Dienstag, 30. August 2011

Ist die Förderung freies Wissens gefährdet? Entwicklung der Wikimedia Chapter

Auf der Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland in März 2011 [1] wurde eine Frage gestellt, die ich eigentlich ganz interessant fand. Die Frage stammte von Thomas:

"Die Wikimedia Foundation hat 60 Mitarbeiter, Wikimedia Deutschland hat 18, Wikimedia France hat 1 [2], ist die Förderung des freien Wissens in Frankreich gefährdet?"


Auf diese Frage zu antworten ist schwierig, aber die grundsätzliche Frage, wie verschiedene Wikimedia Organisationen auf der Welt sich entwickeln, und was das für Freies Wissen bedeutet, finde ich ganz spannend und ich würde hier gerne versuchen, das zu beantworten. Danke an Southpark, dass er mir die Gelegenheit hier gibt, das zu machen.

Ich bin jetzt seit 6 Jahren in Wikimedia dabei. Obwohl ich als Autorin angefangen habe, und auch meinen Anteil an großen und kleinen Änderungen beigetragen habe und auch Admin in verschiedenen Wikis geworden bin, habe ich vor langer Zeit das tägliche Bearbeiten von Artikeln aufgegeben. Ich arbeite zwar noch ein bisschen auf Commons, und korrigiere gelegentlich Fehler auf verschiedenen Wikis, aber eine große Autorin war ich nie und werde ich nie sein. Na gut, ich bin nicht hier um mein Leben zu erzählen, aber diese Einführung schreibe ich um zu erklären, dass mich von Beginn meiner Wikimedia-Tätigkeit an eigentlich die Organisation mehr interessiert hat. Warum? Ich habe da keine echte Ahnung, aber ich vermute, weil ich die grobe Idee von Förderung Freies Wissens so spannend finde, dass ich von Anfang an versucht habe, die weiter zu bringen, indem ich die Wikimedia-Organisationen in ihrer Entwicklung begleite. Wie es Leute gibt, die die Kompetenz haben, Artikel zu bearbeiten, glaube ich (hoffe ich), dass meine Kompetenz (als Freiwillige) eher in der Entwicklung der Wikimedia-Organisationen liegt.

Aber zurück zur Frage. Alle Chapters außer einem haben weniger als 4 Mitarbeiter (und das noch seit kurzen Zeit), die meisten haben eigentlich keinen. Was heißt das genau? Warum haben sich die Wikimedia Foundation und Wikimedia Deutschland so stark professionell entwickelt, und andere Wikimedia Organisationen nicht? Ich habe vor einigen Monaten ein paar Blogbeiträge geschrieben, in denen ich meine Meinung dargestellt habe, wie Wikimedia Chapters sich in Sachen Personal entwickeln könnten. Als ich sie geschrieben hatte, wurde mir klar, dass meine grundsätzliche Vermutung war: Ein Chapter muss sich professionell entwickeln, Mitarbeiter einstellen und ein Büro eröffnen. Und es wurde mir auch klar, dass das eigentlich nicht immer der Fall ist.

Alle existierende Wikimedia-Organisationen sind zur Zeit Vereine. Mit verschiedenen Arten und Weisen, wie sie funktionnieren, meistens von lokalen juristischen und kulturellen Bedingungen bestimmt. Alle, soweit ich das beurteilen kann, haben immer auf Wikimedia Deutschland geguckt, und sich gesagt "Mensch, wir sollten auch jemanden einstellen, und ein Büro haben". Ich bin aber mir nicht so sicher, ob die Entwicklung aller Chapters einer Professionalisierung entspricht. Warum?

Meine Beobachtung (zwar total unprofessionnell, ich bin keine Forscherin in Organisationsentwicklung) ist, dass es verschiedenen Faktoren gibt, warum ein Wikimedia Chapter schneller als ein anderes erfolgreich sein wird (und Erfolg kann man auch in verschiedenen Arten und Weisen messen, aber das behalten wir für einen anderen Post).

1) Die Ehrenamtlichen, ihr Engagement und ihre Motivation



Am Anfang sind alle Chapters gleich, sie sind von Ehrenamtlichen gegründet und auch geführt. Wie die Arbeit im Raum freies Wissens sich entwickelt, hängt vor allem davon ab, in wieweit diese Gründer bereit sind, ihre Ideen nicht nur einzubringen sondern auch umzusetzen. Das kann sehr stark variieren. Es wird Chapters geben, die viel tun werden, weil der Vorstand und die aktiven (aktiv im Sinn von: die was mit/für den Verein machen, nicht im Satzungssinn) Mitglieder viele Ideen haben, und auch die Kraft, sie in der realen Welt wahr zu machen. Das, of course, wird sehr unterschiedlich sein, von Vorstand zu Vorstand, und wird sich mit der Entwicklung der Mitgliedschaft auch ändern. Wenn viele Ideen und viel Kräfte dabei sind, wird das Chapter viele Aktivitäten schaffen, und sich dabei einen Platz auf der Szene des freies Wissens schaffen.


2) Die soziale und kulturelle Wahrnehmung von gemeinnützige Organisationen und der ehrenamtlichen Arbeit im eigenen Land



Ob ein Verein (egal welcher) sich in einem Land entwickelt, hängt von zwei Sachen ab. Was er tut (das erkläre ich im nächsten Aufsatz) und auch vom kulturellen Umfeld, in dem er sich befindet. Es gibt Länder, in denen "gemeinnützig sein" keine große Bedeutung hat, weil es "normal" ist. Wenn die Kultur ehrenamtlicher Arbeit nicht stark entwickelt ist, wird das für ein Wikimedia Chapter genau so schwierig, wie für alle anderen Vereine, sich zu entwickeln. Es kann zum Beispiel davon abhängig sein, wie man sein ehrenamtliches Engagement im realen Leben nutzen kann ("Kann ich meine Tätigkeit innerhalb Wikimedia XX als Vorteil auf meinem Lebenslauf präsentieren?). Es gibt Länder, wo gemeinnützige Arbeit viele Vorteile bringen kann. Im Vorstand zu sitzen ist eine Ehre, die man gut verkaufen kann. Da wird's leichter sein, Leute zu finden, die mitarbeiten. Aber die Gefahr ist auch da, dass die Leute, die sich für ein Amt zur Verfügung stellen, für den "Job" eigentlich nicht geeignet sind. In solchen Ländern wird dann die Herausforderung sein, Leute zu finden, die wirklich bereit sind, einen Verein zu entwickeln, und nicht nur die Ehre mitzunehmen.


Es gibt Länder, wo es genau so normal ist, Teil einer gemeinnützigen Organisation zu sein, wie Luft zu atmen. Deutschland, oder sogar besser, Schweden, sind solche Länder. In Schweden, wurde mir gesagt [3], ist jeder Schweder im Durschnitt mindestens in zwei Vereinen Mitglied[4]. Dieser Zustand macht natürlich die Entwicklung viel einfacher, aber kann auch dagegen spielen, wenn es so viele gute Zwecke gibt, aus denen man wählen muss und es einen Wettbewerb gibt.

Um sich professionell (aber nicht nur) zu entwickeln, braucht eine Organisation Geld. Da spielt es auch eine Rolle, wie gemeinnützige Organisationen wahrgenommen werden, vor allem, wenn es um ihre Finanzen geht. In Frankreich zum Beispiel, hat vor einigen Jahren ein Skandal (das betraf die ARC [5]) die gemeinnützige Szene ziemlich zerstört, und viele Vereine haben darunter gelitten. Das kann auch ein Grund sein, warum Vereine Schwierigkeiten haben, sich zu entwickeln. Die Franzosen sind auch kulturell sehr vorsichtig, wem sie ihr Geld ausgeben. Und sie werden Ergebnisse verlangen, bevor sie tatsächlich spenden (was ein bisschen von einem Teufelskreis hat, denn ohne Geld ist die Umsetzung von Ideen viel schwieriger).


Es gibt so viele Beispiele, wie es Länder auf der Welt gibt, aber die Idee ist, soziale und kulturelle Wahrnehmung im eingenen Land wird wahrscheinlich eine Rolle gespielt haben, wie sich die Wikimedia Chapters entwickelt haben.



3) Die kulturellen Umgebungen im Raum (Freies) Wissens



Freies Wissen. Ah! Was für eine schöne Idee. Noch besser, die Förderung freies Wissens. Aber ist das überall so? Ist die Idee, dass man die Inhalte der Wikimedia-Projekte für alle Zwecke zur Verfügung stellt, eigentlich überall so großartig eingeschätzt? Und noch wichtiger, ist Wissen überhaupt eine Sache, die den Nachbar dazu bringt, sein Geld zu spenden oder seine Zeit zu schenken? Eigentlich nicht. Ich habe mich immer gewundert, warum die französische Wikipedia in Frankreich viel länger als die deutsche oder die englische gebraucht hat, bis sie in der Presse und überhaupt "positiv" bewertet wurde (oder sagen wir mal so, mehr "positiv" als "negativ") [6].


Ist nicht Frankreich das Land von Diderot und d'Alembert? Die Franzosen sollten doch Enzyklopädien lieben, oder? Na gut, nicht wirklich. Die einzige Enzyklopädie, mit der ich groß geworden bin, ist die Encyclopédie Universalis, die aber einen ganz anderen Ansatz hat, als die Encyclopedia Britannica oder der Brockhaus. Die wurde von berühmte "Signaturen" geschrieben, die ihre Meinung (ja, ihre Meinung) zu einem Thema geben. Natürlich gilt sie auch als Referenzwerk, aber die Idee ist eine ganz andere als die "genereller" Lexika, die das Wissen zugänglich und einfach machen. Artikel aus der Encyclopédie Universalis fand ich oft schwierig zu lesen. Also, eine Enzyklopädie, von Amateuren geschrieben, konnte irgendwie der Idee des Wissens nicht wirklich bei den Franzosen entsprechen. Und die Franzosen sind sowieso davon überzeugt, dass niemand besser als sie sein kann, und sicherlich war diese ganze Wiki-Geschichte eine amerikanische Idee. Na gut, das ist für Wissen, und ein kleines Beispiel, wie das eine Rolle spielen kann, wie die Wikimedia-Chapter sich entwickeln. Wenn in einem Land das Wissen der "Wikipedia Art" nicht wirklich als wertvoll betrachtet wird, wird man Schwierigkeiten haben, sich als Organisation zur Förderung freies Wissens durchzusetzen.

Dazu kommt diese ganz komische Idee von Open Source, Freien Inhalten, free as in speech etc... Noch eine andere Geschichte. Open Source wird nicht überall dieselbe Bedeutung, und auch denselben moralischen Wert haben. Ich erinere mich an ein Gespräch mit Tristan Nitot, in dem er erwähnte, wie unglaublich die Deutschen Mozilla unterstüzen, und die Franzosen einfach kaum (im Vergleich).

Ich habe meine kleine Idee dazu, warum es so ist, aber die wurde empirisch entwickelt, und wird wahrscheinlich von allen Deutschen widerlegt. Ich finde die Deutschen haben immer noch, heute eher unbewusst, ein Schuldgefühl. Meine Interpretation der Sache ist, dass teilen ohne Grenzen, ein guter Weg ist, mit diesem Gefühl umzugehen. Open Source, Freies Wissen, das ist alles "gut" (TM), man kann sich damit erlösen. Das haben die Franzosen zum Beispiel nicht. Am Ende, was da interessant ist, ist dass die Idee von freiem Wissen einfach anders interpretiert wird je nach Land und Kultur. Und dass so de facto das Leben der Wikimedia-Chapter in bestimmte Länder einfacher oder schwieriger gemacht wird.


Zusammenfassend denke ich nicht, dass freies Wissen in Frankreich (auch nicht in anderen Länder, wo es ein Wikimedia-Chapter gibt) gefährdet ist, sondern eher, dass diese drei Faktoren gemeinsam einen Rahmen bilden, in dem Wikimedia-Organisationen sich entwickeln müssen. Was spannend an der Geschichte ist, ist dass die Zukunft, und die Zukunft alleine, uns sagen wird, ob das Modell von Wikimedia Deutschland eher die Regel oder die Ausnahme ist in der Entwicklung der Wikimedia-Chapter auf der ganzen Welt.


Fußnoten



  • [1] Ich weiss, es ist lange her. Aber das Leben, blablabla.

  • [2] Das hat sich auch geändert. Wikimédia France hat jetzt drei Angestellte, fast vier.

  • [3] Schweden hat auch keinen gemeinnützigen Status, wie man das in Deutschland kennt. Die Organisationen sind "non-profit", es gibt aber keine Möglichkeit Spenden abzusetzen.

  • [4] Yes, I know, {{citation needed}}. Shoot me. :)

  • [5] ARC auf fr:wp

  • [6] Dazu muss man das Zitat eines französischen Journalist "Making fun of Wikipedia is so 2007" erwähnen :)


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8 Kommentare:

Marcus Cyron hat gesagt…

Zuerste dachte ich, daß Lyyzy wieder einen Gastbeitrag geschrieben hat, aber nach wenigen Sätzen, ne, das muß Delphine sein ;). Aber sie kann es nicht sein, da fehlen die kleinen großen Sprachfehler, die ab und an zwischen sauberem Deutsch kommen ;). Mit anderen Worten, dein Deutsch wird immer besser! :)

Sehr interessante Einblicke, nicht überraschend, aber doch schön, es mal zusammengestellt vor sich zu haben. Die Gegensätze zwischen den Projekten sieht man übrigens auch beim französischen ARC-Artikel. In der de-Wikipedia hätte der bestenfallst einen "Nur-Liste"-Baustein. In der fr-Wikipedia kann er ungestört "leben".

Anonym hat gesagt…

Mmh - spannend; aber: Ich habe kein Schuldgefühl, dass ich kompensieren muß und finde es immer wieder spannend, wofür diese stänige "Schuldgefühl"-Argumentation alles herhalten muß. Jetz also auch dafür, dass ich gerne Artikel für die Wikipedia schreibe ...

Sebastian Wallroth hat gesagt…

Thomas' Fragestellung war selbstredend provokativ, so isser halt. Stellt man sie vom Kopf auf die Füße steht da: Kann Freies Wissen in Frankreich ebensogut gefördert werden, wie in Deutschland?

dirk franke hat gesagt…

Achim,

ich glaube ja es geht weniger um Dein persönliches Schuldgefühl.. Leute wie Dich gibt es ja überall einmal, aber in D ist es halt besonders einfach ein funktionierendes Umfeld vorzufinden, dass Vereinsgründungen unterstützt, freies Wissen prinzipiell gutfindet, gerne für Freaks spendet etc.

Allgemein weiß ich ja nicht genau, ob ich zustimme. Ob F/UK/etc. wirklich D nachfolgen oder einen anderen Weg finden?

notafish hat gesagt…

@Achim. Of course hast *du* kein Schuldgefühl ;). Solche Allgemeinheiten sind immer nur mit Ausnahmen bestätigt, und ich versuche hier nicht alle Autoren oder Wikimedia Unterstützer zu bezeichnen, sondern einen Grund finden, warum Vereine (allgemein) und freies Wissen in Deutschland grundsätzlich erfolgreicher sind, als in Frankreich, z.B.. Meine Beobachtung, als Ausländerin, die seit 6 Jahre in Deutschland lebt, ist dass das Schuldgefühl einen Grund ist. Dieses hat mit der Geschichte eigentlich nichts mehr viel zu tun (deswegen auch dieses "unbewußt" Schuldgefühl), aber ich finde, die deutsche Gesellschaft ist grundsätzlich viel bescheidener (? Wort? humble auf Englisch) als die französische, und in dem Bereich Wissen viel hilfsbereiter.

notafish hat gesagt…

@Sebastian W. Heh. Man kann Thomas' Frage eigentlich auf viele verschiedene Füße stellen ;). Da hinter könnte auch stecken: braucht Deutschland so viele Leute, Geld etc. um freies Wissen überhaupt zu fördern?
Ich habe bewußt entschieden, diese Frage wörtlich zu nehmen, weil ich die Suche für eine Antwort interessant fand. :)

Anonym hat gesagt…

Wissen hat traditionell einen sehr hohen Stellenwert in Deutschland. Vor dem Aufstieg der Amerikaner war Deutschland jahrzentelang die führende Wissenschaftsnation. Nach all den materiellen Zerstörungen und Verlusten, besonders nach dem letzten Weltkrieg, war für viele allein ihre Bildung die Grundlage für den persönlichen Wiederaufstieg. Außerdem sind die Deutschen traditionell Vereinsmeier; kaum ist ein gemeinsames Anliegen identifiziert ist, wird geschaut, ob man sich nicht in einem Verein organisieren sollte. Open Source ist auch ein Mittel, um sich von der Abhängigkeit der übermächtigen US-amerikanischen IT- und Contentindustrie (z.B. Microsoft) zu lösen, nachdem eigene Unternehmen in diesen Feldern unter proprietären Gesichtspunkten keine Chance haben. Firefox entstand, nachdem die ständigen Lücken im nicht weiterentwickelten Internet Exploder 6 eine Virenwelle nach der anderen hervorgerufen hatten.

dirk franke hat gesagt…

Lieber Anonymer,

sorry, das Blog hatte den spannenden Kommentar als Spam gefressen und ich habe das erst jetzt bemerkt. Also Deutschland ist so ganz besonders stark in Freies Wissen/Mozilla/Wikipedia etc. weil es allgemein stark in dem Feld wäre, aber bei unfreiem Wissen/IT-Technik kein Bein auf den Boden kriegt? Freies Wissen als Ausweichverhalten?