Einer der emotionaleren Momente der Konferenz Wikipedia:Ein kritischer Standpunkt (CPOV) fand kurz vor ihrem Ende statt. Anne Roth schlug vom Podium aus vor, die schon existierenden Wikipedia-Stammtische stärker in die Öffentlich zu stellen, woraufhin Wikipedia-Admin DerHexer aus dem Publikum lautstark einwandte, dass bereits Workshops angeboten werden, und kein Mensch kommt. Darauf folgte dann wortreiche Auseinandersetzung, wer denn nun Bring- und Holschuld habe. (siehe auch beim nkblog) Worauf ich antworten möchte: Niemand schuldet Niemandem. Und weder Stammtisch noch Workshops sind eine Lösung, um Wikipedia offener zu machen.
Die Stammtische.. eignen sich eigentlich gut, um Menschen zu integrieren, da abzuholen, wo sie sind, und Erfahrungen aus dem Alltag des unprivilegierten Wikipedianers zu sammeln. Ich würde sogar behaupten, dass sie die bisher erfolgreichste Maßnahme sind, um Wikipedia Offline zu erklären, voranzubringen und um Neulinge und Neugierige in die Kerncommunity zu integrieren.
Sie sind aber nur sehr begrenzt aufnahmefähig. Ich will das mal mit einem Beispiel aus einem anderen Leben illustrieren: bei einem gewöhnlichen Parteistammtisch geht es um die Delegierten für den Landesparteitag, die letzte OP der Frau des Vorsitzenden, den wackligen Stelltisch, die Verkehrsberuhigungsnasen etc., Alltag eben. Kommen dann Fremde oder Neulinge geht es um Gesundheitsreform, Kanzlerkandidaten, "die da oben" und ähnliches. Großes Kino, das jeder bis auf den Neuling schon sehr sehr oft genau so diskutiert hat.
Natürlich kann ich als gutes Parteimitglied auch Fragen nach dem Kanzlerkandidaten beantworten und solidarisch über die da oben schimpfen. Vermutlich aber interessiert mich doch mehr wie es bei der OP ging, ob beim Parteitag jetzt wieder der rothaarige mit dem grünhaarigen.. etc. Wenn man sich mit vielleicht 10 Leuten einmal alle vier Wochen sieht, hat auch das ein Recht, wirkt aber eher abschreckend auf Neulinge. Natürlich kann und sollten Wikipedianer auf Neulinge eingehen, sie ansprechen, ihren Problemen zuhören etc, aber das alles ist nur in sehr überschaubarem Rahmen möglich, wird beim Stammtisch mitlaufen und vermutlich nicht das Haupt- oder einzige Thema sein.
Die Workshops wären zwar theoretisch besser geeignet, um viele Neulinge auf einmal mitzunehmen, faktisch aber kommt tatsächlich nie jemand. Ist auch noch nie gekommen, als es öffentliche Löschdiskussionen oder sonstige Zusammenstöße mit der Netzwelt noch nicht gab. Die sind einfach per se unattraktiv.
Vermutlich ist Wikipedia einerseits zu einfach, andererseits zu komplex. Die Technik lässt sich immer noch in Minuten erklären, selbst ausgefeiltere Anleitungen wie diese für Wissenschaftler sind jetzt nichts, was man einem halbwegs aufmerksamen und intelligenten Menschen nicht innerhalb einer Stunde erklären könnte.
Bis man allerdings sämtliche sozialen Prozesse, Abläufe, Riten und Eigentümlichkeiten der wirklich existierenden Wikipedia durchschaut hat, braucht man mittlerweile Monate. Allein, um rauszufinden, wer Admin ist, wer nicht, wer Admin und trotzdem unwichtig ist, wer nie Admin war, weil er es nicht nötig hat, warum die Community immer noch nicht weiß ob es jetzt "Einzelnachweise" oder "Anmerkungen" sind - das reicht für eine mittlere Berufsausbildung.
Workshops zwingen einen potenziellen Teilnehmer mit der Anmeldung lange vorauszuplanen und zu warten, komische Trockenübungen zu machen, und erklären zwangsweise nur Banalitäten, während sie damit überfordert sind, die wirkliche Komplexität darzustellen. Ich glaube ich kann verstehen, warum niemand kommt.
Letztlich allerdings ist der ganze Offline-Aktionismus zwar nett und positiv, aber die Entscheidungen fallen Online. Online kommen die großen Menschenmengen durch, da werden die Erfahrungen gemacht und solange es möglich ist, sich innerhalb von Minuten eine eigenen unmittelbare Erfahrung zu verschaffen, wird Öffentlichkeitsarbeit weder im positiven noch im negativen Sinne eine besondere Bedeutung für die Community haben.
Aber um doch noch einen Vorschlag für Offline zu liefern. Vielleicht sollte man die Workshops mal reformieren, geradezu verstammtischen. Weg vom "Du bist neu und wir erklären Dir Wikipedia" zu "Du bist schon da und wir helfen Dir bei Problemen."
Endlich hat mal jemand meine WP-Rolle richtig beschrieben: "Admin und trotzdem unwichtig" Schöner kann man es nicht sagen. :-)
AntwortenLöschenHi. Ein guter Blog-Post, da steckt viel wahres drin.
AntwortenLöschenUnsere amerikanischen Kollegen haben derzeit ein Programm namens "Public Policy initiative", bei dem Studenten als potentielle neue Autoren angefüttert werden. http://outreach.wikimedia.org/wiki/Public_Policy_Initiative
Der Clou daran: Es gibt nicht nur einen Offline-Workshop, sondern eine längerfristige Betreuung offline sowie online durch "Campus"- und "Online Ambassadors".
Mal sehen was daraus wird :)
Das deutsche Wikipedia-Mentorenprogramm, das vom Grundsatz her in eine ähnliche Richtung geht, hätte ich in dem Post auch noch erwähnen können/sollen. Wobei mein Gefühl mir sagt, dass es da auch noch Potenzial nach oben gibt, und zumindest soweit ich es erlebe oft zuviel Wert auf technisches und zuwenig Wert auf soziales Wissen gelegt wird.
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