Die Digitale Gesellschaft hat seit neuestem eine Telefonnummer. Gleichzeitig ist sie auf 20 Mitglieder geschrumpft, was nun recht viele Mitglieder der undigitalen Gesellschaft zurücklässt. Die stets zu lobende Gastbloggerin Lyzzy hat dem ja auch schon Ausdruck verliegen: Digitale Gesellschaft, ist das nicht viel mehr als ein Verein in Gründung? Zur Zeit wohl nicht. Der Verein will die Welt verändern. Per Lobbyarbeit.
Wenn ich einmal abstrahieren darf: das deutsche politische System reagiert im Wesentlichen auf drei Impulse. Wahlen, Kampagnen und Lobbyisten. In der Reihenfolge. Wahlen sind mit Abstand am wirkmächtigsten, aber reichlich unbestimmt. Wenn alle paar Monate mal eine wechselnde Bevölkerungsgruppe ein allgemeines "gut" oder "nicht gut" äußern darf, dann ist das zwar ab und an gut für eine Grundsatzentscheidung (lieber Schröder als Lafontaine, lieber keine Leipziger-Parteitags-CDU, lieber keine aktive Beteiling an der NATO), für den Alltag aber deutlich zu unbestimmt.
Medienkampagnen wiederum wirken eher gegenteilig: wochenlang konzentrieren die sich auf ein Kleinthema (Sarrazin, S21, Google Street View, Guttenberg), während alle anderen Theman unbeachtet nebenherlaufen. Das wirkt zwar auch, aber nur in kleinen Bereichen. Womit für den politischen Alltag Lobbyismus als Methode des Einwirkens bleibt. Jeder, der schon mal näher an aktiven Politikern dran war, wird feststellen, dass sie Alle eine Gemeinsamkeit haben: keine Zeit. Deswegen präferieren sich auch gepushte, aufbereitete Information so deutlich gegenüber Informationen, die man sich holen musste. Deshalb sind Lobbyisten, die alles wichtige auf eine halbe A4-Seite kriegen, und mit dem Politiker so gut bekannt sind, dass sie alles beim 10-Minuten-Kaffee erläutern können, so deutlich im Vorteil gegenüber meiner Nachbarin, die mal alle zwei Jahre einen fünfseitigen handgeschriebenen Brief aufsetzt.
Oft funktioniert das politische System Deutschlands wie eine Bahnschranke.
Da nun fast alle Sachentscheidungen weder Wahlentscheidend sind noch auf der Zeit-Titelseite landen, ist das Land der Lobbyisten jenes, welches unseren Alltag bestimmt. Dementsprechend ist die Gründung einer netzpolitischen Lobbyorganisation nicht nur vertretbar, sondern unbedingte Notwehr.
So weit zum Prinzip. Die konkrete Ausgestaltung hat ja ein bißchen Kritik erfahren. So als Beispiele verlinke ich mal die Carta-Artikel:
* Erstaunliche Vorgänge um die “Digitale Gesellschaft”
* Herzlichen Glückwunsch, Digitale Gesellschaft!
Soweit ich verstehe macht sich das inhaltlich an zwei Punkten fest: Der Verein trägt einen wahrlich anmaßenden Name, und scheint auf das Organisationsprinzip elitärer Klüngel zu setzen.
Den Namen finde ich ja eher schlimm, kann ihn aber verstehen. Politiker = keine Zeit = braucht eindeutige Signale = Differenzierung schadet. Und zum Organisationsmodell Greenpeace: ich sehe kurzfristige Vor- und Langfristige Nachteile. Bin aber ethischer Fundamentalist genug, um rein privat Digiges diesselbe Behandlung zuteil werden lassen, die ich Greenpeace angedeihen lasse: ich spende lieber für Andere und engagiere mich anderswo.
Und warum es erstmal ans Ausatmen geht: offensichtlich holpert die Gründung reichlich vor sich hin. Noch lässt sich einfach nicht abschätzen, ob der Name wirklich mit einer seltsamen Wir-sind-das-Volk-Attitüde einhergeht und ob das Volk dann wirklich aus 20 Personen besteht. Und selbst wenn: die Lobbyliste beim Bundestag hat derzeit 2150 Einträge. Da passen dann auch zwei, oder gar drei, "Wir-sind-das-Netz"-Lobbygruppen drauf.
1 Kommentar:
Man hätte ja auch noch erwähnen können, dass Wikimedia Deutschland schon auf der Lobbyliste steht. So von wegen freier Inhalte etc.
Kommentar veröffentlichen