Laut Wikipedia befindet sich im Gebiet des südlichen MaHes (Marzahn-Hellersdorf) das größte zusammenhängende Gebiet an Einfamilienhäusern in Deutschland. Und tatsächlich, es fühlt sich an, als würde man über hunderte Kilometer entlang des Jägerzauns nach Osteuropa geleitet. Ich warte innerlich schon darauf, dass hinter ein paar Thujen der polnische Grenzbeamter herausspringt – und dann: auf einen Schlag ändert sich die Umwelt: eine U-Bahn. Einfamilienhäuser, ein Mini-Einkaufszentrum, und da - auf halber Strecke zwischen der Berliner Innenstadt und Stettin – in Kaulsdorf- eine Schwimmhalle. Groß, hell beleuchtet, einladend.
Schwimmhalle Kaulsdorf-Nord: Quadratisch, praktisch gut, |
Beinahe hätte ich ja die Halle in meiner Bestenliste der Berliner Schwimmbäder als die vergessenswürdigste aller Hallen aufgenommen. Bereits drei Wochen nach dem Besuch konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Aber deshalb fahre ich mindestens zweimal in Hallen, gleiche Notizen ab und freue mich, wenn ich beim zweiten Aufsuchen dann die längst vergessenen Entdeckungen des ersten Besuchs noch einmal mache.
Wobei mir auch klar war, warum ich alles vergaß. Die Schwimmhalle Kaulsdorf ist ein typischer Typbau. Hier in einer Variante ohne jegliche Deko – einfach nur durchgehend weiß. Weder ist das Bad besonders freundlich noch besonders unfreundlich. Es ist vergleichsweise gut im Stand aber jetzt auch nicht neu saniert. Unfassbar funktional würde ich die Halle bezeichnen.
Die Schwimmhalle Kaulsdorf verdankt ihre Existenz, wie die meisten der Ostberliner Schwimmbäder, dem Neubau eines Stadtviertels in dessen Mitte sie angelegt wurde. Hier sind es die Hochhaussiedlungen Kaulsdorfs.
Hier fährt die Jägerzaun-U-Bahn |
Dabei gehört sie mit der Schwimmhalle Buch und dem Freizeitforum Marzahn zum Nachwendetrio der Bäder, das zwar zu DDR-Zeiten geplant, aber erst nach der Wende wirklich eröffnet wurden. Hier und in Buch vollendete sich die Geschichte der DDR-Typenbauten ebenso wie die Geschichte der DDR als Schwimmbadbauer.
Beim Bahnhof zwischen MACs Kebap und der Tierambulanz Berlin. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Die Halle liegt fast direkt neben dem U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord, der Weg führt vorbei an einem der verramschteren Einkaufszentren Berlins. Die Schwimmhalle hingegen ist ordentlich, gepflegt, umsorgt, adrett geradezu.
Gebäude
Die Schwimmhalle selbst ist ein typischer-DDR-80er-Jahre-Bau, Typ Berlin83, auch genannt Typ D, wie er im Prenzlauer Berg erfunden, dann vor der Wende in Hohenschönhausen und Potsdam gebaut wurde, und nach der Wende dann im Weitaußen von Kaulsdorf und Buch seine Vollendung fand.
Orange: Umkleiden / Duschen. Im gelben Bereich sitzten die Fachangestellten für Bäderbetriebe.Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Von oben sieht das Gebäude so aus wie ein unpassendes Tetris-Teilchen, so dass die beiden verschoben nebeneinander angebrachten Becken Platz finden. Die Bauweise sollte gegenüber dem Typ C Platz und Geld sparen, sieht erstmal sogar größer aus – Typ C hat einen Keller, der Kaulsdorf-Typ nicht, dafür ist er höher – schon kurz nach Betreten merkt man, dass hier alles enger und sparsamer gestaltet ist.
Das Foyer zeigt sich noch großzügig mit reichlich angebrachten Stühlen (Metallgitter) die Kasse und das Drehkreuz liegen ganz am Ende. Dahinter geht der Besucher scharf rechts. die Schuhauskleide ist hinter dem Drehkreuz. Die Dame an der Kasse wirkte, als würde sie ein wenig an der Welt leiden. Dafür war das Personal am Beckenrand durchaus nett.
Umkleiden/ Duschen
Die Ostberlin-typische Sammelumkleide mit einer Einzelkabine für Behinderte. Diesmal ausnahmsweise nicht in dunkelblau, sondern fast durchgehend in Weiß und anderen sehr hellen Farbtönen gehalten. Zwei Gänge, die Schränke tatsächlich aus Stein mit gekachelten Innenwänden. Alles wirkt für diesen Schwimmbadtyp vergleichsweise nobel.
Die Schlüssel (1-Euro-Pfand) haben eine eher ungewöhnliche Form . – wie so für 80er-Jahre-Sicherheitsschlösser – die Schlösser selbst sind in ihrer Handhabung auch etwas gewöhnungsbedürftig aber immerhin zumutbare Schlüsselbänder (echt jetzt, die Halle in der Zingster Straße sollte man schon allein wegen der furchtbaren Schlüsselbänder boykottieren).
Die Duschen werden durch zwei Milchglastüren von den Schränken getrennt. Vermutlich ein Nachwendefortschritt, in der Zingster Straße gibt es dort noch keine Türen. Außerdem fehlt in Kaulsdorf das bedrohlich–riesige „Dusche-Nackt“-Schild über dem Duscheingang, das den Typ-D-Urtyp auszeichnet. Die Duschen selbst sind wie der Rest des Bades auch ziemlich weiß. Sie sind aufgeteilt mehrere abgetrennte Bereiche, alles in Schuss, viele Haken hängen an den Wänden.
Auch so eine Eigenheit des Typs83 Ostberliner Bäder, an die ich mich nur schwerlich gewöhne: die Toiletten gehören räumlich zur Dusche, beim Abseifen auf die Pinkelbecken zu schauen finde ich seltsam.
Schwimmhalle
Alles ist Weiß, zwei einsame Farb-Bordüren zieren die Wand. Die hohe Glaswand nach draußen wurde vollgestellt mit einer ganzen Batterie meterhoher Pflanzen. Das sieht sehr grün aus, aber dafür sieht man draußen nichts mehr und Licht kommt auch keines rein.
Ein 25-Meter-Becken (1,80m tief, sechs Bahnen), ein Nichtschwimmerbecken. In der Mitte ist eine Bahn abgetrennt, auf der ein einsamer Rückenschwimmer seine Runden dreht. Rechts und Links schwimmt das übliche Publikum. Beim zweiten Besuch erblicke ich zwei abgrennte Bahnen. Ich weiß nicht, ob die nötig waren. Das freiwillige Publikum zählte zu gedrängten Hochzeiten vielleicht acht Personen und hat auch sich so gut verteilt.
Die Rückseite von Typ D wirkt immer eher freudlos. Auch mit Fenstern hatten die Bauherren es nicht mehr so. |
Die Kindergruppe, die dann zeitweise dazu kam, hat das mit den Bahnen komplett ignoriert und gleich das Nichtschwimmerbecken, die abgetrennten Bahnen und nicht-abgetrennte Bereiche belegt.
Die Wassereinspeisung scheint etwas eigen: das wo das Wasser unterseeisch in das Becken geblasen wird, sind auf der Wasseroberfläche kleine Sprudelseen (irgendwo scheint Sauerstoff in das einströmende Wasser zu kommen), das Wasser selbst ist auch eher wenig klar – vermutlich auch der Sauerstoff.
Die Sprudeldüse immerhin wird konsequent betreiben. Auch beim zweiten Besuch viele Monate später - der erste war schon lange vergessen - dachte ich: ich sehe ja gar nichts im Wasser – na vielleicht die vielen Kinder, die springen und Sauerstoff ins Wasser bringen – es scheint aber immer so zu sein - und war dann sehr überrascht genau die Beobachtung auch in den Notizen vom ersten Besuch zu finden.
Nett ist die leicht geschwungene Holzdecke. Irritierend war, dass nur die Hälfte der Leuchten angeschaltet war; irritierend, ein Bad fast komplett in Weiß, das trotzdem irgendwie schummrig wirkt.
Publikum
Leute auf der Nachbarschaft. Eher schweigsam, alles eher leise, eher älter, aber auch nicht so richtig alt und am Schwimmen. Das wirkt schon auch so, als würden seit Jahrzehnten immer dieselben kommen, aber leider weder so familiär wie am Baumschulenweg noch so abweisend-unfreundlich wie in Hohenschönhausen. Hier kommt man einfach, schwimmt und verschwindet dann wieder hinter dem Jägerzaun.
Gastronomie
Ein Süßigkeitenautomat. Kein Kaffee. Gegenüber ist die Kneipe „Klaubautermann“, die außen auf einer Schultafel die Ergebnisse des letzten Preisskats angeschrieben hatte.
Sonstiges
Und dann war da noch Lara. Lara ist vielleicht 10 und sprach mich an, als ich eine Abschlussrunde durch’s Nichtschwimmerbecken paddelte. Fragte ob ich auch Bronze habe. Konnte ich bejahen, sowas verfällt ja wohl auch nach 30 Jahren nicht. Lara hat auch Bronze. Und wird bald zu ihrer Freundin „irgendwo in Brandenburg“ in den Schwimmverein gehen. Dann macht sie auch Silber und Gold. Außerdem kann Lara einen tollen einhändigen Handstand unter Wasser. Lara, ich wünsche viel Erfolg bei Silber!
Fazit
Quadratisch, praktisch, gut. Der kastigste aller Berliner Schwimmbadtypen hier in einer Variante, die gut in Stand scheint aber nicht shiny oder glänzend, wo die Leute nett aber auch nicht überfreundlich sind. Die Deko ist sparsam, die Gastronomie auch, das Wasser ist nass und die Kabinen sind erinnerungsauslöschend weiß. Hier kann man schwimmen gehen.
Weiterlesen
Bianca Schwimmbadblog war logischerweise auch schon da. Schwimmhalle Kaulsdorf.
Die wahrscheinlich in Art, Entstehung und Geschichte ähnlichste Schwimmhalle der Welt steht in Buch.
Sportlicher geht es im Bezirk in der Schwimmhalle Helene-Weigel-Platz zu.
Alle Iberty-Schwimmbadposts liegen unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.
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