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Mittwoch, 20. April 2011

re:publica: ein durchwachsener rückblick #rp11

Nachdem ich jetzt ein paar Tage zeitlichen und auch einigen räumlichen Abstand habe, ist das doch eine gute Gelegenheit, neben dem Liveblogging noch einmal konzentriert auf die re:publica zurückzublicken. Hat es gelohnt? Was hat gelohnt? Und warum überhaupt?

Meine Höhepunkte waren:

* der Vortrag von Noha Atef über die Lage in Ägypten, die Tortureinegypt-Website und die Piggipedia-Flickr-Gruppe. Sie erzählte, dass die Polizei lieber Leute abholt, als Websites zu sperren, und dass es ungefährlicher ist, Fotos von Polizisten zu posten als ihre Namen. Und dass die Ägypter wussten, dass wirklich schwerwiegendes passiert, als plötzlich das Internet gesperrt war. Da war alles relevant und neu, von Noha Atef überzeugend rübergebracht. Und dazu war sie noch ein Vorbild an unprätentiösem Vortragen.
* der Vortrag von Markus Bösch über Newsgaming. Auch wenn die Idee ihre beste Zeit wohl gegen 2003 hatte, war sie mir komplett neu. Und die Idee Newsgaming ist meines Erachtens ausbaufähig. Zumal ich den Verdacht habe, dass das Konzept Newsgaming eigentlich schon ein großer Erfolg ist, die Newsgamer sich selbst aber so eng definieren, dass sie den Erfolg des Konzeptes nicht bemerken. Höhepunkt war diese Veranstaltung aber auch deshalb, weil Bösch einer der wenigen war, der das Medium Vortrag nutzte, und deutlich mehr machte, als einen Text vorzulesen.
* die letzten 15 Minuten des Till-Kreutzer-Vortrags, wo dieser vom Allgemeinem abkam und kurz aufblitzte, dass Kreutzer wirklich viel von der Materie versteht.

Mein irritierendster Moment:

* Daniel Domscheit-Berg, der sich richtig ernsthaft über 600 Euro spenden freut. In einem Saal dessen Miete für DDBs Vortrag vermutlich ein mehrfaches von 600 Euro kostete. In dem Saal, indem er vermutlich auch höhere Einnahmen hätte erzielen können, wenn er einfach den Hut hätte rumgehen lassen.

Erhellend:

* Peter Sunde, der zu flattr so ganz unterhaltsam war, aber durch seine Bühnenpräsenz klarmachte, warum ihm immer alle alles abkaufen.



Friedrichstadtpalast während rp11

Überraschend:

Vor der Kalkscheune über Peer Göbel gelaufen, den ich seit ungefähr 1999 nicht mehr in echt gesehen hatte.

Mein typischster Moment:

Der Vortrag von Till Kreutzer, iRights-Info, zum Thema Urheberrecht. Der Vortrag brachte mein Unbehagen auf den Punkt, diese Mischung aus "Warum?" und "dieses seltsame Wir." Kreutzer, der am Ende bewies, dass er wirklich detailliert Ahnung vom Urheberrecht hatte, hielt diesen Dauer-Lessig-Aufguss von wegen "das Urheberrecht ist am Ende, kreative Remixer, Neue Zeit, historisch, Mash-Up" das Übliche halt. Das hat natürlich an sich argumentative einiges für sich. Aber in diesem Rahmen? Jeder, der sich ein bisschen für Netzpolitik interessiert, hat den Vortrag sinngemäß schon dutzendemale gehört. Die Grundargumentation Neue-Zeit-Neue-Medien-Kreaktives-Remixing steht in meinem Feedreader in etwa 30 Postings am Tag. Ich denke, ich darf davon ausgehen, dass fast jeder, der Geld für re:publica ausgibt, und sich dann auch noch diese Veranstaltung aussucht, dass Alles schon mal gehört hat. Mehr als einmal.

Wozu also diesen Vortrag in einem Saal, der gefühlt 4000 Leute fasst? In der Hoffnung die Außenwelt zu erreichen? Aus allgemeinen Feelgood-Gefühl, weil wir alle einer Meinung sind? Um Gruppenkohäsion zu erzeugen? Um die zahlreichen Urheberrechts-Anhänger der Netzgemeinde zu erreichen? Oder weil das halt der Vortrag ist, den Kreutzer auch vor anderem Publikum hält, das nicht täglich die Urheberrechts-Remix-Leier eingeflößt kriegt? Wäre es für Leute, die andauernd Remix-Neu-Sharing eingeflößt kriegen, nicht viel spannender, mal etwas anderes zu hören? Gar Jemanden, der nicht aus der Lessig-Schule kommt? Vielleicht gar jemand, der für das geltende Urheberrecht ist? Oder wäre das zu shocking?

Auch wenn es jetzt etwas unfair ist, Kreutzer so allein rauszugreifen - zumal er zwischendurch demonstrierte, dass er besser könnte, wenn er wollte/dürfte, war er halt typisch. Dieselben Argumente durch dieselben Leute, die das schon immer sagen, und allen das Gefühl geben, das schon immer gewusst zu haben.

Insgesamt: drei Tage, die insgesamt auf jeden Fall den Besuch wert waren. Aber inhaltlich: hätte ich statt drei Tagen re:publica einen Tag meinen Newsfeed intensiv gelesen, hätte ich Heterogeneres, Spannenderes, Kontroverseres und vermutlich auch Inspirierenderes erfahren. Für meinen Geschmack zuviel Feelgood, zuviel Stagnation, zuwenig Inhalt, viel zu wenig Kontroverses, Spannendes, Neues, Irritierendes.



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