In der Bülowstraße in Berlin-Schöneberg abends um acht kommt Melda Akbaş abends nach Hause und führt dann wahrscheinlich Auseinandersetzungen mit ihren strengen Eltern türkischer Herkunft. Darüber hat sie das Buch So wie ich will geschrieben.
Ein Buch, das ich durchaus gern gelesen habe, mich dem ich mich aber auch unwohl fühle. Es fängt bei dem seltsamen Untertitel an "Mein Leben wwischen Moschee und Minirock", nette Alliteration, nur kommt Minirock im Buch gar nicht, und Moschee eher am Rande vor - vor allem Sinne, dass Akbaş sie den größten Teil der Zeit schwänzt. Bei Bertelsmann verlegt, unter anderem in Focus und Deutschlandfunk besprochen, ist es die Geschichte einer 18jährigen, wie sie es wohl tausendfach gibt; nur schreiben die anderen bestenfalls Blogs oder Facebookeinträge.
So ein bißchen entzieht das Buch sich ja der Kritik: will man eine 18jährige Deutsch-Türkin, die, durchaus alterstypisch, auch noch eine gewisses Grundleiden am Leben mitbringt, auch noch vorwerfen, sie könnte nicht schreiben? Oder ihre Geschichte sei langweilig? Oder der Einband doof? Und da es so sehr autobiographisch ist, ist da nicht jedes "das Buch ist nicht gut" ein "das Leben ist nicht gut?"
Im Großen und Ganzen handelt das Buch die letzten zwei Jahre im Leben von Akbaş ab. Sie schriebt über die Zeit im Charlottenburger Edelgymnasium, das Engagement in der Schülervertretung, und der Wechsel an ein Kreuzberger Gymnasium. Auseinandersetzungen mit den Eltern spielen eine wichtige Rolle. Geschrieben in einer klaren, direkten Sprache, kommt immer wieder die Großfamilie vor, einzelne Kapitel sind Exkursionen wie der Islamunterricht, der Familienrat, oder der Türkeiurlaub.
Die Exkursion sind meines Erachtens der lesenswerteste Teil des Buches. Lebendig, mit einer Einsicht in andere Welten, und unbedingt Lust machend, an einem der Familienräte mit Anwesenden aller Altersgruppen, zwischen überzeugten türkischen Dorfbewohnern und militanten Atheistinnen teilzunehmen. Dort lebt das Buch, und Randbemerkungen, wie das Akbaş' Mutter im Dezember Ramadan-nachfastet, weil da die Tage so kurz sind, bringen einem Leben und Alltag näher.
Die Haupthandlung jedoch bleibt mir ferner, obwohl sie eigentlich näher sein müsste. Sie handelt von Akbaş' Engagement in der Berliner Schülververtretung. Ein Großteil des Buchs nimmt ihr politisches Projekt "Let's organize somethin'" ein, dass mit "Workshops zum Thema zivilgesellschaftliches Engagement" "Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu mehr Beteiligung in Politik und Gesellschaft" befähigen soll. "Integration soll durch Empowerment erreicht werden." Das Projekt ist in seinem Scheitern schon fast idealtypisch für derartige Projekte von Nachwuchspolitikern. Akbaş wundert sich aber genauso wie der Leser, warum öffentliche Aufmerksamkeit sowohl der Medien als auch der staatlichen Stellen in keinem Verhältnis zum Desinteresse der direkt Betroffenen und Angesprochenen steht. In der großen Geschichte von Akbaş Erwachenenwerden steckt noch eine kleine Geschichte über das Scheitern wohlmeinender Politikprogramme zum "Empowerment" aus Unverständnis heraus.
Eher ungewöhnlich allerdings nimmt Akbaş sich dieses Scheitern zu Herzen; sie meint, dass sie so wenig über die Deutsch-Türken weiß, und Probleme hat, sie anzusprechen. Sie wechselt freiwilligen an ein Kreuzberger Gymnasium, in dem nur zwei Schüler im ganzen Jahrgang deutsche Großeltern haben. Dort allerdings kommt sie mit diesen zwei Schülern und dem Mädchen mit den italienischen Eltern besser klar, als mit den Deutsch-Türken. So erzählt sie wieder einmal die Geschichte wie unsinnig es ist, Migranten oder Deutsch-Türken oder Jugendliche als eine große homogene Gruppe zusehen, oder wie unsinnig es ist, aus der Ferne eine Person zur Sprecherin dieser Gruppen machen zu wollen.
Einerseits ist So wie ich will ein sehr ehrlich wirkendes direktes unterhaltsames Buch, dass mir den Einblick in ein Leben nur wenige hundert Meter entfernt eröffnet. Andererseits habe ich die ganze Zeit das Gefühl, dann doch ein Werk der Gattung Nachwuchstechnokraten-Powerfrauenliteratur zu lesen. Das wäre richtig schön, würde es mir erzählt, es wäre ein unterhaltsames und lehrreiches Blog. Aber als deutschlandweit wahrgenommenes Buch, das als wichtige Stimme in der Integrationsdebtte wahrgenommen werden soll? Das ist dann wohl doch eine Nummer zu groß.
1 Kommentar:
ging mir ähnlich, obwohl ich es glaube ich mit etwas weniger abgeschrecktsein durch nachwuchspowertechnokratenfrauen gelesen habe als du. dass aus "let's organize something" am ende genauso wenig wurde wie aus "youngsters for best practice" hat mich auch nicht überrascht.
erschreckt haben mich melda akbaş' teilweise sehr pauschales urteil über ihre verwandten in der türkei und ihr unvermögen, sich in die kopftuchverhüllten mitschülerinnen auch nur im ansatz hineinzuversetzen. das wirkt auf mich versnobter als es vermutlich tatsächlich ist. wenn man aber vorhat, sich einzumischen und an einer "friedlichen welt der vielen kulturen" mitzubauen, wie der klappentext behauptet, dürfte deutlich mehr einfühlungsvermögen nötig sein.
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