Komische leicht schmerzhafte Beinverletzungen schränken die Mobilität erheblich ein. Das hat unter anderem den Vorteil. dass man endlich mal dazu kommt, die 20 angefangenen Bücher auf dem Nachttisch zu Ende zu lesen.
Eines der besseren davon war Kai Schlüters "Günter Grass im Visier. Die Stasi-Akte". Grass, politischer Schriftsteller und SPD-Führungs-Vertrauter hat während der gesamten Zeit der Teilung die Einheit der deutschen Kulturnation proklamiert und vergleichsweise enge Kontakte zur literarischen Szene der DDR gepflegt. Als prominenter Westdeutscher, als Sozialdemokrat, als Freund dissidenter DDR-Bürger, sah die Staatssicherheit jede Menge Gründe Grass zu überwachen. Schlüter hat eine Auswahl der Akten zusammengestellt, und lässt diese von Grass und anderen Zeitzeugen kommentieren.
Selbst wenn man sich für die Person Grass nicht sonderlich interessiert, ist es doch ein höchst spannender Einblick in einen real existierenden deutschen Überwachungsstaat. Gerade auch die Gegenüberstellung der Akten mit den Zeitzeugeninterviews leistet hier erhellende Aspekte. Da werden Tatsachen vertauscht, Namen grotesk falsch geschrieben, geheimnisvollstes in banale Tatsachen hineininterpretiert, während die Stasi anderes übersieht.
Anderseits sieht man auch wie dicht das Netz geknüpft war, wenn Grass in der DDR unterwegs war; wie sehr sich Grass auch im nachhinein freut, wenn an einer vertrauten kleinen Runde wirklich niemand von der Stasi teilnahm. Man lernt einzelne Beobachter und IMs kennen, liest intelligente Einschätzungen der Lage ebenso wie Bewacher, die anscheinend komplett von den Gesprächen überfordert waren, denen sie zuhören mussten.
Absurd ist es oft genug. Jede inhaltliche Akte wirft dem engagierten SPD-Mitglied vor, er würde "sozialdemokratische Positionen" vertreten. Der Leser verfolgt den DDR-Politsprech, der inhaltliche Äußerungen schnell und distanzlos in eine der wenigen Schubladen packt. Es ist selbst mit 20 Jahren Abstand erschreckend. Die genaue Aufschlüsselung wann ein Grass-Kontakt im Parkverbot stand ist genauso tragikomisch wie der in den Akten oft wiederholte Hinweis, dass das Ehepaar Grass ordentlich gekleidet sei.
Selbst in dieser stark gekürzten Auswahl überwiegt das Banale, Triviale, Mutmaßungen, in der Substanz wirkt die Stasi immer verloren und orientierungslos. Was sie natürlich nicht hindert massive Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die im Laufe der Untersuchungen ihren Weg kreuzen.
Da die DDR wenig Handhabungen gegen Grass selber hatte und ihm auch nicht "nach Hause" nach Westberlin folgte, lesen sich die Akten weit weniger bedrohlich als es bei Ostdeutschen der Fall ist. Letztlich fehlten der DDR in diesem Fall die Druckmittel. Die oft vergeblichen Bemühungen der Stasi des Phänomens Grass herr zu werden, weisen oft genug eine komische Note auf. Aber vielleicht hilft diese emotionale entschwerung dabei, den Überwachungsstaat wirklich in absurden Funktionalität wahrnehmen zu können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen