Das Auto zur weihnachtlichen Nordseefahrt zu nutzen, war die richtige Entscheidung. Strom und Heizung liefen durchgehend. Anschlussprobleme traten nicht auf, und die Informationspolitik des Fahrzeugführers war exzellent. Brandenburger Kiefernwälder sehen verschneit deutlich besser aus als im Sommerzustand. Die Tatsache, dass der ÖPNV ab Heide komplett eingestellt war, hat mich dann auch nicht betroffen. Vor allem aber konnte ich mich mal wieder informieren, was der braune-Tafel-Bestand an den Autobahnen macht.
Wenn man erst 1 1/2 Stunden durch repetetive Kiefernwälder fährt, dann 1 1/2 Stunden durch eine leicht gewellte repetetive Ebene und dann eine weitere Stunde durch eine komplett flache repetetive Ebene, bieten braune Autobahntafeln einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert. So vielfältig, so bizarr. Dank ihrer weiß ich wie oft es historische Altstadt in Deutschland gibt. Was der Zukunftszentrum Mensch - Natur - Technik - Wissenschaft (ZMTW) Nieklitz ist, weiß ich bis heute nicht, aber dafür will ich unbedingt in das Preußenmuseum. Und nicht zuletzt: Einer braunen Tafel verdanke ich Kunde von der Existenz des Wenzel-Hablik-Museums in Itzehoe, und dessen Besuch war ein echter Gewinn.
Braune Tafeln in Dithmarschen sind ein anderes Thema. Der touristische Reiz Dithmarschens lässt sich vergleichsweise einfach in ein paar Worten zusammenfassen: Nordsee, Schafe, Deich, Wattenmeer, Nordsee, Watt, Seehunde, Nordsee. Die einzige Tafel, die schon länger an der A23 steht zeigt dementsprechend auch einen Seehund und einen Leuchtturm; was man halt so erwartet.
Nun sind aber auch Dithmarscher Lokalpolitiker auf die Idee gekommen, in die Braune-Tafel-Szene einzusteigen. Dem Seehund folgte eine weitere Tafel Meldorfer Dom; das ist zwar kein Dom im eigentliche Sinne des Wortes, wird aber schon lange so genannt. Wenn die Kirche mal offen ist, ist sie ist eindrucksvoll und einen Besuch wert.
Meldorfer Dom vor einem Jahr.
Dann allerdings kam Büsum. Die Stadt wie gemacht für Westalgiker, die sich nach ihrer Kindheit in den 70ern sehnen. Die Stadt, die sich verzweifelt bemüht, endlich mal in den 90ern anzukommen. Büsum betreibt nicht etwa Braune-Tafel-Werbung mit der Nordsee oder dem Fischereihafen, sondern mit der Sturmflutenwelt "Blanker Hans". Nun ja, kann man nachvollziehen; wer die A23 bis dahin durchgehalten hat, weiß, dass demnächst die Nordsee kommt, und braucht vielleicht keine Zusatzermunterung.
Andererseits hat die Sturmflutenwelt "Blanker Hans" nicht nur einen Namen zum Weglaufen, sondern ist auch sonst ein ebenso ambitioniertes wie teures Zeugnis lokalpolitischer Verwirrung. Im Wesentlichen stehen da in eigentümlicher und nicht eben wertiger Kulisse ein paar Rechner in zwei großen Räumen, die Informationen liefern, die man im Internet besser bekommt. Zum anderen gingen Millionen von Fördermitteln in eine Art entschärfter Achterbahnfahrt durch Tunnel in einer blau-grün illuminierten Halle mit Sturmgeräuschen, die eine Sturmflut simulieren sollen. Ja. Wirklich. Die wenigen Besucher, die sich in das Sturmfluterlebnis stürzen wiederum treiben die Lokalpolitik in Krisen und müssen jetzt mit braunen Tafeln hergelockt werden. Eine tragische Geschichte insgesamt, aber in ihrem ganzen Irrsinn in sich schon wieder logisch.
Seit diesem Winter allerdings wird die Sturmflutenwelt-Blanker-Hans-braune-Tafel in den Schatten gestellt von ihrem Gegenstück zur Kreissstadt Heide. Heide hat ein paar Probleme. Husum zum Beispiel; Husum ist nicht weit weg, ist deutlich schicker, der Stadtpoet ist beliebter (Theodor Storm v. Klaus Groth). Und da wo Husum einen ausgesprochen schnuckligen Hafen besitzt, hat Heide eine mehrere Fußballfelder große Betonfläche. Die Heider Stadtmitte wird durch einen riesigen Parkfläche aus allen Proportionen gerissen.
Um eine Vorstellung der Heider Parkbrache zu erhalten, kombiniere man einfach die Anmutung des IKEA-Parkplatzes mit ein paar historischen Häuschen am Ende. Es wirkt verloren, einsam, hoffnungslos. Tapfer stemmen sich zehn geleaste Dithmarscher Mercedesse und diverse auswärtige Kleinwagen gegen die Leere. Das wasserlose Brunnenimitat in der Platzmitte würde vermutlich eindrucksvoll wirken, würde es nicht in der Leere verloren gehen. In den 20 Minuten, die man von einem Ende zum anderen braucht, lernt man eigene Mikroklimastürmesysteme kennen, die es nur innerhalb dieser Fläche gibt. Immerhin findet man meistens einen Parkplatz.
Okay, die Gestaltung einer braune Tafel für Heide stellt tatsächlich eine gewisse Herausforderung dar. Das Stadtwahrzeichen Wasserturm ist der Bringer nicht. Historische Altstadt wäre zwar halbwegs zutreffend (zumal die 50/60er wohl mittlerweile auch schon historisch sind), aber nicht gerade originell. Mit Hohnbeer könnte man nette Zeichnungen anbringen, und meines Erachtens Leute neugierig machen, aber das wäre halt schon sehr mutig, und 362 Tage im Jahr sind die Auswirkungen auf das Stadtbild übersichtlich.
Was Heide allerdings tatsächlich hat, ist die Bauernrepublik Dithmarschen. Im sehr späten Mittelalter war Dithmarschen für ein paar hundert Jahre de facto eine unabhängige Bauernschaft, und wäre die Geographie zuvorkommender gewesen, hätte die Gegend sich sicher der Schweizer Eidgenossenschaft anschließen können. Großer Stolz aller Dithmarscher ist das kollektive Totschlagen adeliger Invasoren im Jahr 1500, und an sich sind Republik und Bauernschaft jedem Dithmarscher sofort ein Begriff.
Und, was für die Braune-Tafel-Problematik natürlich von Bedeutung ist. Die Geschichte spielt im Mittelalter. Damit ist sie natürlich bestens gelegen im Mittelaltertrend: Freie Bauern, böse Adlige, eine einfache Welt, vor Nordsee und Schafen. Wutbürger trifft Mittelaltermarkt, wenn das kein Braunes-Tafel-Thema ist. Und neben ihrer verspäteten Eignung für die Tourismuswerbing, ist die Bauernrepublik die Ausrede für den Parkplatz in der Mitte. Der entstand als Versammlungsort "auf der Heide" und war historischer Versammlungsort der Dithmarscher Bauern. Zudem bringt er der Stadt den zweifelhaften Titel ein, den "größten Marktplatz Deutschlands" zu besitzen.
Nun ist der größe Marktplatz eher was für das Guinessbuch(*), als für die Tourismuswerbung. Marktplätze sollen belebt sein, pittoresk, atmosphärisch, historisch, vielleicht auch kitschig, aber groß? Es ist ja nicht so, dass ein allgemeiner Mangel an betonierten Ebenen herrschte in der Welt, oder diese sich als Besucherattraktionen bewährten. Auch ist den Heidern in Jahrzehnten nichts besseres eingefallen, als die Mittelbrache ausschließlich mit Parkplätzen zu füllen. Die Ausstattung des Platzes mit hunderten älterer Mittelklasseautos macht die Sache nicht besser. Ist ja nicht so, dass wir nie einen Parkplatz sahen.
Allerdings, und da kommt Dithmarschens eigene Entdeckung der Langsamkeit ins Spiel, war das mal anders. Menschen haben einmal an Autobahnen campiert und sich Parkplätze angekuckt. Womit wir dann wieder in der Westalgie wären. Wer interessiert Postkarten aus den 60ern oder frühen 70ern durchsieht, wird eine hohe Anzahl von Autobahnen und Parkplätzen entdecken. Autos sind neu und aufregend und verkörpern Fortschritt. In Dithmarschen gilt das immer noch. Statt für die Bauernrepublik oder wenigstens die historische Altstadt, hat Dithmarschen sich für die IKEA-Parkflächenvariante entschieden. Größter Marktplatz Deutschlands steht auf der braunen Tafel.
"Liebe Touristen! Kommen Sie von weit her! Wir haben einen überdimensionierten Parkplatz!"
(*) Wenn es denn stimmen würde. Korrekt wäre der "größte unbebaute Marktplatz". Der Freudenstädter Marktplatz erstreckt sich über ein paar Quadratmeter mehr, ist nach überzeugenden Schilderungen aber ähnlich hässlich.
Weil Weihnachten ist, noch ein marktplatzversöhnliches Bild.
2 Kommentare:
Herrlich! Danke für diesen amüsanten, interessanten und v.a. aufschlussreichen Beitrag!
unterschlagen hast du leider dieshier:
http://blogs.23.nu/poupou/2008/03/antville-17516/
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