Der Eurocity kam aus Zagreb, die Wagen von der ÖBB, Abteile mit gemütlichen, vollausziehbaren Polstersitzen mit komplett hochklappbaren Armstützen – wie geschaffen für ein gemütliches Nickerchen. Die deutsche Bahn hat es ja nach den alten D-Zug-Abteilen nie wieder geschafft, Züge zu konstruieren, in denen man vernünftig schlafen kann. Man sollte meinen, die machen das absichtlich.
Am Boden des leeren Abteils ein paar Zloty. Den Buggy mangels Stellfläche im Gang mitten ins Abteil gestellt, das Kind passt schlafenderweise gut auf zwei Sitze nebeneinander. Bald stelle ich fest, dass ich doch ein etwas dickeres Buch hätte mitnehmen sollen. Für Reisende in solcher Notlage findet man in deutschen Zügen ja auf allen Plätzen die Bahnhauszeitschrift "Bahn mobil". Der Eurocity ist offenbar nicht im Verteiler drin, hier liegen dafür das österreichische und das kroatische Pendant aus. Zuerst nehme ich mir die österreichische vor: Das Heft ähnelt dem deutschen sehr, der Stil ist einen Deut ungelenker und manchmal unfreiwillig komisch (aus der Erinnerung: "Die gelben Verwaltungsgebäude leuchteten im Abendlicht"). Ich freu mich über zwei längere Artikel über etwas ungewöhnlichere Reiseziele, Tirana und das jordanische Jerasch.
Dank großer Bilder und seichter Texte ist das Heft schnell ausgelesen und ich wende mich der kroatischen Ausgabe zu. Schon der Titel "Eurocity – Putna revija HZ-Putnickoga prijevoza d.o.o. Reisemagazin der HZ Personenverkehr GmbH" weckt Erwartungen. Den Titel ziert eine Aufnahme der Küste des Inselchen Kosljun im 80-er Jahre Postkartenstil: Wolkiger Himmel, ein breiter Streifen grüne Hügel mit Ortschaft am Ufer, Meer. Das ist etwas irreführend, denn auf den folgenden 112 Seiten der vierteljährlich erscheinenden Publikation geht es in erster, zweiter und dritter Linie um die Insel Krk. Von der Geografie über das archäologisches Erbe, Festungen und Kastelle, glagolitische Denkmäler, Ornithologische Reservate, die Krker Kathedrale, der Wein, die lokale Magnatenfamilie bis hin zu "Nicht ohne die Sopile-Flöte – musikalische Ausdrucksformen auf der Insel Krk" wird sorgfältig jeder Aspekt der Insel behandelt. Und das nicht etwa von irgendwelchen Feldwaldwiesenjournalisten, nein, unter über der Hälfte der Artikel findet man einen Doktortitel. Oder wenigstens einen "Mag." Die Artikel sind zweisprachig, kroatisch und deutsch und nutzen den vorhandenen Platz auf der Seite voll aus, den einen Zentimeter Druckrand musste sich der Layouter vermutlich hart erkämpfen. Fasziniert blättere ich im Heft.
Keine in der Abendsonne leuchtenden Verwaltungsgebäude, auch keine "Warum nicht mit dem Liebsten im Nachtzug nach ParisachjasotollkomfortabelbilligichbineinredaktionellerBeitragjawollundkeineWerbung".
Stattdessen erfahre ich im Artikel "Horste des Gänsegeiers – ornithologische Reservate auf den Inseln Prvic und Krk" über die lokale Fauna:
An Säugetieren finden wir auf Prvic Wildkaninchen (Oryctogalus cuniculus). Herpetologisch interessant sind die Amphibien und Kriechtiere wie die Wechselkröte (Pseudepidaleaviridis, früher Bufoviridis), die Prachtkielechse (Algyroides nigropunctatus), die Kletternatter (Elaphe quatuorlineata), die Karsteidechse (Podarcis melisellensis fiumana), die Katzennatter (Telescopus fallax) und die Vierstreifenkletternatter (Elaphe quatuorlineata). Leider haben sich nach Aussagen der dortigen Schafe haltenden Bevölkerung auf der Insel Prvic "Fremdkörper" eingeschlichen, allochthone Wildschweine (Sus scrofa), die irgendwie auf die Insel gelangten. Sie werden mit Sicherheit die geschützte Vegetationsdecke verändern, eine der empfindlichsten Raumprobleme, Voraussetzung für das Leben und Überleben des gesamten Inseltierreichs.
Das ganze hat etwas rührend wikipedeskes. Muss im Herbst unbedingt nochmal Eurocity fahren, um die Herbstausgabe nicht zu verpassen. Achja, und natürlich unbedingt mal auf die Insel Krk fahren.
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