wird, weil man ein paarmal im Kreis geht. Gleich zusammen mit dem aufgemachten bizarren Widerspruch zwischen der Grundhaltung "wir verändern das ganze System komplett" und öffentlichen Forderungen und Punktekatalogen, die vermutlich in jedem zweiten CDU-Ortsverband weitreichender geäußert werden.
Wie geht man damit um?
Was nun die Frage stellt: wie geht man damit um? Pegida ist einerseits die unpolitischste politische Demo, die ich je gesehen habe, andererseits ist es offensichtlich nicht gut gelungen, die Teilnehmer in eine pluralistisch westliche Gesellschaft zu integrieren. Positiv könnte man sagen: es formiert sich ein politisches Bewusstsein. Negativ: die Richtung in die das Bewusstsein geht, ist echt gruselig. Was macht man: Integrationskurse für Pegidisten? Mehr politische Bildung? Zwangsauslandsaufenthalt für jeden Teilnehmer für mindestens ein Jahr?
Warum Dresden? Mir fehlt ja immer noch die Erklärung, warum Pegida nun ausgerechnet in Dresden einen solchen Zulauf hat. Wenn wirtschaftliche Not der Nährboden für eine Revolution wäre, böten sich Bremerhaven, Duisburg oder die Uckermark an, aber der Aufstand der Unanständigen formiert sich in Dresden. Der Südostzipfel der DDR galt mangels Westfernsehempfang Jahrzehnte als Tal der Ahnungslosen, aber seit der so genannten Wende sollte sich das irgendwie auch erledigt haben. Sympathie haben die Bewohner bei mir spätestens seit dem Weltkulturerbedebakel eingebüßt, als ihnen eine vermeintlich schnelle Autoverbindung wichtiger war als die Meinung der Welt da draußen, aber vor allem wichtiger als ihr kulturelles Erbe. Da stehen die Sachsen und somit sicher auch Dresden an der Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern und trotzdem gibt es Unzufriedenheit und Ängste. Aber keine Unzufriedenheit mit der eigenen Engstirnigkeit und keine Angst vor dem Reich der Ewiggestrigen. Die Frage bleibt - warum ausgerechnet Dresden?
AntwortenLöschenÜbrigens ganz spannend die Studie der TU Dresden: http://tu-dresden.de/aktuelles/news/pegida_pk Und ich fühle mich bestätigt: in erster Linie geht es weder gegen Ausländer noch den Islam sondern gegen die Zumutungen, die so ein offenes System an einen stellt.
AntwortenLöschenNeben dem generell sicher vorhandenen Rassismus jeder Art in der Bewegung ist aber deutlich leichter den Islam verbal zu kritisieren, als den westlichen Pluralismus auf dessen Werte sich ja Pegida angeblich beruft - daher auch die komischen Rhetorischen Verrenkungen um in der Sprache des Pluralismus den selbst zu kritisieren.
Und warum Dresden. Schwierig, da nicht sehr verallgemeinernd zu werden. Mal ein paar lose Gedanken dazu:
AntwortenLöschendie (alte) Bundesrepublik hat in der Nachkriegszeit einen kräftigen Schub gesellschaftlichen Wandel durchgemacht - sei es durch Zuwanderung von Außen, sei es durch globalisierte Wirtschaft, sei es durch politische Verwestlichung. Den gab es im Osten so nicht.
Und von allen größeren Städten der ehemaligen DDR hatte Dresden vermutlich den geringsten Veränderungsdruck von allen - keine SED-Hochburg, mit den ganzen Kulturdenkmalen von anfang an von außen hochgelobt, Sachsen ging es wirtschaftlich von Anfang an vergleichsweise gut, die Wirtschaft die kam war zu einem Großteil Regierung und Tourismus, die auch mehr oder weniger von alleine kamen. Ich vermute nirgends in der ehemaligen DDR war es so einfach, einfach das eigene homogene nach-innen-gewandte Biotop zu bewahren.
"Kultur" ist in Dresden vor allem staatstragend und Hochkultur. Wenn ich Leipzig als vergleich sehe in denen die "offizielle Kultur" nie die Rolle spielte, und es anfang der 90er schon jede Menge Off-Indiependent-und Szene-Kultur gab - also die Leute, die in Leipzig jetzt Nolegida organisiert haben und in Dresden am Anfang fehlten.
Dazu: das sächsische Hinterland ist politisch grausig.
Mein Eindruck ist auch, dass Dresden schon immer sehr unpolitisch war - deshalb auch die jetzt die unpolitischen Demos gegen Politik.
Und dazu noch eine Staatsregierung/Justiz/Polizei die seit 20 Jahren aktiv dazu beiträgt, keine Links Szene entstehen zu lassen.
Spannend finde ich ja, dass die Studie der TU Dresden festgestellt hat, dass es sich um Menschen ohne Religionszugehörigkeit handelt. Das widerspricht vor allem den Thesen eines Herrn Lühmann in der Zeit: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/pegida-dresden-politische-tradition
AntwortenLöschenJa und wahrscheinlich haben wir hier dann eher den Punkt das die Religiösen mit den offenen Systemen besser klarkommen als die Religionslosen. Wir haben es hier ja auch mit einer Generation zu tun, denen mit der Wende im Endeffekt die "Ideale" der Kindheit genommen wurden und sie ihr Heil im Konsum suchten. Das konnte aber letztendlich doch nicht für Sicherheit sorgen.
Warum Dresden? Zum einen liegt es wahrscheinlich wirklich am "braunen" Hinterland. Es ist doch für diese Leute leicht, auf der Basis ihrer Organisation etwas auf die Beine zu stellen, ohne in den Vordergrund zu treten.
Und im Gegensatz zu Dresden, ist Leipzig nun wirklich weltoffener und weltgewandter. Ich denke da nur mal an das Gothic-Festival. Sowas könnte ich mir in Dresden nicht vorstellen. Chemnitz ist dann wieder anders. Hier regiert auf der einen Seite der Ingenieursgeist und die Rationalität bzw. andererseits ist gerade das erzgebirgische "Hinterland" für seine im Landesdurchschnitt wesentlich höhere Religiösität bekannt.
Dazu kommt wahrscheinlich auch noch, dass in Dresden eigener Anspruch (Weltkulturerbe, Elbflorenz etc.) und erlebte Wirklichkeit am Rande der Republik auseinanderklaffen.
Ja, diese Mischung aus Aggressiv und hilflos-verwirrt finde ich auch gerade für die Dresdner sehr bezeichnend.. selbst wenn man ihnen helfen wollte, ist mir aus den Forderungen und Transparenten echt unklar wie das gehen sollte - zumal da nichts zu einander passt. Das wirkt eher heimat- und orientierungslos. Und da nun wiederum sagt jegliche Forschung, dass Menschen die in Religionen vewurzelt sind, statistisch deutlich seltener heimat- und identitätslos sind.
AntwortenLöschenBezeichnend ja auch, dass Pegida die Stellungnahmen sämticher Kirchen komplett ignoriert hat, sich aber über Roland Kaiser empörte. Da sind man wer wirklich wichtig ist :-)
Dann kommt aber auch noch die Abschlussfrage wie weiter: aggressiv-hilflose Menschen, die jetzt noch zehnmal im Kreise laufen werden und dann merken, dass sich exakt nichts geändert hat - was machen die? Frustriert nach Hause laufen? Eskalationsniveau hochschrauben? Zur inneren Einkehr kommen?