Das Verhältnis zwischen Wikipedia und den etablierten Bildungsorganisationen ist ja eher ambivalent mit zahlreichen Tief- und Hochpunkten. Letztlich aber sind fast alle Wikipedianer dem tertiären Bildungbereich persönlich recht eng verbunden. Schulen und Universitäten wiederum werden nicht unwesentlich von Wikipedia beeinflusst.
Sowohl die Wikimedia Foundation/USA als auch Wikimedia Deutschland haben zufälligerweise fast gleichzeitig Zwischenberichte zum Thema Wikipedia und Bildungsinstitutionen veröffentlicht. Die Foundation wendet sich dabei an Universitäten, während Wikimedia Deutschland ein Schulprojekt veranstaltet. Während die Foundation offensiv Studenten als Autoren gewinnen will, scheint Wikimedia Deutschland realistischerweise vom Ziel abgerückt, das mit Schülern zu versuchen. Das Ziel des Schulprojektes ist es jetzt
"In Aktionstagen für Schüler wird anhand der Wikipedia Medienkompetenz im Internet trainiert, in Lehrerschulungen werden Grundlagen, Funktionsweise und interne Qualitätssicherung der Wikipedia erläutert."
Man könnte natürlich auch einfach das Geld ausgeben, um der internen Qualitätssicherung Zugang zur Literatur und zu Bibliotheken gewähren anstattdessen, aber das ist dann ein anderer Haushaltstopf und so. Nicht Produkt verbessern hier, sondern das Produkt besser erklären.
Fangen wir mit dem Wikimedia-Deutschland-Schulprojekt an. Bei dem ich zugeben muss, dass ich um so skeptischer werde, je länger ich drüber nachdenke. Zumindest sofern es darum geht, Schüler wirklich als Nachwuchsautoren gewinnen zu wollen.
Mittlerweile sind Schüler mit Wikipedia-Mitarbeit überfordert. Naturgemäß fehlt ihnen die Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten, und oft erforderliche tiefere Kenntnis eines Fachgebiets. Der Umgangston grimmiger alter Männer kommt bei Schülern nicht richtig gut an, wie ich auch nur wenige Schüler kenne, die gleichzeitig enthusiastisch genug sind für ein solches Projekt, und pedantisch genug, um mit den vorherrschenden sozialen Normen in Wikipedia klarzukommen. Die wenigen Schüler wiederum, die all diese Anforderungen erfüllen, sind nicht diejenigen, die auf Lehrer hören, welchen man vorher das Internet erklären muss. Solche Schüler sind erfahrungsgemäß so herausstechend, dass man sie mit einem hinreichend niederschwelligen Catch-All-Schülerprogramm eh nicht erreichen kann.
Über die Straße denken tut not.
Aber endlich zum Erfahrungsbericht: Wikipedia-Schulprojekt: Ein (un)perfektes Arbeitstreffen
Einerseits hat man so ziemlich das erste mal das Gefühl, man würde nicht mit Leerformeln abgespeist. Endlich - endlich! - mal etwas anderes als "alles läuft gut, wir machen das, was willst du überhaupt"? Auch wenn ich gleich noch einiges zu meckern habe, aber "wir hatten viele Ideen, fast alles ist versackt, diverse Freiwillige sind spurlos verschwunden, wir haben einen neuen Anlauf versucht" ist ein echter positiver Quantensprung in der Vereinskommunikation.
Wobei, natürlich, vieles ist Atmosphäre und es freut mich ja, dass bei Wikimedia-Treffen alles immer so fröhlich ist. Aber spannender wäre es ja schon gewesen: wie soll eine Schulung aussehen? Wer referierte? Welche inhaltlichen Knackpunkte gibt es? Wie sind bisherige Erfahrungen evaluiert worden? Es gab doch schon Einsätze in Schulen, oder? Das Projekt läuft doch schon seit diversen Jahren meines Wissens.
Andererseits ist es halt doch vor allem wieder eine Alles-war-super-wir-waren-voll-erfolgreich-Schilderung. Spannender hätte ich ja gefunden: welche Schüler will man ansprechen? Worauf will man die Lehrer vorbereiten? Will man den Schülern Wikipedia-Schreiben oder -Lesen beibringen? Und natürlich: wäre es von Vereinsseite nicht deutlich sinnvoller die real existierende Qualitätssicherung ausnahmsweise mal irgendwie zu unterstützen, anstatt im Lichte ihrer Meriten durch Deutschland ziehen zu wollen?
Die Foundation wiederum schreibt unter The Public Policy Initiative midterm. Das ist ein anderes Teilprojekt des von Frank Schulenburg dankenswerterweise ausführlich vorgestellten Outreach Projeks* der Foundation. Und soweit ich sehe, bin ich bass erstaunt und finde eigentlich nur lobenswerte Sachen.
Zielgruppe sind Studenten nicht Schüler, und es gibt eine öffentliche Liste, welche Unis teilnehmen. Vor allem scheint die Integration in die Wikipedia selbst gelungen. Die Artikel im Projekt landen in der realen Wikipedia und - wenn gut genug - auch auf der Hauptseite. Die Informationen des Outreach-Projekts sind weitgehend öffentlich. Soweit ich es beim jetzt nachvollziehen konnte, funktioniert die Online-Einbindung der Teilnehmer und die essenzielle Verkupplung zwischen aktiven Wikipedianern und Teilnehmern des Schulprogramms. Gerade die längerfristige Betreuung entscheidet über den letztlichen Erfolg der Maßnahme, und soweit ich nachvollziehen kann, ist die sinnvoll geregelt. Es gibt sogar eine Art öffentliche Evaluation. Bei all meiner Grundskepsis gegenüber Projekten, das erscheint mir eine fast mustergültige Umsetzung.
* Falls jemand ein lesbare Variante kennt, einzelne Beiträge aus dem Wikipedia-Kurier zu verlinken, bitte dringend melden. Falls niemand eine kennt, bitte Kurier ändern :-)
4 Kommentare:
Ohne jetzt ausführlich auf den Artikel eingehen zu wollen (die meisten Fragen sind meiner Meinung nach bereits an anderer Stelle hinreichend beantwortet): Ziel des Schulprojektes ist es nicht, Schüler zu neuen Autoren zu machen, sondern diese Zielgruppe im kritischen Umgang mit der Wikipedia zu schulen und die Funktionsweise zu erklären.
Es gibt da dieses Gespräch zwischen dem zwölfjährigen Wikipedianer und dem Professor, das zeigt, dass man Hochbegabte nicht über Projekte an die Wikipedia heranzuführen braucht. (http://kratky.wordpress.com/2008/05/25/wikipedia-potentiale-fur-experten-laien-kommunikation/)
Und der Anteil exzellenter Artikel, die von Schülern geschrieben wurden, ist gar nicht so gering.
Das Projekt strebt anderes an. Die Wikipedia wird ständig von Schülern benutzt, aber oft nur, um Lernanforderungen auszuweichen. Deshalb hat sie bei den Lehrern den schlechtesten Ruf. Das Projekt will Schülern zeigen, wie man mit Hilfe der Wikipedia mehr lernen kann, als fremdes Wissen zu übernehmen. Und es will auch Lehrern helfen, wahrzunehmen, dass die Wikipedia wirkliche Lernchancen bietet.
Ich könnte jetzt mit anderen Argumenten über das Projekt herziehen. Aber wenn man bedenkt, wie wenige sich an diese Aufgabe gemacht haben, dann ist klar, dass man ihnen nicht eine beliebige Menge von Zusatzaufgaben zu stellen braucht, damit sie erfolgreich arbeiten können. Das, was sie sich vorgenommen haben, ist ehrgeizig genug.
Nicole hat ja deine größte Frage schon beantwortet, daher antworte ich jetzt mal kurz auf die restlichen Punkte.
Eine Schüler-Aktionstag funktioniert grob gesagt so, dass es natürlich Informationen zum Projekt gibt (Wer schreibt da? Wie kann das klappen?), aber der Großteil besteht darin, Antworten auf die Frage "Wie kann ich erkennen, ob ich einem Wikipedia-Artikel trauen kann?" zu finden und das auch praktisch umzusetzen. Der Wikipedia-Artikel steht dabei stellvertretend für "irgendwelche" (Internet-)Texte.
Bei den Lehrern gibt es natürlich mehr Informationen zum Thema "Was ist Wikipedia? Wie funktioniert das?", ein Schwerpunkt liegt dabei natürlich auch auf der Qualitätssicherung. Medienkompetenz brauchen wir den Lehrern nicht mehr zu vermitteln, stattdessen werfen sie mehr noch als die Schüler einen "Blick hinter die Kulissen".
Ich kann dir versichern, dass keiner der teilnehmenden Referenten die Qualitätsprobleme der Wikipedia unkritisch betrachtet oder gar als erledigt ansieht. Wir (und damit der Verein) sonnen uns also nicht in ihrem Erfolg, sondern vermitteln vielmehr, dass wir um die Probleme wissen und an ihrer Behebung arbeiten.
Ich gebe zu, dass meine Posts ausgerechnet das Schulprojekt treffen, ist natürlich unfair, einfach weil es derzeit gerade besonders lebendig wirkt, und deshalb eher Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Den prototypischen Dialog mit einem Schüler stell ich mir ja vor "Wir sind hier, um Dir bei Deinen Wikipedia-Problemen zu helfen" - "Ich hab kein Problem mit Wikipedia" - "Doch, hast Du. Wir sind hier um Dir zu erklären, dass Du ein Problem hast."
Das kann man machen, wenn man die Chancen hat, Schüler zur Teilnahme zu zwingen. Aber erfordert es halt viele viele Ressourcen, und angesichts der Zahl von allein 2,5 Millionen Schülern an 3.000 Gymnasien kann das nicht mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ist es wirklich sinnvoll einem semimotivierten Kollegium die Qualitätssicherung zu erklären, wenn man mit demselben Aufwand die Qualitätssicherung für alle deutlich verbessern könnte?
Alle bisherige Erfahrung sagt, dass Wikipedianer eines wirklich gut können: Online Wissen vermitteln, und eines wirklich schlecht: Offline interessant sein. Je länger ich drüber nachgrüble, desto mehr halte ich die Vereinstechnik einfach mehr Ressourcen in Offline zu buttern für heftig fehlallokiert. Ich gebe zu, das Schulprojekt ist gerade ein eher schlechtes Ziel für die Grundsatzkritik. Denn immerhin, es bewegt sich, und stellt wie schon lobend erwähnt neue Wikimedia-Rekorde an Offenheit auf.
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