Zur Einführung: Wikimedia Deutschland verteilt Geld. Im Rahmen des Wissenswert-Initiative können Projekte zwischen 500 und 5000 Euro Förderung gewinnen, die mit den Zielen von Wikimedia Deutschland übereinstimmen. Nach dem allgemeinen und formalen Aussieben durch Wikimedia sind nun 40 Projekte übrig. Die laufen bis Ende November schau, danach entscheidet dann eine Jury und als Zusatzstimme das Publikum über die Preisvergabe. Nach dem Rundumschlag letzte Woche, kommen hier jetzt ein paar mehr Worte zu einer handvoll einzelner Projekte:
Daniel Mietchen und soweit ich verstehe auch andere Teilnehmer von Science 3.0 wagen sich mit dem Vorschlag Wissenschaft als Wiki in das bisher eher problembehaftete Mittelfeld aus Wikis und Wissenschaft. Bisher waren derartige Ansätze ja eher wenig von Erfolg geprägt (Nupedia als Paradebeispiel, ich denke Citizendium und Wikiweise kann man da guten Gewissens reinzählen), allerdings scheint mir der Ansatz hier an einer entscheidenden Stelle anders zu sein. War es bei den bisherigen Projekten eher ein: man nehme ein Wiki und versuche Wissenschaft zu integrieren, wird es jetzt ein man nehme Wissenschaft und versuche ein Wiki daraus zu machen. Allgemeinverständlich wird das sicher nicht, aber vielleicht gelingt es ihnen ja, eine lebendige Community zu erschaffen, die trotzdem wenig Probleme mit uninformierten Besserwissern hat. Neugierig wäre ich auf jeden Fall.
Initiator Daniel Mietchen ist dabei mit besonderer Offenheit an die Wissenswert-Bewerbung gegangen, auf Science 3.0 lassen sich auch die von Wikimedia nicht-veröffentlichten Teile seines Antrags lesen. Wer will, kann die Antworten auf diese Fragen auch gleich auf Science 3.0 lesen: www.science3point0.com: User:Daniel Mietchen/Interviews/2010/Iberty on Wissenswert 2010
Vereinigt Dein Konzept nicht den Nachteil beider Welten? Entsteht dort nicht die potenzielle Unzuverlässigkeit eines Wikis kombiniert mit der Schwergängigkeit und Abgrenzung des institutionalisierten Wissenschaftsbetriebs?
Zur Zuverlässigkeit einer Quelle tragen verschiedene Faktoren bei. Einige davon sind technischer Natur, andere ergeben sich aus dem editoriellen Prozess oder hängen von den daran beteiligten Personen ab, und wiederum andere vom Grad der Kopplung technischer oder editorieller Beiträge an relevante Kenntnisse (zum Thema oder zur Wiki-Syntax) und Fähigkeiten (z.B. Ausdrucksfähigkeit, Erklärungsvermögen) von Benutzern oder Benutzergruppen. Zudem haben vorhandene Inhalte Auswirkungen auf die Zusammensetzung und Dynamik der Beutzergemeinde.
Natürlich gibt es eine Große Zahl an Wikis, die in vielerlei Hinsicht unzuverlässig sind, doch heißt das nicht automatisch, dass Wikis grundsätzlich unzuverlässiger sein müssen als klassischere Medien der Wissenschaftskommunikation ("retractions at Wiley-Blackwell are now running at more than one a week"). Gerade in wissenschaftlichen Kontexten ist das Potenzial kollaborativer Online-Plattformen bisher bei weitem nicht ausgereizt worden, und dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Die Gefahr der Schwergängigkeit ist real, wenn gewachsene akademische Gepflogenheiten einfach von einem Medium in ein anderes übernommen werden. Dem kann jedoch durch offenen Austausch mit der Benutzergemeinde sowie mit technisch oder inhaltlich verwandten Projekten begegnet werden. Die Gefahr neuer Elfenbeintürme in Wikistan sehe ich eher nicht - Wikis sind traditionell offener gestaltet als zum Beispiel Fachzeitschriften, und falls sich eines zu sehr abschottet, schränkt dies automatisch dessen Wachstum ein.
Womit sich auch eine der Kernfragen eines jeden Wikis stellt: wie offen wird es sein? Wenn sich nicht Wissenschaftler und benachbarte Gruppen wie wissenschaftliche Verlage, Forschungsförderungsorganisationen oder Patientenvereinigungen anmelden, sondern 14-jährige Wehrmachtsfans? Was dann?
Wir planen, die Benutzerkonten an ein anerkanntes Forscher-Identitätsmanagement-System zu koppeln (wahrscheinlich ORCID, wenn es denn rechtzeitig nutzbar wird). Eine solche Identität erhält nur, wer bei einem wissenschaftlichen Verlag einen Beitrag zur Publikation einreicht. Das dürfte die Anzahl "14-jähriger Wehrmachtsfans" im ORCID-System ohnehin niedrig halten, und falls uns dennoch einer auffallen würde, ließe sich das Problem in den wenigen Einzelfällen sicher schnell beheben.
Im Gegensatz zu ORCID wollen wir uns den 14-jährigen jedoch nicht ganz verschließen, denn eines der Grundprobleme der Wissenschaft ist ja heutzutage, dass außer Papers nichts zählt, was für Einsteiger das Problem mit sich bringt, wie sie die ersten Möglichkeiten erhalten können, überhaupt an Projekten zu arbeiten, die irgendwann einmal zu ihrer ersten Publikation führen könnten. Wer dann, wenn das ORCID-System läuft und einigermaßen Wiki-kompatibel ist, schon relevante Wiki-Beiträge auf seinem Konto hat, dürfte sich den Einstieg vereinfachen.
Wie genau wissenschaftliche Verlage, Forschungsförderungsorganisationen oder Patientenvereinigungen eingebunden werden können, hängt von der Flexibilität des ORCID-Systems ab. Aber falls es damit nicht funktioniert, ließe sich der Schreib-Zugang z.B. via IP-Adresse oder Email-Adresse regeln.
Was ich auch noch nicht ganz verstehe: inwiefern und wie weit sollen die Texte im Wiki wirklich noch bearbeitbar sein? Dient das Wiki primär als maschinenlesbares Repositorium? Lassen sich interne Links setzen? Rechtschreibfehler korrigieren? Inhalte ändern?
Bezüglich des klassischen Publikationsprozesses haben wir zwei Ansätze, die wir zeitlich versetzt angehen wollen: Zunächst einmal wollen wir bereits veröffentlichte CC-BY-lizensierte Inhalte importieren, welche dann verlinkt, maschinenlesbar gemacht und semantisch aufbereitet werden sollen. Auch kleinere Änderungen oder umfangreiche Annotierungen sollen möglich sein, der Hauptinhalt der einzelnen Artikel soll sich allerdings nicht ändern. Für die Entwicklung solcher Inhalte bietet sich der Hauptnamensraum an, welcher entweder auf der Plattform direkt gefüllt und ausgebaut werden könnte (dann mit CC0) oder auf anderswo vorhandene enzyklopädische Einträge (z.B. in Scholarpedia, Citizendium, Encyclopedia of Earth, Spezialistenwikis oder gegenebenfalls auch Wikipedia) verlinken könnte. Für diesen Ansatz wäre der Begriff Repositorium sicherlich nicht falsch.
Der zweite (und spätere) Ansatz ließe sich wohl am besten als Wiki-Journal oder Wiki Publishing charakterisieren: Forschung, die noch nirgendwo anders formal veröffentlicht worden ist, soll dann über diese Wiki-Plattform veröffentlicht und von Anfang an in den Wiki-Kontext eingebunden werden können. Erste Ansätze in dieser Richtung gibt es schon - die Zeitschrift RNA Biology verlangt von Autoren von Manuskripten zu bestimmten neuen RNA-Themen, dass sie neben dem Manuskript einen Wiki-Artikel zur Begutachtung einreichen, der dann nach der formellen Veröffentlichung des Papers in Wikipedia eingestellt werden soll.
Neben diesen beiden Publikationsformen kann die Plattform natürlich auch als Laborbuch (wie es OpenWetWare schon seit Jahren vormacht), Ideenspeicher und auf viele andere Weisen genutzt werden.
Hast Du Pläne für das Autorenbestimmungsproblem? MediaWiki ist chronisch schlecht darin, den Autor eines Artikels kenntlich zu machen. Wenn man Artikel übernehmen will, ist die korrekte Bestimmung des Autors eines der Haupthindernisse. In einer Publish-or-Perish-Umgebung schränkt das MediaWiki-Problem den Level möglicher wissenschaftlicher Partizipation stark ein.
Prinzipiell ist die Autoreninformation ja da, insbesondere, wenn Beiträge unter realem Namen geleistet werden, wie es in der Wissenschaft bereits seit langem üblich ist. Was dann fehlt, ist nur ein Werkzeug, das die Information per Autor und Artikel aggregiert, und davon gibt es schon einige, zum Beispiel Wikidashboard oder die MediaWiki:Extension AuthorInfo, welche die Autoren nach Anzahl der Edits sortiert und anzeigt. Andere Projekte, wie WikiTrust oder Wikigenes, zeigen auch die Autorenschaft beliebiger Textschnipsel eines Artikels an. Wikigenes hat auch ein Karma-System, ebenso Scholarpedia (siehe Scholar Index).
Und zum Antrag selbst die Abschlußfrage an alle: braucht ihr das Geld unbedingt? Oder wäre es nur eine Hilfe bei einem ansonsten auch laufenden Projekt?
Die Programmierdienste brauchen wir in jedem Falle, und falls sie nicht auf Freiwilligenbasis erbracht werden können, brauchen wir diesen Teil des Geldes unbedingt. Für die Server-Kosten ließen sich notfalls auch andere Mittel finden, doch das Schreiben jedes neuen Antrags hält uns von unserem eigentlichen Ziel ab: Forschen und kollaborativ das wissenschaftliche Wissen effektiver zu strukturieren.
Einen Punkt, den man neben dem Geld nicht vergessen sollte, möchte ich noch erwähnen: Die öffentliche Aufmerksamkeit, welche das Projekt durch die Teilnahme an diesem teilöffentlichen Bewertungsverfahren erhält, wäre im klassisch akademischen Begutachtungsverfahren nicht denkbar, oder sie würde erst nach Bewilligung des Projektes einsetzen, was oft viele Monate verschenkte Zeit bedeutet. Wir wollen aber auch dazu beitragen, Wissenschaft für Nicht-Wissenschaftler erfahr- und erlebbarer zu machen, als dies bisher der Fall ist.
Siehe auch: 40 Projekte wollen Geld von Wikimedia: Wissenswert-Rundumschlag
1 Kommentar:
Ja, wahrscheinlich deshalb ist es
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