Dienstag, 28. September 2010
Outing - eine Bewerbung
Dem Wunsch von Dirk in seinem Beitrag Glückwunsch Necrophorus.. folgend bin ich gern bereit, die "Bewertung der derzeitigen Qualitätssituation, Darstellung von Qualitätsmodellen und klaren Vorstellungen von Qualitätssicherung – und –steigerung" in schriftlicher Form verfügbar zu haben, nachzukommen. Ob er selbigen Text als konzise bewertet mag jeder selbst entscheiden. Folgendes zumindest war mein Bewerbungstext zur Ausschreibung für die Position des Vorstandreferenten für Qualität, die ich nun seit dem vergangenen Freitag bekleide:
Liebe Mitglieder des Vorstands und der Geschäftsstelle des Wikimedia Deutschland e. V.,
mit diesem Mail bewerbe ich mich auf die ausgeschriebene Position eines
ehrenamtlichen Vorstandreferenten für das Ressort Qualität beim Wikimedia Deutschland e. V.
Auch für mich gehörten "die Kontrolle, Sicherung und Steigerung der Qualität in der Wikipedia [..] zu den wichtigsten Aufgaben für die Weiterentwicklung des Projekts" und in meinen Augen auch des Vereins WMD. Die aktuelle Nichtbesetzung des entsprechenden Ressorts sehe ich entsprechend als eine ganz besonders gravierende Lücke in der derzeitigen Vorstandsorganisation an, die ich gerne zu füllen bereit bin. Von einer langatmigen Vorstellung meiner Person sehe ich dabei ab - ich denke, allen Personen, die dieses Mail lesen, sollte ich persönlich oder zumindest virtuell bekannt sein, deshalb nur ein paar Worte/Stellungnahmen mit Bezug auf die in der Ausschreibung geforderten Qualifikationen.
Engagement in der Wikipedia, Wikimedia und beruflich
Ich bin angemeldeter und aktiver Wikipedianer seit Dezember 2003 (Benutzername Necrophorus, seit 12.2004 unter Realnamen) und ohne große Unterbrechungen bis heute vor allem als Autor tätig. Dabei beteiligte ich mich bereits sehr früh an den unterschiedlichen Prozessen der Qualitätsentwicklung und -beurteilung, vor allem im Bereich der "Exzellenten Artikel". Gemeinsam mit den Benutzer southpark und einzelnen weiteren Autoren des "High-end-Bereichs" richtete ich im Juni 2004 das Wikipedia:Review ein, im September 2004 startete der erste WP:Schreibwettbewerb auf der Basis meiner Initiative - bis heute war ich dreimal Juror desselben und bin Autor einer deutlich 3-stelligen Anzahl ausgezeichneter Artikel sowie zahlreicher weiterer Artikel (siehe Benutzerseite in der WP).
Im Wikimedia Deutschland e.V. bin ich Gründungsmitglied und war Beisitzer im ersten Vorstand, bin von diesem Posten jedoch v.a. aufgrund meines Interessenskonflikts mit der Anstellung bei der Zenodot-Verlagsgesellschaft mbH zurückgetreten. Seitdem begleite ich den Verein und unterstütze ihn nach Kräften vor allem in Projekten mit direktem Communitybezug - aktuell bin ich bsp. involviert in der Vorbereitung der Wikipedia Academy und der Realisierung einer Kooperation mit der DZB Leipzig zur Vertonung der Artikel des Tages in der Wikipedia, ausserdem war ich Jury-Mitglied der Verleihung der Zedler-Medaille 2008 und Teil der AG zur Erarbeitung der Ziele des Kompass 2020 im Ressort Qualität 2009/2010 - als Ansprechpartner stehe ich grundsätzlich allen Mitarbeitern der Geschäftsstelle und des Vorstands zur Verfügung, insbesondere die (private wie berufliche) Zusammenarbeit mit Denis Barthel ist aufgrund gleicher wikipedianischer Interessen in der Redaktion Biologie sehr intensiv.
Neben der freiwilligen Autorenarbeit habe ich die Wikipedia auch beruflich begleitet: Von 2005 bis 2008 war ich Mitarbeiter der Zenodot-Verlagsgesellschaft und dort u.a. zuständig für den (leider gescheiterten) Aufbau der Buchreihe WikiPress und der technischen Realisierung der Wikipedia-CD und -DVD-Ausgaben, zudem war ich Redakteur des Internetauftritts zeno.org, in dem eine große Anzahl von urheberrechtsfreien Texten aus dem Bestand der Directmedia GmbH online und kostenfrei im Volltext zur Verfügung gestellt wurde. Seit 2008 bin ich Mitarbeiter der nova-Institut GmbH und war dort u.a. eingebunden in das Projekt "Nachwachsende Rohstoffe in der Wikipedia", gefördert durch das Bundesmisisterium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Seit 2009 berate ich zudem gelegentlich Organisationen und Unternehmen über die Wikipedia und die Möglichkeiten und Grenzen der Mitarbeit im Bereich von Interessenskonflikten und Unternehmensdarstellungen.
Einschätzung der Qualität der Wikipedia
Die Wikipedia ist in jeder möglichen Betrachtungsweise ein Mosaik - an Menschen, Themen, Vorstellungen, Tätigkeiten und eben auch hinsichtlich ihrer Qualität. Die Qualitätsentwicklung seit den Anfängen (bzw. seit meinem Einblick Ende 2003) ist dabei aus meiner Sicht bemerkenswert, wenn auch durchwachsen. In dieser Zeit hat sich die Wikipedia quantitativ von einem Lexikon mit etwa 40.000 Artikeln zu einer Enzyklopädie mit mehr als 1,1 Millionen Artikeln entwickelt, während zugleich die Qualitätsansprüche auf allen Ebenen - von Anfangszustand eines Artikels bis in den High-End-Bereich - kontinuierlich gesteigert haben. Besonders herauszuheben ist hierbei das Bewusstsein für "verlässliche Informationen" und die Nachprüfbarkeit von Inhalten auf der Basis von nach Möglichkeit hochwertigen Quellen, das sich immer weiter durchsetzt und in vielen Bereichen mittlerweile als Standard angesehen wird. Durch die Möglichkeiten der Einzelnachweise wurden diese Standards weiter etabliert ohne zu einer - wie bsp. in der englischsprachigen WP oft zu beobachtenden - überkritischen Forderung zu werden. Diese Entwicklung ist gut und wird sich meiner Meinung nach auch weiter entwickeln, in einigen Bereichen (Populärkultur, Randthemen) muss sie sich jedoch teilweise erst etablieren. Auffällig ist zudem von Beginn an, dass insbesondere Artikel im High-End-Bereich wie aber auch andere qualitativ hochwertige inhaltliche Aufarbeitungen idR durch einzelne Hauptautoren geschieht - das Wiki-Prinzip beschränkt sich hier idR auf die Nacharbeiten (Typo-Korrekturen, sprachlicher Nachschliff, Metakram).
Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht die Entwicklung von fach- bzw. themenspezifischen Gruppierungen von Autoren, die sich explizit um die von ihnen abgesteckten Themenbereiche aktiv kümmern und hier entsprechende Qualitätsstandards durchsetzen. Dabei handelt es sich um Redaktionen wie die Redaktionen Biologie, Chemie und Medizin ebenso wie um WikiProjekte und Portale wie Regionalprojekte (Sauerland, Nordfriesland, Memmingen, Ostwestfalen-Lippe) oder Musikprojekte (Portale Jazz, Metal, Musikalben), die im optimalen Zustand eng verzahnt und teilweise auch überlappen sollten. Insbesondere in den Bereichen dieser Projekte werden nach meiner Beobachtung Qualitätsmassstäbe erarbeitet und etabliert, die sich dann auch über andere, weniger gut organisierte Bereiche ausdehnen. Neben den thematischen Kristallisationspunkten kommen jedoch auch fachübergreifende Projekte und Initiativen hinzu wie die bereits erwähnten Artikelkandidaturen (hier wurden 2005 Quellenforderungen erstmalig breit und themenübergreifend als Grundsatz gefordert), Reviews (leider zu wenig konsultiert) sowie der Grafik- und Fotowerkstätten, die die qualitativ hochwertige Bebilderung ermöglichen. In meinen Augen sollten insbesondere bestehende und gut funktionierende Projekte weiter unterstützt und zugleich neue Projekte in ihrer Entstehung und Etablierung begleitet werden, um themendeckend eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung zu ermöglichen.
Als abschliessenden Tenor (um den Rahmen nicht zu sprengen) meine Bewertung der Qualität: Durchwachsen - in einigen Bereichen und häufig auch bei einzelnen Artikeln gut vorzeigbar bis exzellent, in anderen Bereichen grottenschlecht. Als besondere Herausforderung sehe ich die Aufarbeitung von Altlasten (alte, häufig unbequellte Artikelbestände), den qualitativ hochwertigen Ausbau von zentralen Artikeln, die derzeit aufgrund der ihnen häufig innewohnenden Komplexität für freiwillige Hobby-Autoren eher abschreckend sind, sowie die weitere Förderung des Bewusstseins für Quellenarbeit und verifizierbare, verlässliche Inhalte.
Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung
Das Spektrum der möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität ist breit und zugleich häufig sehr beschränkt auf einzelne Themenbereiche oder gar einzelne Artikel. Aus diesem Grund halte ich es für dringend notwendig, die Unterstützung einzelner Autoren und Autorengruppen durch Literaturstipendien, Unterstützung von Fachbereichstreffen und andere Zuwendungen weiter auszubauen und zugleich immer die Augen offenzuhalten, welche Ansprüche die Autoren haben, um die Inhalte qualitativ weiter voranzubringen. Weitere Maßnahmen sollten den Dialog mit Wissenschaftsnetzen, Institutionen etc. zur konkreten Artikelverbesserung vorantreiben - bsp. in Form von externen Reviewernetzwerken, potenziellen Bildspendern und Quellenlieferanten.
Als besondere Herausforderung sehe ich den Umgang mit zentralen Artikeln, die für die Hobby-Tätigkeit freiwilliger Autoren häufig zu komplex sind (Zeitaufwand etc.). Da diese Artikel zugleich auch Aushangschild und Ziel regelmässiger Kritik sind, sollten hier Mechanismen entwickelt werden, wie evtl. auch professionelle Autoren zur Arbeit an diesen Artikeln motiviert werden können (Förderprojekte mit Autorenbezahlung und sogar Einkauf einzelner Artikel sollte hierbei ganz explizit mit betrachtet werden). Der ebenfalls kritische Bereich der Altlastenaufarbeit sollte zudem strukturiert angegangen werden, wie dies bsp. in der Redaktion Biologie seit Jahren durch regelmäßig aktualisierte Arbeitslisten ermöglicht wird.
Abschliessend sehe ich auch die allgemeine Förderung der Autorenmotivation als notwendige Maßnahme der qualitätsfördernden Maßnahmen. In der WP existiert nur eine sehr rudimentäre Kultur des Lobes, des Dankes und der "Auszeichnung" während wir eine sehr intensive Kultur des Beschimpfens, des Undanks und der Konkurrenzgefühle und des Mißtrauens haben. Diese Community-internen Kulturen lassen sich von aussen nicht steuern oder beeinflussen. Zugleich gibt es jedoch keinerlei Reputationsgewinne für die Autoren - bis auf sehr wenige Ausnahmen erfolgt die Arbeit unentgeltlich und auch ohne jegliche Namenszuordnung von Textbeiträgen - es ist bis heute nichtmal ein funktionierendes Tool der unkomplizierten Autorenbestimmung vorhanden, wie dies regelmässig vor allem von echten Autoren gefordert wird. Ich sehe es deshalb als dringend notwendig an, dass die Entwicklung eines Tools zur Autorenbestimmung vorangetrieben wird (am ehesten durch die Vergabe eines Programmierauftrags aufbauend auf Wikitrust und Wikihistory); zudem sollten die Konsequenzen, die Akzeptanz und Realisierung für die Ausschüttung von METIS-Zahlungen geprüft werden (Vorschlag AK).
Und wirklich abschliessend: Der Hauptbeitrag zur Steigerung der Qualität ist in meinen Augen der bodenständigste: In der Wikipedia weiterhin mitmachen, Artikel schreiben, Diskussionen begleiten, Reviews machen und immer ein gutes Netzwerk von Autoren pflegen - innerhalb der Community aktiv bleiben, damit man Wege, Ziele und Bedürfnisse nicht vor lauter Strategieplanung etc. aus den Augen verliert. Ich werde entsprechend auch beim anlaufenden Schreibwettbewerb teilnehmen (Thema Hammerhaie) und auch in Zukunft - unabhängig von dem Ergebnis dieser Bewerbung vornehmlich Autor der Wikipedia sein.
Sonstiges
Nach den sehr ausführlichen und langen Darstellungen nun noch ein wenig formaler Abschluss:
Gefordert wird:
* Qualitätsbewusstsein für Inhalte der Wikimedia-Projekte, z.B. als
Autor ausgezeichneter Artikel - ausgeführt: Autor einer 3-stellugen Anzahl ausgezeichneter Artikel, zahlreiche zusätzliche Artikelarbeit
* Beteiligung an Reviews oder Diskussionen um Auszeichnungen von Texten
und Bildern - ausgeführt
* Erfahrung im ehrenamtlichen Engagement innerhalb oder außerhalb der
Wikimedia-Projekte - Wikimedia ausgeführt; ansonsten studentischer Vertreter im Fachbereichsrat, Fachschaftsinitiative, StuPa-Mitglied FU Berlin etc., Habilitationskommissionen usw., Bezirkselternausschuss Friedrichshain, Landeselternausschuß Kita Berlin
* Kenntnis wissenschaftlicher Arbeitsmethoden und qualitätsfördernder
Maßnahmen in der Wikipedia - ausgeführt; wissenschaftliche Arbeitsmethoden zudem im Studium, als Mitarbeiter der Pressestelle des Deutschen Humangenomprojekts (DHGP), als Mitarbeiter des nova-Institut bei der Erarbeitung verschiedener Studien im Bereich nachwachsender Rohstoffe
* Bewusstsein für den hohen Stellenwert, den die Qualität der
Wikimedia-Projekte in der Außenwahrnehmung darstellt - dargestellt
* Bereitschaft, die strategische Ausrichtung des Vereins mitzugestalten - vorhanden
* Freude und Fähigkeit mittel- und langfristig zu planen - bedingt vorhanden, solang Bodenständigkeit nicht auf der Strecke bleibt
* Kommunikationsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit - weitestgehend vorhanden
* Ein abgeschlossenes Hochschulstudium oder vergleichbare Qualifikation - Abschlüsse: Facharbeiter Physiklaborant, Hochschzldiplom Biologie, Volontariatsabschluss Verlagsredaktion
... - man mag mir verzeihen, dass ich die private Darstellung hier entfernt habe. Über Kommentare zu meinen Vorstellung - die beileibe nicht vollständig sind - würde ich mich sehr freuen.
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2 Kommentare:
Doch gefällt mir. Besonders der Teil mit dem Autorentool. Frage mich auch, wann der erste den Abschnitt mit dem Geld findet und sich beschwert.
Hallo Achim,
erfreulich, mit welcher Transparenz Du deinen neuen Posten angehst. Herzlichen Glückwunsch!
Persönlich unterstütze ich vor allem den Ansatz, ein Tool für die unkomplizierte Autorenbestimmung zu entwickeln. In Gesprächen habe ich immer wieder erlebt, dass genau dies als ein Mangel gesehen wird. Und machen wir uns nichts vor – wir Wikipedianer verweisen bei dieser Gelegenheit immer auf die Versionsgeschichte… aber wer genau nun wirklich für den Text eines Artikels verantwortlich zeichnet und in welchem genauen Umfang, kann man dort (insbesondere als Wikipedia-Laie) nur unter größten Schwierigkeiten ermitteln. Insofern bleibt die Frage "Wer hat denn den Artikel nun geschrieben" bisher weitgehend unbeantwortet. Insider mögen wissen, dass Du gerade am "Hammerhai" arbeitest und Southpark and der gleichnamigen Band (nebenbei: grandiose Initiative), aber für Außenstehende bleibt die Wikipedia an dieser Stelle eine "Blackbox".
Viel Erfolg in deiner neuen Position wünscht,
Frank
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