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Sonntag, 24. Juli 2011

zeit für eine wende?



attila albert hat in den letzten tagen einige blogbeiträge (statt eines vorworts, grenzen der vorstandsarbeit und hass und liebeverfasst, die imo viele treffende beobachtungen und überlegungen enthalten.

an einer stelle schreibt attila, dass ein milliardenschweres medienunternehmen im grunde leichter zu handlen ist als der wikimedia deutschland e.v., dass ein wust an emails und telkos stattfindet und am ende vergleichsweise wenig (gemessen an aufwand und persönlichem sich-aufreiben) herauskommt. darüber habe ich eine ganze weile nachgedacht. ich glaube, attila hat hier auf ein grundproblem von wmde hingewiesen, das strukturelle ursachen hat, und von denen ich auch nicht weiss, wie man sie auflöse könnte.

als beispiel, was ich meine, folgende parabel (die die ebene foundation/wmde absichtlich auslässt, da dies am kern nichts ändert):

stell dir eine erfolgreiche zeitung mit vielen millionen lesern vor. diese zeitung wird nicht von angestellten journalisten geschrieben, sondern von engagierten menschen, die wirtschaftlich unabhängig sind, und journalismus als hobby betreiben. alle autoren arbeiten an telearbeitsplätzen von zuhause aus. redaktionskonferenzen finden, wenn überhaupt, nur selten statt. unter anderem wegen der unabhängigkeit der autoren und ihren breitgefächerten persönlichen hintergründen, interessen und fachkompetenzen, ist die zeitung beim leser so erfolgreich.

die leser sind von der zeitung begeistert und bezahlen dafür gerne einen obulus an den verleger. der verleger bezahlt von diesem geld die redaktionssoftware, papier, druck und vertrieb der zeitung. danach ist immer noch eine ordentliche stange geld übrig. ein normaler verlag würde nun vielleicht die journalisten mit arbeitsverträgen ausstatten und sie ordentlich bezahlen. er könnte eine inhaltliche richtung vorgeben und eine unternehmerische strategie von oben nach unten umsetzen.

dieser verleger möchte jedoch das was die zeitung ausmacht - die unabhängigkeit der autoren - um keinen preis gefährden und hat deshalb von anfang an beschlossen, sich inhaltlich aus der zeitung komplett herauszuhalten. das sehen auch die autoren der zeitung so und deshalb haben sie den verlag mit dieser vorgabe ursprünglich sogar selbst gegründet.

der verlag steht nun vor der aufgabe, die zeitung auf anderen wegen zu fördern, die autoren in ihrer arbeit zu unterstützen und das eingenommene geld sinnvoll auszugeben. wegen des "keine einflussnahme auf inhalte oder autoren"-dogmas entscheidet sich der verlag für eher "flankierende maßnahmen". er fördert die wissenschaftliche auseinandersetzung mit zeitungsprojekten wie dem eigenen. er lobbyiert in der politik für bessere rechtliche rahmenbedingungen für solche projekte. er beschäftigt entwickler, die die redaktionssoftware und die druckmaschinen verbessern. er fördert andere, ähnliche projekte, die noch keinen eigenen verleger haben. er sorgt dafür, dass die seltenen redaktionskonferenzen der autoren für diese keine zusätzlichen kosten verursachen und kauft bücher für autoren, wenn diese das wünschen und für ihre arbeit benötigen.

am ende beschäftigt der verlag deshalb einen stab von mitarbeitern und auftragnehmern, die die "flankierenden maßnahmen" umsetzen. dies stößt nun auf einmal den unabhängigen hobbyautoren der zeitung bitter auf. sie haben plötzlich den eindruck, mit ihrem engangement gelder zu erwirtschaften, die dann anderen zugute kommen, die sich entschieden haben, für geld zu arbeiten. dass die hobbyautoren selbst ebenfalls für geld arbeiten - für den eigenen arbeitgeber - und dass sie sich selbst entschieden haben, ohne entlohnung als hobby eine zeitung zu schreiben, blenden die autoren dabei aus. die autoren blenden außerdem aus, dass das "autorenferne" geldausgeben des verlags darauf beruht, dass die autoren dem verlag höchstselbst verboten haben, das eingenommene geld unmittelbar in die zeitung, die inhalte, die autoren zu investieren. die autoren werfen dem verlag vor, er habe sie vergessen. die autoren werden misstrauisch gegenüber dem verlag.

der verlag nimmt die klagen der autoren ernst, will jedoch auch nicht das "keine einflussnahme auf inhalte oder autoren"-dogma aufgeben, dass er selbst als grundprinzip des funktionieren der zeitung erkennt.

der verlag versucht deshalb, einen teil des geldes "in die hand der autoren zurückzugeben", indem er ein eigenes budget einrichtet, mit dem wünsche der autoren finanziert werden, bei dem sich der verlag aber inhaltlich zurücknimmt. es wird ein ausschuss eingerichtet, der die finanzierungswünsche beurteilen soll, in dem neben verlagsmitarbeitern auch unabhängige autoren sitzen. die zusammenarbeit zwischen ausschuss und verlag verläuft schwierig, die beteiligten misstrauen sich, die zusammenarbeit droht zu scheitern. verlag und autoren sind davon gleichermaßen entsetzt und schieben sich gegenseitig die schuld am drohenden scheiten zu.

was will ich damit sagen? 1.: ich habe auch keine lösung. 2. das dilemma ist imo strukturell und nicht einfach aufzulösen. 3. die emotionalität, das misstrauen, die empfindlichkeit sind nicht ursache sondern konsequenz.

9 Kommentare:

  1. Was ich bei der Mittelverwendung nie begriffen habe: Warum nicht massiv in die Weiterentwicklung der Software investiert wird.

    Hat man die ganzen Ecken, Kanten und Notbehelfe so lieb gewonnen? Traut man sich nicht, etwas zu ändern?

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  2. I beg to differ in einem Punkt: Die Emotionalität, das Misstrauen und die Empfindlichkeit sind nicht Folgen der, sondern die Hauptgründe für die Misere. Das System ist gut, die Menschen sind wieder mal das Problem.

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  3. Ich kann nur bei der Softwarefrage zustimmen: Mediawiki braucht dringend einen Entwicklungsschub. Die Technik stagniert seit Jahren und das ist sicherlich auch ein Punkt, warum User abgeschreckt werden.
    Warum gibt es auch im Jahre 2011 noch keinen WYSIWYG-Editor? Wikitext ist abschreckend, gerade wenn es um Tabellen geht. Da gibt jeder Newbie auf. Auch das Hochladen auf Commons ist unnötig kompliziert und der Commonist auch so grauenhaft, dass selbst ich als jemand, der sich auskennt, das Uploaden aufgegeben hat. Das gilt auch für andere Bereiche: Die Kommentarfunktion, grauenhaft. Artikelbewertungen kommen erst jetzt, ganz langsam in der englischen Wikipedia. Der Toolserver ist mächtig, aber altersschwach und sehr umständlich. Es gibt immer noch kein Data-Wiki.
    Da könnte man einiges verbessern und müsste wohl auch gar nicht so viel Geld in die Hand nehmen.

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  4. Ist dies wirklich der strukturelle Konflikt? Wenn niemand dem Ausschuss in die internen Wikis reinguckt und die Gremien-Mitglieder keine eigenen Einträge einbringen, wäre dieser Konflikt so nicht entstanden.

    Viel wichtiger ist IMHO die Frage des Rückkanals und des Mandats. Wikimedia hat keinen Rückkanal, was denn die Community will. Das heißt: es existieren Rückkanäle in Fülle, aber die sind erstens inkonsistent und werden nur von wenigen genutzt. Deshalb muss jetzt auch das Referendum zum Jugendschutzfilter völlig neu konstruiert werden.

    Peter Jycobi, Anonym: Ein Teil der ehrenamtlichen Autoren will keine substantiellen Vereinfachungen in der Software, weil sie einen Qualitätsabsturz befürchten, wenn jedermann ohne Einarbeitungszeit mitspielen kann.

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  5. Torsten: Das Problem sind in dem Fall aber nicht die ehrenamtlichen Autoren, Mein perönlicher Eindruck ist eher der, das die Foundation in manchen punkten mehr auf die Chapter (im ganzen) rücksicht nimmt als es tatsächlich nötig ist.

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  6. Diese Rücksicht auf die Chapter wird sehr bald vorbei sein - ob es sinnvoll ist ist eine andere Sache. Die Foundation kann nämlich nicht ohne die Leute vor Ort. Denn die sorgen für einen nicht unbeträchtlichen Teil des Etats, den die Foundation dann als Chapter der USA und der en:WP verbraten kann. Ich halte WMDE im Vergleich zur Foundation für ein Muster an Demokratie.

    Ansonsten: Poupou, gönne dir doch mal ein paar Großbuchstaben! :P

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  7. selten so einen blödsinn gelesen. also ich war vor dem 1.7. eigentlich gerade dabei in diesen verein wieder einzutreten. also beruht mein misstrauen wohl kaum auf den oben genannten grundsätzlichen differenzen und arbeitsteilungen und die schwierigkeit des misstrauens wohl auch nicht darin, dass in dem gremium autoren sitzen.

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  8. @anneke. denk dir den letzten abschnitt ggf. einfach weg. mit dem CPB hat das, was m.e. das grundproblem ist, eigentlich nur am rande zu tun

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  9. Schon komisch - ich halte diesen Beitrag für alles andere als Blödsinnig. Im Gegenteil, sehr sinnig und treffend.

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