Das ist sicher zum Teil der Hype-Maschine geschuldet: Sex, mysterlöse Hacker und der Kampf Gut gegen Böse machen sich besser als diplomatische Details aus langweiligen Sitzungen. In Deutschland gilt das verstärkt. Die meisten von Wikileaks veröffentlichten Depeschen handeln von Ländern, die deutsche Medien eh kaum covern, und die deutsche Leser nicht wirklich interessieren. Oder, Frage in die Runde, weiß jemand aus dem Stand wer bei der letzten Irakwahl knapp gegen wen gewonnen hat? Wie die pakistanische Regierungspartei heißt? Kann jemand hier ohne nachzusehen die neun Unruheprovinzen in Afghanistan nennen?
Aber auch wenn man den deutsch geprägten Blick auf die Welt abzieht; selbst Foreign Policy, das namensgemäß der amerikanischen Außenpolitik auf der Spur ist, hat bisher nur mäßig skandalöses entdeckt. Das ist nicht unwichtig, aber doch eher Stoff für den Auffüller auf Seite drei, nicht aber für die Hauptseite.
Die Informationen sind nicht alle banal, aber doch spektakulär unspektakulär. Die Depeschen enthalten wirklich wenig, was man nicht hätte durch gezielte Zeitungslektüre hätte erfahren können, und im Zweifelsfall schreiben die Diplomaten Informationen aus zweiter Hand auf. Als Beispiel einfach mal die neuesten Depeschen, die gerade online sind:
- Türkische Nationalisten waren 2005 sauer auf Mastercard
- Russland will Nationale Kreditkarten einführen, im wesentlichen zitiert die Depesche Komersant
- Friedensgespräche zwischen Djibouti und Eritrea (Frage an die Iberty-Leser: wer findet Eritrea auf Anhieb auf einer Landkarte?)
- Eritrea hat direkt nach Obama-Amtsantritt freundliche Signale an USA ausgesandt
- "Young Eritreans are fleeing their country in droves, the economy appears to be in a death spiral, Eritrea’s prisons are overflowing, and the country’s unhinged dictator remains cruel and defiant."
- Äthiopien fühlt sich von den USA unverstanden
- "Things are getting worse and worse in Eritrea."
- Nigerianischer Präsident "Jonathan [Goodluck] claims he wants to do a good job over the next 12 months"
Die eriträischen Depeschen sind gruselige, aber gut geschriebene Lektüre. Aber enthält das weltverändernde Informationen? Ne, wirklich nicht. Nun kann es natürlich sein, dass die 249.000 unveröffentlichten Dokumente alle außerordentlich brisant sind. Aber warum sind sie dann nicht öffentlich?
Inhalte gesucht.
Kann es sein, dass sie absichtlich zurückgehalten werden? Verzichten Spiegel, NYT und Guardian auf einen Scoop und veröffentlicht Wikileaks nur Banalitäten. Ist Wikileaks plötzlich zum Freund des amerikanischen Außenministeriums geworden? Oder können die vereinigten Rechercheure der bestaugestattsten Zeitungen der Welt nur die wichtigen Sachen nicht finden? Ist das auch nur annähernd wahrscheinlich?
Und vor allem: ist das wahrscheinlich, dass überhaupt jemand solche Inhalte in die Datenbank gegeben hat? Auf die Datenbank, aus der die Depeschen stammten, hatte im wesentlichen jeder Depp im amerikanischen Staatsdienst Zugriff; es ist also davon auszugehen, dass Russland, China, Indien, Israel, Saudi-Arabien und Google - eigentlich alle bis auf die FDP - die Dokumente im wesentlichen haben und kennen. Enthielten sie wirklich Zündstoff, wäre dieser wohl auch schon vor Jahren bei den Medien gelandet.
Und mehr noch: auch die amerikanischen Behörden haben zwar offensichtlich nicht damit gerechnet, dass alle Dokumente im Internet stehen; dass aber interessierte Stellen mit ausreichenden Mitteln an die Dokumente kommen, sollte den entsprechenden Stellen klar gewesen sein. Da die Depeschen außerdem immerhin beweisen, dass der diplomatische Dienst der USA weit smarter ist, als es nach außen ankommt, wäre es wirklich ungewöhnlich, sollten er tatsächlich brisantes Material in die Datenbank gesteckt haben.
Was natürlich die Frage um so interessanter macht, warum all der Aufstand? Wovor die Angst? Warum die Ausraster? Abgesehen von all dem alles-ist-so-anders-und-OMG-Informationsrevolution!-Bohei: Meine Eindrücke aus der Lektüre bisher: Geheimakten werden überschätzt. Und: amerikanische Diplomaten sind anscheinend deutlich intelligenter und besser als man so nach Außen vermuten könnte. Mein Eindruck aus dem Verfahren hat John Naughton netterweise schon geschrieben:
The tone of much public American discussion about WikiLeaks is increasingly “extra legal”, to put it politely. The spectacle of public figures and elected representatives calling for the assassination of Assange is revealing, given Bobbitt’s assertion that the reason why the United States is not itself a terrorist state — even though its warfare brings suffering and destruction to many innocent persons, including civilians — is that it acts within the law. To which the only reasonable response is: let’s see.
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