Ihr habt so entschieden. "Ein Tag aus dem Leben eines Mitarbeiters…" war in der Abstimmung vor ein paar Wochen euer klarer Favorit. Noch weit vor den Schafen und den Chilischoten in meinem Vorgarten. Also habe ich gestern mal versucht, alles mitzuprotokollieren. Um es gleich vorwegzunehmen: ein normaler Tag war das nicht; üblicherweise komme ich etwas früher nach Hause. Und Namen und Details gibt es auch nicht. Was bleibt, ist einfach "Einmal San Francisco und zurück"…
0:17 Kann nicht schlafen. Als ich das letzte Mal auf die Uhr schaue, ist es schon nach Mitternacht.
5:25 Der Wecker klingelt; ich greife zu meinem iPad und verschaffe mir einen Überblick über die Emails – mein Supervisor hat mir noch um 2:00 nachts eine Nachricht geschrieben und meint, ich solle doch zu Hause bleiben, falls ich mich immer noch krank fühle. Geht nicht, denke ich – hab doch ein wichtiges Meeting heute um 13:30.
5:35 Rasur, Dusche – Morgenroutine.
6:03 Es ist stockdunkel draußen und ein wenig neblig. Ich fahre mit meinem Prius zur Bushaltestelle.
6:22 Busfahrt nach San Francisco; Vorbereitung meiner Presentation zum Five Year Plan der Foundation und zum individuellen Goal-Setting meiner Mitarbeiter; immer noch überall Nebel. Zwischendurch schaue ich auf meine Beobachtungsliste in der deutschsprachigen Wikipedia. Dann kurz auf das Abstimmungsverhältnis in Sachen Schiedsgericht.
7:50 Ankunft in San Francisco, Ecke Battery und Market.
8:02 Kaufe mein morgendliches Croissant und einen entkoffeinierten Kaffee im Café Madeleine, direkt unter unserem Büro.
8:05 Ankunft im Büro. Unsere Team-Assistentin schaut mich an und meint, ich hätte lieber zu Hause bleiben sollen. Ungefragt schaufelt sie mir den gesamten Freitag von Meetings leer, damit ich von zu Hause arbeiten kann. Ich freue mich, denn von zu Hause zu arbeiten bedeutet in den meisten Fällen, dass ich mehr auf meiner To-Do-Liste abarbeiten kann, als wenn ich im Büro bin.
8:07 Frühstück vor dem Computer; jetzt nehme ich mir etwas mehr Zeit für die Emails und schiebe die dringendsten auf meine To-Do-Liste.
8:27 Blick auf den heutigen Kalender: mein Check-in um 9:00 fällt aus. Die Zeit kann ich also noch gut nutzen, um mich kurz vor unserem wöchentlichen Teammeeting mit meinem Projektmanager zusammenzusetzen. Das Teammeeting ist dann von 10:00 bis 12:00. Um 12:30 werde ich mich mit unserer Research Analyst treffen, und die Datenauswertung für das zweite Semester der Public Policy Initiative diskutieren. Um 13:30 habe ich eine halbe Stunde mit der Geschäftsführung. Von 14:00 bis 15:00 soll ich mit einem "J." treffen. Wer ist das nochmal? Ich muss unbedingt vorher nochmal die entsprechende Mail raussuchen. Von 15:30 bis 17:00 findet ein Community-Team Brainstorming statt. Mit etwas Glück sollte ich den Bus um 17:16 erreichen können. Dann könnte ich gegen 19:15 zu Hause sein.
8:34 Ich ziehe mich in einen unserer Besprechungsräume zurück, damit ich nochmal in Ruhe ein paar Dinge durchgehen kann. Ergänze das Dokument mit meinen persönlichen Zielen für das erste Quartal 2011 (das werde ich nachher in der Teampräsentation als Beispiel und Vorlage für die Teammitglieder zeigen).
9:15 Mein Projektmanager ist noch nicht da. Langsam werde ich nervös. Ich würde die Teampresentation wirklich gerne nochmal vorher mit ihm durchgehn.
9:30 Der Projektmanager kommt im Büro an. Wie immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Ich dränge ihn gleich in einen unserer Besprechungsräume und fange an, meine Folien für das Teammeeting mit ihm durchzugehn.
10:03 Unsere Team-Assistentin steckt den Kopf zur Tür herein und erinnert uns daran, dass die Besprechung eigentlich schon laufen sollte.
10:05 Das wöchentliche Public Policy Initiative Team Meeting beginnt. Zwei Teammitglieder sind per Skype dazugeschaltet. Die anderen sitzen in Raum 7, der nach "Ephraim Chambers" benannt ist. Erster Punkt auf der Tagesordnung ist meine Kurzpräsentation zum Five Year Plan der Foundation und wie unsere Arbeit sich in diesen einfügt. Ich stelle die Ziele für "Wikipedia as a teaching tool" vor, die wir bis 2012 erreichen wollen. Dann ist der Projektmanager dran und erklärt, wie die einzelnen Teammitglieder ihre individuellen Ziele bis September (Ende des Projektes) festlegen. Wir üben das mit dem Team anhand einiger Beispiele, bis klar ist, dass alle wissen, worum es geht. Dann bin ich wieder dran und erkläre nochmal die technischen Details (anhand meiner eigenen Ziele, die ich schon vor ein paar Wochen festgelegt habe). Zum Schluss eröffnen wir die wöchentliche Ankündigungsrunde: was gibt es, dass die anderen Teammitglieder diese Woche wissen sollten? Manchmal geht es dabei reihum – heute haben nur zwei aus unserem Team etwas, was für das gesamte Team von Interesse ist.
11:55 Das Teammeeting ist zu Ende. Beim Verlassen des Raumes frage ich meinen Projektmanager, ob wir vielleicht gemeinsam Mittagessen gehen wollen (meistens holen wir nur schnell etwas beim Chinesen um die Ecke und essen das dann gemeinsam im Büro). Da ruft mir jemand zu: "Hey, heute ist doch das Staff-Lunch". Das hatte ich ganz vergessen. Ab und zu besorgt jemand Essen für alle Mitarbeiter und wir essen dann gemeinsam. "Stimmt", denke ich. "Dafür hatte ich mich ja Anfang der Woche irgendwann mal eingetragen."
12:03 Wir fahren mit dem Aufzug in den sechsten Stock, wo schon Plastikschalen mit dampfendem indischen Essen bereitstehen.
12:15 Ich unterhalte mich mit einem unserer Projektmanager über persönliche Ziele. Er erzählt mir, wie er jedes Jahr ganz gezielt versucht, seine Freundschaften zu pflegen. Ich denke mir, das sollte ich wohl auch auf meine persönliche Agenda setzen. Die meisten meiner Kontakte in Deutschland sind nach dem Umzug in die USA verloren gegangen. Innerhalb der Woche ist nicht viel Zeit und das Wochenende möchte ich mir gerne für die Familie oder für die Artikelarbeit in der Wikipedia freihalten. Da bleibt manches auf der Strecke.
12:38 Unsere Research Analyst fragt mich mit vorwurfsvollem Blick, ob ihr Treffen mit mir heute ausfällt. Ach ja, das sollte ja schon seit acht Minuten begonnen haben…
12:45 Die Research Analyst und ich sind (nach einem Umweg über das Café im Erdgeschoss) nach Raum 7 im dritten Stock zurückgekehrt und unterhalten uns über Methoden zur Datenbankauswertung. Es geht darum, wieviele einzelne Artikel unsere Studenten verbessert haben und eine Reihe anderer Metriken, mit der wir den Erfolg unseres Botschafter-Programms an den Universitäten messen. Ich führe der Research Analyst einige der Tools vor, die ich im letzen Herbst programmiert habe und wir einigen uns darauf, dass sie mir per Mail eine Liste zuschickt, was sie noch zusätzlich braucht.
13:28 Ich laufe schnell rüber zu Raum 1, wo um 13:30 mein halbstündiges Treffen mit der Geschäftsführung beginnen soll. Da findet aber noch ein anderes Meeting statt und so stelle ich mich auf eine Wartezeit ein. Während ich warte, stellt der Assistent der Geschäftsführung mir eine Journalistin vor, die heute und morgen bei uns im Büro ist. Sie möchte gerne genau wissen, woran wir gerade arbeiten und ich gebe ihr einen Überblick.
13:45 Aus meinem Treffen mit der Geschäftsführung wird heute nichts. Ich mache einen neuen Termin für nächsten Montag aus. Da erscheint "J.", von dem ich immer noch nicht weiß, wer er ist. Dann stellt sich heraus, dass J. längere Zeit bei Linden Lab gearbeitet hat und sich jetzt mit einigen von uns treffen möchte, um Erfahrungen auszutauschen.
13:48 J. und ich sitzen in Raum 2. Wir stellen uns gegenseitig vor und reden dann über J.s Erfahrungen mit der Second Life-Community. J. stellt mir verschiedene Ansätze vor, wie er als Produktmanager daran gearbeitet hat, mehr Leute zum Mitmachen bei Second Life zu motivieren. Die Zeit vergeht wie im Flug. Ich finde alles, was Jack mir erzählt superspannend und möchte gerne, dass er sich Anfang nächster Woche noch einmal mit meinem Team trifft. Bei der Verabschiedung verspricht er, mir eine Mail mit einem Terminvorschlag zu schicken.
14:55 Nach dem Treffen mit J. gehe ich kurz nochmal rüber zu meinem Team und lobe unsere Communications Associate für die letzten Blog-Postings auf dem Wikimedia-Blog. Danach gehe ich nochmal kurz die Emails durch, die in der Zwischenzeit auf meinem Account aufgelaufen sind. Ich beantworte die wichtigsten davon und mache mich bereit für das nächste Meeting.
15:25 Ich fahre mit dem Aufzug zurück in den sechsten Stock. Mein Supervisor möchte mit den Fellows und allen festangestellten Mitarbeitern des unseres Departments darüber sprechen, welche Projekte für das nächste Jahr geplant sind. Schwerpunkt unserer Arbeit wird es sein, die Beteiligung an Wikipedia zu steigern. Wir wissen schon seit geraumer Zeit, dass die Zahl der Neuanmeldungen zurückgeht und wollen unsere verschiedenen Projekte zu diesem Aufgabengebiet koordinieren und mit der Geschäftsführung abstimmen.
15:32 Das Meeting startet. Die Mitarbeiter und die Fellows stellen reihum ihre Projekte vor und bekommen dann Feedback. Die Diskussion ist ausgesprochen konstruktiv, allerdings dauert die Sitzung dann doch länger, als wir alle dachten.
17:18 Jetzt sollte ich eigentlich schon im Bus nach Hause sitzen. Der ist aber eh schon abgefahren und ich möchte das Meeting auch nicht vorzeitig verlassen.
17:35 Die Sitzung ist vorbei und ich fahre zurück in den dritten Stock, um kurz auf die Toilette zu gehn und dann meine Sachen zu packen.
17:48 Auf dem Weg zur Bushaltestelle hinterlasse ich zu Hause auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht für meine Frau, dass ich heute später nach Hause komme und sie sich keine Sorgen zu machen braucht.
18:05 Der Bus scheint Verspätung zu haben.
18:12 Der Bus kommt endlich an. Ich suche mir einen Platz, klappe mein MacBook auf und öffne das Email-Programm.
19:02 Wir stehen im Stau. Mist, ich werde dann wohl noch später zu Hause sein, als ich dachte. Im Bus schniefen alle und der Mann, der neben mir sitzt, scheint genauso erkältet zu sein wie ich.
19:19 Die Freiwilligen, die das Wikipedia Botschafter-Programm in der englischsprachigen Wikipedia koordinieren, scheinen sich per Mail auf ein wöchentliches Skype-Meeting am Sonntag einigen zu wollen. Ich denke kurz darüber nach, ob ich das für eine wirklich gute Idee halte und beschließe dann, die Sache einfach laufen zu lassen. Vielleicht können die ja wirklich nicht unterhalb der Woche.
19:23 Ich starte meinen Browser, um nochmal auf meine Beobachtungsliste zu schaun. Da fällt mir der neue Artikel des Tages ins Auge. "In Erinnerung an Geos († 22. Januar 2011)" steht da. Das finde ich schön und angemessen. Ich war mit Geos nicht immer einer Meinung, die Nachricht von seinem Tod hat mich aber umgehaun.
19:25 Wir kommen in Rohnert Park an. Die meisten verlassen schon hier den Bus. Für mich ist es jetzt auch nicht mehr weit. In etwa einer halben Stunde sollten wir in Santa Rosa sein. Ich klappe mein MacBook zu und lese noch eine Weile auf dem iPad in einem meiner Bücher zur Geschichte Amerikas im 18. Jahrhundert. Vielleicht fällt ja etwas für den Artikel zu Benjamin Franklin ab, an dem ich gerade arbeite.
20:12 Ankunft an der Endhaltestelle. Ich wünsche dem Busfahrer noch einen guten Abend, gehe dann zu meinem Wagen und fahre nach Hause.
20:25 Das Garagentor öffnet sich. Ich bin wieder zu Hause. Ich öffne die Tür; meine Frau telefoniert gerade mit unserer jüngeren Tochter. Dann erzählt sie mir, dass sie heute einen Patienten hatte, der aus Stuttgart stammte. Der war vor mehr als 40 Jahren nach Alaska ausgewandert, hatte dort ein Restaurant eröffnet und ist jetzt in Santa Rosa gestrandet. Meine Frau ist stolz darauf, dass sie mit dem Stuttgarter Deutsch sprechen konnte. Ihre Sprachkenntnisse werden immer besser. Letzte Woche haben wir uns "Küstenwache" übers Internet angeschaut. Irgendwie skurril – ich muß mich bei sowas manchmal kneifen, um mich daran zu erinnern, dass ich nicht mehr in Niedersachsen bin.
20:33 Ich stehe unter der Dusche und lasse das heiße Wasser an mir herunterlaufen. Entspanne mich.
20:48 Ich sitze am Esstisch und genieße einen getoasteten Bagel mit Käse. Meine Frau sitzt neben mir und wir erzählen uns gegenseitig von unserem Tag.
21:30 Ich gehe ins Bett und klicke mich auf dem iPad nochmal durch die Wikipedia. Lese mir einige der Artikel durch, die unter "Laufende größere Artikelprojekte" in der Redaktion Geschichte gelistet sind.
22:13 Ich wache auf und merke, dass ich eingenickt bin. Das iPad liegt neben mir auf dem Bett. Ich mache das Licht aus und schlafe ein.
4 Kommentare:
Apropos Kontaktpflege: du wolltest mir den Link zum Online Chess geben ... und Freitag nacht habe ich gemeinsam mit Finanzer versucht, dich anzurufen ...
Du hast Post...
Du hast eine Spielanfrage ... (hoffe ich)
@frank du hast eine jüngere tochter, mit der man telefonieren kann? i need an update... ;-)
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