Sonntag, 16. November 2014

Wahlverfahren und taktisches Wählen

Die Frage 

Letztens fragte mich eine Person aus dem persönlichen Umfeld: stell' Dir vor, es gibt eine Wahl mit einem eher ungewöhnlichen Verfahren: Es gilt ein Gremium zu besetzen, bei dem es viel mehr Kandidaten als Plätze gibt, sagen wir mal 29 Kandidaten und 9 Plätze in drei verschiedenen Funktionen. Das Verfahren läuft so, dass man so viele Stimmen wie Kandidaten hat (insgesamt also 29 Stimmen), aber pro Kandidat nur eine Stimme vergeben kann. In einer Funktion kommt erschwerend hinzu, dass die jeweiligen Kanidaten mindestens 50% der Stimmen benötigen. Wie stimme ich denn jetzt geschickt ab?

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Der einfachste Fall: zwei Kandidaten, zwei Plätze. Bild: Sue Mischyshyn [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons
 
Grundsätzliche Erwägungen

Grundsätzlich gibt es für den taktischen Wähler zwei verschiedene Vorgehensweisen bei einem solchen Verfahren:



(1) Es gibt bestimmte Personen, die unbedingt gewählt werden sollen.

(2) Es gibt bestimmte Personen, die unbedingt nicht gewählt werden sollen.

Und eigentlich ist der Umgang damit ganz einfach: (1) wähle nur diese Personen, (2) wähle aller außer diesen Personen.

Realistisch ist wohl, dass die meisten Abstimmenden mindestens drei Präferenzen haben: Kandidaten, die sie wirklich gut finden (A), Kandidaten mit denen sie im Fall der Wahl leben könnten (B) und Kandidaten, die sie gar nicht wollen (C). Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden grundsätzlichen Vorgehensweisen, sind die B's. Wenn einem wichtiger ist, dass die As wirklich ins Gremium kommen, sollte man die Bs nicht wählen. Ist es wichtiger, dass die Cs NICHT ins Gremium kommen, sollte man die Bs wählen.

Deshalb zwei Beispiele mit kleinen Zahlen.

Beispiel 1: Mein bester Freund und ich sind wahlberechtigt. Es gibt zwei Plätze und ohne unsere Stimmen sieht es so aus:

A - 9 Stimmen
B - 10 Stimmen
C - 12 Stimmen

Geben wir nun beide unsere Stimmen nur für A ab, ist das Endergebnis folgendes:

A - 11 Stimmen
B - 10 Stimmen
C - 12 Stimmen.

A ist gewählt, C aber auch.

Geben wir unsere Stimmen für A und B ab, weil C schlimm ist, sind das Ergebnis so aus:

A - 11 Stimmen
B - 12 Stimmen
C - 12 Stimmen

A ist leider nicht gewählt, C immer noch.

Zweites Beispiel, etwas andere Ausgangssituation. Wieder mein Freund und ich und zwei Plätze:

Ausgangslage:

A - 11 Stimmen
B - 10 Stimmen
C - 11 Stimmen

Geben wir unsere Stimmen nur für A ab, weil wir sicher gehen wollen, lautet das Endergebnis:

A - 13 Stimmen
B - 10 Stimmen
C - 11 Stimmen.

A ist gewählt, C aber auch.

Ist uns C-bleibt-draußen wichtiger, stimmen wir für A und B ab. Ergebnis:

A - 13 Stimmen
B - 12 Stimmen
C - 11 Stimmen.

A ist gewählt und C draußen.

Bei der nur-A-Wahl besteht das Risiko, C mitzunehmen, bei der A-und-B-Wahl besteht das Risiko, dass B am Ende A den Platz wegnimmt.

Zur Abwägungsfrage gehört also einmal die Einschätzung, welches der beiden Beispielszenarien realistischer ist: also besteht eher die Gefahr, A ausversehen rauszuwählen oder eher die Gefahr, C ausversehen reinzuwählen? Und es gehört zur Stimmabgabe natürlich die persönliche Einschätzung, welches der beiden Ziele einem persönlich wichtiger ist: A rein oder C raus? Meine persönliche Präferenz ist ja, dass ich tendenziell immer eher für jenand oder etwas bin als gegen jemand oder etwas, aber das mögen andere anders sehen

Konkreter

Vorgestellt an einem konkreten Beispiel. Nehmen wir an, es gäbe drei Wahlgänge. Einer mit 6 Kandidaten für zwei Plätze, einer mit 3 Kandidaten für einen Platz und einer mit 22 Kandidaten für 6 Plätze.

Die Chancen, dass Wunschkandidat A gewählt wird, Anti-Kandidat C einen Platz bekommt. Sind also:

bei 2/7 = 29 %
bei 1/3 = 33 %
bei 6/22 = 27% (plus: Kandidat muss mindestens 50% der Stimmen haben).

Im Fall 6/22 ist die Auswahl eines Szenarios also vergleichsweise einfach. Die Chance, dass A oder C gewählt werden, ist ziemlich klein. Effektiver ist es vermutlich, die Energien darauf zu konzentrieren, nur A zu wählen und C einfach C sein zu lassen. Also: nur A wählen.

Im Falle 2/7 sind die Chancen eines Kandidaten jeweils etwas besser, aber immer noch gering. Wenn es hier nicht wirklich starke Einwände gegen einen C gibt, empfiehlt sich auch hier die Variante A-only.

Am ehesten für eine Abstimmung A-und-B spricht das Szenario 1/3. Aber selbst hier: bei nur 33% ohne klaren Favoritenstatus ist das Risiko größer den Wunschkandidat rauszuwählen als das Risiko, den Nicht-Wunsch-Kandidat reinzuwählen. Also vermutlich immer noch: nur A wählen.






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