Wikipedia vergreist und wird ungeheuer gewöhnlich. Eine überaus angenehme Nebenwirkung dieses Prozessses ist: der rosarote Rauch verfliegt, der schwarzdunkle Rauch verfliegt auch ein bißchen, und ein paar Wikipedisten beginnen tatsächlich einen halbwegs realistischen Blick auf Wikipedia zu werfen, ohne gleich mit einer Vorstellung anzufangen, wie sie sein sollte.
Nataniel Tkacz zum Beispiel - mit seinem Text Wikipedia and the Politics of Mass Collaboration, veröffentlicht in Platform: Journal of Media and Communication - ist so einer. Erstmal kuckt er erstmal und überprüft seine Theorien.
Als skeptischer Wikipedianer kann man beim lesen sagen: Wow, großer theoretischer Aufwand, ein Miniaturausschnitt einer Diskussionsseite, und am Ende kommt raus, dass es auch Machtbeziehungen in der Wikipedia gibt. Da hat wieder jemand Bagger und Traktor geholt, um ein Alpenveilchen einzupflanzen.
Tkacz bemüht erst diverse Collaboration-Theorien und stellt fest, dass diese mit wenig Inhalt gefüllt sind, und vor allem einen Gegensatz zu Hierarchisch, marktförmig, dominanzförmig etc. bilden. Diejenigen Inhalte, die sie haben, vergleicht er dann mit einer Wikipedia-Diskussion - ein Diskussionsausschnitt zum Thema, ob Wikipedia Mohammed abbilden darf oder nicht. Er kommt wenig überraschend zum Ergebnis, dass diese Wikipedia-Diskussion eigentlich keineswegs so abläuft, wie sie nach der Collaboration-Theorie ablaufen sollte, und, Respekt, er wechselt die Theorie anstatt Wikipedia die Schuld zu geben.
Dann holt er Chantal Mouffe und deren Kritik des post-Politischen heraus, mit einem Plädoyer, das politische zu ergänzen. Er modifiziert sie um Christoph Spehrs Taxonomie der Dominanz und Mark Elliotts Stigmergic Collaboration. Tkacz visiert an, so einen theoretischen Zugriff auf große Kollaborationsprojekte zu bekommen, die das politische in solchen Strukturen nicht ausblenden.
Ich gebe zu, der Text ließ mich beim ersten und zweiten Lesen eher verwirrt zurück; die Tatsache, dass utopistisch angehauchte Kooperationsmodelle semantischer Leere nicht wirklich angebracht sind, um Wikipedia zu beschreiben, ist dem Wikipedianer an sich nun keineso große Überraschung. Dass Wikipedia weder macht- noch politikfrei verläuft, merkt man bei entsprechenden Interessen auch schnell. Und dass man Mouffe oder Elliott benutzen könnte, um über Wikipedia zu denken; ja, schon, könnte man; wie auch viele Andere. Nur muss es mal jemand machen.
Mittlerweile habe ich aber festgestellt, dass Tkacz' Text im Rahmen seiner Dissertation entstanden ist. Und da hab ich wieder die Hoffnung, dass Chantal Mouffe, Mohammad und Nathaniel Tkachz noch eine gewinnbringende menage a trois eingehen werden. Ein politische Theorie der Wikipedia-Kooperation fände ich nun wirklich spannend.
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