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Montag, 27. September 2010

Martin Büsser (etwasvormir - zufrüh)

Es gibt Nachrichten, die brauchen ein bißchen, um zu sacken und wirklich zuzuschlagen. "Martin Büsser ist tot" war so eine. Vor ein paar Tagen im Vorbeigehen gehört und intellektuell wahrgenommen, emotional aber ist "Martin Büsser ist tot" in meinem Kosmos etwa so vorgesehen wie "Berlin bei Vulkanausbruch zerstört" - das passiert einfach nicht. Und das darf auch nicht stattfinden.

Nun also doch, wirklich. Google News spuckt noch wild Artikel von Martin, Nachrufe, und aktuelle in glücklicher Unkenntnis geschriebene Besprechungen seines neuen Comics nebeneinander aus, der Vulkan aber ist ausgebrochen.



Damals, ich war 17, und lebte auf dem Dorfe, kam Martin Büsser nah hinter Gott, an den ich eh nicht glaubte. ZAP war das Medium der Wahl, das für eine bestimmte Gruppe Jugendlicher über Jahre das einzig ernst zu nehmende Medium war. Andere Fazines las man, Zeitungen und Spiegel vielleicht auch, dem ZAP aber glaubte man. Zwischen dem agressiven Nihilismus von Moses Arndt und dem gemütlichen Biertrinkerpunk von Klaus N. Frick wirkten Büssers Beiträge über Jazz, Kunst, Politik wie eine Provokation, der Ansatz auch beispielsweise Nirvana (Verräter!) ernst zu nehmen wie ein Durchschütteln. In anderen Beiträgen aus dem ZAP konnte man sich wohlfühlen, Büsser trieb einen jedesmal wieder dahin, sich selbst positionieren zu müssen.

Als ich dann selbst fanzinte: Eine Besprechung im ZAP! Von Martin Büsser! Und er hatte was zu meckern! Wooow, wooow, unglaublich. Ich hab dann natürlich mit unsinnigen Fanzinebeiträgen zurückprovoziert, er weiter gemeckert, es kam wie es kommen musste, Martin Büsser war einer meiner ersten Interviewpartner jemals. Mit der Regionalbahn ging es von Nordniedersachsen bis ins Rheingau, wo mich der unglaublich liebe Privatmensch Büsser aufnahm, und auch die dämlichsten Interviewfragen, die einem 17-jährigen so einfallen, mit herzlicher Tapferkeit ernsthaft beantwortete. Dass der damals schon ewige Vegetarier Büsser anbot, mir auch gern Fleisch zuzubereiten, wenn ich wollte, hat mich nachhaltig beeindruckt; die Musik, die er mir an dem Abend vorspielte, hat die nächsten Jahre meines Lebens mitgeprägt.

Und dann war da natürlich noch Text. Während das ZAP über die Jahre immer seltsamer wurde, begann Martin Büsser auch woanders zu schreiben. Sein erstes Buch If the Kids are United habe ich dann mehrfach gelesen und lange war für mich damit alles Wichtige über Punk gesagt. Wenige Zeitschriften habe ich je so gründlich gelesen, wie die ersten Ausgaben von testcard, wohl keine Zeitschrift an der ich nie direkt selbst beteiligt war, mich gezwungen mir über so viele Positiionen zwischen Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft, selber klar zu werden.

Dass die Positionen dann letztlich nicht ganz da landeten, wo Büsser stand, ist da fast nur logisch. Aber vieles was er schrieb, die Überzeugung, dass Jazzartikel natürlich in ein Punk-Heft gehören, dass man Leute produktiv vor den Kopf stoßen und mit Text Denkmuster aufbrechen kann, habe ich von nicht unwesentlich von ihm. Darin, hinterherzugehen oder zu -hören, wenn etwas zuerst nur komisch erscheint, war er immer konsequenter, aber ich habe es zumindest versucht. Selbst wenn er noch gar nicht wirklich weg scheint, schon jetzt fehlt er.

* Nachruf von Linus Volkmann.
* Nachruf bei DE:BUG.

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